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anthos 2010/4
Landschaftsqualität
anthos 2010/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Landschaftsqualität im Richtplan verankern!

In der Region Thun-InnertPort lösen interdisziplinärer Dialog, qualitative Verfahren und Richtlinien die klassischen Schongebiete ab auf einem neuen Weg zu einer funktionalen und ästhetischen Landschaft.

26. November 2010 - Markus Steiner, Adrian Kräuchi
Landnutzung und Bauen in der Landschaft sind keine persönlichen Grundrechte eines Landbesitzers. Landnutzung unterliegt stets Rechten, welche durch die Gesellschaft vergeben werden. Die Gesellschaft mit ihren demokratischen Instrumenten hat es in der Hand, den Anspruch an eine umweltgerechte, schonende sowie sozial- und landschaftsverträgliche Nutzungs- und Bauweise einzufordern.

Neue Ansätze führen zur Qualität
In der Region Thun-InnertPort (TIP) wurde der klassische Ansatz der Schongebiete verlassen, um einen flächendeckenden Qualitätsansatz mit fachlicher Begleitung zu verfolgen. Der Grund dazu lag insbesondere im Umstand, dass die «alten» isolierten Schongebiete nur Teile der Landschaft abdeckten. Das Bedürfnis, einen Dialog hinsichtlich einer besseren baulichen Qualität zu führen, wurde zu wenig gepflegt. In einem ersten Schritt näherte sich eine paritätisch zusammengesetzte Arbeitsgruppe den relevanten Elementen landschaftlicher Qualität auf empirische Art, um anschliessend die Grundzüge der Gestaltung in Form von Richtlinien und Verfahrensvorschlägen im regionalen Richtplan festzulegen. Die Richtlinien der Region TIP behandeln insbesondere das Bauen ausserhalb der Bauzone, obwohl der Anspruch an Qualität auch innerhalb der ordentlichen Bauzonen heute selten zur vollen Zufriedenheit erfüllt ist. Um dem Anspruch an eine hohe Landschaftsqualität gerecht zu werden, sind integrale, die ganze Landschaft abdeckende, bau- und landschaftsästhetische Ansätze notwendig.

Integrale Sichtweise
Die heute meist praktizierte Beschränkung auf ökologische Landschaftsinventare deckt nur einen Teil der funktionalen landschaftlichen Beziehungen ab. Die Qualitätsdiskussion erfordert die Erweiterung um ein ganzheitliches, auch Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur umfassendes Inventar in Form der Erfassung von Charakterräumen, welche Atmosphärisches oder Imponderables einer Landschaft mit beinhalten.

Wie lässt sich Qualität einfordern? Philosophen haben sich seit jeher damit befasst, das Wesentliche, Ewige, Unvergängliche und Elementare in der gewordenen realen Abstraktion zu suchen. Platon, Aristoteles, Hegel, Goethe und Schiller haben es unter anderem im Wahren, Guten und Schönen gefunden.

Mit dem Wahren ist der Verstand, als Element der Erfahrung, angesprochen. Er zielt auf die innere Funktion, die Sinnhaftigkeit, Authentizität und Echtheit einer Baute oder Landschaftsveränderung. Im Guten liegt die vernünftige Absicht für die Zukunft, für welche Ideen, Ideale und deren Wirkung auf Gesellschaft, Wirtschaft, und Kultur (Synthese Kulturlandschaft) stehen. Im Schönen wird die Ästhetik beschrieben als erscheinende Synthese des Wahren und Guten. Zwei Elemente der qualitativen Entwicklung sind deshalb erforderlich:
– Die rationalen, analytischen Grundlagen (das Wahre) in Form von Vorgaben und Richtlinien. Diese stützen sich auf jeweilige formale und funktionale Räume. Der Charakter und die strukturbildenden Elemente dieser Räume werden abgeleitet von Bildern, Kunstwerken oder weiteren Formen wie Emotionen und Stimmungen, welche das Wesentliche einer Landschaft oder eines Raumes bilden.
– Der zu leistende, verbessernde, ethische und moralische Beitrag (das Gute) an eine intakte Um- und Mitwelt. Er zeigt auf, wie sich ein Projekt verhält, wie es sich in vorhandene Räume und Strukturen eingliedert oder welche besondere Stellung – und aus welchem Grund – es einnehmen muss.

Landschaftsqualität als Bestandteil des Verfahrens
Die Umsetzung erfordert eine enge Begleitung durch Fachleute verschiedener Disziplinen. Landwirtschaftliche Organisationen, Architekten, Investoren, aber auch die Behörden werden sensibilisiert, um bei Bauvorhaben frühzeitig die nötige Begleitung bereit zu stellen. Schwieriger ist es in den Dörfern mit ordentlichen Bauzonen. Sobald eine Liegenschaft erworben ist, fällt es den Behörden vielfach schwer, qualitative Aspekte zu realisieren, wenn Art und Mass der Nutzung eingehalten worden sind. Qualitative Verfahren sind zwar oft in den Gemeindebaureglementen verankert, doch hat die Erfahrung gezeigt, dass Qualität von Bauten und Anlagen dadurch nicht unbedingt besser werden. Qualität muss immer neu gesucht und vor einer Nutzungsvergabe, im Rahmen von Nutzungsplänen, eingefordert werden!

Wegweisendes Pilotprojekt
Seftigen, eine kleine Gemeinde in der Agglomeration von Thun, macht es vor. Potenzielle Baugebiete werden nicht mehr eingezont, sondern nur auf Stufe von Nutzungskonzept und Richtplan definiert und mit einem Anforderungsprofil belegt. Investoren und Bauwillige haben aufzuzeigen, wie sie die Anforderungen umzusetzen gedenken, welcher Mehrwert beispielsweise für das Dorf entsteht und wie sie die Anlage in die Landschaft integrieren wollen. Erst nach diesem Bewerbungsverfahren werden die Flächen im Einzelverfahren, gestützt auf ein Gesamtkonzept, der Gemeindeversammlung zur Einzonung vorgelegt. Nutzungen brauchen dabei nicht auf immer und ewig vergeben zu werden. In einzelnen Fällen ist es sogar sinnvoll, diese zeitlich zu begrenzen. Die Diskussion um Kulturlandverbrauch könnte unter diesen Voraussetzungen anders, allenfalls auch entspannter, geführt werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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