Zeitschrift

TEC21 2010|49-50
Schutz im Untergrund
TEC21 2010|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Überdruck unter Luzern

Der Allmendtunnel ist Bestandteil des Projektes Doppelspur und Tieflegung der Zentralbahn Luzern. Der Tagbautunnel wurde unter Überdruck erstellt, um das Grundwasser aus dem Tunnel fernzuhalten und um über die Spundwände dem Erddruck entgegenzuwirken. Das Druckluftverfahren zeigt, dass nicht nur konventioneller Tunnelbau, sondern auch ein Tagbautunnel mit besonderen Herausforderungen verbunden ist. Der Druck im Tunnel betrug 0.68 bar, was einer Tauchtiefe von 6.8 m entspricht. Im Gegensatz zu früher wird dem Gesundheitsschutz und der Arbeitssicherheit grösste Aufmerksamkeit geschenkt.

3. Dezember 2010 - Philipp Kohlschreiber
Die Zentralbahn führt derzeit oberirdisch vom Luzerner Bahnhof durch Neustadtquartiere über die Luzerner Allmend sowie durch die Nachbarkantone Nidwalden und Obwalden bis nach Engelberg und über den Brünig. Um im Zuge einer Angebotserweiterung den Individualverkehr mit der Erhöhung des Fahrtakts auf einen Viertelstundenrhythmus ab dem Jahr 2013 nicht stärker zu beeinträchtigen, ist der Doppelspurausbau sowie die Tieflegung der Zentralbahn unumgänglich. Gleichzeitig wird für Besucher der Messe Allmend und des im Bau befindlichen Fussballstadions eine neue Haltestelle realisiert.

Lage und Geologie des Allmendtunnels

Der Allmendtunnel taucht im Süden über die Rampe Mattenhof mit seinem Scheitel ca. 1.5 m unter der Geländeoberkante ab, unterquert die Allmend und schliesst im Norden an die Haltestelle Allmend an. Das Deckelbauverfahren unter Überdruck wird bis etwa zur Hälfte der Haltestelle Allmend angewandt, wo die Tunneldecke ca. 1.8 m unter Terrain liegt. Im Bereich der Druckluftstrecke stehen Verlandungsbildungen und Seebodenablagerungen aus tonigen, teilweise sandigen Schluffen mit organischen, torfigen und sandig-kiesigen Einlagerungen an. Die angetroffenen Grundwasserverhältnisse bestehen aus einem oberen, freien Grundwasserspiegel und einem unteren, gespannten Grundwasserhorizont. Der Allmendtunnel wird nach seiner Fertigstellung komplett im Grundwasser liegen. Speziell an der Deckelbauweise unter Überdruck ist, dass der seitliche Baugrubenabschluss durch Spundwände sichergestellt wird und nicht durch Schlitzwände oder eine überschnittene Bohrpfahlwand. Diese Methode wurde gewählt, damit keine Bauhilfsmassnahmen im Baugrund verbleiben. Als Bauhilfsmassnahme gegen die äusseren Einwirkungen (Erddruck, Wasserdruck) wird dabei ein entsprechender Überdruck in der Arbeitskammer erzeugt.

Baumethode wird in der Schweiz erstmals angewandt

Der Deckel des Tagbautunnels wird von der Oberfläche her vorauseilend auf zuvor gesetzte Spundwände betoniert. Eine Schleusenwand am Anfang und eine dichte Baugrubenabschlusswand am Ende der späteren Druckluftstrecke begrenzen das Bauwerk. Die beiden Grundwasserstockwerke werden so wenig wie möglich abgesenkt, um die Setzungen weitestgehend zu eliminieren. Der Luftüberdruck hält das Grundwasser auf ca. 1.5 m unter der späteren Tunnelsohle und ersetzt die Spriessung der Spundwände. Er beträgt abhängig von der Tiefenlage des Tunnels zwischen 0.57 und 0.68 bar. Trockenen Fusses wird nun der Tunnel ausgehoben, direkt folgend die Bodenplatte betoniert und mit dem Nachziehen der Wände die Tunnelröhre geschlossen. Damit das Personal den Tunnel betreten und die Materialver- und -entsorgung gewährleistet werden kann, wird eine Personen- und Materialschleuse eingerichtet.

Arbeiten unter Druckluft

Arbeiten unter Druckluft belasten den menschlichen Organismus stärker als Arbeiten in atmosphärischen Bedingungen. Aus diesem Grund müssen alle Mitarbeiter medizinischen Tests unterzogen werden, in denen neben dem allgemeinen Gesundheitszustand u. a. die Herz- und Lungenfunktionalität sowie die körperliche Belastbarkeit überprüft wird. Die Arbeiter dürfen nicht jünger als 18 und nicht älter als 50 Jahre sein, Aufsichtspersonal mit entsprechender gesundheitlicher Eignung kann auch älter sein. Diese Untersuchungen müssen im Jahresrhythmus wiederholt werden. Für den Bau des Allmendtunnels wurden insgesamt 130 Personen auf Drucklufttauglichkeit untersucht und von der Schweizer Unfallversicherungsanstalt (Suva) für Arbeiten in Druckluft zugelassen. Die grosse Anzahl untersuchter Personen setzt sich aus Arbeitern sowie aus Aufsichtspersonal, Bauherrenvertretern, Planern und Monteuren von Gerätelieferanten zusammen.

Um aus atmosphärischen Bedingungen in Überdruckumgebung zu gelangen, muss der Körper langsam an den erhöhten Druck angepasst werden. Dies geschieht in der Personenschleuse, einer an der Schleusenwand angeschlossenen Stahlröhre mit 32 Sitzplätzen, aufgeteilt in zwei Vorkammern mit je sechs Plätzen und einer Hauptkammer mit 20 Plätzen. Jeder Platz ist mit einem Sauerstoffatemregler versehen, der beim Ausschleusen benötigt wird. Das Dreikammersystem der Personenschleuse erlaubt das Durchschleusen von Personal. So können eintretende Personen ausschleusendes Personal passieren. Beim Einschleusen wird kontinuierlich Luft in die Kammer geblasen, damit der Luftdruck steigt und sich dem Tunneldruck anpasst. Das Personal muss dabei regelmässig den sogenannten Druckausgleich machen, bei dem sich die in Gehörgang und Nasenraum befindliche Luftmenge an die steigende Luftmenge in der Kammer anpasst. Nach etwa fünf Minuten ist der Tunneldruck von rund 0.68 bar (der einer Tauchtiefe von 6.8 m entspricht) erreicht, und die Mitarbeiter können den Tunnel betreten. Die Temperaturen betragen 24 °C bis 25 °C, die Luftfeuchtigkeit im Tunnel liegt zwischen 85 % und 99 %.

Diese Bedingungen in Verbindung mit der harten körperlichen Arbeit führen zu hohem Flüssigkeits- und Mineralienverlust bei den Mitarbeitern. Um dies auszugleichen und druckluftbedingten Erkrankungen vorzubeugen, wird das Personal mit warmem Tee versorgt. Pro Schicht sollte jeder Mitarbeiter mindestens zwei bis drei Liter Tee trinken. Die Aufenthaltsdauer unter Überdruckbedingungen war beim Allmendtunnel auf neun Stunden pro Tag und fünf Tage pro Woche begrenzt.

Der Ausschleusvorgang wird durch Schleusentabellen, die von spezialisierten Arbeitsmedizinern eigens für den Allmendtunnel erstellt und genehmigt wurden, geregelt. Dort ist abhängig vom Arbeitsdruck und der Aufenthaltsdauer festgelegt, wie lange der Ausschleus vorgang dauert und der Schleusenwart das Personal auf der Haltestufe 0.5 bar mit medizinischem Sauerstoff versorgen muss. Der Sauerstoff löst den im Blut durch die Überdruckbedingungen angereicherten Stickstoff, der andernfalls zu Drucklufterkrankungen führen könnte. Bei voller Expositionsdauer von neun Stunden dauert der Ausschleusvorgang knapp 20 Minuten.

Besondere Sicherheitsvorkehrungen

Durch den Überdruck von 0.68 bar erhöht sich die Luftmenge im Tunnel um 68 % gegenüber den Normalbedingungen. Somit steigen auch die Mengenanteile der einzelnen Gase in der Luft, die im atmosphärischen Zustand 78 % Stickstoff, 21 % Sauerstoff und 1 % andere Gase enthält. Der höhere Sauerstoffgehalt führt zu erhöhter Brandgefahr. Deswegen sind im Tunnel keine Verbrennungsmotoren zugelassen. Brennbare Materialien dürfen nur in den notwendigen Mengen vorgehalten werden. Es herrscht absolutes Rauchverbot. Die Feuerwehr schulte einen grossen Teil der Belegschaft in Brandbekämpfungskursen. Alle Baumaschinen wurden elektrisch betrieben und mittels einer zentralen Trafostation mit Strom versorgt. Der Aushub wird mit einem elektrisch betriebenen Förderband in dafür bereitgestellte Bodenentleerer verladen, die von batteriebetriebenen Lokomotiven über die Materialschleuse ein- und ausgefahren werden.

Schweiss-, Schneid- und Brennarbeiten sind nur mit einer Person als Brandwache und aufgrund der entstehenden nitrosen Gase mit Rauchgasabsaugung (sogenannte Schlabberleitung) zugelassen. Die Konzentration von Schadstoffen wie Rauchgasen, Staub etc. in der Atemluft erhöht sich ebenfalls entsprechend und muss vermieden beziehungsweise so gering wie möglich gehalten werden.

Erfolgreich und unfallfrei

Druckluftarbeit stellt sowohl an die Menschen als auch an Geräte und Maschinen höchste Anforderungen. Eine detaillierte Planung, Erfahrung mit dieser Bauweise und die strikte Einhaltung der Sicherheitsregeln sind unumgängliche Grundlagen für eine erfolgreiche und vor allem unfallfreie Abwicklung der Baumassnahme. Die Heilige Barbara, die am Tunnelportal über die Arbeiten wachte, musste nicht eingreifen. Ihre Statue wurde nach Abschluss der Arbeiten unter Druckluft am 26. Oktober 2010 an die Tunnelpatin übergeben.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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