Zeitschrift

TEC21 2011|09
Holz gestrickt
TEC21 2011|09
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Jenga für Fortgeschrittene

Bunt schimmert es durch die hölzernen Balken des Pavillons «Net no Mori» im Open Air Museum im japanischen Hakone. Der Bau erinnert an eine vergrösserte Version des Geschicklichkeitsspiels «Jenga», nur dass die Bauelemente in Hakone in 38 Schichten zu einer offenen Struktur übereinandergestapelt wurden. Nach japanischer Zimmermannstradition sind die Verbindungen nur mit Holzdübeln und -keilen gefügt. Der Pavillon bildet den Rahmen für ein handgefertigtes Kunstwerk: Ein abgehängtes, mehrlagiges Netz mit runden Öffnungen und tropfenförmigen Schaukeln lädt Kinder zum Spielen ein.

25. Februar 2011 - Claudia Hildner
Wer das Hakone Open Air Museum zum ersten Mal besucht, ist von der ungewöhnlichen Idee angenehm überrascht: In dem 1969 gegründeten Museum, das aus einem grossen Skulpturengarten sowie fünf Ausstellungshallen besteht, wurden die Werke international bekannter Bildhauer und Installationskünstler sorgsam mit der Landschaft verwebt. Der Ort Hakone liegt im Südwesten von Tokio und ist ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Das Museum nimmt auf diesen Umstand Rücksicht und bietet Kindern Bereiche, in denen sie die Kunst hautnah erleben können. Ein Highlight ist dabei «Net no Mori»: ein riesiges, kunterbuntes Netz aus Nylonseilen, das die japanische Künstlerin Toshiko Horiuchi Macadam in Handarbeit geknüpft hat, sowie der dazugehörige Pavillon von Tezuka Architects.

Netz und Balken

Ein Netz der Künstlerin gab es in dem Museum schon lange – allerdings war es in einer weitgehend geschlossenen, weissen Box untergebracht, sodass es von aussen kaum attraktiv wirkte und im Inneren so manchen eher an ein riesiges Spinnennetz erinnert haben mag. Tezuka Architects, die eng mit der Künstlerin und den Tragwerksplanern von TIS & Partners zusammenarbeiteten, entschieden sich, die neue Behausung offen zu gestalten: Das Netz muss zwar vor der Witterung geschützt werden, aber natürliches Licht und Wind sollen es dennoch umfliessen können. Um ein Ensemble zu schaffen, das als Ganzes überzeugt, fertigte die Künstlerin sogar ein neues Netz an, das perfekt mit dem neuen Pavillon zusammenspielt.

Für die Konstruktion der offenen Struktur wurden Brettschichtholzbinder verwendet, die sich in ihren Querschnitten je nach ihrer Position im Bauwerk – und den sich daraus ergebenden statischen Erfordernissen – unterscheiden. So variiert die Höhe der Träger zwischen 36 und 54 cm, die Breite zwischen 22 und 36 cm. Die aus 589 Holzbalken bestehende Konstruktion mag zunächst wie ein willkürlicher Stapel erscheinen, doch ein genauerer Blick offenbart, dass die Anordnung der Binder einem ausgeklügelten System folgt. Es ergeben sich Ringe aus Dreieckskonstellationen, die sich nach oben hin kaum merklich verkleinern, bis sich die Seiten nach innen zu wölben scheinen. Einige wenige längere Binder ergänzen das Ganze zur Kuppel, sodass der Pavillon einem Dom oder Iglu gleicht. An den Bindern ist auch die abgehängte Zeltplane befestigt, welche das Kunstwerk vor der Witterung schützt.

«Lagerfeuer» im Holziglu

Die Architekten wollten eine spielerische Skulptur schaffen, die Menschen dazu einlädt, sie in Besitz zu nehmen. Die Behausung des Kunstwerks sollte weniger als Gebäude denn als natürliches Element wahrgenommen werden – darauf verweist auch der Name des Pavillons, «Net no Mori» beziehungsweise «Wald aus Netzen». Für die Planer ist das Netz im Inneren eine Art «Lagerfeuer»: Die spielenden Kinder setzen es in Bewegung, und die Erwachsenen können auf den Bindern sitzen und diesem Flackern zusehen.

Mit seiner verspielt lockeren Struktur lässt sich der Pavillon kaum anmerken, dass sich seine Konstruktion an traditioneller japanischer Holzarchitektur orientiert: Die Verbindungen zwischen den einzelnen Bindern wurden ohne Metallelemente verwirklicht. Stattdessen liessen die Planer die Unterseite des jeweils oben liegenden Trägers individuell CNC-fräsen, um ihn so mit dem darunterliegenden Träger zu verkämmen. Holzdübel und -keile stabilisieren die Konstruktion. Als Referenzen für diese reinen Holzverbindungen nennen die Tragwerksplaner TIS & Partners unter anderem einen der ältesten Schreine Japans, den Izumo-Taisha in der Präfektur Shimane, sowie den Tempel Kiyomizu in Kioto – allerdings wurden für deren Konstruktion Vollholzbalken verwendet.

Berechnetes Spiel

Aus Metall sind lediglich die Auflager zwischen Fundament und Holzkonstruktion sowie die Verbindungselemente zwischen Netz und Bindern. Letztere legen sich als Klammern um den Querschnitt der Binder, sodass auch hier das Holz nicht vom Metall durchdrungen, sondern von ihm gefasst wird. Die Klammern sind so positioniert, dass sie die Lasten aus der schützenden Zeltplane, dem Sicherheitsnetz sowie dem Kunstwerk und den darin beziehungsweise darauf spielenden Kindern aufnehmen können.

Mit einer speziell für «Net no Mori» entwickelten Software zur Tragwerksanalyse prüften die Fachplaner die Stabilität des Pavillons. Im Fokus standen dabei die Holzverbindungen, die in dieser Konstruktion auch Schubkräfte und Drehmomente aufnehmen müssen. Mit dem Programm liess sich nachweisen, dass das reine Holzbauwerk ohne zusätzliche Verbindungselemente aus Metall verwirklicht werden kann. Entscheidend für diese Berechnung waren die Lasten, die die Kinder im Netz erzeugen. Die Tragwerksplaner betrachteten dabei neun verschiedene Lastfälle bei maximaler Auslastung (jeweils achtzig Kinder à 32.5 kg) und unregelmässigen Belastungen.

Um die Holzkonstruktion vor stehender Nässe zu schützen, ist die Oberfläche der Binder leicht konvex ausgeprägt. Anders als die grossen Vorbilder werden die Binder allein dadurch aber wohl kaum mehrere Jahrhunderte überstehen: Tempel und Schreine besitzen in Japan ausladende Dächer, die das Holz vor der Witterung schützen – in Hakone sind die Binder den äusseren Einflüssen hingegen konstruktiv ungeschützt ausgeliefert. Die Entscheidung für die Neukonzeption des Kunstwerks und seines Rahmens dürften die Verantwortlichen dennoch nicht bereuen: Mit der neuen Behausung hat das Spiel-Kunstwerk schlagartig an Popularität gewonnen. Wer beobachtet, wie viel Spass die Kinder in diesem Netz haben, glaubt durchaus, dass manche Familie allein deshalb mehrmals im Jahr in das Museum kommt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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