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TEC21 2011|12
Stromnetz der Zukunft
TEC21 2011|12
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Intelligentes Netz

Die Liberalisierung des Strommarktes und die zunehmende Einbindung erneuerbarer Energiequellen mit ihrer schwankenden Einspeisung werden Energieerzeugung und -verteilung in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Um die Netze auch unter neuen Rahmenbedingungen sicher und stabil betreiben zu können, müssen Stromerzeuger und -verbraucher über Informations- und Kommunikationstechnologien zu einem Smart Grid, einem intelligenten Stromnetz, miteinander vernetzt werden.

18. März 2011 - Thilo Krause
Traditionell waren Energieversorgungssysteme von «zentralistischen» Strukturen geprägt: Elektrizität wurde in Grosskraftwerken (Kernkraftwerke, Wasserkraftwerke etc.) produziert, dann über das Übertragungsnetz über weite Strecken transportiert, um schliesslich in Verteilnetzen kleinflächig bis zum Endkunden zu gelangen (Abb. 1). Vor der Liberalisierung waren sowohl Kraftwerke als auch Netze meist in der Hand eines Unternehmens, des Gebietsmonopolisten. Heute hingegen sind Kraftwerks- und Netzinfrastruktur grösstenteils buchhalterisch oder eigentumsrechtlich voneinander getrennt. Aufgrund des damit verbundenen freien Netz- und Marktzugangs haben sich die Strukturen im Energieinfrastrukturbereich weltweit verändert. Elektrizität wird an Strombörsen angeboten bzw. ersteigert. Auch der ökologische Mehrwert von Elektrizität aus erneuerbaren Quellen wird heutzutage über Herkunftsnachweise oder indirekt über Emissionszertifikate flexibel gehandelt. Zudem wurden weitgreifende Anreizsysteme zur Förderung von erneuerbaren Energien geschaffen, um der Endlichkeit fossiler Energieträger und dem Klimawandel Rechnung zu tragen. In der Summe aller Massnahmen haben die Stromeinspeisungen aus Wind, Fotovoltaik, Biomasse etc. signifikant zugenommen.

Die vermehrte Erzeugung von Elektrizität aus erneuerbaren Energien ist dabei nicht an eine einzelne Netzebene gebunden (Abb. 1). Grosse Windparks (off-shore und on-shore) werden direkt ans Übertragungsnetz (die «Stromautobahnen») angeschlossen, während kleinere Anlagen in tiefere Netzebenen integriert werden. Fotovoltaik- und Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen beispielsweise findet man bis hinunter ins Verteilnetz (die «Quartierstrassen des Stroms»).

Der Stromkunde wird zum Stromlieferanten …

Damit wird zunehmend auch dort Strom erzeugt, wo bisher ausschliesslich die Stromnachfrage der Endkunden zu decken war. Die Einspeisung auf niedrigeren Netzebenen kann dazu führen, dass sich der Lastfluss umkehrt, d. h., dass aus tieferen Spannungsebenen (Verteilnetz) an höhere Netzebenen (Übertragungsnetz) zurückgespeist wird, entgegen dem ursprünglichen Systemverhalten mit Lastfluss nur in eine Richtung, von den Grosskraftwerken zum Kunden. Da Stromproduktion und -verbrauch immer im Einklang sein müssen, wird die Aufrechterhaltung der Netzstabilität und der Versorgungssicherheit mit einer zunehmenden Anzahl von Erzeugern auf verschiedenen Ebenen und mit einem hohen schwankenden Erzeugungsanteil aus erneuerbaren Quellen wesentlich komplexer. Sie bedingt den ständigen Austausch von Informationen zwischen allen beteiligten Stromerzeugern und -verbrauchern sowie den nur begrenzt vorhandenen Stromspeichern. Dieses Netz der Zukunft, in dem Informations- und Kommunikationstechnologien eine zentrale Rolle spielen, wird als «intelligentes Netz» oder «Smart Grid» bezeichnet (Abb. 2).

… Und Trägt zum sicheren Netzbetrieb bei

Ein Element intelligenter Netze sind Smart Meters, intelligente Stromzähler, mit denen es nicht nur möglich ist, den Energieverbrauch privater und gewerblicher Stromkunden detail liert aufzuschlüsseln, sondern teilweise auch Einfluss darauf zu nehmen, um Lastspitzen zu vermeiden oder Elektrizität dann zu verbrauchen, wenn sie gerade günstig aus lokalen Quellen erzeugt wird. Der flächendeckende Einsatz von Smart Meters wird in einigen Ländern (z. B. Italien und Schweden) bereits umgesetzt. Auch Entwicklungen in anderen Bereichen werden die Struktur der Verteilnetze beeinflussen. Dies betrifft insbesondere die Elektromobilität: Im Zusammenspiel mit den Batterien von Elektroautos und intelligenten Haushaltgeräten sind die Kunden nicht mehr passive Netznutzer, sondern leisten einen Beitrag zum sicheren Netzbetrieb (vgl. «Begrenztes Potenzial» S. 24 und «Im Praxistest» S. 27).

Übertragungsnetz muss ausgebaut werden

Ins Stromnetz der Zukunft sollen nicht nur kleine, regionale Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energie eingebunden werden, sondern auch grosse Windparks in der Nordsee oder Solarstrom aus Nordafrika. Die 2009 von zwölf Unternehmen gegründete Allianz mit dem Namen Desertec[1] will massiv in solarthermische Stromerzeugungsanlagen in Nordafrika investieren und bis 2050 100 Gigawatt an zusätzlicher elektrischer Leistung installieren. Damit stellt sich die Frage, wie die Elektrizität in Afrika oder auch nach Europa transportiert wird. Eine Möglichkeit ist ein sogenanntes Super Grid, ein Stromnetz, das eine grosse Zahl erneuerbarer Erzeugungsanlagen in Europa und im Norden von Afrika miteinander verbindet (Abb. 3).

Die Vision beinhaltet den Einsatz einer Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), im Gegensatz zum bisherigen kontinentaleuropäischen Netz, das bis auf einzelne Leitungen auf Wechselspannung beruht. Mittels HGÜ lässt sich elektrische Energie über längere Strecken mit niedrigeren Verlusten übertragen, allerdings gibt es bisher praktisch keine Erfahrungen mit HGÜ-Netzen. Die meisten HGÜ-Leitungen sind Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, z. B. zwischen grossen Kraftwerken und Städten als Lastzentren.

Aber auch ohne die Desertec-Vision sind der Ausbau und die Erneuerung des europäischen Übertragungsnetzes von höchstem Interesse. Neue Netztechnologien[2] ermöglichen es, Daten über den aktuellen Netzzustand (grenzüberschreitende Flüsse, Frequenzabweichungen etc.) in Echtzeit zu erfassen. Diese Gesamtsicht des Systems kann man benutzen, um in kritischen Situationen präventive Massnahmen gegen Blackouts zu ergreifen. Hier wird erneut die wichtige Rolle von Informations- und Kommunikationstechnologien deutlich, insbesondere auch für die Koordination der Märkte und des Netzes. Erzeugungs- und Versorgungsunternehmen, die Strom handeln, sind daran interessiert, dass ihre Aktivitäten nicht durch Netzengpässe eingeschränkt werden. Auf der anderen Seite sind die Übertragungsnetzbetreiber jederzeit für den stabilen und sicheren Netzbetrieb verantwortlich. Die zur Koordination nötigen Datenmengen sind immens und können nur mittels spezifischer Konzepte und Regeln verarbeitet werden. Dazu gehören beispielsweise Methoden zur Engpassvermeidung im europäischen Netz, zur Frequenzregelung oder zur Analyse von Versorgungssicherheit (kurzfristig) und Versorgungszuverlässigkeit (langfristig).

Hohes Investitionspotenzial

Diese Überlegungen zeigen, dass es momentan vielfältige Problemstellungen im Netzbereich gibt, wobei das Ziel sein muss, ein Netz zu bauen, das ökologische, technische und ökonomische Ansprüche gleichermassen erfüllt. Dazu gehört ein stabiler, sicherer und zuverlässiger Betrieb genauso wie Emissionsvermeidung und Kosten- und Ressourceneffizienz. Da Netzbetriebsmittel hohe Nutzungsdauern aufweisen – Freileitungen, Kabel oder Transformatoren werden über 40 Jahre und länger genutzt –, definieren heutige Investitionsentscheidungen das Netz der Zukunft. In diesem Sinne ist es nötig, ein nachhaltiges Netz zu bauen. Es ist zu hoffen, dass die verschiedenen Facetten eines Smart Grid – in das Einspeisungen aus Grosskraftwerken, verteilte Erzeugung sowie Gross- und Kleinkunden gleichberechtigt eingebunden sind (Abb. 4) – genau diesem Anspruch gerecht werden.

Die Weichen dazu werden in vielen Ländern bereits gestellt. So betonte Barack Obama in seiner Rede zur wirtschaftlichen Lage Amerikas im Januar 2009, dass die Ausrichtung Amerikas auf eine globale Wirtschaft auch die Modernisierung der Elektrizitätsversorgung erfordere und somit den Aufbau eines Smart Grid, das kostengünstiger sei, die Energiequellen vor Ausfällen oder Angriffen schütze und saubere, alternative Energieformen in jeden Winkel der Nation liefere.[3] Eine Studie der Energieconsulting-Firma KEMA beziffert das US-amerikanische Investitionspotenzial für Projekte im Smart-Grid-Bereich auf 64 Milliarden US-Dollar und 216 000 neue Arbeitsplätze.[4] In Deutschland wurde Ende 2008 das Forschungsprogramm «E-Energy – Smart Grids made in Germany» gestartet, das Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgrund seiner herausragenden innovations- und wirtschaftspolitischen Bedeutung zum «nationalen Leuchtturmprojekt» erklärt hat (vgl. «Im Praxistest» S. 27).[5] Auch das Bundesamt für Energie (BFE) widmet sich dem Thema Smart Grids als Teilbereich des nationalen Forschungsprogramms «Netze», das sowohl privatwirtschaftlichen wie auch akademischen Institutionen Forschungsgelder für Projekte im Netzinfrastrukturbereich zur Verfügung stellt (vgl. Kasten S. 27).[6]

[ Thilo Krause, Dr. sc. techn., Diplom-Wirtschaftsingenieur, Power Systems Laboratory der ETH Zürich ]
Anmerkungen
[1] Desertec Foundation, www.desertec.org
[2] zum Beispiel Phasor Measurement Units (PMUs) in Verbindung mit Wide Area Monitoring and Control Systems (WAMS)
[3] Barack Obama, «Speech on the Economy», Januar 2009, www.nytimes.com/2009/01/08/us/ politics/08text-obama.html?pagewanted=1&_r=2
[4] KEMA, «The U.S. Smart Grid Revolution, KEMA’s Perspectives for Job Creation», Dezember 2008, www.smartgridnews.com/artman/uploads/1/KEMA_s_Perspectives_for_Job_Creation.pdf
[5] E-Energy – Smart Grids made in Germany, www.e-energy.de
[6] Bundesamt für Energie (BFE), Informationen zum Forschungsprogramm Netze, www.bfe.admin.ch/forschungnetze

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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