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TEC21 2011|12
Stromnetz der Zukunft
TEC21 2011|12
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Begrenztes Potenzial

Im Zusammenhang mit Smart Grids wird das Lastmanagement propagiert, also die aktive Steuerung bzw. zeitliche Verschiebung des Stromverbrauchs bei den Kunden. In der Stadt Zürich wird dies wie in vielen anderen Schweizer Gemeinden schon seit Jahrzehnten in Form einer Rundsteuerung für Warmwasserboiler praktiziert. Das darüber hinausgehende Potenzial ist jedoch begrenzt und für die Kunden teilweise mit Kompromissen verbunden.

18. März 2011 - Lukas Küng
Beim Lastmanagement (demand-side management) werden alle Verbraucher, die nicht kontinuierlich Strom benötigen, wie Kühlschränke, Warmwasserboiler, Wärmepumpen etc., bei einem Über- bzw. Unterangebot von Energie ein- bzw. ausgeschaltet. Die nicht verschiebbaren Anwendungen wie Licht in der Nacht oder Computer während der Arbeitszeit bleiben dabei unberührt.

Die Idee des Stromlastmanagements ist allerdings nicht neu. In vielen Schweizer Gemeinden ist seit Jahrzehnten eine Rundsteuerung in Betrieb – in Zürich seit 1953 –, die ein sehr robustes und einfaches Lastmanagement ermöglicht. Mittels dieser Signale werden Warmwasserboiler nachts gestaffelt ein- und wieder ausgeschaltet. Einen Anreiz, auch den sonstigen Stromverbrauch in Schwachlastzeiten zu verschieben, erhalten sämtliche Kunden durch die tageszeitabhängige Unterteilung des Strompreises in Nieder- und Hochtarif. Der Grund für die Einführung dieser Massnahmen war aber nicht die schwankende Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energiequellen, sondern die optimale Auslastung der kostenintensiven lokalen Netze.

Potenzial bei den Haushalten in Zürich

Der Beitrag der Warmwasserboiler zum Stromverbrauch ist allerdings relativ gering: Die Haushaltskunden benötigen in Zürich ca. 20 % der maximalen Last, der Anteil der Warmwasserboiler beträgt davon maximal etwa einen Drittel oder ca. 35 MW. Weiteres Potenzial für den Ausbau des Lastmanagements bei den Haushalten der Stadt Zürich bieten Wärmepumpen mit einer Leistung von ca. 6 MW (ca. 550 Anlagen), ebenso Waschmaschinen, Tumbler, Abwaschmaschinen und Kühlschränke mit insgesamt ca. 50 MW. Das Potenzial ist aber auch hier beschränkt, da zum Beispiel Waschmaschinen in der Nacht wegen des Lärms nicht betrieben werden dürfen sowie effiziente Wärmepumpen oder Kühlschränke auf Dauerbetrieb ausgelegt sind und eine Steuerung daher wenig sinnvoll ist.

Einen grossen Anteil an schaltbaren Lasten können in Zukunft wahrscheinlich batteriebetriebene Elektrofahrzeuge liefern, die als Stromspeicher fungieren können. Bei einem Überangebot an Strom werden sie geladen, bei einem Unterangebot wird ein Teil des gespeicherten Stroms wieder an das Netz abgegeben. Wenn 10 % des städtischen Individualverkehrs elektrisch betrieben würden und alle diese Fahrzeuge an der Steckdose wären, ergäbe das ein Potenzial von ungefähr 30 MW. Auch hier geht der Kunde aber mit Lastmanagement einige Kompromisse ein: So kann er die Kapazität seiner Batterie nicht jederzeit ausnutzen, und die zusätzlichen Ladezyklen verkürzen die Batterielebensdauer. In Zürich sind insgesamt maximal 20 % des Stromverbrauchs schaltbar bzw. für eine gewisse Zeit aufschiebbar, dies aber zum Teil nur mit hohem Aufwand.

Potenzial bei den Geschäftskunden in Zürich

Bei den Geschäftskunden sind die Möglichkeiten von Lastmanagement gering. Zum einen, da in der Stadt Zürich hauptsächlich Dienstleistungsunternehmen angesiedelt sind. Diese Unternehmen bringen mit ihren Rechenzentren eine kaum beeinflussbare Dauerlast. Die Mit- arbeitenden benötigen während der Geschäftszeiten ihre Computer und Drucker – wegen Stromknappheit lässt man die Kunden kaum warten. Im Gegenteil investieren diese Unternehmen in eine höhere Verfügbarkeit der Energieversorgung. Da durch Hoch- und Niedertarif bereits heute ein starker finanzieller Anreiz besteht, in die Schwachlastzeiten auszuweichen, ist das finanziell interessante Potenzial zudem wahrscheinlich bereits ausgeschöpft. In den meisten Betrieben in der Schweiz sind die Kosten für den Strom heute nicht der Hauptfaktor für die Wirtschaftlichkeit. Eine Verschiebung der energieintensiven Aktivitäten auf relativ kurzfristige Energiepreisangebote dürfte nur in Einzelfällen wirtschaftlich sinnvoll sein. Lastmanagement all ein genügt nicht

Trotz Lastmanagement werden mit der Zunahme des Anteils an erneuerbarer Energie die Schwankungen im Stromnetz zunehmen, denn mit Lastmanagement lassen sich nur kürzere Lastspitzen glätten. Bei einer ausschliesslichen Versorgung durch lokale Windenergie müssten aber Wochen oder zumindest Tage überbrückt werden, was wahrscheinlich nur mit einem Speicher funktioniert.

Werden möglichst grosse Gebiete gekoppelt (Solarstromproduktion in Südeuropa, Speicherung in den Alpen, Windstrom aus Nordeuropa), werden die Perioden von Überfluss und Knappheit natürlich kürzer, und Lastmanagement wird sinnvoll. Dazu müssen aber diese Gebiete mit neuen Leitungen, die auch Super Grid genannt werden, gekoppelt werden (vgl. «Intelligentes Netz», S. 20).

Bei einer ausschliesslichen Versorgung mit Sonnenenergie müssten sowohl die tages- als auch die jahreszeitlichen Schwankungen ausgeglichen werden. Dazu ein Beispiel: Ein Schweizer Haushalt verbraucht durchschnittlich 4500 kWh. Diese Energie könnte mit einem Solarpanel von etwa 40 m² erzeugt werden. Allerdings braucht es dazu mindestens einen Speicher von 1400 kWh, um den Tages- und Jahresgang auszugleichen. Mit heute verfügbaren Bleibatterien würde das ein Batterievolumen von ca. 20 m³ mit einem Gewicht von 40 t und Kosten von mehreren hunderttausend Franken bedeuten. Ein Lastmanagement bringt in diesen Zeiträumen wenig, höchstens um die Batterie zu schonen. Das bedeutet, dass die Netze ausgebaut werden müssen. Eine Studie des Bundesamtes für Energie (BFE) geht davon aus, dass die Netzkosten bei einem Vollausbau von erneuerbarer Energie in der Schweiz um ca. 10 % steigen werden.1 Ein Kunde, der seine Nachfrage weitgehend nach dem Angebot richten kann, wird in Zukunft eine tiefere Stromrechnung haben, alle anderen werden aber mehr bezahlen müssen.

Technische Hürden

Bei den technischen Hürden, die es für die Realisierung von Smart Grids noch gibt, werden häufig nur die noch fehlende Standardisierung aller Komponenten oder die Herausforderung der Datensicherheit erwähnt. Vergessen wird oft die Zuverlässigkeit dieser Systeme: Beim Smart Grid sitzt an jedem intelligenten Knoten ein Minicomputer, der das Netz aktiv steuert. Stürzt dieser Minicomputer ab, so wird beispielsweise das Bier warm oder die Wohnung kalt. Falls das Stromnetzwerk nur die Verfügbarkeit eines Computernetzwerkes erreicht, dürfte das Smart Grid von den Kunden kaum akzeptiert werden. Ausserdem ist der Stromverbrauch aller Komponenten des Smart Grid, also für die Minicomputer, die Kommunikation mit der Leitstelle, diverse Server etc., nicht zu vernachlässigen: Heutige Systeme verbrauchen teilweise bereits im Betrieb mehr Energie, als sie einsparen können.

Auch die Anstrengungen zur Energieeffizienz stehen in Konkurrenz zum Smart Grid: Effiziente Geräte (Kühlschränke, Wärmepumpen) sind nicht überdimensioniert und daher für den Dauerbetrieb ausgelegt. Das Abschalten ist deshalb kaum noch sinnvoll. Dies gilt generell auch für Industrieprozesse, wo elektrische Antriebe dominieren (ca. 50 % des weltweiten Energieverbrauchs): Das grösste Energiesparpotenzial liegt in der Reduktion der Überdimensionierung, aber nur überdimensionierte Anlagen lassen ein wirtschaftliches Lastmanagement zu.

Nüchtern betrachtet geht es bei vielen Diskussionen über Smart Grids mehr um das Marketing von Produkten oder Visionen als um in den nächsten Jahren realisierbare Produkte oder um Kundenwünsche. Einzelne Projekte mit einem vernünftigen Kosten-Nutzen-Verhältnis werden sicher bald realisiert. Die Steuerung von Kleinverbrauchern ist aber wohl eher eine Vision für die Zukunft.

[ Lukas Küng, Dr., El.-Ing. ETH, Leiter Verteilnetz, Elektrizitätswerke der Stadt Zürich ]
Anmerkung
[1] Bundesamt für Energie: Wirtschaftlichkeit dezentraler Einspeisung auf die elektrischen Netze der Schweiz, März 2010

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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