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TEC21 2011|13
Kraftwerk Rheinfelden
TEC21 2011|13
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Das erste Werk am Rhein

Das Kraftwerk Rheinfelden war das erste und lange das grösste Flusskraftwerk in Europa. Mit diesem mutigen Wurf begann die Nutzung der Wasserkräfte des Rheins. Jetzt ist das Werk ersetzt worden und nimmt mit seinem Umgehungsgewässer wieder eine Vorreiterrolle ein. Gegenwärtig wird das alte Maschinenhaus abgebrochen. Ein Nachruf auf eine Pioniertat.

25. März 2011 - Aldo Rota
Wie kam es dazu, dass an dieser Stelle nur noch rückblickend über diese bemerkenswerte Anlage berichtet werden kann? Paradoxerweise hat die in den letzten Jahren stark gestiegene Bedeutung der Wasserkraft in der europäischen Energiepolitik das Schicksal des alten Werks besiegelt. Die beschriebene Anlage nutzte das verfügbare hydraulische Potenzial nämlich, dem damaligen Stand der Technik entsprechend, nur teilweise aus. Die politischen Instanzen, die für die Erneuerung der 1898 für die Dauer von 90 Jahren erteilten Konzession zuständig sind, wollten hingegen die erneuerbare Energiequelle Wasserkraft dem aktuellen Stand entsprechend fördern. Sie machten die Erneuerung der Konzession von der effizienteren Nutzung der verfügbaren Wasserkraft abhängig. Ein Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen hätte die energiepolitische Position der Wasserkraft nicht wesentlich verbessert. Daher ist der Totalersatz des Kraftwerks, verbunden mit zeitgemässen ökologischen Ausgleichsmassnahmen, gesamthaft betrachtet die ökologisch nachhaltigste Massnahme, auch wenn die aktuellen Eingriffe in die natürliche Umgebung teilweise schmerzhaft erscheinen. Dass dabei kein Platz mehr für das alte Kraftwerk war, ist kulturhistorisch bedauerlich, in Anbetracht der Rahmenbedingungen und Anforderungen von Ökologie und Ökonomie aber zumindest nachvollziehbar. Geschichte und Technik des alten Kraftwerks Rheinfelden sind aber weiterhin von Interesse und werden im Folgenden rekapituliert.

Beste natürliche Voraussetzungen

Vom Ausfluss aus dem Bodensee bei Stein am Rhein bis zur Landesgrenze bei Basel weist der Hochrhein auf einer Länge von 140 km einen Höhenunterschied von 145 m auf, was einem mittleren Gefälle von 1 ‰ entspricht. Dieses Gefälle ergibt in Verbindung mit der erheblichen Wasserführung des Rheins ein beachtliches hydraulisches Potenzial. Vor über einem Jahrhundert konnte für die ersten Kraftwerke am Rhein der günstigste Standort aufgrund der natürlichen Gegebenheiten frei gewählt werden.

Mit Ausnahme des Sprungs beim Rheinfall, der ab 1890 durch ein kleineres Kraftwerk teilweise genutzt wurde, ist das oben erwähnte Gefälle näherungsweise gleichmässig über die Flusslänge verteilt. Stromaufwärts der mittelalterlichen, am linken Rheinufer gelegenen Schweizer Stadt Rheinfelden, auf Höhe der Grenze zwischen den deutschen Gemeinden Nollingen und Karsau[1] am rechten Ufer, quert jedoch eine Muschelkalkrippe das Flussbett des Rheins auf seiner gesamten Breite praktisch senkrecht zur Fliessrichtung. Oberwasserseitig staute dieses natürliche Hindernis von alters her einen ruhigeren, etwas tieferen Flussabschnitt, den Beugger See, auf. Stromabwärts dieser Schwelle fliesst der Rhein auf einem kurzen Abschnitt mit grossem Gefälle, dem sogenannten Gwild (Abb. 1 und 4), turbulent über Muschelkalk und Kiesbänke ab. Vom Beugger See bis zur Brücke von Rheinfelden weist der Rhein auf 2.4 km Länge ein Gefälle von maximal 7.5 m bei Niedrigwasser auf.[2] Erste Projektideen für die Nutzung der Rheinfelder Stromschnellen entstanden bereits ab 1871,3 scheiterten aber an lokalen Widerständen und an der Finanzierung. Ein Schweizer Firmenkonsortium plante 1889 erstmals die Produktion und Verteilung elektrischer Energie in grossem Stil und erwarb eine Konzession zwischen dem Beugger See und der Brücke von Rheinfelden. Der Aarauer Ingenieur Olivier Zschokke (1826–1898) entwarf zunächst eine Anlage zur Nutzung der gesamten Konzessionsstrecke. Mit geschätzten Baukosten von 12 Mio. Mark erwies sich dieses erste Projekt Zschokkes jedoch als nicht finanzierbar.

Traditionelles Mühlenprinzip

1893 wurde das Projekt durch Zschokke redimensioniert: Die genutzte Flusslänge wurde halbiert und auf die eigentlichen Stromschnellen begrenzt, wodurch die Baukosten praktisch halbiert wurden und das Werk in eine realistische Grössenordnung rückte. Auch in seinem zweiten, redimensionierten Projekt griff Zschokke auf das traditionelle Mühlenprinzip mit Wehranlage, Oberwasserkanal und Maschinenhaus am Ufer zurück (Abb. 1 und 4). Bei später erstellten Kraftwerken am Hochrhein wie Laufenburg (Betriebsaufnahme 1914) oder Eglisau (1920; TEC21 24/2005) und auch beim neuen Kraftwerk Rheinfelden (vgl. Abb. 2 und «Potenzial besser nutzen», S. 24) sind Wehranlage und Maschinenhaus zusammengefasst und in einer Flucht quer ins Flussbett hineingebaut. Trotz der einfachen und konventionellen Disposition liessen sich weiterhin keine Investoren finden. Der Hauptkritikpunkt war die ungünstige Anordnung des Maschinenhauses zwischen Oberwasserkanal und Uferböschung.[4] Die vom Konsortium gegründete Vorbereitungsgesellschaft liess darauf Zschokkes Projekt durch Otto Intze (1843–1904) überarbeiten. Intze, der an der TH Aachen lehrte, galt als der führende europäische Wasserbauingenieur. Er konzipierte die Zentrale neu und positionierte das Maschinenhaus zwischen Oberwasserkanal und Flussbett[5] (Abb. 1 und 4). Durch diese Vereinfachungen wurden die Kosten gesenkt, die Leistung erhöht und gleichzeitig die Betriebssicherheit verbessert, was den technischen und wirtschaftlichen Durchbruch des Projekts bedeutete. Dem Konsortium trat jetzt die bei der Finanzierung von Elektrizitätswerken federführende Deutsche Bankengruppe um Emil Rathenau (1838–1915), den Gründer der AEG, bei. 1894 wurde in Berlin die AG Kraftübertragungswerke Rheinfelden (KWR, heute Energiedienst) gegründet. Am 1. Mai 1895 begannen die Bauarbeiten, im Sommer 1897 konnten bereits 8 von 20 Turbinen in Betrieb genommen werden. Im Sommer 1899 wurden mit dem Wehr und den Schützen (Abb. 7 und 8) die letzten Bauwerke des Kraftwerks Rheinfelden fertiggestellt. Die Baukosten betrugen inkl. Maschinen ca. 8.6 Mio. Mark.

Fischtreppe und Flossgasse

Auf der eingangs erwähnten Muschelkalkrippe wurde der Rhein über die gesamte Breite durch ein niedriges, senkrecht zur Fliessrichtung angeordnetes, aus Bruchsteinen aufgemauertes Wehr gestaut (Abb. 1 und 4). Die breite Krone des etwa 198 m langen Wehrs lag auf der Kote 271.60 m ü. M., was der Staukote des gestauten Beugger Sees bei Niedrigwasser entsprach. Auf der Wehrkrone waren acht je ca. 18 m breite Tafelschützen von 1.3 m Höhe aufgestellt. Am linken, schweizerischen Ufer war zwischen der letzten Tafelschütze und der Uferbefestigung lediglich noch eine schmale Fischtreppe angeordnet. In Richtung badisches Ufer schlossen an die erste Tafelschütze zwei breitere, parallele Fischtreppen und die in der Konzession vorgeschriebene, 20 m breite, leicht geneigte Flossgasse an.[6] Durch diesen Durchlass ohne Absperrorgane, dessen Sohle tiefer als die Staukote des Wehrs lag, sowie die Fischtreppen floss permanent und unabhängig vom Kraftwerksbetrieb mindestens die in der Konzession vorgeschriebene Restwassermenge von 50 m³ / s ins «Gwild» ab. Zwischen der Flossgasse und dem badischen Ufer, im Bereich der grössten Wassertiefe, waren drei mit Schützen verschliessbare, je 10 m breite und 5 m hohe Grundablässe angeordnet (Abb. 4, 7 und 8). Diese im Normalbetrieb geschlossenen Bauwerke dienten der Entleerung des Flussbetts, insbesondere zum Austrag des reichlich anfallenden Geschiebes, und wirkten bei der Ableitung grösserer Hochwasser mit. Die für den Betrieb der Schützen erforderlichen, als Fachwerke ausgeführten Apparatebrücken über dem Wehr waren während eines Jahrhunderts die charakteristischen, landschaftsprägenden Elemente der sonst unauffälligen, mit der hügeligen Landschaft verschmelzenden Kraftwerksanlagen. Am rechten, badischen Ufer lag schiefwinklig zur Flussrichtung der trompetenförmig leicht aufgeweitete Einlauf des Oberwasserkanals (Abb. 4). Zwischen der Flossgasse und den Grundablässen war oberwasserseitig ein als Tauchwand ausgebildetes Leitwerk aus Stahl angeordnet, um den Flossverkehr zu kanalisieren sowie Schwemmholz und Eisgang vom Einlauf des Oberwasserkanals fernzuhalten (was bei Hochwasser nicht immer ausreichte). Im Übergangsbereich vom Grundablass zum Oberwasserkanal waren auf der Wehrkrone noch vier kleinere, nicht regulierbare Überläufe angeordnet.

Der in Stampfbeton ausgeführte, rund 880 m lange, 50 m breite und 4.50 m bis 5.40 m tiefe Oberwasserkanal verlief am rechten Ufer parallel zum Flussbett des Rheins. Durch diesen Kanal mit einem Gefälle von 0.6 ‰ floss die maximale Triebwassermenge von 600 m³/s mit einer Geschwindigkeit von 2.5 m/s zum Maschinenhaus. Die Kanalwand war auf 200 m Länge als Überlauf zum Rhein ausgebildet. Am Einlauf des Kanals verhinderte ein quer zur Strömungsrichtung angelegter Grobrechen den Eintrag von Schwemmholz. Eine parallel zum Rechen angelegte Rinne in der Kanalsohle mit Spülschütze wirkte als Geschiebesammler. In den ersten Betriebsjahren erforderte diese Vorrichtung einen grossen Unterhaltsaufwand, da man das Ausmass des Kieseintrags unterschätzt hatte. Nach der Betriebsaufnahme der Oberliegerwerke am Rhein nahm die Beanspruchung des Kiesfangs rasch ab.

Das 146 m lange, in Stampfbeton und Mauerwerk erstellte, mit gelblichen Hausteinen verkleidete Maschinenhaus schloss den Oberwasserkanal parallel zum Rhein ab (Abb. 5). Im Fundament des Gebäudes waren 20 je 5.5 m breite Turbinenkammern angeordnet, die einzeln durch zweiflüglige Drehtore gegen den Oberwasserkanal abschliessbar waren (Abb. 6, links). Unterwasserseitig konnten die Turbinenkammern mit Zugschützen und Dammbalken gegen den Rhein abgeschlossen werden. Die Einläufe der Turbinenkammern waren durch einen gemeinsamen, um 45° geneigten Feinrechen im Oberwasserkanal geschützt (Abb. 6, links).

Anpassungsfähige Turbinen

In den Turbinenkammern waren ursprünglich 20 vertikalachsige Francisturbinen mit je acht Laufradkränzen eingebaut (Abb. 6, Mitte). Diese Bauart wurde von der Firma Escher, Wyss & Cie. in Zürich eigens für das Kraftwerk Rheinfelden entwickelt. Das nutzbare Gefälle zwischen Ober- und Unterwasserspiegel schwankte je nach Wasserführung des Rheins zwischen 3.20 m und 6.50 m, eine konstante Leistung der Maschinen war nur mit einer anpassungsfähigen Steuerung der Wasserzufuhr zu den Turbinen einzuhalten.[7] Allerdings scheint sich die Lieferfirma mit der ehrgeizigen Konstruktion etwas übernommen zu haben, denn mehrmonatige Verspätungen bei der Lieferung der Turbinen hatten spürbare Verzögerungen des Bauprogramms zur Folge.

Je nach verfügbarem Gefälle leistete jede Turbine zwischen 800 und 1200 PS, sodass die elektrische Gesamtleistung der Zentrale mit 20 Generatoren zwischen 12 MW und 18 MW betrug (Abb. 3). Acht Turbinen trieben Wechselstromgeneratoren für die allgemeine und industrielle Versorgung an,[8] die restlichen Maschinengruppen produzierten Gleichstrom mit niedriger Spannung (100 V bis 800 V), der an die in der Umgebung angesiedelte elektrochemische Industrie (u.a. ein Aluminium- und ein Karbidwerk) abgegeben wurde. 1918 produzierte das Werk etwa 120 Mio. kWh elektrische Energie.

Die Wasserrückgabe erfolgte ohne Unterwasserkanal direkt von den Turbinenkammern in den Rhein (Abb. 5). Am Ende des Oberwasserkanals waren ein 6 m breiter, mit einer Schütze verschliessbarer Grundablass sowie eine kleine Bootsschleuse angeordnet. Eine dreifeldrige Stahlfachwerkbrücke mit gemauerten Flusspfeilern stellte eine einspurige Strassenverbindung zwischen der Zentrale und dem Schweizer Ufer her und trug ursprünglich auch die Übertragungsleitungen in die Schweiz. Eine kleinere Kabelbrücke leitete die Energie vom Maschinenhaus über den Oberwasserkanal zur Schaltanlage am badischen Ufer. Zwischen 1930 und 1935 wurden 14 der ursprünglichen Francisturbinen durch acht modernere Kaplanturbinen und sechs Propellerturbinen (Kaplanturbinen mit nicht verstellbaren Schaufeln) ersetzt. Dadurch erhöhte sich die installierte Kraftwerksleistung auf 25.7 MW und die mittlere Jahresproduktion auf 185 Mio. kWh. Die restlichen Maschinengruppen wie auch die gesamten Bauwerke und wasserbaulichen Installationen blieben bis zum Rückbau der Anlage (Abb. 2) weitgehend unverändert in Betrieb.
Anmerkungen
[1] Diese Landgemeinden sind heute in der wesentlich grösseren, seit dem Kraftwerksbau neu entstandenen deutschen Stadt Rheinfelden aufgegangen
[2] Das Längsprofil des Rheins weist stromaufwärts bei Laufenburg eine weitere deutliche Rippe auf, die sich für die Energieerzeugung eignet. Ein Jahrzehnt später wurde dort das zweite grosse Kraftwerk am Hochrhein erstellt
[3] Da die elektrische Kraftübertragung noch nicht praktisch einsatzfähig war, sahen die ersten Projekte eine mechanische Kraftübertragung mit umlaufenden Seilen vor
[4] Damit sollte die Länge der Übertragungsleitungen zu den unmittelbar über der Böschung geplanten Industriebetrieben minimiert werden. Dafür mussten wegen der engen Platzverhältnisse Ober- und Unterwasser im Kanal auf zwei Ebenen übereinander geführt und die Leistung durch die stattliche Anzahl von 50 kleineren Turbinen erbracht werden
[5] Am neuen Standort war auch Platz für grössere Maschinen vorhanden, sodass nur noch 20 Turbinen vorgesehen waren. Die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit der Übertragungsleitungen waren zu dieser Zeit so weit verbessert worden, dass die Leitungslänge vom Werk zu den Verbrauchern nicht mehr entscheidend war, was eine freiere Wahl des Standorts des Maschinenhauses ermöglichte
[6] Die Holzflösserei auf dem Rhein war seinerzeit noch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor
[7] Da noch kein Verbundnetz existierte, war die Nutzung von Spitzenleistungen für die mehrheitlich industriellen Energiebezüger weniger wichtig als ein konstantes Leistungsangebot. Mit Schiebern konnte das Triebwasser je nach verfügbarem Gefälle so auf die einzelnen Laufräder einer Turbine verteilt werden, dass ihre Gesamtleistung in einer gewissen Bandbreite konstant blieb. Die Anpassung der Produktion in Zeiten geringer Wasserführung war hingegen einfacher: Die grosse Anzahl gleicher Turbinen ermöglichte es, den Wasserbedarf der Zentrale durch Abschalten einzelner Maschinengruppen zu reduzieren
[8] Das Versorgungsgebiet erstreckte sich bis in den Schwarzwald und ins Elsass

Literatur
– Wolfgang Bocks: Perspektiven mit Strom. Zum 100-jährigen Bestehen der Kraftübertragungswerke Rheinfelden AG. Rheinfelden/Baden, 1994
– Wasserkraftwerke der Schweiz. Schweiz. Wasserwirtschaftsverband: Verbandsschrift Nr. 11, Zürich 1925
– Die Kraftübertragungswerke in Rheinfelden. Schweizerische Bauzeitung, 17/18 (1891) S. 66–67
– Schweizerische Bauzeitung, 27/28 (1896), S. 1–3, S. 28–31, S.38–41, S. 59–60
– Franz Prášil: Die Turbinen der Kraftübertragungswerke Rheinfelden. Schweizerische Bauzeitung, 33/34 (1899), S. 127–131

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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