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TEC21 2011|17-18
Frühwarnung
TEC21 2011|17-18
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Hochwasserschutz für Zürich

Zürich soll besser gegen Hochwasser geschützt werden. Das Projekt eines Schwemmholzrechens im Sihltal ist in Arbeit. Bis Ende Jahr sollen zudem Machbarkeitsstudien für weitere langfristige Schutzmassnahmen vorliegen. Dabei wird die alte Idee einer Hochwasserentlastung der Sihl über einen Stollen in den Zürichsee wieder aufgegriffen.

29. April 2011 - Lukas Denzler
Zürich ist 1910 zum letzten Mal von einem grossen Hochwasser heimgesucht worden (vgl. «Unberechenbare Sihl», S. 18). Seither ist viel gebaut worden. Weil hohe Sachwerte und viele Infrastrukturen im Untergrund liegen, kann eine Überschwemmung mit relativ geringer Wassertiefe bereits sehr hohe Schäden verursachen. Die potenzielle Schadensumme wird von Fachleuten auf 3 bis 5 Mrd. Fr. geschätzt. Mit einer Gesamtschadensumme von knapp 3 Mrd. Fr. wurde für das Hochwasser 2005 ein ähnlich hoher Betrag ermittelt, jedoch für die ganze Schweiz. Laut Jürg Suter, dem Vorsteher des Amtes für Abfall, Wasser, Energie und Luft (Awel) des Kantons Zürich, ist das Zentrum von Zürich das Gebiet mit dem höchsten Schadenpotenzial in der ganzen Schweiz. Seit August 2005, als die Situation sehr kritisch war, überlegt man sich deshalb, wie sich die Hochwassergefahr in Zürich verringern liesse. Erste Massnahmen sind auch bereits realisiert worden. Im Bereich des Hauptbahnhofs wurde 2007 die Sihl ausgebaggert. Damit konnte die Durchflusskapazität etwas erhöht werden. Für den Abfluss der Sihl richtete der Kanton 2008 ein regionales Vorhersagesystem ein. Doch es zeigte sich, dass diese Massnahmen nicht genügen, um ein grösseres Hochwasser, wie es etwa alle 100 Jahre zu erwarten ist, bewältigen zu können. Zudem entstehen in den nächsten Jahren rund um den Bahnhof neue Gebäude und Infrastrukturen. Damit steigt das Schadenpotenzial weiter an. Mit der Eröffnung des Bahnhofs Löwenstrasse Ende 2013 erhöht sich die Zahl der Menschen, die dort im Untergrund täglich ein- und aussteigt, noch einmal deutlich. Und weil Zürich der zentrale Knotenpunkt des Schweizer Schienennetzes ist, würde ein längerer Ausfall des Hauptbahnhofs das ganze Land betreffen.

Schwemmholzrückhalt

Im März 2011 stellte das Awel seine Pläne für den Hochwasserschutz in Zürich und im Sihltal vor. Die Planung eines Schwemmholzrechens in Langnau ist bereits weit fortgeschritten. Schwemmholz hat bei den jüngsten Unwettern immer wieder für Probleme gesorgt. In der Sihl können bis zu 12 000 m³ Schwemmholz mitgeschwemmt werden. Für den Rückhalt des Schwemmholzes habe man drei Standorte geprüft, sagt Heinz Hochstrasser vom Awel. In Sihlbrugg fehlte der Platz, und in der Allmend Brunau, kurz vor Zürich, würde eine gefährliche Situation entstehen, sollte es zu einer Überlastung des Rechens kommen. Zudem habe man auch weiter oben an der Sihl gelegene Siedlungen schützen wollen, so Hochstrasser. Als ideal habe sich ein Standort im Rütiboden kurz vor Langnau erwiesen. Rund 90 % des Schwemmholzes könnten zurückgehalten werden; der Rest gelange erst weiter unten in die Sihl und könne, ohne dass grössere Probleme zu erwarten seien, abgeleitet werden. Geplant ist nun, die Sihl auf einer Länge von 300 m zu verbreitern und in Längsrichtung einen Rechen einzubauen. Bei normalen Abflussverhältnissen oder kleinen Hochwassern strömt das Wasser rechts am Bauwerk vorbei, auch das Schwemmholz verbleibt im Fluss. Bei einem grösseren Hochwasser wird eine Schwelle überströmt, und das Holz bleibt im Rechen zurück.

Diese Anordnung hat den Vorteil, dass der Rechen ein gutes Verhalten im Überlastfall zeigt und der Unterhalt kostengünstig ist. Um genauere Informationen über das Schwemmholzverhalten im Rechen für die Detailplanung zu erhalten, wird gegenwärtig an der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich ein Modell im Massstab 1:40 gebaut. Die Resultate werden Mitte 2012 zur Verfügung stehen. Das Bauwerk für den Schwemmholzrückhalt soll bis 2015 realisiert werden.

Hochwasserentlastungsstollen

Unter den Vorschlägen zur langfristigen Verbesserung des Hochwasserschutzes sorgt insbesondere das Projekt eines Hochwasserentlastungsstollens für Aufsehen. In diesem würde Wasser aus der Sihl in den Zürichsee umgeleitet. Das Einlaufbauwerk käme nur wenig unterhalb des vorgesehenen Schwemmholzrechens zu liegen. Durch einen 2.2 km langen Stollen mit einem Innendurchmesser von 5.6 m könnten bis zu 300 m³/s Wasser nach Thalwil in den See geleitet werden (Abb. 1).

Für den Stollen prüfte das Awel mehrere Standorte. In Wollishofen wäre die Distanz zum Zürichsee zwar kürzer, ein grosser Teil des Stollens käme dort aber in Lockermaterial zu liegen. Ein grosser Vorteil der nun vorgesehenen Strecke sei, dass diese nahezu komplett im Fels verlaufe, sagt Christian Marti vom Awel. Die Auswirkungen der Einleitung von trübem Sihlwasser in den See müssen noch genauer untersucht werden. Eine erste vorläufige Beurteilung durch das Eidgenössische Wasserforschungsinstitut Eawag ergab, dass das kalte und mit Schwebestoffen befrachtete Sihlwasser rasch in tiefere Schichten des Sees absinkt, weil es schwerer ist als das klare Seewasser. Sorgfältig abzuklären ist auch, inwiefern Wasserfassungen im See zur Gewinnung von Trinkwasser betroffen sein könnten. Durch die Einleitung von Sihlwasser könnte nach einer ersten Abschätzung des Awel der Spiegel des Zürichsees in relativ kurzer Zeit um 30 bis 40 cm steigen. Damit steigt das Überschwemmungsrisiko am Zürichsee, denn durch den Entlastungsstollen wird dessen Einzugsgebiet vergrössert. Beim Awel geht man aber davon aus, dass ein gleichzeitiges Auftreten von Starkniederschlägen in den Einzugsgebieten von Linth und Sihl und damit ein Zusammenfallen der Abflussspitzen im Zürichsee unwahrscheinlich ist. Aber auch diese Frage bedarf einer genauen Abklärung. Die Kosten für den Hochwasserentlastungsstollen inklusive Schwemmholzrechen werden auf 100 bis 130 Mio. Fr. geschätzt.

Vollausbau der Sihl

Ein anderer Vorschlag zur Verbesserung des Hochwasserschutzes läuft unter der Bezeichnung «Vollausbau der Sihl» in Zürich. Das Hauptziel besteht darin, im Hochwasserfall sämtliches Wasser möglichst ohne Schäden durchzuleiten. Dies würde eine grössere Durchflusskapazität beim Hauptbahnhof erfordern. Eine Möglichkeit wäre, den parallel zu den Durchlässen der Sihl verlaufenden, aber ungenutzten Stadttunnel dafür zu nutzen (vgl. Abb. 5, S. 20). Eine Knack- nuss sei jedoch, das Wasser vom Stadttunnel wieder der Sihl zuzuführen, sagt Christian Marti vom Awel. Realistischer sei hingegen, die einzelnen Gleisbrücken von unten zu verschalen und vor dem Hauptbahnhof die Ufer leicht zu erhöhen, sodass sich das Wasser stauen und unter Druck durch die fünf Sihl-Durchlässe unter dem Bahnhof abgeführt würde. Geprüft werden auch Flutkorridore in der Stadt, wo das Wasser gezielt abgeleitet werden kann. Eventuell könnte im Hochwasserfall ein vorhandener Tunnel der Sihltalbahn vom Bahnhof Giesshübel zum Bahnhof Wiedikon und von dort der SBB-Tunnel Richtung Enge dafür benutzt werden. Von der Enge wäre es dann nicht mehr weit in den Zürichsee. Und schliesslich prüft man auch die Möglichkeiten eines mobilen Hochwasserschutzes. Infrage kämen etwa aufbaubare Wände oder mit Wasser gefüllte Schläuche, die als Schutzwälle dienen.

Ausbau der Rückhaltekapazität

Schliesslich wird noch eine Reihe von weiteren Ansätzen geprüft. Dazu zählen etwa ein Ausbau der Rückhaltekapaziät des Sihlsees oder zusätzliche Rückhaltemöglichkeiten im Sihltal. Neben der bereits heute möglichen Absenkung des Sihlsees geht es hier vor allem um die Frage, ob der Sihlsee höher gestaut werden könnte. Die Staumauer zu erhöhen, wie es etwa an einer öffentlichen Informationsveranstaltung des Awel in Thalwil von einem Zuhörer aus dem Publikum vorgeschlagen wurde, dürfte mit grossen Schwierigkeiten verbunden sein. Dadurch würde nämlich der Sihlsee ausgedehnt, und womöglich würden in Einsiedeln Erinnerungen an das Jahr 1937 wach, als das Tal geflutet worden war. Als realistischer erscheint hingegen, in Hochwassersituationen ausnahmsweise während kurzer Zeit eine etwas höhere Staukote zuzulassen (ohne jedoch die Staumauer zu erhöhen). Dies ist selbstverständich nur möglich, wenn dabei die Sicherheit der Anlage in vollem Umfang gewährleistet bleibt und keine grösseren Schäden rund um den Stausee zu befürchten sind. Die Diskussionen werden auch dadurch erschwert, dass die SBB und die Kantone Zug, Schwyz und Zürich sowie die Bezirke Einsiedeln und Höfe seit längerem über die künftige Nutzung der Wasserkraft nach Auslaufen der Konzession im Jahr 2017 streiten.

Knacknuss Finanzierungsschlüssel

Die Machbarkeitsstudien für die verschiedenen Varianten werden bis Ende 2011 erstellt. Welche davon dereinst realisiert wird, ist noch offen. Nach Einschätzung von Awel-Chef Jürg Suter ist der politische Wille vorhanden, in den nächsten Jahren in den Hochwasserschutz für Zürich und das Sihltal zu investieren. In seinen Augen ist insbesondere zu klären, wer wie viel zur Finanzierung beizutragen hat. Neben der Stadt Zürich wären die grossen Nutzniesser vor allem auch die SBB. Einer Einigung beim Finanzierungsschlüssel dürften folglich intensive Verhandlungen vorangehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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