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TEC21 2011|26
Sehnsucht Landschaft
TEC21 2011|26
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Vermarktete Natur?

Regionale Naturparks und Naturerlebnisparks können regionalökonomische Entwicklungsinstrumente sein. Und sie müssen dazu beitragen, dass ihr Kapital – intakte Natur- und Kulturlandschaft – erhalten und aufgewertet wird. Parks verstärken aber auch eine romantische Naturwahrnehmung, die menschliche Nutzung ausblendet und eine nachhaltige Entwicklung behindern kann. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die partizipativen Entwicklungsprozesse der Parkprojekte.

24. Juni 2011 - Stefan Forster
Dutzende von Parkprojekten werden in Schweizer Regionen diskutiert und entwickelt. Ermöglicht hat dies eine Teilrevision des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG). Damit wurde 2007 die rechtliche Grundlage für den Aufbau und den Betrieb von Parks gelegt. Die drei Parkkategorien Regionale Naturparks, Nationalparks und Naturerlebnisparks werden durch den Bund gefördert und finanziell unterstützt (vgl. Abb. 1 und Kasten). Regionale Naturparks und Naturerlebnisparks sollen zur Wertschöpfung in der Region beitragen. Der Betrieb eines Parks schafft Arbeitsplätze im Parkmanagement, in der Beratung und in der Bildung. Daneben können indirekt Arbeitsplätze im Bereich touristischer Angebote, in der Landwirtschaft, im Gewerbe und in der Gastronomie erhalten und geschaffen werden. Von der effizienteren Vermarktung der Region durch das Label «Park von nationaler Bedeutung»[1] profitiert nicht nur der Tourismus. Auch andere Branchen können durch verstärkte Kooperationsbemühungen in den verbesserten Wertschöpfungskreislauf eingegliedert werden. So können beispielsweise aus dem einheimischen Rohstoff Holz, der vermehrt vor Ort verarbeitet und veredelt wird, neue regionale Produkte gefördert und auf der Parkplattform vermarktet werden. Im internationalen Tourismus ist der Begriff Park gut eingeführt. Es besteht ein etablierter Parktourismus. Der Schweizerische Nationalpark ermöglicht den 16 angrenzenden Gemeinden eine direkte touristische Wertschöpfung von 8.8 bis 12.8 Mio. Franken.[2] Die italienischen Nationalparks und Schutzgebiete wurden 2005 von 76 Millionen Gästen besucht. Daraus resultierte ein Umsatz von mehr als 8 Mrd. Euro.[3] Der Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass geschickte, kooperative Strategien Gewinne für die Regionen bringen.

Chancen für die Regionalentwicklung

Die Erfahrungen aus dem Ausland und aus der bisherigen Entwicklungsarbeit in der Schweiz zeigen wichtige Erfolgsfaktoren:

1. Parkentwicklungen basieren auf einem Konsensfindungsprozess zwischen Naturschutz und diversen Nutzungsansprüchen. Parks können nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg realisiert werden. Ein oft mühsamer Gestaltungs- und Bewusstseinsprozess erfordert viel Zeit und Ausdauer von den verantwortlichen Akteuren.

2. Machbarkeitsstudien, Landschaftsbewertungen, Managementpläne und Umweltbildungskonzepte sind wichtige Grundlagen, um den potenziellen Parks Leben einzuhauchen. Sie brauchen möglichst sichtbare Inhalte. Sichtbar werden diese beispielsweise durch buchbare Tourismusangebote, durch regional produzierte Landwirtschaftsprodukte oder durch Informationspunkte im Parkgebiet. Gerade, wenn es um die Akzeptanz der Bevölkerung geht, um die ökonomischen Potenziale eines möglichen Parks und um die strukturelle Zusammenarbeit zwischen den touristischen Leistungsträgern, der Land- und Forstwirtschaft, des regionalen Gewerbes und der Natur- und Kulturinstitutionen, ist es entscheidend, dass mit gemeinsamen Angeboten möglichst konkrete Umsetzungen angestrebt werden. Das erhöht die Identifikation mit dem Projekt, macht die Inhalte für Gäste erlebbar und bringt alle Akteure über die ideologischen Gräben hinweg pragmatisch zusammen.

3. Parks sind keine reinen Wirtschaftsprojekte für die Regionen. Der Natur- und Kulturschutz spielt eine entscheidende Rolle. Die Parkkategorie «Regionaler Naturpark» stützt sich auf die bestehende Gesetzgebung (z. B. in der Landwirtschaft oder in der Jagd und Fischerei). Sie ist bei den Regionen am beliebtesten, weil das Konfliktpotenzial zwischen den verschiedenen Nutzungsgruppen am kleinsten ist. Trotzdem verspricht auch ein Regionaler Naturpark eine gelebte Sensibilität für die Natur- und die Kulturwerte. Sowohl bezüglich Landwirtschaft als auch bezüglich Tourismus ist ein Park eine klare Positionierung.

Ein Park weckt bei den Gästen verschiedene Erwartungen, zum Beispiel aktive und echte Naturschutzbemühungen von den Parkbetreibern. Ein authentischer natur- und kulturnaher Tourismus verträgt keine Mogelpackungen. Hinter einem Park steht eine langfristige, regionale Strategie, die von einer überzeugten Bevölkerung und den Leistungsträgern mitgetragen werden muss. Neue Parks sind für die nachhaltige Regionalentwicklung in der Schweiz eine grosse Chance. Besonders wenn Parks als Lern- und Innovationsräume verstanden werden, wo neue Produkte und bestehende Angebote die Natur- und die Kulturwerte erhalten, vermitteln und weiterentwickeln.

Kritik und Perspektiven

Natürlich gibt es auch Kritik an den Parks. Kritik, die Parkprojekte in demokratischen Prozessen scheitern liess oder zu Perimeterverkleinerungen führte, weil die Gemeinden Parkentwicklungen ablehnten. In der öffentlichen Diskussion lassen sich zwei konträre Kritiklinien unterscheiden:

Aus politisch eher rechts-konservativen Kreisen wird kritisiert, dass Parks die Entwicklungsmöglichkeiten von Randregionen einschränken. Sie würden die Selbstbestimmung der Bevölkerung untergraben, weil sie auf dem Naturschutzmotiv aufbauen und somit Entwicklungsoptionen für die Zukunft verhindern würden. Eine weitere Facette dieser Kritiklinie ist die Idee, dass über die Parks neue – von der EU gesteuerte – Entscheidungsebenen in den Regionen eingeführt werden sollen.

Vor allem aus Naturschutzkreisen kommt dagegen die Kritik, dass Parks zu reinen Wirtschaftsprojekten verkommen. Das alleinige regionalökonomische Motiv greife zu kurz, denn es müsse auch ein deutlicher Mehrwert für die Natur und die Landschaft erreicht werden, was bisher nicht der Fall sei. Beide Kritikansätze sind Grundsatzpositionen am Rand der tatsächlichen Entwicklungen und können im Dialog entkräftet werden. Viele der laufenden Projekte zeigen, dass der Mitbestimmung der Bevölkerung und der Aufwertung von Natur und Landschaft ein hoher Stellenwert beigemessen werden. Für eine abschliessende Bilanz ist es jedoch zu früh, weil der Aufbau von Parks in der Schweiz noch am Anfang steht.

Sehnsucht nach der heilen Welt

Es gibt weitere relevante Kritikpunkte, die kaum öffentlich diskutiert werden. Die Parkentwicklung widerspiegelt auch den gesellschaftlichen Wertewandel, der zum Teil zu wenig kritisch analysiert wird. Heute entscheiden viele Menschen nach immateriellen, ethischen und ökologischen Grundsätzen. Die Konsumforschung spricht in diesem Zusammenhang vom wachsenden «Lifestyle of health and sustainability» (Lohas). Dies hat Konsequenzen für viele Bereiche der Wirtschaft und der Gesellschaft: von der Architektur über das Produktedesign bis hin zum Freizeit- und Tourismusangebot. Die Attribute «gesund», «fair», «ökologisch » und «nachhaltig» werden künftig zu Handlungsmotiven in vielen Lebensbereichen. Diese Motive werden auch in die Freizeit verlagert. Gefragt sind Selbstverwirklichung, Sinn und Glück, schöne Landschaften und authentische Naturerlebnisse, die uns aus der zunehmend virtuellen, ortlosen Welt auf den «Boden» zurückbringen.[4, 5, 6] Diese Entwicklung führt tendenziell dazu, dass Naturräume als «heile Welt» und Naturkonsum als «Grüner Lifestyle» verklärt werden. Die räumlichen Konsequenzen dieser gesellschaftlichen Entwicklung spiegeln sich auch in den Parkprojekten. Parks sind in diesem gesellschaftlichen Umfeld urbane, naturromantische Konzepte, die eine dualistische Raumwahrnehmung fördern. Die Agglomerations- und Metropolitanräume entwickeln sich zu zugebauten und «identitätslosen » Alltagswelten. «Heile Naturwelten» sollen jedoch Regionalität und Identität bewahren (vgl. «Landschaft im Kopf», S. 26). Die Umsetzung von Nachhaltigkeit wird erschwert, weil durch diese «Schwarz-Weiss-Betrachtung» das ganzheitliche Verständnis für die nachhaltige Raumentwicklung verschlossen bleibt. Parks fördern die Tendenz, den ländlichen Raum museal zu romantisieren. Nachhaltiges Handeln ist nicht möglich, weil wir unseren Raum plakativ in «Gut und Böse» einteilen. Im Gegensatz zur «grauen Stadt» wird das «grüne Land» als das vermeintlich «Natürliche und ewig Gute» verklärt. Der emotionale Zugang zur Natur erhöht zwar das Bewusstsein für eine umweltverträgliche Lebensweise, aber durch das Verniedlichen der Natur wird eine nachhaltige Entwicklung behindert, vor allem weil die menschliche Nutzung und die Weiterentwicklung des ländlichen Raumes ausgeblendet werden. Diese Fragen müssen erkannt und diskutiert werden, damit Parks auch einen gesellschaftlich bedeutenden Bildungs- und Aufklärungsbeitrag leisten können.


Anmerkungen/Literatur:
[01] Das Bafu überprüft die Qualität der Parks und ihre Programme, insbesondere die Charta für die erste zehnjährige Betriebsphase. Es verleiht das Label «Park von nationaler Bedeutung», wenn ein Parkprojekt die Anforderungen erfüllt
[02] Küpfer, I.: Die regionalwirtschaftliche Bedeutung des Nationalparktourismus untersucht am Beispiel des Schweizerischen Nationalparks. Nationalpark- Forschung in der Schweiz, Nr. 90. Zernez. Dissertation Universität Zürich, 2000
[03] Ecotour: Rapporto sul Turismo Natura. Agra, 2006
[04] Wenzel, E., Rauch, C., Kirig, A.: Zielgruppe Lohas. Zukunftsinstitut GmbH. Kelkheim, 2007
[05] Romeiss-Stracke, F.: Abschied von der Spassgesellschaft. Freizeit und Tourismus im 21. Jahrhundert. Büro Wilhelm Verlag. Amberg, 2003
[06] Forster, S., Göpfert, R.: Natur- und kulturnaher Tourismus in Graubünden. Analyse und Strategie. ZHAW Fachstelle Tourismus und Nachhaltige Entwicklung, Studie im Auftrag des Amtes Wirtschaft und Tourismus AWT Graubünden, Chur, 2007
– Bosshart, D., Frick, K.: Die Zukunft des Ferienreisens – Trendstudie. Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) im Auftrag von Kuoni, 2006
– Job, H., Metzler, D., Vogt, L.: Inwertsetzung alpiner Nationalparks. Münchner Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeografie. Verlag Michael Lassleben Kallmünz. Regensburg, 2003
– Kappler, A., Forster, S., Siegrist, D.: Wertschöpfung in Naturpärken durch Tourismus. Ein praxisorientierter Leitfaden von der Strategie zum marktgerechten Angebot. Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. Bern, 2008
– Siegrist, D., Stremlow, M. (Hg.): Landschaft Erlebnis Reisen. Naturnaher Tourismus in Pärken und Unesco-Gebieten. Rotpunkt-Verlag. Zürich, 2009
– www.umwelt-schweiz.ch (Bundesamt für Umwelt, Bafu)
– www.netzwerk-paerke.ch (Netzwerk Schweizer Pärke)
– www.iunr.zhaw.ch/tne (ZHAW Fachstelle Tourismus und Nachhaltige Entwicklung, Center da Capricorns, 7433 Wergenstein GR)
– www.naturpark-beverin.ch (Regionaler Naturpark Beverin – Kandidat Park von nationaler Bedeutung)

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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