Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 08|2011
In zweiter Reihe
db deutsche bauzeitung 08|2011

Skulptural im Wirtschaftshof

Wirtschaftsgebäude in Eibenstock

Der Erweiterungsbau für den Forstbezirk Eibenstock geht in Form und Materialität in Distanz zum Bestand, nimmt aber in seiner formalen Zurückhaltung und Bezugnahme zur regionalen Bauweise zugleich einen Dialog mit dem historischen Frontgebäude auf. Und er erinnert an die Natur: Denn trotz kristalliner, skulptural anmutender Formgebung entsprechen Baukörpereinschnitte und Inneres dem Bild eines glattgesägten Holzes, das außen von einer groben Rinde umgeben ist.

9. August 2011 - Annette Menting
Beim Durchfahren des rund 8 000 Einwohner zählenden, sächsischen Eibenstock passiert man bemerkenswert städtische Bauten: Dem ansehnlichen Postamt folgen die neoromanische Hallenkirche und das Jugendstil-Rathaus. In diesen spiegelt sich der im 19. Jahrhundert durch eine außergewöhnliche Stickereiproduktion erreichte Wohlstand wider, der dem kleinen Ort im Westerzgebirge eine anspruchsvolle Architektur sicherte. Heute ist Eibenstock als Ferienregion bekannt und lebt von seiner Landschaft um den Auersberg mit einem Wander- und Wintersportangebot im Naturpark Erzgebirge. Der Staatsbetrieb Sachsenforst hat entsprechende Bedeutung, was auch im Gebäude der Königlich Sächsischen Oberforstmeisterei von 1860 deutlich wird, das sich in die Reihe markanter Bauten entlang der Hauptstraße einfügt. Der einfache, mit feinen Sandsteinornamenten ausgestattete Bau dient der Verwaltung des 13 Reviere umfassenden Forstbezirks Eibenstock. Vor einigen Jahren wurde er saniert und sein DG für zusätzliche Büroräume ausgebaut. 2007 zeichnete sich die Notwendigkeit einer weiteren Modernisierung ab: Anstelle eines dahinter befindlichen, baufälligen Forstarbeiter-Wohn- und Lagergebäudes sowie einer rückwärtigen Garagenzeile sollte ein zentrales Wirtschaftsgebäude mit Garagen, Lagerräumen und Kühlzelle für erlegtes Wild entstehen. Unabhängig von seiner Lage im Hof und seiner Funktion als Zweckgebäude sollte es den historischen Bestandsbau angemessen ergänzen.

Die jungen Unaufgeregten

Während eines Auswahlverfahrens für die Fahrzeughalle der Zwickauer Hochschule wurde eine Projektleiterin des Staatsbetriebs Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) auf die jungen Architekten Silvia Schellenberg und Sebastian Thaut aufmerksam. Beide sind in der Region aufgewachsen und führen seit 2005 unter dem Namen »atelier st« in Leipzig ein Büro. Für das kleine Realisierungsprojekt (814 000 Euro Baukosten) erteilte ihnen das SIB einen Direktauftrag. Schellenberg und Thaut nutzten die Chance und entwickelten nicht nur einen funktionalen Zweckbau in pflegeleicht-dauerhaftem Material, sondern konzipierten aus Aufgabe und Ort eine ausdrucksstarke Ergänzung für die Oberforstmeisterei. Die Kubatur entstand in mehreren Modellstudien, die Freude an der Raumbildung im Kontext des Bestands sowie an der Gestaltung einer skulpturalen Form zeigen. Dabei kam die klimabedingte Vorgabe zu einer geneigten Dachform der Entwurfsintension – inspiriert vom Bild eines auf dem Waldboden liegenden, unregelmäßigen Rindenstücks – entgegen.

Da das Raumprogramm und die innere Organisation der einzelnen Bereiche weitgehend geschlossene Fassaden erfordert, wird der polygonale Baukörper von einer kontinuierlichen Holzschindelhülle umschlossen, die lediglich zwei plastische Einschnitte erhielt. Im Bereich der Garagenzufahrt für die Waldfahrzeuge sowie der Zugänge zu den Lagerräumen und der Wildkühlzelle ist das Volumen eingeschnitten, bewahrt jedoch über weit auskragende Vordächer seine Gesamtform. Früh am Morgen zu Schichtbeginn und nachmittags bei Schichtende verändert sich das Wirtschaftsgebäude, indem die Tore und Türen sich geschäftig öffnen, ansonsten ruht der Bau im Hof.

Den Forstarbeitern bietet die ruppige Schindelstruktur weniger haptische »Holzerfahrung« als einen expressiv-rauen Ausdruck, der ihrer Arbeit im Wald adäquat ist und zugleich eine traditionelle Bauweise des Erzgebirges wiederbelebt. Die Architekten beschäftigten sich mit historischen Schindelkonstruktionen, um aus einer originären Bauweise des Erzgebirges eine neue baukulturelle Identität abzuleiten. Orientierung boten neben einzelnen örtlichen Kirchen und Museen bezeichnenderweise Bauten in der Schweiz, in Vorarlberg sowie Zeichnungen in historischen Lehrbüchern. Die changierende Holzschindelbekleidung wandelt ihren Farbton seit der ersten Bewitterung, indem aus dem Rotbraun des unbehandelten Rot-Zedernholzes sukzessive ein helles Silbergrau wird. Diese Modifikation des Holztons wird den ursprünglichen Kontrast zwischen der hölzernen Außenhülle und den mit silberfarbenen Aluminiumpaneelen bekleideten Einschnitten etwas neutralisieren, so dass das Gebäude im Alterungsprozess eine stärkere farbliche Einheit entwickeln wird.

Der partielle Einsatz von Aluminiumverbundpaneelen erscheint als zeitgenössischer Verweis des Gebäudes. Der Materialwechsel sollte durch äußerste Präzision und Glätte der Metallfassaden akzentuiert werden, daher waren die Garagentore als flächenbündige Falttore geplant. Aus Kostengründen wurde an dieser Stelle leider das minimalistische Konzept verlassen, stattdessen kamen leicht versetzte Schiebetore zum Einsatz. Das exakte Fugenraster und die Integration der Lichttechnik zeigen den hohen Detaillierungsgrad für diesen kleinen Bau. Die Übergänge von Holzhülle zu Aluminiumpaneelen konnten aufgrund der geringen klimatischen Raumanforderungen mit offenen Fugen gelöst werden. Gern hätten die Architekten auch die Traufe in traditioneller Form als Holzrinne mit offenem Auslauf ausgeführt, doch mussten sie den technischen Standards des Bauherrn folgen und eine Blechkastenrinne mit innenliegendem Fallrohr vorsehen, was angesichts der homogenen Schindelhülle befremdlich erscheint. Die Bauleitung übernahmen die Architekten selbst, denn angesichts der scheinbar einfachen Struktur war die exakte Detailausführung besonders wichtig.

Im Innern setzen sich die glatten Oberflächen fort, hier bilden industriell hergestellte Grobspanplatten den Kontrast zu den äußeren handgespaltenen Schindeln. Hinter den OSB-Platten befindet sich die Holzständerkonstruktion des Hallenbaus. Lediglich dessen weit auskragendes Garagendach ist mit Stahlfachwerkträgern ausgeführt, um eine schlankere Konstruktion zu erreichen.

Tradition aus der Ferne

Die Entwurfsintension ist aber auch von der Wiederbelebung regionaler Bau-weisen bestimmt. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die Architekten sich an einen Schindelproduzenten in Oberbayern wenden mussten und der Dachdecker aus dem Nachbarort zur Schulung ins oberbayrische Hammerau fuhr, um sich die handwerkliche Technik wieder anzueignen. Auch das Schindelholz stammt nicht aus der Region, da der heimischen Fichte aufgrund der veränderten Umweltbedingungen nur noch eine Haltbarkeit von etwa 20 Jahren zugesprochen wird, während das in Oberbayern vertriebene Rot-Zedernholz aus Kanada eine bis zu fünfmal längere Lebensdauer haben kann und ihm vergleichbare Qualitäten einer harter Bedachung bescheinigt werden. Die Weiterführung erzgebirgischen Bauens impliziert somit globale Vernetzungen.

Anspruch aus der zweiten Reihe

Das Wirtschaftsgebäude steht als Solitär im Zentrum des Hofs und dehnt sich deutlich über die Baufluchten seines Vorgängerbaus hinaus, so dass es hinter dem Forstamtsgebäude herausschaut und zur Straße selbstbewusst Präsenz zeigt. Der Umgang mit diesem historischen Bestandsbau war in den vergangenen Jahrzehnten von Pragmatismus gekennzeichnet: Beim Eingriff in die ursprünglich klaren Proportionen entstand anstelle von fünf Giebelgauben eine durchgehende Schleppgaube, deren neue Fenster mit aufgemalten Rahmen Sandsteingewände imitieren. Nicht nur in diesem Kontext erscheint es konsequent, quasi aus der zweiten Reihe einen neuen Anspruch an die regionale Baukultur zu formulieren. Der Neubau setzt sich von dem hellverputzten Bestand und den anderen Bauten im Ort ab, der nach drei Stadtbränden Mitte des 19. Jahrhunderts steinern aufgebaut wurde. Mit dem Holzschindelkörper wird aber nicht nur der Verweis auf die Nutzung durch das Forstamt gegeben; gleichermaßen stellt der Bau eine eigenständige und zeitgemäße Erweiterung des Begriffs »Erzgebirgische Holzkunst« dar, der gemeinhin auf die Holzspielwaren der Weihnachtsmärkte reduziert wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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