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TEC21 2011|37
CO2 einlagern
TEC21 2011|37
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Gaskraftwerke mit CO2-Abscheidung

Der politische Wille von Bundes- und Nationalrat, bis 2034 aus der Kernenergie auszusteigen, hat neben dem Ausbau regenerativer Energien und verbesserter Energieeffizienz auch den Bau von Gaskraftwerken wieder in den Fokus der Diskussion gerückt. Mit der Abscheidung der dort anfallenden CO2- Emissionen und ihrer Speicherung in tiefen geologischen Schichten (Carbon capture and storage, CCS) liesse sich der Anstieg des Treibhausgases begrenzen. Der Artikel erläutert diese Technologie, deren Energiebedarf und Kosten sowie ihr Potenzial in der Schweiz.

Die Schweiz erzeugt derzeit 57 % ihres Stromes aus Wasserkraft und 38 % aus Kernkraft.1 Daher liegen ihre CO2-Emissionen aus der Stromproduktion heute niedriger als in vielen anderen Industrienationen. Ein Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2034 würde die Schweiz vor die Herausforderung stellen, die Lücke zwischen dem voraussichtlich weiterhin steigenden Bedarf und der reduzierten Produktionskapazität zu schliessen. Eine verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien und eine Steigerung der Energieeffizienz bieten Möglichkeiten, dies ohne erhöhte Treibhausgasemissionen zu tun. Gelingt es damit nicht rechtzeitig, die Lücke zu schliessen, sind als Überbrückung fossile Kraftwerke notwendig.

Momentan sind in der Schweiz fünf Kernkraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 3200 MW am Netz. Die drei kleinsten und ältesten (Beznau I und II sowie Mühleberg) haben jeweils eine Leistung, die mit einem Gaskraftwerk vergleichbar ist (~ 400 MW)[1], was eine direkte Substitution ermöglichen würde. Gaskraftwerke sind insbesondere im Hinblick auf die zu ersetzende Grundlastfähigkeit der Kernkraftwerke wie auch auf die schnelle Realisierbarkeit attraktiv. Das Schweizer Gesetz schreibt jedoch eine hundertprozentige Kompensation der entstehenden CO2-Emissionen vor, davon 70 % im Inland.[2] Die Kosten dafür werden aufgrund der Auswahl an Möglichkeiten umso höher, je mehr CO2 zu kompensieren ist. Die sogenannte «carbon capture and storage»-Technologie, kurz CCS, könnte hier die Möglichkeit bieten, den Ausstoss von CO2 und somit die zu kompensierende Menge zu reduzieren. Diese Technologie besteht darin, das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Erdgas, Erdöl oder Kohle oder auch bei industriellen Prozessen entstehende CO2 nicht einfach in die Atmosphäre abzugeben, sondern direkt am Kraftwerk bzw. am Ort der industriellen Produktion abzuscheiden und an einem geeigneten Ort sicher einzulagern (Abb. 1, vgl. auch nebenstehenden Kasten).

Die verschiedenen Teile dieses Konzepts – Abscheidung, Transport und Speicherung des CO2 – werden momentan international in verschiedenen Projekten und Forschungsprogrammen entwickelt. Diese Technologie ermöglicht einerseits den hoch entwickelten Ländern, ihren Ausstoss an CO2 zu reduzieren und eine Brücke bis zur ausschliesslichen Nutzung von regenerativen Energien zu bauen. Andererseits bietet sie aufstrebenden Ländern wie China und Indien die Chance, ihre enormen Vorräte an Kohle klimafreundlicher zu verwenden.


Methoden zur CO2-Abscheidung

Im Bezug auf die CO2-Abscheidung werden drei verschiedene Strategien diskutiert und getestet (Abb. 2):[3]

Oxyfuel-Verfahren

Die erste Möglichkeit ist die «oxyfuel combustion», die Verbrennung des fossilen Brennstoffs mit reinem Sauerstoff anstelle von Luft. Damit besteht der Abgasstrom lediglich aus CO2 und Wasserdampf, der kostengünstig auskondensiert werden kann. Allerdings erfordert die Methode eine energieaufwendige Luftzerlegung, um den Stickstoff abzutrennen und Sauerstoff zu gewinnen. Sie wird derzeit zum Beispiel am Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Deutschland (Abb. 3) oder an der Gasaufbereitungsanlage bei Lacq in Frankreich getestet.

Abscheidung vor der Verbrennung

Eine weitere Methode nennt sich «pre-combustion capture». Dabei wird das CO2 vor der eigentlichen Verbrennung abgeschieden. Dafür wird ebenfalls zunächst durch Luftzerlegung reiner Sauerstoff gewonnen und damit anschliessend ein fester Energieträger (Kohle, aber z. B. auch Biomasse ist eine Option) durch eine Vergasungsreaktion in CO2 und Wasserstoff umgewandelt. Das CO2 wird abgeschieden, während der Wasserstoff in einer Gasturbine verbrannt und damit Elektrizität erzeugt wird. Kommerzielle Kraftwerke dieses Typs gibt es bereits, bekannt unter der Abkürzung IGCC (integrated gasification combined cycle).

Solche mit CO2-Abscheidung sind jedoch erst in der Planungs- oder Testphase (z. B. in Buggenum und Emshaven, Niederlande, oder Hatfield, UK). Während konventionelle Kessel mit gewissem Aufwand mit der Oxyfuel-Technik nachgerüstet werden können, setzt die «pre-combustion»-Methode tief greifendere Änderungen am Kraftwerksdesign voraus (namentlich an der Gasturbine). Sie kommt daher nur für neue Anlagen, nicht für Nachrüstungen infrage.

Abscheidung nach der Verbrennung

Die dritte Option, die sogenannte «post-combustion capture», ist am einfachsten realisierbar. Hier findet eine Trennung des Abgases in CO2 und mehrheitlich Stickstoff erst nach der Verbrennung statt. Dies hat den Vorteil, dass der eigentliche Kraftwerksprozess unverändert bleibt, was – vorausgesetzt, es besteht genügend Platz für die nötigen Installationen – eine unkomplizierte Nachrüstung bei bestehenden Anlagen erlaubt. Nachteilig ist der voraussichtlich höhere Energiebedarf für die Abscheidung.[4] Die eigentliche Trennung des CO2 vom Restgas erfolgt mittels Gaswäsche, das heisst durch einen Ablauf von Absorptionsund Desorptionsreaktionen in zwei säulenförmigen Reaktoren – sogenannten Kolonnen. In der ersten Kolonne rieselt ein geeignetes Waschmittel über das Abgas und nimmt dabei selektiv CO2 auf. In der zweiten Kolonne wird dieses durch Erhöhung der Temperatur wieder abgegeben. Letzteres ist derjenige Teilschritt mit dem grössten Energiekonsum. Die «post-combustion»-Methode wird bereits an verschiedenen Kraftwerken in Pilotprojekten mit einem kleinen Teilstrom des Abgases und verschiedenen Waschmitteln untersucht (z. B. in Mongstadt, Norwegen, oder Pleasant Prairie und Mountaineer, USA). Beim sogenannten «chilled ammonia»-Prozess von Alstom Power (Schweiz) AG wird beispielsweise eine Ammoniaklösung verwendet. Absorption ist eine grundlegende Methode in der Verfahrenstechnik und wird z. B. an Kohlekraftwerken bereits für die Entschwefelung und Entstickung der Abgase angewendet. Deshalb und aufgrund der in den Pilotprojekten gesammelten Erfahrungen kann das Verfahren als «pre-commercial» bezeichnet werden. Für alle drei beschriebenen Methoden sind weitere Forschung, Evaluierung und die Erprobung im Grossmassstab notwendig, wovon man sich in erster Linie eine Verbesserung der Energieeffizienz und damit Kosteneinsparungen verspricht. Erkannt zu haben scheint dies die EU. Das von der EU-Komission beschlossene und vom EU-Rat gutgeheissene CCS-Demonstrationsprogramm sieht vor, in Europa bis 2015 zehn bis zwölf grosse Demoprojekte zu lancieren, um CCS ab 2020 kommerziell verfügbar zu machen.[5] Bisher sind erst sechs Projekte ausgewählt und in der Planung weiter fortgeschritten, entsprechend ambitioniert scheint der Zeitplan der EU. Es werden jedoch alle gesammelten Erfahrungen auch für den möglichen Einsatz von CCS in der Schweiz verfügbar sein.

Forschung in der Schweiz

Auch Schweizer Forschungsinstitute beschäftigen sich mit dem Thema CO2-Abscheidung. So ist das Institut für Verfahrenstechnik der ETH Zürich Projektpartner bei «DECARBit», einem EU-Forschungsprojekt zur «pre-combustion»-Technologie.[6] An der Fachhochschule Nordwestschweiz und am Paul Scherrer Institut untersuchen Forschende ausserdem, wie sich Wasserstoff optimal in einer Gasturbine zu Energie umsetzen lässt. Und an der ETH Lausanne beschäftigt sich das Labor für Industrielle Energiesysteme mit modellbasierter Optimierung und Systemintegration der drei Abscheidungstechnologien in bestehende und zukünftige Kraftwerksdesigns. Diese Aktivitäten sind Teil des schweizerischen CCS-Projektes CARMA[7] (CARbon MAnagement in power generation, vgl. Kasten Seite 23).

Auswirkungen von CCS auf die CO2- und Erdgasbilanz der Schweiz

Soll konkret ein Kernkraftwerk durch ein Gaskraftwerk ersetzt werden, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Schweizer CO2- und Erdgasbilanz hätte. Der Erdgasverbrauch der Schweiz lag 2009 bei nur 2800 Mio. m3 / Jahr.[8] Allerdings ist die Schweiz aufgrund ihrer zentralen Lage geopolitisch günstig am EU-Netz angeschlossen. Sie ist heute mit zwölf grenzüberschreitenden Leitungen ins internationale Erdgas-Transportnetz eingebunden. Unter anderem verläuft die Transitleitung von den Niederlanden nach Italien zwischen Wallbach (AG) und dem Griespass (Oberwallis). Weiterhin soll eine neue Pipeline, die Trans Adriatic Pipeline (TAP), Europa mit dem Erdgas vom Kaspischen Meer und aus dem Nahen Osten verbinden. Die Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg AG (Schweiz) hält daran 42.5 %.[9]

Eine Versorgungslücke ist daher hinsichtlich vorhandener Infrastruktur und geplanten Kapazitätsausbaus eher unwahrscheinlich. Für ein 400-MW-Gaskraftwerk ohne CCS mit einem Wirkungsgrad von 58 % und einer Auslastung von 87 % betragen die CO2-Emissionen ungefähr 1 Mio. t CO2 / Jahr. Dies entspräche einem Anstieg um 2.5 % der aktuellen Schweizer Emissionen (40 Mio. t CO2 / Jahr). Der gesamtschweizerische Erdgasverbrauch würde sich um 18 % erhöhen. Unter der Annahme, dass sich der Wirkungsgrad mit CCS auf 50 % reduziert, muss 17 % mehr Gas verbrannt werden, um auf die gleiche Nennleistung von 400 MW zu kommen. Das dabei anfallende CO2 erhöht sich auf 1.2 Mio. t / Jahr. Bei einer Abscheidungsrate von 90 % würden die jährlichen CO2-Emissionen allerdings nur 0.12 Mio. t / Jahr betragen, was einem Anstieg der Schweizer Gesamtemissionen von 0.3 % entspräche. Der gesamtschweizerische Erdgaskonsum würde um weitere 3 % auf 21 % erhöht.

Kosten

Die Kosten hierfür sind, vor allem die CCS-Technologie betreffend, im aktuellen Stadium noch schwer abzuschätzen. Innerhalb der CCS-Wertschöpfungskette entfallen 75–90 % der Kosten auf die energieintensive Abscheidung inklusive Verflüssigung des CO2.[10,12] Der anschliessende Transport, die unterirdische Einlagerung und die Überwachung der Speicher fallen aus rein ökonomischer Perspektive entsprechend kaum ins Gewicht. Untersuchungen lassen vermuten, dass sich die Investitionskosten für ein Gaskraftwerk mit CO2-Abscheidung ungefähr verdoppeln, während die Betriebskosten um ca. 25 % steigen.[11] Bezogen auf den Elektrizitätspreis würde das nach neuesten Abschätzungen einen gegenüber dem Fall ohne Abscheidung um 30–50 % höheren Preis bedeuten.[11,12] Je langsamer die Forschung, Entwicklung und Implementierung von CCS im umliegenden Ausland, aber auch innerhalb der Schweiz vonstattengeht, desto höher werden die Kosten für die erste Generation kommerzieller Kraftwerke ausfallen. Umgekehrt sinkt der Preis mit jeder zusätzlich umgerüsteten oder neu installierten Anlage nach denselben ökonomischen Gesetzen wie bei den erneuerbaren Energien. Würden die absehbaren zusätzlichen CO2-Emissionen durch Gaskraftwerke in der Schweiz auf andere Art und Weise im Inland kompensiert, wären sogenannte billige Massnahmen rasch ausgereizt, und der Strompreis würde stetig steigen. Insofern bietet CCS sowohl aus ökonomischer Sicht als auch aus klimapolitischen Gründen eine sinnvolle Lösung zur Überbrückung der Zeit, die wir brauchen, um unser Energiesystem vollständig auf erneuerbare Ressourcen umzurüsten.


Anmerkungen:
[01] Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2010, Bundesamt für Energie BFE, 2010
[02] 641.71 Schweizer Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen (CO2-Gesetz); Stand 1. 1. 2011
[03] www.zeroemissionsplatform.eu/ccs-technology/capture.html, Stand 19. 7. 2011
[04] Notz et al., CO2-Abtrennung für fossil befeuerte Kraftwerke, Chemie Ingenieur Technik (10) 82, 2010
[05] http://ec.europa.eu/energy/coal/sustainable_coal/ccs_project_network_en.htm, Stand 16. 8. 2011
[06] www.decarbit.com, Stand 16. 8. 2011
[07] www.carma.ethz.ch
[08] Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2009, Bundesamt für Energie BFE, 2009
[09] www.trans-adriatic-pipeline.com/de; Stand 19.7.2011
[10] IPCC, Special Report Carbon Dioxide Capture and Storage. Cambridge University Press. 2005
[11] Energy Information Administration, Annual Energy Outlook 2011, DOE/EIA-0383 (2010)
[12] ETP-ZEP, 2011. The Costs of CO2 Capture, Transport and Storage. Post-Demonstration

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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