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TEC21 2011|39
Im Forster
TEC21 2011|39
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

luxuswohnen heute? – Drei Antworten

Von 2008 bis 2011 wurde das 45 000 m² grosse Grundstück der Villa Im Forster am Zürichberg baulich verdichtet. Die Zürcher Büros EM 2N Architekten und Jakob Steib Architekten sowie Richter et Dahl Rocha aus Lausanne realisierten in drei Baufeldern insgesamt 54 Mietwohnungen. Obwohl vor allem die Wohnungsgrössen der Lage der Objekte am Zürichberg entsprechen, macht sich bezüglich der Grundriss- und Innenraumgestaltung eine gewisse Ratlosigkeit breit: Was bedeutet «gehobenes Wohnen» für eine Mietwohnung heute eigentlich?

23. September 2011 - Martin Tschanz
Es war ein zentrales Anliegen der Eigentümer, bei der baulichen Verdichtung auf die ausserordentlichen Qualitäten des Parkes Rücksicht zu nehmen: Die Grösse des Grundstücks erlaubt eine weitgehende Erhaltung des Parks trotz Neubauten, die Hanglage eine unverbaute Aussicht über Stadt und See (vgl. «Hoher Anspruch über Generationen», S. 18). Mit einer Regelbebauung wäre dies nicht möglich gewesen, angesichts der Bedeutung des Areals bot die Stadt jedoch Hand zu der Ausarbeitung eines privaten Gestaltungsplans. Das städtebauliche Konzept wurde von den Landschaftsarchitekten Zulauf Seippel Schweingruber (heute: Schweingruber Zulauf Architekten) erarbeitet. Es sah fünf einzelne Baufelder vor, die als Inseln an der Peripherie des Areals angeordnet sein sollten. Mittlerweile wurden drei dieser Felder bebaut, während die beiden exponiertesten Bereiche im Süden des Areals vorläufig noch als Landreserve frei bleiben. Jedes wurde von einem anderen Architekturbüro geplant, sodass keine Handschrift dominiert. Die neuen Gebäude nehmen zum Teil den Raum der alten Bepflanzung ein, die vorher die umgebende Bebauung kaschiert hatte. Die Architekten der Neubauten wurden 2004 durch einen Studienauftrag unter sieben Konkurrenten aus dem In- und Ausland gekürt, wobei jedes Baufeld einzeln juriert wurde.

Am «Mittelberg», im Westen des Areals, setzten sich Jakob Steib Architekten aus Zürich mit drei identischen, am Hang gestaffelten Bauten durch, bei der ehemaligen Gärtnerei im Nordosten die Zürcher EM2N Architekten, die ein einziges, winkelförmiges Volumen vorschlugen. Für den privilegierten Standort «Rondell» im Nordwesten des Areals konnte kein Entwurf völlig überzeugen. Das Lausanner Architekturbüro Richter et Dahl Rocha & Associés wurde in der Folge auf Wunsch der Bauherrschaft direkt mit der Ausarbeitung eines neuen Projekts auf der Grundlage eines reduzierten Programms beauftragt.

Richter et Dahl Rocha: Drei Luxuswohnungen

Das Resultat ist ein orthogonaler Baukörper, der sich mit Abstufungen und dunkler, braungrauer Putzoberfläche neben der bestehenden Villa maximal zurücknimmt (Abb. 4). Die raumhohen Öffnungen, welche die Eleganz und Grosszügigkeit der drei Wohnungen erahnen lassen, wirken durch die Hanglage in der Sicht von unten teilweise geschlossen, sodass die Erscheinung des Volumens kompakt bleibt. Die einzelnen Wohnungen zeichnen sich nicht ab, obwohl ihre Zugänge bis in die Tiefgarage hinein individualisiert sind. Dadurch entsteht im Inneren der Eindruck von kleinen Villen. Die Räume sind streng in einen Tages- und einen Nachtbereich aufgeteilt, was ebenso konventionell wie überzeugend ist, abgesehen davon, dass man sich in der 5.5-Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss (Abb. 10) eine Alternative zum Vestibül als Verbindung der beiden Bereiche wünschen würde. Als besondere Qualität erfährt man die unterschiedlichen Orientierungen der Räume, indem sich insbesondere die Nähe zu den Bäumen im Norden und die Weitsicht nach Südosten spannungsvoll ergänzen.

Jakob Steib Architekten: Wohnen in der Nachfamilienphase

Die unterhalb liegenden Bauten am Mittelberg von Jakob Steib stellen in mancherlei Hinsicht einen Gegenpol dazu dar. In den stark aufgegliederten Baukörpern werden die einzelnen Wohnungen durch weit ausgreifende Fortsätze individualisiert, während ihre Erschliessung kollektiv über einen gemeinsamen Kern erfolgt. An der Südseite heben sich die drei Bauten vom Grund ab, wodurch sie sich im Schnitt ebenso intensiv mit dem Park verzahnen wie im Grundriss und dadurch die geneigte Topografie stark zum Ausdruck bringen. Dies erzeugt eine elegante Leichtigkeit, die zusammen mit der Betonung der Horizontalität, dem Sichtbackstein und den Deckenstirnen in Beton an Bauten der späten 1950er- und 1960er-Jahre erinnert. Um trotz der engen Stellung der Volumen störende Einblicke zu vermeiden, sind die Nordseiten der Bauten praktisch blind ausgebildet, während die Ausrichtung nach Süden über vollverglaste Fronten gestärkt wird. Das überzeugt nur beschränkt, zumal sich nur aus den obersten Wohnungen ein Weitblick öffnet und die beiden Schmalseiten unterschiedlich attraktiv sind – die Ostseite öffnet sich zum Park, die westliche Fassade zum angrenzenden Quartier. Dass es den Architekten gelungen ist, Wohnungen der geforderten Grösse und Opulenz in einem Vierspänner zu organisieren, bezeugt entwerferische Virtuosität – trotzdem stellt sich die Frage nach der Angemessenheit des Typus. Auf eine Trennung zwischen Zimmer- und Wohntrakt wurde hier weitgehend verzichtet, was akzeptabel erscheint, zumal hier Paare in der Nachfamilienphase angesprochen sind. Die unkonventionelle Anordnung des Masterbedrooms hinter der Küche oder dieser unmittelbar gegenüber, vollverglast der repräsentativen Terrasse zugeordnet, will aber nicht recht zum ansonsten bürgerlichen Habitus der Wohnungen passen. Genauso wenig wie der Wohungszugang: Während die Vorhöfe durch eine schöne Verzahnung von Gebäude und Aussenraum und angenehme Grössenverhältnisse überzeugen, überrascht die Eingangshalle durch Nüchternheit. Dieser Eindruck entsteht nicht nur durch den Beton, der als Raumfassung nicht zum Aussenbau passt, sondern vor allem durch die Reihung von Kellertüren beim Eingang, unter die sich, ausgerechnet unmittelbar vor dem Aufzug, auch noch ein Wohnungseingang mischt.

EM2N: Lofts am Zürichberg

EM2N fassen an der nordöstlichen Ecke des Areals den offenen Raum mit einem winkelförmigen Gebäudekörper, der dank einer geschickt abgestuften Zugangsseite auch nach aussen hin nicht schroff erscheint. Der eingeschossige Sockel ist zu einer Terrasse ausgeweitet, die an die bestehende Gartenanlage des Landhauses anschliesst und diese ergänzt. So entstand ein Dachgarten, der am Rand von den angrenzenden Wohnungen teilweise als privater Aussenbereich genutzt wird. Dies verleiht der Anlage einen Siedlungscharakter, indem die Nachbarschaft, auch dank der allgegenwärtigen Glasbrüstungen, stets deutlich präsent ist. Der Bau nimmt Elemente des Loft-Wohnens auf und lässt damit am Zürichberg ankommen, was sich einst in der metropolitanen Subkultur entwickelt hatte. Das kündigt sich bereits im Äusseren an, mit der Gliederung von Flach- und Hochbau, die an Gewerbe- oder Shoppingzentren erinnern könnte, mit dem Vorplatz, an dem die Tiefgarageneinfahrt mit Nonchalance mitten zwischen den Wohnungseingängen liegt, vor allem aber mit der Gebäudehülle, die mit einer Wellblechverkleidung kokettiert, sich aber in der Nahsicht als sorgfältig gestaltete Holzkonstruktion erweist (Abb. 18).

In den Wohnungen gibt es zwar durchaus traditionelle Elemente des Komforts wie etwa die Auszeichnung eines Hauptschlafzimmers durch eine Koppelung von Schlafraum und Bad. Auf eine Trennung von Zimmer- und Wohnteil wurde aber praktisch vollständig verzichtet. Im Ostflügel gruppieren sich die Zimmer um einen zentralen, den ganzen, extrem tiefen Baukörper durchstossenden Wohn-, Ess- und Kochraum, der mit seinen bevorzugt in den Ecken abgehenden Türen den Charakter einer Diele hätte, wäre er nicht so riesig. Die Küche sitzt dabei jeweils annähernd in der Mitte, aufgeteilt in eine weiss in die Wand eingelassene Front und einen davorgestellten Korpus, der ähnlich in Holz gearbeitet ist wie der Boden.

Die Wohnungen im Nordflügel sind um eine tief in sie hineinragende, völlig verglaste Loggia herum organisiert (Abb. 20), während die Eckwohnungen die beiden Dispositionen mischen und die Möglichkeit einer Entwicklung über die Diagonale nutzen. Anders als es die Fassaden vermuten lassen, gibt es kein abgetrenntes Dachgeschoss. Vielmehr ragen die jeweils obersten Wohnungen stets bis unter das Dach, dessen Gestalt einer städtebaulichen Logik folgt. Dies führt zu teilweise enorm hohen Räumen und zu geneigten Decken, deren Form in keinem Zusammenhang zur Raumform steht, und verstärkt den Eindruck eines sekundären Einfüllens der Wohnungen in ein gegebenes Volumen, wie es für Lofts charakteristisch ist.

Fragen des Komforts

Auf dem Areal Im Forster waren der privilegierten Lage angemessene Mietwohnungen zu realisieren. Für einmal waren die Architekten also gefordert, sich ganz unabhängig von individuellen Wünschen eigene Vorstellungen zum Wohnen mit gehobenem Standard zu machen: eine aussergewöhnliche und offenbar nicht ganz einfache Aufgabe. Die Vielfalt der Resultate zeigt, wie uneindeutig heute die Vorstellungen von einer idealen Wohnsituation sind. Oder sollte es in diesem Fall, wo an privilegierter Lage ökonomische Zwänge (fast) keine Rolle mehr spielen, um etwas anderes gehen?

Städtebaulich wurde das Ziel erreicht, das Quartier über die Neubauten nicht einfach in den Park hineinwuchern zu lassen. Weil sich alle Elemente auf den Altbau bzw. auf den offenen Raum beziehen, der von diesem beherrscht wird, bleiben Einheit und Charakter des Ganzen gewahrt. Damit ist die Anlage städtebaulich ein grosser Erfolg: Nach wie vor sind die Weite und Grosszügigkeit, vor allem aus der Perspektive des Landhauses, überwältigend.

Daneben seien einige Bemerkungen zu Einzelaspekten der Wohnungen erlaubt. Zunächst zum Thema der Brüstungen bzw. der fehlenden Brüstungen, die derzeit als architektonische Mode jene der grossen, querrechteckigen Fenster abzulösen scheinen. Die Wohnräume von Jakob Steib Architekten z.B. wirken aufgrund ihrer Vollverglasung zu wenig gefasst: Weil eine vermittelnde Schwelle zwischen innen und aussen völlig fehlt, entsteht der Eindruck, der Raum drohe auszufliessen. Überdies werden die Bewohner durch die Glasfronten fast gezwungen, vor die Scheiben zu möblieren, wodurch das Private und insbesondere allerlei Rück- und Unterseiten zu einem Teil der Fassade werden, was weder für die Wohnungen noch für die Stadt ein Gewinn ist. Ähnliches gilt für die stets geschosshohen Fenster im Baufeld Gärtnerei.

Eine zweite Bemerkung betrifft die Stellung der Küchen. Am meisten vermag die Lösung in einem abschliessbaren, aber räumlich vielfältige Bezüge ermöglichenden Eck- und Scharnier-raum in manchen Wohnungen von Jakob Steib Architekten zu überzeugen. Sie vereinigt die Vorteile einer offenen und einer geschlossenen Disposition, die grundsätzlich beide ihre Berechtigung haben. Problematisch erscheinen jedoch jene extrem exponierten Küchen, die offen an der Stirnseite eines lang gestrecken Raumes liegen oder aber in dessen Zentrum, sodass der gesamte Wohnbereich von ihnen dominiert wird. In diesen Fällen wünscht man sich eine zusätzliche Bei- bzw. Spülküche oder zumindest einen etwas geschützteren Bereich, der das durch die Raumeinteilung erzwungene Schaukochen auch in einem etwas formelleren Rahmen praktikabel machen würde.

Insgesamt hält sich die Verfeinerung des Komforts in Grenzen, vor allem wenn man das bürgerliche Wohnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Massstab nimmt – trotz reichlich vorhandenen Sanitärräumen, Einbauschränken und sogar Ankleiden. Das Stereotyp von Parkettböden, weiss-glatten Wänden und ebensolchen Decken genügt zwar vielen Ansprüchen, aber wenigen so richtig. Es folgt einer Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners, die hier zweifellos nicht einfach der Vorstellungsarmut der Architekten, sondern einer ganz allgemeinen Unsicherheit bezüglich der herrschenden Wohn- und Lebensvorstellungen geschuldet ist. Ein Raffinement des Komforts würde Festlegungen bedingen, die derzeit niemand riskieren mag.

An die Stelle des Komforts tritt deshalb die schiere Grösse. Selbstverständlich lässt es sich in einem Raum von 75 m² auch dann gut leben, wenn dieser grundsätzlich unbequem angelegt ist – die Loft-Kultur hat uns genau dies gelehrt. Zukunftsträchtig ist diese Strategie jedoch nicht. Eine Änderung der Leitbilder der Wohnkultur scheint daher angezeigt, selbst im gehobenen Segment. Nicht nur, weil die Quadratmeterbolzerei jeglichen Bemühungen um Nachhaltigkeit zuwiderläuft, sondern auch, weil die Wohnkosten mittlerweile auch hierzulande in einem schmerzhaften Bereich angekommen sind. In Tokio und London z. B., die jeweils in ganz unterschiedlichen Traditionen stehen, kann man sehen, dass dies sehr wohl möglich ist.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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