Zeitschrift

TEC21 2011|40
Konstruktion auf Zeit
TEC21 2011|40
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Zeitweilig in Manhattan

In einer Baulücke an der Houston Street in Manhattan steht seit Anfang August 2011 ein Pavillon aus carbonfaserverstärktem Kunststoff. Die Begegnungsstätte, in der Veranstaltungen für die Öffentlichkeit stattfinden, wird Mitte Oktober rückgebaut und in Berlin aufgebaut, bis sie nach Mumbai umzieht. Dieses erste von drei «BMW Guggenheim Labs» wurde vom Architekturbüro Atelier Bow-Wow entworfen, und das Schweizer Unternehmen Nüssli setzte die architektonischen Ideen um. Unterstützung holten sie sich bei den Schweizer Bauingenieuren von Staubli, Kurath und Partner.

Die Solomon-Guggenheim-Stiftung in New York – die Betreiberorganisation der Guggenheim- Museen – schickt in den nächsten sechs Jahren drei mobile Labore um die Welt. Jeder Pavillon ist nacheinander zwei Jahre lang unterwegs und in drei Städten stationiert (vgl. Kasten nebenan). Die temporären und mobilen Bauwerke sollen dabei der Gesellschaft einen Ort bieten, wo sie verschiedene Themen wie das Zusammenleben der Menschen in Städten diskutieren kann. Der erste Zweijahreszyklus findet zum Thema «Confronting Comfort » statt und widmet sich der Erforschung des individuellen und kollektiven Komforts sowie der dringenden Notwendigkeit ökologischer und sozialer Verantwortung.

Aufgeständerter Pavillon vielfältig nutzbar

Für diese Initiative mit dem Namen «BMW Guggenheim Lab» lud die Stiftung im Herbst 2010 die japanischen Architekten des Ateliers Bow-Wow ein, den ersten Pavillon zu entwickeln. Vorgabe des Auftraggebers an die Architekten war, dass der Pavillon eine anpassungsfähige Infrastruktur bietet, in der Workshops, Ausstellungen, Fachvorträge und Quartierfeste durchgeführt werden können. In einem interdisziplinären Team sollen ausserdem neue Technologien für die Bauindustrie diskutiert und Lösungen entwickelt werden.

Da sich der Pavillon am ersten Standort präzise in die schmale Baulücke zwischen alten Häusern einbettet (Abb. 1), entwarfen die Architekten ein Konzept für ein aufgeständertes mobiles Bauwerk, in dem – ähnlich einer Theaterbühne – die Requisiten hochgezogen und heruntergelassen werden können. Modulare Bühnen hängen an Seilen, und Stühle und Tische sind über den Köpfen der Besuchenden untergebracht. Die eingeschränkte Nutzfläche kann so vielfältig genutzt werden.

Tragelemente aus Carbonfaserverstärktem Kunststoff

Das Tragwerk wurde aus carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) hergestellt. Die Architekten setzten – unterstützt von der Bauherrschaft – bewusst auf dieses Material, das im Bauwesen erst als Verstärkungselement Fuss fasst, sonst aber noch kaum eingesetzt wird. Um die tragwerksspezifischen Aspekte zu analysieren und festlegen zu können, suchten Architekten und Bauherrschaft die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Unternehmen Nüssli, das Erfahrungen mit temporären und modularen Bauten hat. Unterstützt von den Bauingenieuren von Staubli, Kurath und Partner aus Zürich, legte das Projektteam das statische Konzept fest – abgestimmt auf die Transport-, Montage- und Standortbedingungen.

Die Projektbeteiligten verglichen internationale Gesetzgebungen miteinander, eruierten die massgebenden Lasten und Lastfälle und bestimmten die Lieferanten für die Hauptgewerke, die in der Lage waren, innerhalb von drei Monaten projektspezifische Lösungen zu entwickeln und zu produzieren. In kurzer Zeit brachten sie die Ideen des Architekten mit dem Budget des Auftraggebers und den produktionsbedingten und montagetechnischen Randbedingungen in Einklang.

Tragwerk, Konstruktion und Details

Der Pavillon ist 8 m hoch und hat einen Grundriss von 30 m auf 6 m (Abb. 3). Das Tragwerk aus CFK besteht aus einem Raumfachwerk, das auf sechs Stützen steht (Abb. 4). Die Fachwerkstäbe sind nicht wie üblich nur in Längs-, sondern auch in Querrichtung belastet; um die Montage der Einbauelemente flexibel zu halten, sollten die Kräfte nicht nur über die Fachwerkknoten, sondern auch über die Profillängen eingeleitet werden. Die gekreuzten Verbände bestehen aus vorgespannten Stahlseilen und steifen die Gesamtkonstruktion flächenweise aus (Abb. 4). Die in Querrichtung mit Aufdopplungen biegesteif ausgeführten CFK-Stützen enthalten aus Brandschutzgründen und wegen ihrer Schlag- respektive Anprallempfindlichkeit einen Stahlkern. Das Stahlprofil dient im Brandfall als Rückfallebene, da Carbon zwar bei erhöhten Temperaturen seine Festigkeit behält, die Matrix des CFK aber verkohlt. In Längsrichtung sind die gelenkig gelagerten Stützen mit Stahlseilen zum Boden abgespannt (Abb. 5).

Die CFK-Stäbe wurden in einem modifizierten Wickelverfahren hergestellt. Da die massgebende Tragrichtung auch quer zur Profilachse erfolgt, wurden die Fasern nicht nur längs in 2°-Richtung, sondern zusätzlich im 45°- und 85°-Winkel gewickelt (Abb. 7), womit die Bauingenieure die Profildimensionen optimieren konnten. Es sind Vierkantrohre mit Querschnitten von 200/140/11.6 mm bis 130/130/5.4 mm, an deren Enden Stahlanschlussteile platziert sind. Diese sind mittels Stahlstangen im Innern der CFK-Profile untereinander verspannt (Abb. 6). So können die verschweissten Laschen Zug-, Druck- und Querkräfte aufnehmen. Die gegenseitige Verspannung der Knoten ist eine einfache mechanische Verbindung.

Sie leitet keine zusätzlichen, ungünstigen Kräfte wie Zwängungen und Lochleibung in den CFK-Stab, die das Material an den heiklen Endbereichen zusätzlich belasten und schwächen würden. Der Spalt zwischen CFK-Rohr und Stahlinsert ist mit einem speziellen Kleber verfüllt, der örtliche Spannungsspitzen verhindert. Eine kraftübertragende Klebeverbindung war in diesem Fall nicht möglich, da sie in der Bauindustrie allgemein unüblich ist und es daher schwierig ist, eine Genehmigung dafür zu erhalten. In der gegebenen Zeit war es auch nicht möglich, solche Knoten ausreichend zu testen.

Montage in Manhattan

Nach der Herstellung der Profile in den Werken von Carbofibretec führte das Herstellerunternehmen Ende Mai 2011 einen Probeaufbau in der Halle in Friedrichshafen durch. Er gab dem Projektteam und der Montagecrew die Gewissheit, dass das geplante Montagekonzept tatsächlich umsetzbar ist. Nach einer sorgfältigen Verpackung der CFK-Profile in gepolsterte Transportkisten erfolgte die Verschiffung der fünf Seefrachtcontainer nach New York. Durch- schnittlich sechs Monteure bauten den Pavillon in knapp vier Wochen vor Ort auf. Zuerst wurde am Boden das Obergeschoss zusammen- und das wasserdichte Membrandach aufgesetzt. Danach wurde das 16 t schwere Skelett mit einem Kran angehoben und die Stützen darunter montiert (Abb. 8). Diese Phase war der kritischste Moment im Montageablauf, da aufgrund der engen Platzverhältnisse die Gefahr bestand, dass die auf Schlageinwirkung empfindlichen CFK-Profile ihre Tragwirkung infolge eines Anpralls verlieren könnten.

Das Potenzial ist da

Mit dem Einsatz von CFK in diesem – experimentellen – Bauwerk gewannen die Projektbeteiligten Bauingenieurinnen und Bauingenieure neue Erkenntnisse zum Tragverhalten des Materials, die die Forschung und Weiterentwicklung kanalisieren. Eine Erkenntnis sticht dabei heraus: Quer zur Faser ist CFK noch schwächer als befürchtet (Abb. 10 und Kasten oben). Die Umsetzung dieses Projektes zeigt aber auch, dass sich die Kosten der Carbonfasern stark reduziert haben. Das Potenzial für den Einsatz von CFK im Hochbau steigt damit an. Die Vorteile des Werkstoffes wie sein kleines spezifisches Gewicht, seine geringe Korrosions- und Ermüdungsanfälligkeit sowie seine positiven Eigenschaften bezüglich Nachhaltigkeit können so im Hochbau vermehrt genutzt werden – wenn auch nur für ganz spezifische Fälle, wo sie auch tatsächlich zum Tragen kommen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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