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TEC21 2011|41
Begehrtes Wasser
TEC21 2011|41
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Das Okavango-Delta ist ein Schatz für die Welt»

Das Okavango-Delta in Botswana ist eines der grössten und tierreichsten Feuchtgebiete Afrikas. Die zunehmenden Wasserentnahmen für die Bewässerung von Landwirtschaftsflächen am Oberlauf in Angola und Namibia bedrohen aber seine Existenz. Wolfgang Kinzelbach, Professor für Hydromechanik an der ETH Zürich, forscht seit zehn Jahren im Okavango-Delta. TEC 21 sprach mit ihm über die Ursachen des Konflikts, der exemplarisch ist für die sich weltweit verschärfende Konkurrenz um Wasser.

7. Oktober 2011 - Claudia Carle, Daniela Dietsche
Das Okavango-Delta im Nordwesten Botswanas ist ein Binnendelta mit einer Fläche von mehr als 15 000 km2. Gespeist wird es aus dem Okavango, der im Hochland von Angola entspringt und durch Namibia nach Botswana fliesst (Abb. 3, 4). Nach dem Durchlaufen des sogenannten Pfannenstiels trifft der Fluss auf eine flache, mit Sedimenten verfüllte Grabenstruktur, die eine südliche Fortsetzung des Afrikanischen Grabenbruchs (Rift Valley) ist (Abb. 2). Wegen des geringen Gefälles fächert er sich in unzählige Arme auf. Das Wasser im Delta verdunstet zum grössten Teil, sei es über die Wasserfläche oder nach Versickerung über die Pflanzen (Transpiration). Nur ein geringer Anteil fliesst durch den Thamalakane bei Maun ab. Dank dem ganzjährig Wasser führenden Zufluss ist das Innere des Deltas ein permanenter Sumpf, der nach der Regenzeit wegen der jährlichen Flutwelle des Okavango gewaltig anwächst (Abb. 5). Diese Welle braucht für die letzten 300 km im flachen Gelände von Mohembo bis Maun rund vier Monate. Deshalb reicht die Wasserverfügbarkeit im temporären Sumpf des Deltas bis weit in die Trockenzeit hinein und wird dadurch zum Anziehungspunkt für viele Tierarten. Entsprechend attraktiv ist das Gebiet für Touristen.

Die Landschaft des Deltas ist einem steten Wandel unterworfen. Einen grossen Anteil daran haben die Tiere, allen voran die Termiten. Im Windschatten ihrer Bauten lagern sich Staub und Laub ab. Daraus entstehen Inseln, auf denen Pflanzen wachsen können. Diese Inseln sind eine Art «Müllhalde» für das beim Verdunsten des Wassers anfallende Salz: Die Pflanzen auf den Inseln nehmen Wasser auf und verdunsten es, wobei sich das im Süsswasser in geringer Konzentration enthaltene Salz lokal ansammelt. Wird die Salzakkumulation zu gross, sterben die Pflanzen ab und wachsen am Rand der Salzinseln weiter. Dank diesem Mechanismus bleibt der Salzgehalt in den übrigen Bereichen des Deltas erstaunlich gering (Abb. 8).

TEC21: Herr Kinzelbach, was fasziniert Sie am Okavango-Delta?

Wolfgang Kinzelbach: Wer einmal das Okavango-Delta besucht hat, möchte immer wieder hin. Das Gebiet ist zwar nicht so spektakulär wie beispielsweise die Serengeti mit den grossen Tierherden, aber es gibt extrem viele interessante Prozesse zu beobachten. Ein Beispiel: Die kleinen Unterschiede in der Topografie führen zu einer faszinierenden Dynamik. Alte Kanäle füllen sich mit Sedimenten und lassen das Wasser neue Wege suchen. Durch Torfbrände bricht das Gelände teilweise ein, und neue Gräben entstehen. Elefanten werfen Bäume um, wodurch Kanäle verstopft werden und austrocknen. Flusspferde arbeiten sich wie Dampfwalzen durch Papyrus und Schilf und schaffen so neue Kanäle. Alle diese Phänomene führen dazu, dass jedes Jahr mit der Flut eine neue Wasserlandschaft entsteht.

TEC21: Wie schätzen Sie die globale Bedeutung des Deltas ein?

W. K.: Das Okavango-Delta ist ein Schatz für die Welt. Es ist eines der weltweit wichtigen Feuchtgebiete. Wir haben seit 1900 die Hälfte der Feuchtgebietsfläche auf der Erde verloren, entweder durch den Verlust der Fläche oder des Wassers an die Landwirtschaft. Und es werden aufgrund des Bevölkerungsdrucks und des Drucks auf die Nahrungserzeugung immer noch viele Feuchtgebiete zerstört. Die Ramsar-Konvention1 versucht den Trend zu stoppen, um die Artenvielfalt dieser Gebiete zu schützen. Das Okavango-Delta ist das grösste der Gebiete, die unter dem Schutz der Konvention stehen.

TEC21: Und trotzdem ist es gefährdet. Können Sie erläutern, worin diese Gefährdung im Einzelnen besteht?

W. K.: Das Delta liegt in Botswana. Wie viel Wasser das Delta erreicht, entscheiden aber die Anlieger des Oberstroms in Angola und Namibia. Dort reicht der traditionelle afrikanische Landbau2 wegen der wachsenden Bevölkerung nicht mehr aus, um genügend Nahrung zu produzieren. Hinzu kommt, dass sich Angola nach dem Kriegsende nun wirtschaftlich zu entwickeln beginnt und unabhängig werden möchte von Nahrungsimporten. Daher will man viel mehr Wasser als bisher für die Landwirtschaft aus dem Okavango entnehmen. Die Ausdehnung der Landwirtschaft könnte auch die Wasserqualität im Zufluss vermindern. Das Wasser im Okavango ist heute nährstoffarm (oligotroph). Wird Dünger ausgewaschen, könnte dies zu einer Eutrophierung des Deltas führen.

TEC21: Wie gut bekannt waren die hydrologischen und wasserwirtschaftlichen Verhältnisse in der Region, als Sie mit Ihrem Forschungsprojekt begannen?

W. K.: Viele der Phänomene waren bereits gut erforscht, vor allem durch eine Forschungsgruppe an der University of the Witwatersrand in Südafrika und das Okavango Research Institute der University of Botswana. Wir als Ingenieure versuchen, diese qualitativ bekannten Vorgänge mit Zahlen zu belegen. Wir haben zum Beispiel ein Modell entwickelt, um zu zeigen, wie sich das Delta aufgrund einer Wasserentnahme im Oberstrom verändern würde.

TEC21: Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

W. K.: Wir haben ermittelt, dass man etwa 58 m³ Wasser pro Sekunde bräuchte, um das gesamte bewässerungswürdige Land in Angola zu bewässern.3 Das ist mehr als die Hälfte der rund 100 m³/s, die der Okavango heute in der Trockenzeit führt. Unsere Modellierungen ergeben, dass man höchstens 15 bis 20 m³/s entnehmen sollte, um das Delta nicht irreversibel zu stören. Sonst werden die regelmässig überfluteten Flächen stark abnehmen, und an den Stellen, die nicht mehr jährlich überflutet werden, wird das für die Tiere wichtige Grasland von Bäumen verdrängt (Abb. 6).

TEC21: Gibt es neben der Wasserentnahme im Zufluss und der Eutrophierung noch weitere Gefährdungen für das Delta?

W. K.: Ja, im Oberstrom sind Staudämme zur Stromerzeugung geplant. Unsere Berechnungen zeigen aber, dass sie zu klein sind, um sich stark auszuwirken. Das Wasser wird nicht wie bei der Bewässerung dem Fluss entnommen, sondern fliesst nur verzögert ab, was lediglich die Abflussspitzen dämpfen wird. Problematischer ist, dass die Dämme das Sediment im Oberstrom zurückhalten. Wenn weniger Sediment in den Unterlauf gelangt, wird sich das Delta tiefer eingraben. Dies würde eine Verringerung der Dynamik im jährlichen Wandel bedeuten.

TEC21: Lässt sich abschätzen, wie sich die Klimaveränderung auf das Delta auswirken wird?

W. K.: Wir wissen heute noch zu wenig, um sichere Aussagen zu machen. Das Delta liegt nahe der innertropischen Konvergenzzone4, deren Ausdehnung nach Süden die Klimamodelle nicht gut vorhersagen können. Die Modellprognosen für die Temperatur sind recht einheitlich, beim Niederschlag hingegen, ergeben 12 Modelle 12 unterschiedliche Prognosen. 10 von 12 Modellen sagen voraus, dass es trockener wird. In diesem Fall wäre der Einfluss des Klimas vergleichbar mit dem durch die befürchtete Wasserentnahme für die Landwirtschaft. Die grösste Gefahr für das Delta ist, dass beides eintrifft.

TEC21: Zumindest die Wasserentnahmen liessen sich vermeiden oder reduzieren. Gibt es Bestrebungen zu einem Interessenausgleich zwischen Ober- und Unterliegern?

W. K.: Angola, Namibia und Botswana haben sich in der Okavango River Commission, der Okacom, zusammengeschlossen, um eine Lösung zu finden. Zurzeit werden umfassende Bestandesaufnahmen des Einzugsgebiets gemacht und Daten zur Landnutzung, zur Bevölkerungsentwicklung und zu den Zuflüssen erhoben. Unsere Forschungsergebnisse werden in die Diskussionen der Kommission einfliessen. Die Verantwortlichen werden sich zuerst über die allgemeine Entwicklung der Region einigen müssen. Anschliessend wird es leichter sein, über konkrete Zahlen zur maximal erlaubten Wasserentnahme zu verhandeln.

TEC21: Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie für diesen Konflikt?

W. K.: Ich habe nachgerechnet, ob Botswana nicht einen Teil des Einkommens aus dem Tourismus an Angola abgeben könnte, damit dieses einen genügend grossen Zufluss nach Botswana garantiert. Denkbar wäre auch, dass Botswana wassersparende Bewässerungssysteme in Angola subventioniert. Aber die Gewinne, die Angola mit einem Ausbau der Landwirtschaft erzielen kann, sind so gross, dass die Einkünfte aus dem Tourismus in Botswana dies nicht aufwiegen können. Relativ neu ist die Idee, die Region mit dem grenzüberschreitenden Projekt ‹Kavango-Zambesi Transfrontier Conservation Area›5 für den Tourismus zu entwickeln. Das Potenzial ist vorhanden, denn es gibt noch eine ganze Reihe anderer Naturreservate. Man müsste beispielsweise die Verkehrsverbindungen verbessern, um sie für Touristen attraktiv zu machen. Wenn jedes Land vom Tourismus profitiert, ist vielleicht das Interesse grösser, das Delta zu erhalten.

TEC21: Die Touristen im Okavango-Delta kommen grösstenteils aus Europa und den USA. Müssten nicht auch die industrialisierten Länder einen Beitrag zur Erhaltung des Deltas leisten? W. K.: Will man die Natur dort für die Weltgemeinschaft erhalten, dann müssen internationale Gelder fliessen. Für den einfachen Botswaner wäre es interessanter, das gesamte Land in Weidefläche für Rinder umzuwandeln. Man muss die ökologischen Dienstleistungen, die im Okavango-Delta erbracht werden, bewerten und mit Ausgleichszahlungen belohnen. Es geht dabei um die Erhaltung eines Weltnaturerbes und einen gleichberechtigten Interessenausgleich. Das ist nicht zu verwechseln mit Entwicklungshilfe. Das Delta zu erhalten, sodass die nächsten Generationen dieses faszinierende Feuchtgebiet noch sehen können, ist wichtig. Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf neun Milliarden ansteigen. Da bleibt wenig Platz für die Natur

TEC21: Der Konflikt zwischen genug Wasser für die Menschen und genug Wasser für die Natur wird sich also verstärken. Wie lässt sich dieser entschärfen?

W. K.: Da die landwirtschaftliche Bewässerung den Grossteil des menschlichen Wasserverbrauchs ausmacht, muss man versuchen, die gleiche Menge Nahrung mit weniger Wasser zu erzeugen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: eine wassersparende Bewässerung und einen effizienteren Umgang mit der Nahrung. In Indien gehen zum Beispiel 30 % der Nahrungsmittel direkt nach der Ernte verloren. Sie werden durch Pilze vernichtet oder von Mäusen gefressen, da sie nicht korrekt gelagert sind. Bei uns landen 25 % des verkauften Brots in der Mülltonne. In den Supermärkten werden 20 % der Nahrungsmittel weggeworfen, ohne dass die Packung aufgemacht wurde. Offenbar sind Nahrungsmittel zu billig. Es spielt auch eine Rolle, was wir essen. Rund 37 % des Getreides weltweit werden zur Fleischproduktion an Tiere verfüttert. Würde man dieses Getreide direkt essen, könnten damit mehr Menschen ernährt werden.

TEC21: Könnte auch der Einsatz landwirtschaftlicher Kulturen, die weniger Wasser benötigen, zum Wassersparen beitragen?

W. K.: Es gibt Versuche, Pflanzen durch andere Sorten oder Arten zu ersetzen, die denselben Zweck erfüllen. Baumwolle verdunstet zum Beispiel sehr viel Wasser, eine genmanipulierte Sorte jedoch nur die Hälfte. Natürlich gibt es Kritiker, aber grundsätzlich sind solche Dinge möglich.

TEC21: Ein Konkurrent bei der Verteilung ums Wasser sind ja auch Biotreibstoffe aus Kulturpflanzen. W. K.: Bis 2050 10 % des weltweiten Treibstoffverbrauchs durch Agrotreibstoffe zu ersetzen, wäre katastrophal. Die Wassermenge, die heute für die Landwirtschaft gebraucht wird, würde um ein Drittel steigen. Wie soll das gehen? Auf jeden Fall werden Nahrungsmittel teurer, was für uns zu ertragen ist, für die Entwicklungsländer aber einer Katastrophe gleichkommt. Gelingt es, Biotreibstoff aus Holz oder Öl aus Algen wirtschaftlich herzustellen, ist das in Ordnung. Solange Treibstoff aber aus Raps, Palmen und anderen Kulturpflanzen in Konkurrenz zur Nahrung hergestellt wird, ist dies hinsichtlich der Wasser- und Landressourcen unsinnig.

TEC21: Zum Schluss würden wir gern noch einen Blick in die Schweiz werfen: Bekommt die Natur bei uns genügend Wasser?

W. K.: Bei uns hat der Konflikt um das Wasser zwischen Mensch und Natur viel früher stattgefunden. Uns geht es jetzt besser, und wir haben keinen Bevölkerungsdruck mehr, deshalb haben wir heute das Privileg, darüber nachzudenken. Wir renaturieren zum Beispiel Flüsse oder versuchen, Feuchtgebiete wiederherzustellen. Wir können es uns leisten, der Natur etwas zurückzugeben. In der Dritten Welt wird es noch lange dauern, bis dieser Punkt erreicht ist. Prognosen gehen davon aus, dass 2050 das Maximum der Bevölkerungsentwicklung erreicht ist. Wenn man da optimistisch bleiben will, muss man weit in die Zukunft schauen, bis der Konflikt zwischen Mensch und Natur wieder entschärft werden kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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