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db deutsche bauzeitung 11|2011
Öffnungen
db deutsche bauzeitung 11|2011

Auffällig aber unprätentiös

Mehrfamilienhaus in Zürich-Altstetten

Für das Erscheinungsbild des Baukörpers ist die Gliederung der Fassade durch vor- und zurückspringende, unterschiedliche Fensterformate in z.T. leicht tanzenden Achsen sowie die Wahl des groben Rillenputzes und des ausgewogenen grünen Farbtons prägend. Die großformatigen Fenster ergeben lichtdurchflutete Innenräume von hoher Aufenthaltsqualität.

7. November 2011 - Hubertus Adam
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann in Zürich die Wohnungsbautätigkeit in großem Stil. Dies betraf auch den bislang noch weitgehend ländlich geprägten Stadtteil Altstetten, ganz im Westen an der Grenze zur Nachbargemeinde Schlieren gelegen. Motor des Siedlungsbaus waren hier wie in anderen Quartieren primär Genossenschaften – so auch die 1944 gegründete und ausschließlich in Altstetten tätige Baugenossenschaft Halde Zürich (BHZ). Besondere Aufmerksamkeit erzielten deren im Jahr 1952 bezogene VII. und VIII. Kolonie, für die ein Terrain in leichter Hanglage oberhalb der Tramendstation Farbhof erworben worden war. Zwei- und dreigeschossige Mehrfamilienhäuser gruppierten sich in lockerer Anordnung um die Glättlistraße, die Haupterschließungsstraße des Quartiers; mit ihrer starken Durchgrünung orientierte sich die Siedlung an seinerzeit viel rezipierten skandinavischen Vorbildern. Unmittelbar westlich dieser Siedlung, die entsprechend dem Standard v. a. Drei- und Vierzimmerwohnungen umfasste und von den Architekten M. Zollinger und J. Strasser entworfen worden war, entstand in den Folgejahren das als Pavillonsystem realisierte Schulhaus Chriesiweg von Fred Cramer, Werner Jaray und Claude Paillard. Dieses war das Resultat eines anlässlich der Ausstellung »Das neue Schulhaus« im Kunstgewerbemuseum veranstalteten Architekturwettbewerbs und gilt mit seinen niedrigen Baukörpern und den Klassenzimmern zugeordneten Gartenhöfen aus heutiger Sicht als Musterbeispiel damaligen kindgerechten Bauens.

Die geringe Ausnutzungsziffer der BHZ-Siedlung führte im Jahr 1985 dazu, dass die Genossenschaft die niedrigeren Gebäude im Zuge einer Gesamtsanierung um ein Geschoss aufstocken ließ. Fensterläden, Fenstereinteilungen, Satteldach – alles blieb erhalten. Weitere 15 Jahre später stellte sich erneut die Frage, wie die Siedlung in die Zukunft zu führen wäre. »Ersatzneubau« lautete das aktuelle Schlagwort: Die Kleinwohnungen der Nachkriegsära genügten zeitgenössischen Ansprüchen nicht mehr, und so begannen viele Genossenschaften, die bescheidenen Siedlungen durch große Bauvolumina mit räumlich opulenten Wohnungen zu ersetzen. Die BHZ entschied sich anders: Man votierte dafür, die bestehende Substanz moderat zu sanieren und die als essentiell für die Qualität der Siedlung angesehene Freiraumgestaltung zu erneuern. Kies- und Asphaltwege sind an die Stelle früherer Steinplattenwege getreten, und so hat die Siedlung etwas vom Charme der 50er Jahre eingebüßt. Gleichwohl muss die neue Außenraumgestaltung mit ihren Aufenthaltsbereichen für Kinder und Erwachsene durchaus als gelungen angesehen werden.

Grosszügiger Ersatzneubau

Nur an einer Stelle kam es zu einem Ersatzneubau: Ganz im Westen des Areals – dort, wo die Siedlung an das Gelände des Schulhauses Chriesiweg angrenzt. Vier bestehende Reihenhäuser und ein nicht mehr benötigter Kindergarten wurden durch einen vor Kurzem fertiggestellten viergeschossigen Wohnblock ersetzt, der von dem in Regensberg ansässigen Architekturbüro L3P entworfen wurde. Abweichend von der Orthogonalität der bestehenden Volumina konzipierten die Architekten ein polygonal geprägtes Gebäude mit einer auf der Ostseite einwärts geknickten Fassade, welcher die Westseite mit verschobenen Proportionen – geringerer Winkel, Knickpunkt aus der Mitte verschoben – folgt. Die einwärts geknickte, überdies durch Loggien aufgelockerte Ostfassade wartet mit einer umarmenden Geste auf und wird gleichsam als Abschluss der Siedlung lesbar, wobei die Viergeschossigkeit keinesfalls als Maßstabssprung ins Auge sticht, sondern sich harmonisch in die locker gestreute Gebäudestruktur einreiht. Die geschlossene, lediglich durch vor- oder rückspringende Fenster akzentuierte Westfassade bildet die Kante zum angrenzenden Schulareal, ohne diesem zu nahe zu rücken oder die niedrige Bebauung in den Schatten zu stellen.

Wirkt die polygonale Form mitunter wie ein Versuch, ein eigentlich banales Gebäude etwas zeitgenössischer aussehen zu lassen, so haben L3P die Grundrisse durchaus konsequent auf die Gesamtform abgestimmt. Rechte Winkel finden sich nur an wenigen Stellen der insgesamt 16 Wohnungen, die zweibündig von zwei Treppenhäusern aus erschlossen werden und annähernd spiegelsymmetrisch seitlich der Erschließungszonen angeordnet sind. Die Geschossgrundrisse zeigen sich identisch.

Ungewöhnlich und durchaus attraktiv ist der großzügige Wohnbereich, der sich mäandrierend durch die Wohnungen zieht und drei unterschiedliche Zonen ausbildet: die Richtung Westen orientierte Küche, eine großzügige Mittelzone und schließlich den Wohnbereich im Westen, die sich mittels einer Glaswand mit der Loggia verbindet. Die eingestellte Box von Bad und WC verstärkt diese Konfiguration, führt aber zu der Konsequenz, dass die innenliegenden Nasszellen auf natürliche Belichtung und Belüftung verzichten müssen. Nicht unproblematisch, zumindest bei konventionellen Möblierungsvorstellungen, sind die z. T. extrem schräg verlaufenden Wände der Schlafzimmerboxen.

Tanzende Fensterachsen

Ein grober, grün gestrichener Putz vereinheitlicht das Äußere des Doppelhauses. Die Farbe mag etwas modisch anmuten – positiv ausgedrückt: zeitgenössisch – und wird durch ein komplementäres Rot-Violett-Braun ergänzt, welches die Fensterlaibungen und Eingangsbereiche prägt. Der Putz in diesen Partien ist feiner, wie auch in den Loggien und in den Wohnungen selbst. Das Grün tritt in abgeschwächter, eher pastellfarbener Anmutung auch an anderen Bauten der BHZ-Siedlung auf, so dass auch die Farbintensität die Bedeutung des Neubaus akzentuiert, ohne ihn indes als Fremdkörper erscheinen zu lassen.

Die unterschiedliche Behandlung der Fassadenöffnungen verleiht dem Wohnblock sein charakteristisches Gepräge. Die der Siedlung zugewandte Westfassade, wiewohl durch die mittleren und seitlichen Loggien aufgelockert, gibt sich ruhig: Nur die von Geschoss zu Geschoss die Seite wechselnden geschlitzten und die Lüftungsflügel verbergenden Aluminiumpanels der Treppenhausfenster durchbrechen die vertikale Abwicklung der Fassade. Eine stärkere Rhythmisierung kennzeichnet die Westseite. Drei Fensteranordnungen finden sich hier: Quergelagerte, innen angeschlagene Einzelfenster mit seitlichem Lüftungspanel, Verbünde aus zwei quergelagerten Einzelfenstern mit Lüftungspanels – und schließlich außen angeschlagene Quadratfenster mit hervortretenden Metallrahmen, welche die Küchenzonen markieren. Bei den Quadratfenstern tanzt jeweils eins aus der vertikalen Reihe, was allerdings – wie auch der Versprung der Lüftungsflügel – gestalterischem Kalkül entspringt und sich nicht aus der Grundrisslogik oder aus Belichtungsanforderungen ableiten lässt. Die Architekten verstehen ihre Fensterformen als Reverenz an den Bestand der Siedlungsbauten ringsum; so sehen sie beispielsweise die Lüftungspanels als zeitgenössische Interpretation der Fensterläden. Diese Rückführung ist durchaus nachvollziehbar, allerdings sind das Spiel mit verschiedenen Fenstertypen sowie das Verspringen von Geschoss zu Geschoss unabhängig davon aus dem Schweizer Bauen der jüngeren Vergangenheit sattsam bekannt.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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