Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 11|2011
Öffnungen
db deutsche bauzeitung 11|2011

Gezielte Einschnitte

Atelier- und Wohnhaus in Rotterdam

Aus einem heruntergekommenen Wohnhaus in Rotterdam-Süd haben Zecc und Rolf.fr eine bewohnbare Skulptur gemacht. Das alte Haus dient nur noch als Hülle, die von neuen Öffnungen durchstoßen wird. Auch innen ist Öffnung das Schlüsselwort: Im vollständig entkernten Haus hängt ein »Raumobjekt«, das weder Türen noch Wände noch Zimmer hat.

7. November 2011 - Anneke Bokern
Mitten in einer ganz gewöhnlichen Straße im Rotterdamer Arbeiterviertel Katendrecht sitzt ein Fremdkörper. Eingeklemmt zwischen einer dreigeschossigen Reihenhauszeile und einem niedrigen Werkstattbau aus dem 19. Jahrhundert, wirkt das schwarzglänzende Haus mit Kunstgras-Seitenfassade wie ein Eindringling aus einer anderen Welt. Was es so befremdlich macht, ist v. a. seine Zweideutigkeit: Einerseits schließt es nahtlos an seine Nachbarbauten an, andererseits könnte es kaum andersartiger sein. Es wirkt zugleich abstrakt und vertraut, neu und alt, fehl am Platz und in seinem Kontext verankert. Die wenigen neuen Fenster, deren tiefe Stahlrahmen die alte Fassade an scheinbar willkürlichen Stellen durchstoßen, machen das Verwirrspiel noch größer.

Zwarte Parel, also »schwarze Perle« hat Bewohner Rolf Bruggink sein Domizil getauft. Er hat es in Zusammenarbeit mit dem in Utrecht ansässigen Architekturbüro Zecc entworfen, das er 2003 gemeinsam mit Marnix van der Meer gründete, aber 2007 wieder verließ, um fortan unter dem Namen Rolf.fr als Möbeldesigner zu arbeiten. Die Begründung für seinen Ausstieg aus der Architektur ist angesichts der Schwarzen Perle wenig verwunderlich: Im Baugeschäft musste Bruggink für seinen Geschmack zu viele Kompromisse eingehen. Entsprechend fern jeglichen Zugeständnisses an Konventionen oder Stereotypen hielt er sich beim Entwurf seines eigenen Arbeits- und Wohnhauses.

Von der Wasserkocherei zum Bastelhaus

Bevor Bruggink 2008 zum Besitzer des Hauses wurde, stand es über 30 Jahre lang leer. Bei Google Streetview kann man noch den Zustand vor dem Umbau sehen: Der Sockelbereich des Backsteinbaus war mit grauen Steinplatten bekleidet und sämtliche Fenster mit zusammengeklaubten Brettern mehr schlecht als recht zugenagelt. Aufgrund seines erbärmlichen Zustands und seiner Lage in einem Problemviertel von Rotterdam, das früher v. a. für Prostitution bekannt war und seither mit hohen Arbeitslosen- und Immigrantenzahlen kämpft, wurde das Haus in das »klushuizen-Programm« der Gemeinde aufgenommen. Im Rahmen dieses Programms – klushuis bedeutet soviel wie »Bastelhaus« – kauft die Stadt Rotterdam verfallene Häuser auf, um sie extrem günstig, aber unter einer Reihe von Bedingungen weiterzuverkaufen. Die neuen Eigentümer verpflichten sich, innerhalb eines Jahres 200 000 Euro in die Renovierung des Hauses zu investieren und danach drei Jahre lang selber darin zu wohnen. Ziel des Projekts ist es, den Leerstand zu bekämpfen und gleichzeitig die Gentrifizierung von Stadtvierteln zu befördern. Nachdem die ersten Versuche vor einigen Jahren erfolgreich verliefen, sind derzeit 170 solche »klushuizen« im Angebot.

Rolf Bruggink zufolge hat er die Schwarze Perle nicht nur günstig, sondern sogar umsonst von der Gemeinde bekommen. Das Haus aus dem späten 19. Jahrhundert beherbergte in den Obergeschossen einst zwei kleine Mietwohnungen und im EG eine Wasserkocherei, in der die Bewohner des Viertels, in dem es keinen Warmwasseranschluss gab, eimerweise heißes Wasser kaufen konnten. Mittlerweile war es eigentlich abrissreif, denn wie Bruggink bald feststellen musste, waren sämtliche Geschossbalken verrottet. Letzteres trug zu der Entscheidung bei, alle Geschossdecken und Trennwände zu entfernen und den so entstandenen 5 m breiten, 10 m langen und 11 m hohen Raum ganz neu einzuteilen.

Gestapelte Funktionsbereiche

Im EG des Gebäudes befindet sich nun ein 5 m hoher Atelierraum mit anschließendem Bambusgärtchen. Die eigentliche Sensation ist aber der darüber liegende Wohnbereich, in dem es keine Zimmer, Wände oder Türen im konventionellen Sinne mehr gibt. Stattdessen stapeln sich dort halboffene Funktionszonen, die zum Essen, Kochen, Arbeiten oder Schlafen dienen. Ein riesiges skulpturales Objekt, aus Holzstäben zusammengeleimt und von den obersten Deckenbalken abgehängt, bildet den Kern des Gebäudes, ist Treppe, Boden, Wand und Decke und nimmt außerdem alle Leitungen auf. In seiner Allseitigkeit wirkt es wie ein dreidimensionales, kantiges Möbiusband, zu dessen räumlicher Abstraktion das Fehlen von Treppengeländern und sonstigen Details noch beiträgt. Vom Atelier aus schraubt man sich durch die verschiedenen Lebensbereiche hindurch nach oben, bis man auf die Dachterrasse gelangt, auf der ein gläsernes Gewächshaus mit frei stehender Badewanne steht. Unterwegs öffnen sich immer wieder Lufträume, die Blickbeziehungen bieten und die Höhe des schlotartigen Raums betonen.

Die Position der neuen Fensteröffnungen bestimmten die Architekten erst, als das Interieur fertig entworfen war. Sie wurden ganz auf das neue Innenleben des Hauses abgestimmt und entsprechen deshalb nicht den alten Fensterplatzierungen. Stattdessen befindet sich das Fenster im 1. OG nun genau vor der Spüle und jenes im 2. OG vor dem Arbeitsplatz. Außen haben sie tiefe, beinahe scharfkantige Stahlrahmen, die den Akt des Durchstoßens der alten Fassade und der aus Holz nachgebildeten alten Sprossenfensterscheiben betonen. Innen hingegen liegen sie fast ohne Laibung in der Wand: Nicht einmal ein Fenstergriff stört die Detaillosigkeit, denn sie können nicht geöffnet werden. Zusätzliches Tageslicht fällt, dank der offenen Raumanordnung, von einem Oberlicht-Band hinter der Dachtraufe bis in die untere Wohnebene. Hinzu kommen die kleinen neuen, spielerisch verteilten, quadratischen Fenster in der Seitenfassade, die jedoch ebenfalls eher dem Lichteinfall als dem Ausblick dienen. Insgesamt hat das Haus deshalb einen recht introvertierten Charakter und scheint an seinem eigenen komplexen Innenleben genug zu haben, womit es die Hoffnung der Gemeinde, dass solche Bastelhäuser einen positiven Effekt auf die Umgebung haben könnten, ein wenig ad absurdum führt. Einzig die Dachterrasse sowie die unverändert gebliebenen alten Balkontüren an der Rückseite des Hauses bieten eine Aussicht – auf die Gärten im Blockinneren.

Verfremdung und Abstraktion

Wird das Bild des Hauses außen von etwas zu witzigem knallgrünen Kunstgras in Kombination mit dem glänzenden Schwarz der Hauptfassade geprägt (die, wie niederländische Grachtenhäuser im 17. Jahrhundert, mit gefärbtem Leinöl gestrichen wurde), so dominieren innen die drei Grautöne, mit denen das Raumobjekt lackiert ist. Als Kontrast dient die rechte Seitenwand, die im bröseligen Rohzustand belassen wurde, sowie die linke Seitenwand, die weiß gestrichen ist und auf der sich noch die Spuren der alten Handläufe abzeichnen. Diese Strategie der Verfremdung des Alten durch neue Eingriffe, die es ab- strahieren und gleichzeitig sichtbar lassen, haben Zecc und Rolf Bruggink natürlich nicht neu erfunden. Bemerkenswert ist bei der Schwarzen Perle jedoch, mit welcher Konsequenz das Thema durchgezogen wurde, wie sehr Innen und Außen einander bedingen, obwohl der Altbau eigentlich nur noch eine Hülle ist, und wie neuartig das Raumerlebnis ist, das daraus entsteht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: