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TEC21 2011|47
Minergie und mehr
TEC21 2011|47
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Minergie und die anderen – Vergleich von vier Labels

In den letzten Jahren wurden weltweit Zertifizierungssysteme zur Beurteilung und Förderung energieeffizienter bzw. nachhaltiger Bauten entwickelt. Ein Vergleich der drei wichtigsten internationalen Labels mit Minergie zeigt deutliche Unterschiede darin, wie umfassend und mit welchen Kriterien die Nachhaltigkeit der Gebäude bewertet wird, was einen Vergleich der Ergebnisse schwierig macht. Der neue, umfassende Schweizer Standard für nachhaltiges Bauen, der derzeit erarbeitet wird, sollte daher keine weitere Neuschöpfung sein, sondern etablierte Ansätze einbinden.

18. November 2011 - Holger Wallbaum
Die Schweiz hat mit Minergie ein etabliertes Label für energetisch anspruchsvolle Gebäude, das eine im internationalen Vergleich sehr gute Marktdurchdringung aufweist. Die drei gängigsten Zertifizierungssysteme am internationalen Markt sind BREEAM[1], LEED[2] und DGNB[3]. Sie spielen heute in der Schweiz noch eine untergeordnete Rolle, werden aber zunehmend von Investoren gefordert, sodass auch in der Schweiz erste Gebäude nach LEED (z.B. Innovationszentrum von CPW, Orbe [Abb. 1] und Prime Tower, Zürich [vgl. TEC21 45/2011] [Abb. 2]) und DGNB (z.B. Dienstleistungsgebäude Majowa, Wankdorf) zertifiziert werden.

Die gängigsten internationalen Labels

Das 1990 in Grossbritannien eingeführte BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) ist das älteste System und jenes mit der grössten Anzahl zertifizierter Gebäude – insgesamt über 200 000, davon allerdings nur 76 ausserhalb von Grossbritannien. Diese breite Anwendung in Grossbritannien wird durch staatliche Vorgaben gefördert. Wohnungsneubauten, die den grössten Anteil zertifizierter Bauten ausmachen, müssen beispielsweise nach dem Standard «BREEAM Code for Sustainable Homes» zertifiziert werden. Bewertungen in Europa werden vor allem mit der Systemvariante «BREEAM Europe Commercial» durchgeführt, die eine Berücksichtigung von europäischen und länderspezifischen Normen und Standards bei der Zertifizierung von Geschäftsliegenschaften ermöglicht.

Das amerikanische System LEED (Leadership in Energy & Environmental Design) wurde vom US Green Building Council (USGBC), einer nationalen Non-Profit-Organisation Ende der 1990er-Jahre entwickelt. LEED gehört dank gutem Marketing zu den weltweit bekanntesten Zertifizierungssystemen. Die Anzahl der Zertifizierungen liegt bei insgesamt über 24 000 mit Schwerpunkt auf Wohngebäuden in den USA. Das ursprünglich für den amerikanischen Markt entwickelte System stützt sich auf die amerikanischen Normen (ASHRAE) und Standards ab. Bei Bewertungen ausserhalb der USA können seit Oktober 2011 optional für bestimmte Kriterien lokale Standards oder Normen angewandt werden, wenn diese den amerikanischen Anforderungen entsprechen.

Das DGNB (Deutsches Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen) wurde 2007 von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am Beispiel von Bürogebäuden entwickelt. Seit der Lancierung des DGNB Anfang 2009 wurden über 200 DGNB-Zertifikate verliehen und weitere Nutzungsprofile geschaffen. Das DGNB wurde speziell für die deutsche Baubranche entwickelt und basiert daher vor allem auf den deutschen Regelwerken (DIN) und Richtlinien (VDI[4]). Eine Internationalisierung des DGNB-Systems erfolgte 2010 durch die Einführung von «DGNB International », das sich auf Normen und Vorgaben der Europäischen Union abstützt und eine weltweite Anwendung sowie Vergleichbarkeit des Gütesiegels ermöglichen soll. Eine interessante Entwicklung ist auch die Adaption des DGNB-Systems an Schweizer Bedürfnisse durch die Schweizer Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft SGNI[5]. Hierbei wird das internationale DGNB-Bewertungssystem an Schweizer Normen (SIA) und Richtlinien angepasst. Die Adaption des Nutzungsprofils «Neubau Büro- und Verwaltungsgebäude» ist bereits abgeschlossen. Aktuell startet die SGNI in die Pilotphase zur Zertifizierung nach dem national adaptierten System.

Das Schweizer Minergie-Label wurde durch den Verein Minergie entwickelt und 1998 auf den Markt gebracht (vgl. Kasten S. 37). Es folgten die Varianten Minergie-Eco, Minergie-P und Minergie-A, die jeweils noch mit Eco ergänzt werden können. Die Anforderungen an das Minergie- Label beruhen auf Schweizer Normen (SIA) und Vorschriften.

Entwicklung eines Schweizer Nachhaltigkeitsstandards

Immer mehr Bauherrschaften fordern ein möglichst umfassendes Nachhaltigkeitslabel, das ausser energetischen und/oder ökologischen Aspekten auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Kriterien beinhaltet. Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Energie ein Projekt zur Entwicklung eines Standards für nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBCH) lanciert. Aufbauend auf den bestehenden Instrumenten und Labels der Schweiz (Minergie, DGNB/ SGNI, SIA 112/1, Nachhaltiges Immobilienmanagement von IPB/KBOB, sméo etc.) und mit Rücksicht auf den internationalen Kontext (LEED, DGNB, BREEAM etc.) soll ein umfassender Nachhaltigkeitsstandard für die Schweiz entwickelt werden, der den hohen Schweizer Planungs- und Baustandards Rechnung trägt und an diese angepasst ist. Das Projekt ist in die Bestrebungen zur Förderung des nachhaltigen Bauens in der Schweiz integriert, die auf ein «Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBCH)»[6] fokussieren, und könnte später vom NNBCH getragen werden (vgl. TEC21 Nr. 35/2011).Auch auf europäischer Ebene sind Arbeiten im Gang, die die Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden anstreben. Das im Februar 2010 gestartete dreijährige EU-Forschungsprojekt Open House entwickelt ein einheitliches europäisches Zertifizierungssystem für nachhaltige Gebäude, basierend auf den Standards CEN/TC 350 bzw. ISO TC59/SC17, der EPBD Direktive (Energy Performance of Buildings Directive) sowie Methoden zur Bewertung von nachhaltigen Gebäuden auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene.[7]

Unterschiede zwischen den Labels: Zertifizierungsprozess

Die vier Zertifizierungssysteme BREEAM, LEED, DGNB und Minergie unterscheiden sich sowohl strukturell als auch inhaltlich. Betrachtet werden nachfolgend die auf dem Schweizer bzw. internationalen Markt gängigen Systemvarianten DGNB Büro- und Verwaltungsbauten Neubau 2009, LEED New Construction 2009, BREEAM Europe Commercial 2009 (office) und Minergie-Eco 2011.

Jedes Bewertungssystem hat unterschiedliche Anforderungen an die Durchführung des Bewertungsprozesses. Bei BREEAM und DGNB kann die Bewertung nur durch Experten erfolgen, die eine spezielle Ausbildung bei den jeweiligen Zertifizierungsorganisationen absolviert haben. LEED dagegen fordert nicht zwingend einen «LEED Accredited Professional» (AP) bei der Bewertung; die Integration eines solchen im Projektteam generiert allerdings einen Bewertungspunkt in der Kategorie Innovation. Bei der Durchführung von Minergie-Zertifizierungen können Bauherrschaften und Investoren durch sogenannte Minergie-Fachpartner unterstützt werden.

Eine Zertifizierung wird bei allen Systemen in einem zweistufigen Prozess durchgeführt und gliedert sich in eine Vorzertifizierung (freiwillig) während der Planungsphase und eine definitive Zertifizierung nach Bauabschluss. Bei BREEAM und DGNB erfolgt die Vorzertifizierung basierend auf Planungswerten und die finale Zertifizierung aufgrund der tatsächlich gemessenen Werte bzw. Ausführungen. BREEAM fordert für die finale Beweisführung in vielen Fällen ausserdem eine Gebäudebegehung durch den BREEAM-Experten sowie eine Fotodokumentation zur Kontrolle, ob die Planung auch umgesetzt wurde. LEED dagegen unterscheidet zwischen Kriterien, die nur in der Planungsphase betrachtet werden (design credits) und Kriterien, die nach bzw. während der Bauausführung bewertet werden (construction credits). Eine Vorortbegehung wird bei LEED lediglich für die Abnahme der energetisch relevanten Gebäudetechnik verlangt. Bei Minergie-Eco werden die auf den Projektierungswerten erstellten Berechnungen aktualisiert, falls es während der Bauphase Abweichungen gab. Die Umsetzung der Minergie-Eco-Anforderungen wird durch die Bauleitung anhand einer Checkliste überwacht und stichprobenartig durch die Zertifizierungsstelle geprüft.

Bewertungsstufen und Pflichtkriterien

Die Zertifizierungssysteme setzen unterschiedliche Bewertungsstufen und Auszeichnungen ein (Abb. 4). Die Resultate werden durch Prozent- oder Punkteangaben abhängig vom Gesamterfüllungsgrad dargestellt. Die unterste Stufe stellt dabei die aktuellen Mindestanforderungen an nachhaltiges Bauen auf nationaler Ebene dar. Aufgrund der unterschiedlichen Baustandards in den einzelnen Ländern ist ein Vergleich der Bewertungsergebnisse jedoch kaum möglich. Bei Minergie werden die verschiedenen Anforderungsstufen als eigenständige Produkte (Minergie-Eco, Minergie-P etc.) vermarktet. Aufgrund fehlender Zertifizierungsstufen gibt es nur das Ergebnis bestanden bzw. nicht bestanden.

LEED, BREEAM, DGNB und Minergie-Eco fordern zur Qualitätssicherung von Zertifizierungen die Einhaltung von Pflichtkriterien. Bei LEED stellt die Erfüllung dieser sogenannten «pre-requisites» eine Grundvoraussetzung für eine Zertifizierung dar. Bei BREEAM müssen abhängig von der angestrebten Bewertungsstufe bestimmte Kriterien («Minimum BREEAM standards») erreicht werden. Das DGNB setzt sogenannte «Mindestqualitäten» für die einzelnen Bewertungsstufen voraus, d.h., ein Gebäude mit z.B. einer Silberzertifizierung muss in allen Themenfeldern mindestens Bronzeniveau erreichen. Minergie-Eco definiert in seinem Kriterienkatalog sogenannte Ausschlusskriterien, die zwingend umgesetzt werdenmüssen. Dabei geht es vor allem um die Vermeidung von Materialien, die mit einer gesunden und ökologischen Bauweise nicht vereinbar sind (z.B. schwermetallhaltige Baustoffe, Biozide und Holzschutzmittel).

Abdeckung von Nachhaltigkeit und Lebenszyklus

Inhaltlich unterscheiden sich die Systeme vor allem hinsichtlich des Abdeckungsgrads der Nachhaltigkeitsanforderungen. Das DGNB verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der ökologische, ökonomische und soziokulturelle Kriterien über den gesamten Lebenszyklus umfasst. Dieser Ansatz wird auch als Bewertungsmethode der «2. Generation» bezeichnet. Im Gegensatz dazu betrachten Systeme der «1. Generation», wie LEED, BREEAM oder Minergie- Eco, hauptsächlich Energie- und Umweltaspekte.

Die Schwerpunkte der jeweiligen Systeme spiegeln sich auch in der Gewichtung der Bewertungskriterien und Kategorien wider. Bei LEED und BREEAM liegt das Hauptgewicht auf Energie (BREEAM: 19 %, LEED: 35 von 100 bzw. 110 Punkten). Das DGNB-System bewertet die einzelnen Nachhaltigkeitskategorien mit je 22.5 %. Der Anteil der Energie innerhalb der ökologischen Qualität beträgt 5.6 %. Ergänzend werden die «Technische Qualität» mit 22 % sowie die «Prozessqualität» (10 %) bewertet (Abb. 4). Die Bewertung der Standortqualität erfolgt beim DGNB separat, da vor allem die Nachhaltigkeitsqualität des Gebäudes bewertbar gemacht werden soll, und fliesst im Gegensatz zu BREEAM und LEED nicht in die Gesamtbewertung ein.

Der Lebenszyklus wird bei der Zertifizierung von Gebäuden ausser bei DGNB bis jetzt nicht oder nur teilweise berücksichtigt. Der Schwerpunkt liegt bis anhin auf der Betriebsphase, ergänzt um die Erstellungsphase. Hier zeichnet sich aber ein Wandel ab. Die neuen Systemversionen integrieren verstärkt eine Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. So wird bei BREEAM UK 2011 in der Kategorie «Materialien» neu das Kriterium «Life Cycle Impacts» aufgenommen; bei LEED wird das Kriterium «Life Cycle Assessment of Building Assemblies and Materials» als Pilotkriterium getestet. Auch das diesen März neu erschienene Minergie-Eco 2011 berücksichtigt durch die Berechnung der grauen Energie den umfassenden Lebenszyklusgedanken.

Berücksichtigung ökonomischer Aspekte

Eine Gegenüberstellung der Bewertungsmethoden BREEAM, DGNB, LEED und Minergie- Eco zeigt, dass alle vier Systeme ökologische und energetische Bewertungskriterien gefolgt von Behaglichkeits- und Komfortaspekten berücksichtigen (Abb. 7). Unterschiede treten vor allem bei den ökonomischen Aspekten auf, die umfassender durch das DGNB in den Kriterien «Lebenszykluskosten (LCC)» und «Wertstabilität» berücksichtigt und durch BREEAM mit nur einem Kriterium in der Kategorie Management (Man 12: Life Cycle Cost Analysis) bewertet werden. Die LCC-Berechnung bei DGNB weist gegenüber dem vereinfachten Verfahren von BREEAM einen höheren Stellenwert auf. LEED und Minergie-Eco besitzen für die ökonomische Nachhaltigkeit kein direktes Kriterium. Indirekt führt LEED aber durch die Berechnung der jährlichen Einsparung an Energiekosten gegenüber einem (simulierten) Referenzgebäude eine Teilanalyse einer Lebenszyklusbetrachtung durch.

Weitere Nachhaltigkeitsaspekte

Auch weitere Nachhaltigkeitsaspekte wie Qualität der technischen Ausführung (Brandschutz, Reinigungs- und Instandsetzungsfreundlichkeit des Baukörpers) und Funktionalität (Flächeneffizienz, Umnutzungsfähigkeit) werden momentan vor allem mit dem deutschen Gütesiegel bewertet (Abb. 7).

Umgekehrt besitzen BREEAM, LEED und Minergie-Eco Kriterien, die das DGNB nicht abdeckt. Hierbei handelt sich vor allem um ökologische und standortspezifische Aspekte wie Lichtverschmutzung, Wiederverwendung der Gebäudestruktur, Parkplatzkapazität, Schutz von Grünflächen, Biodiversität, Wasserzähler, Radonbelastung, Kompostierung oder Innovationspunkte für aussergewöhnliche Leistungen bzw. den Einsatz innovativer Technologien.

Ökobilanzierung

Eine Ökobilanzierung (LCA) berücksichtigen zwar alle vier Systeme, allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung. Das DGNB fordert eine umfassende Ökobilanzierung des gesamten Gebäudes gemäss DIN ISO 14040 und 14044, wobei in die Bewertung Treibhauspotenzial (GWP100)[10], Ozonbildungs- und -zerstörungspotenzial (ODP), Überdüngungs- und Versauerungspotenzial sowie Primärenergiebedarf (nicht erneuerbar/erneuerbar) einfliessen (Abb. 6). Die Ökobilanzierung bildet bei DGNB mit 13.5 % einen wesentlichen Teil der ökologischen wie auch der gesamten Bewertung. LEED dagegen führt nur für das in Kühlanlagen eingesetzte Kältemittel eine Lebenszyklusbewertung durch, wobei die Bewertungsindikatoren GWP und ODP betrachtet werden. Eine Betrachtung des gesamten Gebäudes findet nicht statt. Auch BREEAM verlangt keine Ökobilanzierung des gesamten Gebäudes, aber eine Einstufung der wichtigsten strukturellen Gebäudeelemente (Aussen- /Innenwände, Fenster, Dach, Geschossdecken, Bodenbeläge) nach 13 Kriterien (Treibhauspotenzial, Eutrophierung, Versauerungspotenzial etc.). Dies geschieht auf Basis des Green Guide[11], der standardisierte Werte für diese Kriterien auflistet. Bis jetzt werden nur die im Gebäude verbauten Materialien, ohne Berücksichtigung weiterer Lebenszyklusphasen wie Nutzung oder Rückbau bewertet. Ausserdem werden bei BREEAM Landschaftsgestaltungselemente und thermische Wärmedämmung des Gebäudes mit dem Green Guide Rating untersucht. Wie LEED bewertet BREEAM das GWP und ODP der verwendeten Kühlmittel und darüber hinaus die Stickoxidemissionen (NOx) der Heizungssysteme. Neubauprojekte, die FCKW-basierende Kühlmittel einsetzen, sind bei LEED ein Ausschlusskriterium. Bei BREEAM dagegen würde damit lediglich ein Kriterium (Begrenzung Treibhauspotenzial Kältemittel Gebäudetechnik) nicht erfüllt. Das Projekt könnte somit trotz FCKW-haltiger Kühlmittel zertifiziert werden. Auch Minergie-Eco 2011 fordert neu eine auf einer Ökobilanzierung aufbauende Berechnung der Grauen Energie.

Schwer vergleichbare Anforderungen an die Energieeffizienz

Die Beurteilung der Energieeffizienz erfolgt unterschiedlich zwischen den Zertifizierungssystemen und ist daher schwer vergleichbar. Die Systeme wenden hauptsächlich nationale Standards und Richtlinien an, die auf die klimatischen, politischen und kulturellen Bedürfnisse der jeweiligen Länder ausgerichtet sind. Ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich vergleicht derzeit die Stärken und Schwächen der verschiedenen Systeme (vgl. untenstehender Kasten).

Erfahrungswerte zeigen, dass beispielsweise neue Gebäude in Deutschland die Anforderungen an die Energieeffizienz nach US-Richtlinien in den meisten Fällen um mindestens 25 bis 30 % unterschreiten.[14] Auch bei LEED und Minergie zeigen sich unterschiedliche Ansätze bei der Energiebilanzierung. LEED fokussiert im Gegensatz zu Minergie auf den gesamten Energiebedarf, d.h., berücksichtigt auch den Verbrauch von Computern, Servern, Kaffeemaschinen, Lifts etc.[15]

Einschätzung und Ausblick

Mit der zunehmenden Internationalisierung der Unternehmen werden immer mehr ausländische Labels versuchen, sich auf dem Schweizer Markt zu behaupten. Nach Einschätzung von Experten wird gerade bei grossen Geschäftsliegenschaften mit global tätigen Mietern die Nachfrage nach zertifizierten Gebäuden steigen. Gleichzeitig ist ein deutlicher Trend hin zu Doppel- bzw. Mehrfachzertifizierungen zu erkennen. In der Schweiz erfolgt die Bewertung meist basierend auf dem nationalen Label Minergie und wird durch eines der marktgängigen internationalen Labels wie LEED oder DGNB ergänzt. Ein Beispiel ist der Prime Tower in Zürich mit gleich drei Gütesiegeln (LEED, Minergie, greenproperty).

Ausländische Labels können und sollten nicht vom Markt ferngehalten werden. Aber in welchem Umfang sich diese am Markt wiederfinden, kann beeinflusst werden. Für die Schweiz wäre es wünschenswert, wenn nicht weitere nationale Standards/Labels etabliert würden, die die Stakeholder eher verunsichern, als dass sie einen Beitrag zum nachhaltigen Bauen leisten. Ein Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBCH) sollte der hiesigen Planungsund Baukultur entsprechen, auf den internationalen und nationalen Labels aufbauen und die bewährten Instrumente nutzen. Angestrebt werden sollte also keine Neuschöpfung, sondern ein System, das die etablierten Ansätze einbindet und zeitgemäss weiterentwickelt.

Bei dieser Erarbeitung wäre ein Top-down-Ansatz wünschenswert, der zuerst die anzustrebenden Ziele definiert und erst in einem zweiten Schritt die dazu notwendigen Messgrössen (Indikatoren) festlegt. Vielfach ist zu beobachten, dass eher ein Bottom-up-Ansatz angewendet wird, der existierende Messgrössen neu zusammensetzt. Dies birgt die Gefahr, dass die Kommunizierbarkeit der Zielsetzung des Bewertungssystems leidet und mehrere Messgrössen das gleiche Ziel verfolgen. Mehr Messgrössen bedeuten aber nicht zwingend mehr Qualität des Systems bzw. mehr Nachhaltigkeit eines Gebäudes; im Gegenteil: Ein System wird durch Doppelspurigkeiten unnötig komplex, was den Planungs-, Bau- und Bewertungsprozess verlängert und damit auch Kosten induziert, die im Sinne des nachhaltigen Bauens sinnvoller in integrative Planungsprozesse, ganzheitliche Lösungsansätze und innovative Konzepte und Technologien investiert wären – wie das im Projekt SNBCH realisiert wird.

Ein nationaler Standard kann dazu beitragen, dass neue, exportfähige Bausysteme und Gebäudetechnologien (weiter)entwickelt werden. Ausserdem kann ein nationaler Standard ein gemeinsames Verständnis des «Nachhaltigen Bauens» fördern und somit ein zielgerichtetes und effizienteres nachhaltiges Bauen unterstützen. Die nächsten zwei bis drei Jahre bleiben also spannend – dann sollte der Markt entschieden haben, welche Standards sich durchsetzen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist aber auch noch sehr viel Grundlagenarbeit zu leisten, was die empirischen Grundlagen der einzelnen Betrachtungsparameter sowie deren Bewertungsskalen anbelangt. Auch die Wechselwirkung der Bewertungskriterien untereinander ist bis anhin nicht Gegenstand eines unabhängigen fachlichen Diskurses geworden.


Anmerkungen:
[01] www.breeam.org
[02] www.usgbc.org
[03] www.dgnb.de/
[04] Verein Deutscher Ingenieure, www.vdi.de
[05] www.sgni.ch
[06] www.bbl.admin.ch/kbob/00477/02476/index.html?lang=de
[07] www.openhouse-fp7.eu
[08] www.credit-suisse.com/ch/real_assets/de/real_estate_switzerland/products/institutionnelle_anleger/cs_ref_green_property_inst.jsp (23.9.2011)
[09] www.abs.ch/de/produkte-dienstleistungen/finanzieren/eigenheim/immobilienrating/
[10] Der Beitrag eines Stoffes zum Treibhauseffekt gemittelt über 100 Jahre
[11] www.bre.co.uk/greenguide/podpage.jsp?id=2126
[12] Schätzung Verein Minergie, November 2011
[13] Preise, Mieten und Renditen. Der Immobilienmarkt transparent gemacht, Zürcher Kantonalbank, 2004
[14] Baumann, O., Reiser, C., Schäfer, J.: Grün ist nicht gleich Grün – Einblicke in das LEED-Zertifizierungssystem. Bauphysik Vol. 31, Issue 2, April 2009
[15] Knüsel, P.: Das amerikanische Label ist strenger. Haustech Nr. 7-8, Juli/August 2010
[16] Ebert, T., Essig, N., Hauser, G.: Zertifizierungssysteme für Gebäude: Nachhaltigkeit bewerten, Internationaler Systemvergleich, Zertifizierung und Ökonomie. Institut für internationale Architektur-Dokumentation, München 2010

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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