Zeitschrift

anthos 2011/4
Poesie
anthos 2011/4
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Weiher-Woge-Wolken

In Erwartung der warmen Wasser des Sommers,
versucht man, die Keilschrift der Lotusblüten zu entziffern,
wie sie von der zufälligen Geometrie der Pflanzen gezeichnet wurde
ähnlich einem Landschaftsgemälde, in dem Himmel und Wolken
die sinnlichen Kurven der Hügel spiegeln.

29. November 2011 - Michel Péna
Am Süd- und Nordhang schwebt der Pass 620 Meter über den Höhen der Cevennen und des Mittelmeeres, das zu fern ist, um noch wirklich sichtbar zu sein, aber doch dank seines starken Charakters so gegenwärtig ist.
Es ist das Mittelmeer, das uns seine wildesten, und auch seine prächtigsten Wolken sendet.
Und so wohnen wir direkt am Meer…
am Wolkenmeer.

Hier sterben die Kastanienbäume an der Tintenkrankheit, so wie Dichter.
Wie der Erzähler Jean-Pierre Chabrol, dessen sanfte Stimme leise von den unendlichen Weiten und den grossen Aufständen der Cevennen berichtet, von Kamisarden und Partisanen der Résistance. Obwohl er uns erzählte, wie sehr der Duft des blühenden Ginsters ihn weniger an den Frühling, sondern vielmehr an den Tod erinnert, den Tod seiner Heimat, so lehnten wir uns dadurch nur noch mehr gegen diesen Tod auf.
Und so wollten wir den rebellischen Cevennen nachrufen, und erschöpft von den wieder erschönten Cevennen träumen.

Also wappneten wir uns, um auf die Landschaft zu wirken.

Nein, nicht zum Gärtnern
Nicht, um «Landschaft zu gestalten»
Sondern zum «Landschaftswirken»

Inspiriert und getrieben von den stürmischen Winden der Erinnerungen der Cevennen und anderer fantastischer Märchen, lehrte uns die Härte, uns diesen Orten zu stellen, an denen es stets und immer wieder um Leben und Tod geht. Wo die Menschen aus eigener Kraft ihr Land aufbauten, mit unendlich vielen aufeinander geschichteten Steinen, mit unendlich vielen Kämpfen.

Ach, es ist fürwahr nicht das «einfache» Südfrankreich der Strände und wolkenlosen, sorgenlosen Himmel.
Aber es ist das harte Land der Freiheit. Zwischen aufsteigendem Saft und abgründigem Hass.
Legt Eure Illusionen ab.

Der Stein muss aufgehoben werden, der stets wieder tief in das verlorene Flüsschen stürzt, fortgespült von sintflutartigen Regen im Herbst, fortgewühlt vom wütenden Rüssel des Wildschweines.
Wahrhafte Dichter müssen sich hier ganz und gar hingeben: Sie errichten Mauern aus schweren Steinen, rammen Pfähle mit dem Vorschlaghammer ein und pflanzen Bäume mit Strahlstöcken.
Also kämpfen wir mit dieser zwiegesichtigen, zugleich freundlichen und schrecklichen, furchteinflössenden Natur.
Und dann, nach so unendlich viel Schweiss, erblickten wir am Horizont, wie die Alpen erschienen, und wie sich die wogenden, provozierenden Kämme der schönen Cevennen abzeichneten.

Wieder entdeckte Quellen
Wieder aufgerichtete Mauern
Wieder eingepflanzte Bäume

Eines Tages nun, angesichts dieser zeitweiligen Gaudi, schlugen wir dem Berg einige Übereinkünfte mit dem Himmel vor.
Wir liessen den Himmel ein, in der Senke zwischen zwei Bergkämmen hindurch.
Bergsenke und Himmel – wir wussten von ihnen, dass sie mythologische, von Adonis und Venus bewohnte Landschaften waren.
Wir stellten uns den Himmel vor, eingeschmiegt in diese Bergsenke; würden wir eine erotische Landschaft erzeugen?

Zweifelsohne offenbarte sich uns hier nur urplötzlich etwas in der tiefgründigen Natur, eine Art Übernatur vielleicht, oder eher eine Subnatur?

Da erinnerten wir uns an diese «béals», die an den Felsenwänden entlang verlaufenden Bewässerungsrinnen, die das Wasser des Flusses Chassezac zu den fruchtbareren Kastanienhainen leiten. Granitblöcke, im Gleichgewicht auf der glatten Platte ruhend und auf unbegreifliche Weise wasserdicht bearbeitet, in denen dieses glasklare Wasser fliesst.
Vielleicht erinnerten wir uns an diese «lavognes», die sanften Bodensenken der trockenen Hochebenen, in denen man eine Handvoll Lehm ansammelte, um eine armselige Pfütze mitten im glühenden Sommer ein wenig vor dem Versickern zu bewahren.

– Einen Himmelsflecken auf den Berg malen –

Und als wäre es von einer anderen Natur angeleitet worden, liess sich das Wasser im Gleichgewicht auf dem Bergkamm nieder.

Seine Gestalt selber sollte zwischen den Felsen hindurch gleiten, den Abgrund meiden, als zwar natürliche Erscheinung, doch von einer anderen Naturhaftigkeit, jener, die dem Wasser oberhalb der Wolken Halt gewährt.

Himmel und Berghöhe halten sich gegenseitig hin.
Hier kommt er und umwirbt sie, streichelt sie. Dort leistet sie ihm Widerstand, gestattet ihm jedoch, ihr näher zu kommen, ja mit ihr zu verkehren.

Ein Bogen geschmeidiger Pflanzen, Huflattich, Gilbweiderich, Schwertlilie, Blutweiderich und Pfefferminze empfangen sanft ihr Liebesspiel.
Ein Strand gegenüber einem Wolkenmeer. Eine Barke, um darauf zu schweben.

Eine flache Vegetation überzieht den südlichen, mit Zistrosen bepflanzten Damm, damit den Horizonten Raum gewährt wird.
Der Damm erhebt sich nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche. Die Böschung neigt sich dem Abgrund zu, um die Ferne und die geschwungenen Kämme des Horizonts näher treten zu lassen.

Die Wolken kehrten im Herbst zurück und luden den Wolkenweiher zu einer Reise in die Ferne ein.
Und so kamen die Dunstschleier des sublimierten Mittelmeeres und umschmeichelten sanft die Südflanken der Cevennen. Luden sie nicht zugleich zu den Reisen Homers ein, und könnte die Insel nicht jene der Zauberin Kirke und der natürlichen Lebensgenüsse sein?

Nun nehme man sein Bad im schwebenden, wohlwollenden Meer, seinen so langsamen Wellen, seinen so sanften Wassern.

Als der Winter kam, verstreuten wir Blütenblätter am Rande des Eises.

Und die Insel schwebt als Block aus Gneis und Quarz, über dem der grossartige Traum der Kirke gleitet.

Denn meine Asche wird sich hier mit meinen griechischen Helden wiedervereinen.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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