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TEC21 2011|48
Erdwärme
TEC21 2011|48
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Tiefengeothermie ohne Nebenwirkungen?

Tiefengeothermie hat längerfristig das Potenzial, einen signifikanten Beitrag zur Stromversorgung der Schweiz zu leisten, noch dazu mit vielen Vorteilen gegenüber anderen erneuerbaren Energien. Dafür muss es aber gelingen, die Technologie, die in der Schweiz erstmals in Basel erprobt wurde, so weiterzuentwickeln, dass keine spürbaren Erschütterungen mehr auftreten können und die Wirtschaftlichkeit steigt. Das vor einem Jahr gegründete Kompetenzzentrum Geo-Energie Suisse bündelt die bisher wenig koordinierten Aktivitäten und arbeitet an vielversprechenden Technologien.

25. November 2011 - Peter Burri, Peter Meier
Die Sicherung unseres künftigen Energiebedarfs ist eine der grössten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, und dies nicht erst seit dem von Bundesrat und Parlament beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie. Zwei Rechenbeispiele können uns die Grösse dieser Aufgabe vor Augen führen: Beispiel 1: Der weltweite Verbrauch an Primärenergie von derzeit 140 Mio. GWh steigt ca. 1.5 – 2 % pro Jahr.[1] Das ist in etwa eine Verdopplung innerhalb der nächsten 40 Jahre. Wenn wir als Gedankenspiel annehmen, dass diese gesamte zusätzliche Nachfrage durch Kernenergie gedeckt werden sollte, so müssten wir weltweit pro Tag ein neues Kernkraftwerk von 1 GW (z.B. Gösgen) ans Netz bringen, und das für die nächsten 40 Jahre. Das ist pro Jahr etwa so viel wie die gesamte Leistung aller heute weltweit bestehenden 440 Kernkraftwerke.

Beispiel 2: Der Stromverbrauch in der Schweiz stieg im Jahr 2010 um 4 % oder 2300 GWh.[2] Das ist fast 50-mal mehr als die gesamte Jahresproduktion der installierten Fotovoltaik in der Schweiz von 50 GWh im Jahr 2009.[3] Die zwei Beispiele zeigen, dass es für die Deckung des künftigen Energiebedarfs keine einfache Lösung gibt – vor allem keine, die auf nur einem einzigen Energieträger beruht. Die Herausforderung kann nur gemeistert werden, wenn wir einerseits Wege zu höherer Energieeffizienz und geringerem Pro-Kopf-Verbrauch finden und anderseits alle wirtschaftlich machbaren erneuerbaren Energiequellen entwickeln. Daneben werden im Übergang auch fossile Brennstoffe weiter eine Rolle spielen müssen, vor allem Gas.

Viele Vorteile

Eine erneuerbare Energiequelle mit grossem Potenzial ist die Tiefengeothermie. Die Erde ist ein riesiges Wärmereservoir, das sich – durch den natürlichen Zerfall von radioaktiven Elementen in der Kruste – ständig selbst erneuert. In 5000 Metern Tiefe werden auch in nicht vulkanischen Gebieten Temperaturen von 150 bis über 200 °C erreicht. Theoretisch würde die Erdwärme ausreichen, um den globalen Energiebedarf zu decken. Auch wenn nicht die ganze Energiemenge abgeschöpft werden kann, hat Erdwärme den grossen Vorteil, dass sie zeitlich uneingeschränkt Energie liefern kann (konstante Bandenergie). Hier besteht der grosse Unterschied zu Energiequellen wie Wind und Sonne, die immer Ersatzenergien zur Kompensation ihres schwankenden Energieangebotes bedingen. Andere erneuerbare Energieträger, die ebenfalls Bandenenergie erzeugen, besitzen entweder ein beschränkt ausbaubares Potenzial (Wasserkraft) oder sind von der verfügbaren Menge her limitiert (Biomasse). Weitere Vorteile geothermischer Kraftwerke sind, dass sie das Landschaftsbild kaum beeinträchtigen und keine Abfälle oder Abgase produzieren.

Tiefengeothermie: Zwei verschiedene Systeme möglich

Geothermie wird in der Schweiz bereits genutzt: Rund ein Drittel aller neuen Heizungen sind Wärmesonden und nutzen damit oberflächennahe Erdwärme.[4] Für eine grössere Wärmeproduktion oder für die Stromerzeugung braucht es aber höhere Temperaturen und damit viel tiefere Bohrungen. Bei dieser sogenannten Tiefengeothermie kommen zwei verschiedene Systeme zur Anwendung: Bei hydrothermalen Systemen wird ein von Natur aus durchlässiges, wasserführendes Gestein – meistens Sedimente – in wenigen tausend Metern Tiefe angebohrt und als «Durchlauferhitzer» genutzt, indem in einem Kreislauf kaltes Wasser in die Tiefe gepumpt wird, das sich dort erhitzt und dann wieder an die Oberfläche gelangt, wo mittels Dampfturbine und Generator Strom erzeugt wird. Für eine effiziente Stromerzeugung sind Temperaturen von mehr als 150 °C erforderlich und damit grössere Tiefen, in denen das Gestein oft dicht und undurchlässig ist. Der «Durchlauferhitzer» muss daher in diesen sogenannten petrothermalen Systemen künstlich erzeugt werden, indem das Gestein durch Einpressen von Wasser aufgebrochen wird («Enhanced Geothermal Systems» [EGS]) (Abb. 1, 2).

Hydrothermale Systeme nur an wenigen Orten realisierbar

Hydrothermale Wärmekraftwerke gibt es in Europa seit Jahrzehnten (vgl. TEC21 11/2007). Im Pariser Becken und im deutschen Alpenvorland sind über 50 in Betrieb. Strom wird erst in wenigen Anlagen produziert, z.B. im grossen Rahmen aus vulkanisch geheizten Aquiferen in der Toskana (Larderello) mit einer Leistung von wenig unter 1 GW sowie in wenigen kleinen Anlagen im Rheingraben und in der Region München mit meist unter 5 MW elektrischer Leistung. Wirtschaftlich ist das wegen der relativ tiefen Wassertemperaturen nur, wenn gleichzeitig auch die Wärme genutzt wird. In der Schweiz wurden bisher, mit Ausnahme von Basel, nur hydrothermale Projekte getestet (Abb. 5). Hydrothermale Systeme verlangen aber geologische Situationen, die generell relativ selten anzutreffen sind: Sedimente kommen in grösseren Tiefen – mit Temperaturen, die auch Stromerzeugung ermöglichen – nur in einer schmalen Zone im Alpenvorland vor. In der Schweiz kommt erschwerend hinzu, dass die in Bayern angetroffenen Aquifere westwärts, also gegen die Schweiz zu, weniger durchlässig sind und daher oft zu wenig Wasser liefern. Die Erkundungsbohrung des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich im Triemli-Quartier traf vor zwei Jahren z.B. kein genügend durchlässiges Gestein an. Hydrothermale Systeme werden daher in Zukunft zwar möglicherweise einen wertvollen Beitrag leisten, die Energieversorgung der Schweiz aber nicht wesentlich verbessern.

Petrothermale Systeme schweizweit möglich

Diese Voraussetzungen legen in der Schweiz eine Konzentration auf petrothermale Systeme nahe, denn diese Technik könnte theoretisch überall in der Schweiz angewandt werden. Erstmals ist die künstliche Schaffung eines grossen durchlässigen Systems im tiefen Untergrund im Jahr 2006 bei der 5000 Meter tiefen Bohrung Basel-1 gelungen. Dabei traten allerdings entgegen den Erwartungen mehrere von der Bevölkerung wahrnehmbare Erdbeben auf, die zum Abbruch des Projektes führten. Trotzdem konnten wertvolle Erfahrungen mit der Schaffung eines künstlichen Durchlauferhitzers im Granit gesammelt werden. Nach Schätzungen der Axpo liessen sich in der Schweiz rund 17 TWh Elektrizität pro Jahr mit Geothermie erzeugen. Das ist mehr als das Potenzial von Wind, Sonne und Biomasse zusammen (Abb. 7).5 Allein mit hydrothermalen Kraftwerken ist dieses Potenzial nicht realisierbar. Das BFE rechnet daher viel vorsichtiger mit 4 bis 5 TWh.[6] Gelingt es aber, die petrothermale Technik weiterzuentwickeln und entsprechende Kraftwerke ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu realisieren, sind die Zahlen der Axpo realistisch.

Herausforderungen und Hindernisse

Während hydrothermale Geothermieanlagen eine gewisse technologische Reife erlangt haben, steht die Technologie bei petrothermalen Projekten weltweit immer noch im Entwicklungsstadium. Die Herausforderungen liegen im künstlichen Aufbrechen des Gesteins und in den möglichen Nebenwirkungen, die die Erzeugung von Rissen im Untergrund haben kann. Dabei werden durch Einpressen von Wasser unter hohem Druck (bis zu einigen 100 bar) in den Untergrund bestehende Klüfte und Schwächezonen aufgebrochen. Diese Methode wird in der Öl- und Gasindustrie seit Jahrzehnten weltweit angewandt, um die Durchlässigkeit des Gesteins und damit die Produktionsraten zu steigern. Das geschieht aber stets in Sedimentgesteinen und nicht in kristallinem Gestein, der häufigsten Gesteinsart in den Tiefen, die in der Schweiz für petrothermale Anlagen infrage kommen (Abb. 6). Jedes Aufreissen einer Kluft erzeugt ein akustisches Signal, das von empfindlichen Instrumenten an der Oberfläche als Erschütterung aufgezeichnet werden kann. Die Signale erlauben ein Orten der entstandenen Risse. In der Bohrung Basel-1 wurden etwa 15 000 einzelne Erschütterungen gemessen, von denen fünf bis sechs stark genug waren, um vom Menschen wahrgenommen zu werden. Die aufgezeichneten Risssignale erlauben es den Wissenschaftern, genau zu erkennen, wie gross das künstlich geschaffene Reservoir ist; in Basel wäre eine zweite Bohrung in diese «Risswolke» hineingebohrt worden, um einen Wasserkreislauf installieren zu können (Abb. 2 und 3).

Aus diesem hydraulischen Aufbrechen ergeben sich auch die wesentlichsten Fragen zur Anwendung der Methode. Die künftigen Pilotprojekte müssen zeigen, dass das Aufbrechen (Fracturing) ohne leicht wahrnehmbare Erschütterungen erfolgen kann und dass sich die Methode schweizweit vielfach und innerhalb wirtschaftlicher Vorgaben anwenden lässt.

Verbesserte Technologie aus der Öl- und Gasindustrie

Die Resultate aus Basel und weitere Forschungsergebnisse aus der Felsmechanik zeigen, dass die Magnitude der Erschütterungen mit verbesserten Methoden mit hoher Wahrscheinlichkeit kontrolliert werden kann. Dazu werden vor allem erprobte Techniken aus der Öl- und Gasindustrie beigezogen: von einer senkrechten Bohrung gehen in der Tiefe viele horizontale Bohrungen ab, was für ein wesentlich grösseres Volumen sorgt, aus dem Gas bzw. Wärme gewonnen werden kann (Abb. 4). Dieses grössere Gesteinsvolumen könnte dann mit wesentlich mehr, dafür aber sanfteren Stimulationen aufgebrochen werden, sodass in Kombination mit einem genauen Überwachungssystem die Erschütterungsnormen eingehalten werden könnten.

Technologien, die aus der Öl- und Gasindustrie übernommenen werden können, sind zwar ausgereift und vielfach erprobt, aber oft teuer. Da gefördertes heisses Wasser nicht denselben Preis wie Öl oder Gas erzielt, müssen die Bohrkosten wesentlich gesenkt werden, etwa durch Standardisierung und das Erstellen von serienmässigen Geothermieanlagen Trotzdem lässt sich jetzt schon zeigen, dass geothermische Stromgewinnung innerhalb der erneuerbaren Energien konkurrenzfähig ist.[5] Kraftwerke in Deutschland, die Strom und Wärme erzeugen, wie Unterhaching bei München oder Landau in Rheinland-Pfalz, können bereits wirtschaftlich betrieben werden. Eine attraktive Möglichkeit für die Schweiz wäre, kleine, dezentrale Gaskombikraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung mit Geothermiekraftwerken zu kombinieren. Damit würde es möglich, Gaskombikraftwerke mit einer wesentlich besseren CO2-Bilanz zu erstellen.

Zu wenig Informationen über den Schweizer Untergrund

Ein Handicap in der frühen Phase der Exploration für Tiefengeothermie ist die Tatsache, dass der tiefe Untergrund der Schweiz sehr viel schlechter mit Seismik und Bohrungen untersucht ist als in unseren Nachbarländern. Nachdem die Industrie bisher bereits über 200 Mio. Franken in tiefengeothermische Projekte investiert hat, böte sich hier die Möglichkeit zur Förderung einer Zukunftstechnologie auf Bundesebene, ohne dass der Bund direkt in Kraftwerkprojekte investieren müsste. Eine regionale Erforschung der Schweiz mit Explorationsbohrungen, kombiniert mit moderner Seismik, wäre dringend notwendig, auch für viele andere Nutzungen des Untergrunds wie CO2-Lagerung (vgl. TEC21 37/2011), Untergrundspeicher z.B. für Gas, Wassernutzung, Lagerung von Schadstoffen, Erdöl- und Erdgasexploration sowie auch für die Erdbebenforschung und -vorhersage. Eine solche Erforschung des tiefen Untergrundes der Schweiz würde allerdings Investitionen von mehreren hundert Millionen Franken bedingen.

Neues Kompetenzzentrum bündelt die Schweizer Aktivitäten

Bei der Erforschung der Geothermie in der Schweiz ging es bisher immer um lokale Einzelprojekte, deren Auswahl oft mehr von lokalpolitischen Faktoren bestimmt wurde als von der technisch-geologischen Eignung. Zwischen den Projekten gab es wenig Erfahrungsaustausch, sodass das Risiko besteht, dass Fehler wiederholt werden – ein teures Vorgehen, denn Tiefengeothermie-Projekte verlangen Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe und sind in der Explorationsphase risikoreich. Aus dieser Erkenntnis heraus haben sieben Schweizer Energiefirmen Ende 2010 die Firma Geo-Energie Suisse gegründet, um Risiko und Kosten der Pionierprojekte in der Tiefengeothermie zu teilen.[8] Ziel ist es, ein Inventar der idealen Standorte zur geothermischen Stromgewinnung in der Schweiz zu erstellen, die Technologie mit den Erfahrungen aus dem Basler Projekt weiterzuentwickeln und dann gemeinsam ab ca. 2014 die technisch, wirtschaftlich und politisch besten Standorte mit Bohrungen zu testen. Geo-Energie Suisse setzt dabei aus oben genannten Gründen den Schwerpunkt auf petrothermale Systeme. Neben Strom wird dabei als Nebenprodukt auch Wärme erzeugt, deren Nutzung beim Projekt in Basel aus wirtschaftlichen Gründen zwingend war. Mit der Erhöhung der Effizienz petrothermaler Systeme wird sich der Schwerpunkt mehr auf die Erzeugung von Elektrizität verlagern. Damit wären die Projekte nicht mehr an die Nähe zu Wärmeverbrauchern gebunden und könnten theoretisch überall erstellt werden.

Ausblick

Wenn es gelingt, die Technologie der Erzeugung von künstlichen Risssystemen im kristallinen Untergrund wie oben angedeutet weiterzuentwicklen, könnten in der Schweiz im Prinzip hunderte solcher Geothermiekraftwerke gebaut werden. Geologisch kommen dafür die meisten Gebiete der Schweiz infrage (Abb. 6). Geothermiekraftwerke eignen sich daher ideal für die geplante dezentrale Energieversorgung des Landes. Wenn sich die Umweltverträglichkeit von petrothermalen Kraftwerken auch im Hinblick auf Erschütterungen klären lässt, können auch wieder Geothermiekraftwerke in Nähe der Ballungszentren gebaut werden, wo zusätzlich zum Strom noch Wärme genutzt werden kann.


Anmerkungen:
[01] BP Statistical Review of World Energy, 2011
[02] Bundesamt für Energie: Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2010
[03] Bundesamt für Energie: Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2010
[04] HEV: Bohrung einer Erdsonde für die Wärmepumpe; www.hev-schweiz.ch/bauen-wohnen/ heizsysteme
[05] Axpo: Strom für heute und morgen, Stromperspektiven 2020 – neue Erkenntnisse. 2010, 2. Auflage
[06] Grundlagen für die Energiestrategie des Bundesrates. Bundesamt für Energie, Mai 2011
[07] P. Burri: A Revolution in Gas, Swiss Bulletin for Applied Geology Vol. 15/2 2010
[08] Azienda Elettrica Ticinese (AET), Elektra Baselland (EBL), Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz), EOS Holding SA (EOS), Energie Wasser Bern (ewb), Gasverbund Mittelland AG (GVM), Industrielle Werke Basel (IWB)

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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