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TEC21 2011|48
Erdwärme
TEC21 2011|48
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Klimafreundliches Bauen geht in den Untergrund

Erdwärmespeicher ermöglichen die saisonale Speicherung von sommerlicher Abwärme im Untergrund, damit sie im Winter zum Heizen genutzt werden kann. Bei der Konzeption solcher Speicher gilt es, den Bauaufwand gegen die gewünschte Speichertemperatur abzuwägen. Vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Wohn- und Gewerbegebäuden bietet sich die Integration in ein Anergienetz an, das Gebäude mit unterschiedlichen thermischen Bedürfnissen miteinander verbindet.

25. November 2011 - Leonid Leiva
Der emissionsarme Betrieb von Gebäuden ist im Zuge des Klimawandels zu einer wichtigen Rahmenbedingung modernen Bauens geworden. Gebäude, deren Beheizung und Kühlung möglichst ohne fossile Brennstoffe auskommt, sind ein wichtiger Beitrag dazu. Ein Konzept, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist die saisonale Speicherung von niederwertiger Wärme und Kälte im Gründungsbereich von Gebäuden. Diese erst seit ein paar Jahrzehnten zunächst theoretisch verfolgte Idee sieht die Lagerung von überschüssiger Sommerwärme im Untergrund vor sowie deren späteren Bezug zu Heizzwecken im Winter, entweder direkt oder mittels Wärmepumpen. Das Konzept ermöglicht gleichzeitig die Speicherung von Kälte zur Kühlung in den Sommermonaten: Indem die Wärme während der kalten Jahreszeit vollständig aus dem Speicher bezogen wird, entsteht dort eine Wärmesenke, in die der sommerliche Wärmeüberschuss befördert werden kann. Dieser Wärmeüberschuss, der gespeichert wird, stammt von Kühlprozessen, Industrieprozessen, anderen Abwärmequellen oder aus Solarkollektoren. Durch die saisonale Speicherung ergibt sich somit ein doppelter Gewinn: Zum einen wird der Bedarf an aufwendiger Kühlung reduziert und zum anderen die Abwärme, die bisher an die Umgebung abgegeben wurde, vorerst gespeichert und später im Gebäude selbst genutzt – Energiekreisläufe werden geschlossen.

Konzeption von Erdwärme speichern

In den Untergrund geleitet wird die Wärme mittels Erdwärmesonden. Die Bohrtiefen, in denen die Speicher angelegt werden, reichen von 20 bis 250 Metern. Durch die U-förmigen Sonden aus Polyethylen fliesst eine Flüssigkeit – Wasser oder ein Gemisch aus Wasser und Glykol, die als Wärmeträger fungiert. Das Bohrloch wird um die Sonden herum mit einem Material verfüllt, das den Wärmeübertragungswiderstand zwischen Wärmeträgerfluid in der Sonde und umgebendem Erdreich senkt (vgl. Artikel «Optimierung von Erdwärmesonden» S. 11). Die Sonden werden in Rastern oder als konzentrische Ringe angeordnet mit einem Abstand zwischen den Sonden, der je nach der angestrebten Temperaturverteilung und Bohrtiefe zwischen 2 und 7 Metern schwanken kann. Oft wird die Wärme nur im zentralen Bereich gespeichert – mit dem Ergebnis, dass die Mitte des Speichers eine höhere Temperatur aufweist als dessen Randbereich. Extrahiert wird die Wärme dann zunächst aus dem äusseren, kälteren Bereich und später aus der wärmeren Region in der Mitte. Dieses Be- und Entladekonzept minimiert die Wärmeverluste, die sich durch die Angleichung der Speichertemperatur an jene der Umgebung des Erdwärmespeichers ergeben würden. Insgesamt können diese Verluste bis zu 20 % der gespeicherten Energie ausmachen.

Erforderliche Eigenschaften des Untergrundes

Ideal für einen Erdwärmespeicher ist der Untergrund, wenn er aus wassergesättigten Tonen oder Tonsteinen besteht. Neben einer relativ hohen Wärmeleitfähigkeit des Erdreichs ist auch eine geringe Wasserdurchlässigkeit wichtig, denn die Präsenz von Grundwasser ist einem Erdwärmespeicher generell abträglich. Wasser, vor allem wenn es grosse Strömungsgeschwindigkeiten aufweist, kann die Wärme sehr effizient vom Speicher wegtragen. Deshalb wird ein Erdwärmespeicher in der Regel oberhalb des Grundwasserhorizonts angelegt. Dies limitiert an manchem Standort die erreichbare Bohrtiefe und somit die mittlere Temperatur im Speicher, aber dieser Nachteil kann in den meisten Fällen mit mehr Sonden wettgemacht werden. Dies allerdings vergrössert die vom Speicher in Anspruch genommene Fläche. Die Wärmeleitfähigkeit des Untergrundes sollte weder zu hoch noch zu tief sein: Ist sie zu tief, kann nur wenig Wärme übertragen werden, ist sie zu hoch, mehren sich die Verluste. Grundwasser kann zwar als Speicher dienen, aber nur, wenn die Strömungsgeschwindigkeit tief ist.

Wärmenutzung via Erdwärmesonden oder direkt

Eine bei der Planung eines Erdwärmespeichers häufig auftretende Fragestellung betrifft die optimale Bohrtiefe. Je tiefer gebohrt wird, desto höher wird die mittlere Erdtemperatur, die dann näher bei der Speichertemperatur zu liegen kommt. Durch den kleineren Temperaturgradient werden die Wärmeverluste minimiert. Doch Bohrungen sind teuer: Die Kosten pro Bohrmeter schwanken je nach Untergrund zwischen 60 und 120 Franken. Und in der Regel braucht ein Erdwärmespeicher zwischen 30 und mehreren hundert Sonden. Deshalb muss das Optimum der Bohrtiefe zwischen Speichertemperatur, mittlerer Erdtemperatur, Menge bzw. Temperatur der Abwärme und Bohrkosten gesucht werden.

Die Investition in einen Speicher ist abhängig von dessen Grösse. Die Grösse wiederum hängt eng mit der Frage nach der erwünschten Speichertemperatur sowie mit der Entscheidung zusammen, ob Wärmepumpen verwendet werden oder die Wärme direkt extrahiert wird. Ist der Speicher für hohe Temperaturen (über 50 °C) ausgelegt, muss er ein grosses Volumen einnehmen. Dies liegt daran, dass es bei grösseren Volumina leichter ist, das Oberflächen-Volumen-Verhältnis und somit die Wärmeverluste durch Kontakt mit der kälteren Umgebung zu reduzieren. Höhere Temperaturen bieten den Vorteil, dass die Wärme direkt, also ohne Veredelung durch eine Wärmepumpe, genutzt werden kann. Das heisst, bei der Entscheidung über Grösse und Temperatur des Speichers muss der Bauaufwand gegen die Investition in eine Wärmepumpe abgewogen werden.

Anergienetze nutzen Synergien

Matthias Sulzer, Geschäftsführer der Gebäudetechnikfirma Lauber Iwisa AG und Dozent für Energie- und Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, beschäftigt sich mit dem systemischen Verhalten von Erdwärmespeichern. Er ist ein Befürworter von eher tiefen Speichertemperaturen unter Verwendung von Wärmepumpen, denn tiefe Speichertemperaturen ermöglichen auch die Speicherung von tiefwertiger Energie (Anergie, vgl. Kasten und Abb. 1 S. 21), wie sie in vielen Prozessen als Abwärme anfällt. Die Speicher sollten dann entsprechend in ein Anergienetz integriert werden. Solche Anergienetze nutzen Niedertemperaturwärme (8 bis 20 °C) aus Kühlprozessen, Tunnelwärme oder Solarwärme aus einem Verbund von Wohn- und Gewerbegebäuden. Durch deren thermische Vernetzung lassen sich die Synergien zwischen den Gebäuden nutzen, weil Bürogebäude eher Kühlungsbedarf haben, während Wohnhäuser hauptsächlich Heizwärme brauchen. Die aus der Kühlung der Bürogebäude anfallende Überschusswärme kann daher zur Beheizung von Wohnungen genutzt werden. Weil die beiden Prozesse in verschiedenen Jahreszeiten stattfinden, sind dafür allerdings Langzeitspeicher notwendig. Aus diesem Anergienetz können Wärmepumpen laut Sulzer günstig und effizient mit Quellwärme versorgt werden. Somit müsse nicht jeder einzelne Hausbesitzer eigene, teure und schlecht genutzte Erdwärmesonden bohren. «Und das Bankgebäude zwei Strassen weiter muss nicht mit grossen Investitionen die Abwärme aus dem Serverraum über Kühltürme an die Umwelt abgeben.»

Verschiedene Ansätze in der Praxis

Dieser Ansatz wird inzwischen auch bei Projekten verfolgt, die ursprünglich als Hochtemperaturspeicher konzipiert wurden. In Neckarsulm (D) beispielsweise wurde ein Erdwärmespeicher für Temperaturen bis 70 °C geplant, damit eine Direktnutzung möglich wäre. Nach zehn Jahren Betriebserfahrung wird er nun gemäss Empfehlungen von Experten der Universität Stuttgart in ein neues Nutzungskonzept überführt und mit einer Wärmepumpe kombiniert.[1] Dadurch gewinnt das System an Robustheit, denn dank der Wärmepumpe ist es weniger empfindlich gegen Schwankungen der Speichertemperatur. Bei einer direkten Nutzung würde die Heizung nicht funktionieren, wenn der Speicher zu «kalt» ist. Von Anfang an mit einem Niedertemperatur-Anergienetz geplant wurde das Areal «Suurstoffi », das derzeit als neues Quartier in der Gemeinde Risch Rotkreuz ZG entsteht (Abb. 2–5).[2] Die Überbauung mit rund 600 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätzen soll mithilfe eines saisonalen Erdwärmespeichers ihren Wärmebedarf völlig CO2-frei decken. Eine Fotovoltaikanlage vor Ort deckt den Strombedarf sämtlicher haustechnischer Anlagen. Ähnliche Konzepte werden auf dem Hönggerberg-Campus der ETH Zürich, bei der Familienheim- Genossenschaft Zürich sowie auf dem Richti-Areal in Wallisellen ZH implementiert (vgl. Kasten S. 24).

Auf höhere Speichertemperaturen für eine Direktnutzung der Wärme ohne Wärmepumpen setzt hingegen Basler & Hofmann beim eigenen Geschäftsgebäude in Esslingen, das vor rund einem Jahr fertiggestellt wurde (Abb. 8). Dessen Beheizung stützt sich auf Erdwärmespeicher im Untergrund. Die Direktnutzung des Speichers soll dank einem modernen Heizsystem mit einer tiefen Vorlauftemperatur von 26 °C möglich sein, denn dadurch genügt es, den Speicher im Sommer auf rund 35 °C aufzuwärmen. Die Planer wussten, dass diese Temperatur erst nach fünf Jahren erreichbar wäre. Das hatten Berechnungen der Fachhochschule Tessin gezeigt und daraufhin war der Einsatz einer Wärmepumpe zur Heizunterstützung in den ersten Heizperioden vorgesehen worden. Aber eine Überraschung kam hinzu: Zu Beginn der ersten Heizperiode nach dem Erstbezug des Gebäudes im Oktober 2010 hatte der Speicher noch nicht die geplante Temperatur von 28 °C erreicht, sondern erst 23 °C. Dies wird vonseiten der Planer bei Basler & Hofmann in erster Linie auf das Auftreten von Hangwasser im Bereich des Speichers zurückgeführt. Das Hangwasser habe Wärme aus den oberen Metern des Speichers weggetragen. Wenn es gelingt, das Durchsickern von Wasser zu verhindern, sollte sich der Speicher in den vorgesehenen fünf Jahren aber in den optimalen Temperaturbereich einschwingen. Allerdings bleibt die genaue Temperatur im Speicher nach wie vor von kaum kalkulierbaren Faktoren abhängig wie von der Sonneneinstrahlung und deren zeitlicher Verteilung, von der Aussentemperatur im Winter oder vom Komfortbedürfnis der Nutzer. In Esslingen zum Beispiel ging man bei der Planung von einer Raumtemperatur von 21 °C im Winter aus; die Nutzer fanden es aber erst bei 23 °C behaglich, sodass dem Speicher entsprechend mehr Wärme entnommen werden musste. Die lange «Einfahrtzeit», bis die Speicher mit Wärme gefüllt sind und optimal genutzt werden können, ist ein weiterer Grund, der für niedrige Speichertemperaturen spricht. Ein Speicher mit einer Temperatur bis zu 20 °C würde sich laut Sulzer in weniger als drei Jahren füllen. Sulzer ist überzeugt, dass Erdwärmespeicher in Kombination mit Wärmepumpen und Anergienetzen einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz in der Schweiz leisten können.

Wenn in den nächsten 20 Jahren die klima- und energiepolitischen Ziele umgesetzt werden sollen, müsse man mindestens 60 % der Ölheizungen (ca. 30 000 GWh/a) durch Wärmepumpen ersetzen. Sulzer:«Um diese Wärmepumpen vor allem in dicht bebauten Gebieten effizient und kostengünstig zu versorgen, sind Anergienetze erforderlich.» Erdwärmespeicher würden den Ausgleich zwischen Wärmeeintrag in und Wärmebezug aus dem Anergienetz gewährleisten. «Ich bin überzeugt», sagt Sulzer, «dass solitäre Wärmespeicher und Wärmegewinnungsanlagen in dicht bebauten Gebieten weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll sind. Eine thermische Vernetzung solcher Gebiete ist ebenso sinnvoll wie die heutige elektrische Vernetzung.»


Anmerkungen / Literatur:
[01] Mündliche Auskunft von Thorwald Ritter, Stadtwerke Neckarsulm (D)
[02] www.suurstoffi.ch – Thomas Schmidt, Hans Müller-Steinhagen: Erdsonden- und Aquifer-Wärmespeicher in Deutschland. OTTI Profiforum Oberflächennahe Geothermie, Regenstauf, 14.–15. April 2005

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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