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TEC21 2011|49-50
Mit aller Gewalt
TEC21 2011|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Verzerrte Bögen auf massiven Auflagerkraken

Planung und Ausführung der Sheikh Zayed Bridge in Abu Dhabi waren ein regelrechter Kraftakt: Der Entwurf der Architektin Zaha Hadid basiert auf statisch denkbar ungünstigen Formen. Die Ingenieure des Genfer Unternehmens Archirodon Construction setzten die gestalterische Idee mit allen ihnen zur Verfügung stehenden technischen Mitteln um und entwickelten speziell auf diese Brücke zugeschnittene Konstruktions- und Montageverfahren. Mit kolossalem Aufwand ist es ihnen gelungen, eine funktionstüchtige und spektakuläre Brücke zu erstellen. Ein technischer Bericht.

Der Maqta-Kanal trennt die Insel von Abu Dhabi vom Festland. Die Sheikh Zayed Bridge am nördlichen Ende des Kanals, die am 25. November 2010 nach sieben Jahren Bauzeit eingeweiht worden ist, beruht auf einem Entwurf der irakisch-britischen Architektin Zaha Hadid. Die Baukünstlerin hat sie als monumentales Bauwerk entworfen, das Verbundenheit und Stolz ausdrücken soll (vgl. «Unvernünftig, teuer und doch faszinierend»), indem es ein Motiv der dortigen Natur aufgreift: Das Konzept der ineinanderfliessenden wellenförmigen Bögen, die das Tragwerk der Brücke bilden, entwickelte Hadid in Anlehnung an die zufälligen Wellenlinien der vom Wind geformten Sanddünen. Diese Formen sollen die erstarkende wirtschaftliche Kraft und die Bedeutung von Abu Dhabi ausdrücken und dabei leicht und dynamisch erscheinen. Doch die Errichtung der Brücke war für die Ingenieure und Bauteams eine enorme Herausforderung.

Statisch kluge Prinzipien bleiben ungenutzt

Die Gesamtlänge der Brücke beträgt 840 m (Abb. 3). Sie ist in elf Abschnitte aufgeteilt, deren Längen an den Enden 60 m und im mittleren Bereich 140 m betragen. Drei Bogenpaare, die wie Dünen aus dem Meer tauchen, tragen die Fahrbahn. Manchmal fädeln sich die Bogenpaare zwischen den beiden Fahrbahnen hindurch, dann wieder befinden sie sich an deren Aussenseite. Die Stahlbögen und Betonpfeiler bilden ein 600 m langes, vom westlichen bis zum östlichen Hauptpfeiler durchgehendes monolithisches System. In der Ansicht sind die Bögen verzerrt, was für den Kräftefluss nicht optimal ist: Dadurch entfällt das statische Prinzip der Bogenbrücke, bei der vertikale Lasten nur durch Druckkräfte im Bogen in den Baugrund geleitet werden. Infolgedessen sind die tragenden Bauteile bis aufs Äusserste ausgereizt, und komplizierte Konstruktionsdetails, umfangreiche temporäre Hilfskonstruktionen und unverhältnismässig aufwendige Ausführungsmethoden sind notwendig.

Tragsystem aus Stahl und Beton

Die Bögen oberhalb des Fahrbahnniveaus bestehen aus 5 m breiten und bis zu 8 m hohen Stahlkastenquerschnitten. An ihnen sind die Hängekabel verankert, an denen die Fahrbahnträger aus Beton aufgehängt sind. Unterhalb der Fahrbahn gehen die Bögen in die Pfeiler aus Beton über (Abb. 4). Fundiert sind die drei Bogenpaare in vier Auflagerbereichen; diese Fundamente wurden in doppelwandigen Senkkästen errichtet, die insgesamt 5500 t Spundwände benötigten. Die Bauunternehmung errichtete alle vier Senkkästen gleichzeitig, um bei allen vier im Meer stehenden Pfeilern gleichmässig voranzukommen. Die Senkkästen waren zunächst bis zum Hochwasserniveau von 2.0 m mit Sand gefüllt, um 670 Bohrpfähle mit je 1.5 m Durchmesser und Längen zwischen 25 und 30 m abzuteufen. Die Sandfüllung diente dabei als Standfläche für die Bohrgeräte. Danach wurden die Senkkästen bis 6 m unter Meeres- niveau ausgeschachtet und die massiven, 5 m starken Fundamentplatten erstellt. Die 3000 m³ grossen Betonierabschnitte der vier je 15 000 bis 20 000 m³ grossen Fundamentplatten wurden thermisch voneinander isoliert, um die Temperaturdifferenz zwischen den Abschnitten unter 15 °C und gleichzeitig die Maximaltemperatur unter 65 °C zu halten. Die Ingenieure ersetzten dafür ausserdem 70 % des gewöhnlichen Portland-Zements in der Betonmischung durch GGBS- Hüttensand (granulierte Hochofenschlacke). Die Überwachung der Temperaturentwicklung nach dem Ausgiessen bestätigte das erwartete thermische Verhalten.

Durchgehende Wellen und eingehängte Fahrbahn

Jeder der drei wasserständigen Pfeiler trägt mit jeweils zwei seitlichen Kragarmen (M1 und M2, M8 und M9 bzw. S1 und S2 in Abb. 3) den als Gerberträger dazwischengehängten Fahrbahnträger. Die beiden inneren Arme nehmen jeweils die beiden parallelen Stahlbögen etwa auf Fahrbahnhöhe auf. Diese Pfeilerformen erforderten umfangreiche 3D-Modelle und -Entwürfe für die temporären Stützen und Schalungen, die Detaillierung der Bewehrung sowie die nachträgliche Vorspannung.

Jeder der drei Meerespfeiler wurde in 20 Etappen von bis zu 500 m³ Volumengrösse unterteilt und mithilfe eines speziell angefertigten Gerüst- und Schalungssystems gebaut; die eigens entworfenen Schalungsplatten ermöglichten die geschwungenen Oberflächen. Wegen der komplexen Schalungsgeometrie, der teilweise bis zu 45° geneigten Betonabschnitte und der anspruchsvollen Bewehrungsführung in diesen Etappen war die Errichtung der Pfeiler schwieriger und zeitaufwendiger als zunächst angenommen.

Aufgeteilt in Segmente und aufwendig verbunden

Die Parallelbögen sind in 22 Segmente aufgeteilt. Ihr Gewicht von 400 bis 650 t und ihre Grösse sind abgestimmt auf Herstellung, Transport und Montage. Die 18 Segmente der Haupt- und der Marina-Bögen wurden im thailändischen Rayong hergestellt, diejenigen des Sekundärbogens aus terminlichen Gründen in Dubai. Die Herstellung und der testweise Zusammenbau auf dem Werkgelände erfolgte in seitlich liegender Position. Anschliessend brachten Schwerlastschiffe die Segmente zum Handelshafen von Abu Dhabi, wo die Bauunternehmung sie auf ihre eigenen Lastkähne umlud.

Damit die Segmente angehoben werden konnten, mussten sie auf der Baustelle in eine aufrechte Position gebracht werden. Dies bewerkstelligte ein Rotator – eine speziell angefertigte Vorrichtung, die Stahlsegmente aus der Position «Steg nach unten» in die Position «unterer Flansch nach unten» drehte und sie dann senkrecht anhob. Zudem ermöglichte ein riesiger Portalkran mit drehbarem Schlitten das Heben, Drehen und Neigen der Segmente in alle drei Raumrichtungen, wodurch eine exakte Positionierung gewährleistet war (vgl. Titelbild). Das Hubsystem bestand aus sechs vierfüssigen Türmen mit bis zu 60 m Höhe, die in einer Rechteckfläche von 40 mal 32 m positioniert wurden. Auf den beiden Hauptträgern oben auf den Türmen glitt der Kranträger. Obenauf befand sich der drehbare Schlitten, der sich mittels vier langhubiger, doppelt wirksamer Hydraulikzylinder 360° um seine senkrechte Achse drehen konnte. Die vier Litzen-Hubsysteme mit je 330 t Tragkraft wurden auf dem oberen Rahmen des drehbaren Schlittens befestigt. Zwischen den Türmen befanden sich die temporären Zwischenauflagen der Bögen. Jede Auflage hatte zwei verriegelbare hydraulische Stempel mit je einer Tragkraft von 600 t, um geometrische Anpassungen und Lastanpassungen zu ermöglichen.

Während der Montage schlossen die Stahlbögen gelenkig an die Pfeiler an. Spalten von 100 mm wurden an den Bogenenden vorübergehend mit Abstandhaltern offen gelassen, um thermische Bewegungen zu ermöglichen. Sobald ein Segment aufgerichtet war, verklemmte man es mit dem vorher platzierten Segment, damit sie sich während des Schweissens nicht gegeneinander verschoben. Das Verbindungssystem zwischen zwei Segmenten besteht aus bis zu 120 hochfesten 30 mm dicken Zugstangen sowie 250 mm hohen und 100 mm dicken Scherplatten. Nachdem alle Segmente aufgerichtet sowie alle Verbindungen verschweisst und damit voll eingespannt waren, wurden die Spalten ausgefugt. Nach dem Aushärten des hochfesten Epoxymörtels erfolgte die dauerhafte Befestigung der Bögen an den Pfeilern – typischerweise mit 50 bis 60 vorgespannten, 75 mm dicken Zugstangen an jeder ausgefugten Verbindung. Während jeder Phase des Aufrichtens wurden die Kräfte in den Auflagestempeln mit einem Datenerfassungssystem aufgezeichnet. Die Kräfte in den hydraulischen Stempeln wurden in allen Zwischenstadien an die Berechnungen angepasst, um eine zu hohe Beanspruchung der temporären Befestigungsklemmen sowie eine Überlastung der temporären Stützkonstruktionen zu vermeiden und um nach Abschluss der Arbeiten sicherzustellen, dass die konstruktiv erforderlichen Kräfte in den Bögen erreicht waren.

Der verkehr rollt über Kastenprofile aus Beton

Die zwei unabhängigen Fahrbahnen der Brücke haben jeweils vier 3.65 m breite Fahrspuren, zwei 3 m breite Randstreifen und aussen einen 2.5 m breiten Fluchtweg. Sie sind beim zentralen Bogen 22.5 m über dem Wasser. Die Fahrbahnträger sind aus Ortbeton, der nachträglich vorgespannt wurde. Das Lehrgerüst, das vorübergehend die Fahrbahnträger stützte, bestand aus zwei 3 m hohen Kastenstahlträgern (Abb. 6). Sie wurden parallel in einem Abstand von 12 m angeordnet und stützen sich auf 20 m hohe Stahltürme. Diese bestanden aus Rohrprofilen und standen auf Stahlrammpfählen mit einem Durchmesser von 760 mm, die 14 m in den Untergrund gerammt waren und die Lasten in den Meeresgrund einleiteten

Tonnenschwere Hilfskonstruktionen

Alle temporären Konstruktionen für die Errichtung der Sheikh Zayed Bridge wurden speziell für das Projekt entworfen, angefertigt und installiert. Dies ergibt ein Verhältnis von 80 kg temporärer Konstruktionen pro Kubikmeter Beton – das Zehnfache der Menge, die für eine grosse Schrägseilbrücke mit der gleichen Fahrbahnfläche benötigt würde. Ausserdem mobilisierte und verwendete die Bauunternehmung viele Geräte aus dem maritimen Bereich, so zum Beispiel schwere Schwimmkräne, Lastkähne und Schlepper, aber auch landbasierte Geräte wie Kräne, Turmkräne, Rammausrüstung und spezielle Transporter. Dies war erforderlich, um die riesige Menge temporärer Konstruktionselemente überhaupt bereitstellen, errichten, verlagern und abbauen zu können.

Die Bauunternehmung trägt die Verantwortung

Der Umfang temporärer Konstruktionen, die Anzahl Pläne und der Aufwand in Mannstunden und -jahren widerspiegeln die umfangreichen Konstruktionsaufgaben, die ungewöhnlichen Herausforderungen und die Vielschichtigkeit, die vor und während der Errichtung der Brücke gemeistert werden mussten. Es wurden 8500 Ausführungspläne für die Brücke und 6500 Pläne für die temporären Konstruktionen gezeichnet. Die Ausführungs- und Arbeitsplanung benötigte in der siebenjährigen Bauzeit 1.75 Mio. Ingenieurstunden, was 550 Ingenieurmannjahren entspricht; der gesamte Bau wurde in 32 Mio. Arbeitsstunden realisiert, was wiederum 10 000 Mannjahren und einer maximalen Belegschaft während der Aktivitätsspitze von 2400 Arbeitern entspricht.

Diese Aspekte verdeutlichen die Komplexität des Projekts und die Grössenordnung des technischen und konstruktiven Aufwands, mit dem sich die Bauunternehmung konfrontiert sah. Die planende Ingenieurfirma war weniger betroffen, denn im Gegensatz zur Situation in der Schweiz trägt diese in Abu Dhabi keine Verantwortung für Baumethoden und Detailpläne: Die Planenden konzentrieren sich auf die Ausschreibungs- und Vertragspläne, danach überlässt die Bauherrschaft die Ausführung der Unternehmung. Die planenden Ingenieure haben nach Vertragsvergabe nur noch eine kontrollierende und überwachende Funktion ohne eigentliche Verantwortung inne. Für die Unternehmung war daher die gründliche Arbeitsvorbereitung mit methodischen Anweisungen der Schlüsselfaktor für die sichere Ausführung der zahlreichen Schwerlast-Hubarbeiten und die Umsetzung des Projektes. Nach der Fertigstellung unterzog die Bauunternehmung die Brücke erfolgreich einem Belastungstest, bei dem sie das Doppelte der üblicherweise gesetzlich geforderten Bemessungsverkehrslast prüfte: 80 beladene Lastwagen fuhren auf die Brücke, was einer verteilten Gesamtlast von 2840 t entspricht. Der Fahrbahnträger unter dem Hauptbogen senkte sich nur 25 mm.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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