Zeitschrift

TEC21 2011|51-52
Raum zwischen Zeilen
TEC21 2011|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG
«Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass die Dinge der Erde nur sehr wenig Realität besitzen und dass es wahre Wirklichkeit nur in den Träumen gibt», heisst es in Charles Baudelaires «Paradis artificiels» (1869). Wenn Träume, die sich in Geschichten abspielen, Gestalt annehmen, kann das erzählende Architektur sein, wie im Museum für den norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun von Steven Holl: einer Verkörperung des Athener Turms der Winde, von dem Johan Nagel, Protagonist des Romans «Mysterien» (1892), träumte («Gebaute Literatur», S. 16). Analog soll das «Museum der Unschuld», das in Istanbul im Bau ist, den gleichnamigen Roman des Schriftstellers Orhan Pamuk einfangen (Veranstaltungshinweis, S. 70). Man darf gespannt sein, ob die ausgestell-ten Gegenstände die Räume werden füllen können, die sich zwischen den Romanfiguren Kemal und Füsun auftun – mit dem «Unsagbaren, dem Weissen zwischen den Worten» (Max Frisch), wie es Markus Seifermann und Uwe Schmidt-Hess vorschwebt, den Gründern des Architekturbüros ’Patalab.

Die Artefakte – Türknäufe, Kronleuchter, Puppentorsi, Plattenspieler –, die Seifermann in «Lost Space of Stiller» («À la recherche ...», S. 30) versammelt, sind geheimnisvoller: Die Nadel des Plattenspielers kratzt Spuren in den Abguss einer Wachsschallplatte, ein Trichter transportiert die Botschaft akustisch. Die Arbeit illustriert nicht Epi-soden des Werks von Max Frisch, sondern öffnet ’pataphysische Räume – Welten, die uns entgehen, weil wir unsere Wahrnehmung an Prothesen delegieren. Was von uns Menschen im Zeitalter der Maschinen, die unsere Motorik ersetzen, und der Elektronik, die uns das Denken abnimmt, übrig bleibt, offenbaren die gefesselten Torsi.

Auch im «Poet’s Garden» gibt es einen Apparat, der eine Gravur in Wachs ätzt. Schmidt-Hess, sein Urheber, will der Maschine menschliche Sensibilität einhauchen. Er reduziert die Sprache auf den Rumpf der Buchstaben. Nicht der Inhalt, sondern der Schreibrhythmus liefert den Code, um den Raum abzustecken – einen atmenden, pulsierenden Raum und mithin eines der Organe, die sich der Mensch amputiert hat ... («Ceci n’est pas ...», S. 36).[1]

Zweifach verschlüsselt ist das «Steinerne Buch» von Fernando Oreste Nannetti («Wissenschaft, Wahn und Wirklichkeit», S. 21). Die in die Wand gekratzten Buchstaben erinnern an steinzeitliche Ritzzeichen. Sie zu lesen, gleicht der Entzifferung von Hieroglyphen, und kryptisch sind auch die Botschaften ...
Rahel Hartmann Schweizer


Anmerkung:
[01] Umgekehrt macht das Luft-Vakuum-System eines Pianola im Centre für Dylan Thomas in Swansea (www.dylanthomas.com) den Rhythmus von dessen berühmtestem Buch «Unter dem Milchwald» akustisch wahrnehmbar. In die Notenrolle gestanzt wurde die von Richard Burton gesprochene Blindenschriftübersetzung

05 WETTBEWERBE
Auszeichnung FEB 2011 | Schweizer Solarpreis 2011

16 MAGAZIN
Gebaute Literatur | Bücher | Wissenschaft, Wahn und Wirklichkeit | Stirling und die Krise der Moderne | Hardbrücke in Zürich wieder offen

30 À LA RECHERCHE ...
Tina Cieslik
Die Installation «The Lost Space of Stiller» des Architekten Markus Seifermann wagt eine räumliche Annäherung an das Standardwerk der Identitätssuche: Max Frischs Roman «Stiller». Sie regt an, über die Gren-zen des architektonischen Alltagsgeschäfts hinauszudenken.

36 CECI N’EST PAS ...
Rahel Hartmann Schweizer
Der «Poet’s Garden» von Uwe Schmidt-Hess ist keine Grünanlage, sondern ein Maschinen-Park, der Buchstaben in einen pneumatischen architektonischen Körper übersetzt. In einem komplexen Transformationsprozess verwandelt sich Schrift in Raum.

46 SIA
Raumplanung für die Welt von morgen | ZNO-Sitzung | Frisch ab Werk(-Vertrag)

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