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db deutsche bauzeitung 02|2012
Gesundheit
db deutsche bauzeitung 02|2012

Zwischen den Bäumen

Rehabilitationsklinik in Arnheim (NL)

Auf den ersten Blick erscheint das Rehazentrum Groot Klimmendaal als recht behäbige Maschine. Innen herrscht jedoch dank geschickt platzierter Lufträume, farbiger Lichtkuppeln, großer Fensterflächen und schöner Materialien alles andere als Krankenhausatmosphäre. Ein Gang durchs Foyer ähnelt gar einem Waldspaziergang hinter Glas.

1. Februar 2012 - Anneke Bokern
Finalist beim Mies van der Rohe Preis für Europäische Architektur, Gebäude des Jahres des BNA (Bund Niederländischer Architekten), Publikumspreisgewinner bei den Dutch Design Awards, Gewinner des Hedy d'Ancona Preis für Gesundheitsbauten, Architekturpreis der Stadt Arnheim. Die Liste der Preise und Nominierungen, die das Rehabilitationszentrum Groot Klimmendaal erhalten hat, ist fast so lang wie das Gebäude selbst. Und das will etwas heißen, denn der Bau, der am Stadtrand von Arnheim im Wald thront, misst stattliche 120 m. Ob er all diese Lorbeeren verdient? An lyrischen Beschreibungen mangelt es in den Juryurteilen jedenfalls nicht. Der BNA sprach von »Poesie im Wald«, und auch die Architekten selber formulieren, ihr Gebäude stehe »wie ein stilles Reh« zwischen 100 Jahre alten Buchen.

Vor Ort stellt sich zunächst heraus, dass der Vergleich mit dem zierlichen Tier etwas fehl am Platze ist, denn in Wirklichkeit ähnelt das Bauwerk eher einem wuchtigen Raumschiff, das im Wald notgelandet ist. In prekärer Balance hockt der Riese am Rand eines Abhangs zwischen den Bäumen und wirkt, als könne man ihn mit einem Fingerschnips herunterschubsen. Die Umgebung des Baus betont seine Ausmaße noch, denn um ihn herum sind zahlreiche niedrige, pavillonartige Gebäude aus den 60er Jahren im Wald verteilt. Sie alle beherbergen gemeinsam das Rehabilitationszentrum Groot Klimmendaal, in dem jährlich 3 400 Patienten behandelt werden, die einen Unfall oder eine schwere Krankheit hinter sich haben. Groot Klimmendaal deckt alle Bereiche der medizinischen Rehabilitation ab, ist dabei aber besonders auf die Behandlung von Kindern sowie auf den Bereich der Beatmungsunterstützung spezialisiert. Wie in den Niederlanden üblich, findet die Rehabilitation vorwiegend ambulant und nur in Ausnahmefällen stationär statt. Im Großen und Ganzen ist das niederländische Rehasystem dem deutschen recht ähnlich. Einziger Unterschied ist, dass alle Maßnahmen von einem speziellen Reha-Arzt koordiniert werden, der die Behandlungen verordnet und das Behandlungsteam aus Ärzten, Psychologen, Physio-, Ergo- und anderen Therapeuten leitet.

Koen van Velsen hat nicht nur das neue Hauptgebäude von Groot Klimmendaal entworfen, sondern auch einen Masterplan für das gesamte 9,4 ha große Waldgelände entwickelt, das er selbst als »Gesundheitsgewerbegebiet« bezeichnet. Ziel dieses Plans ist es, den Buchenwald auf Dauer zu entrümpeln. Dafür sollen die vielen kleinen Gebäude nach und nach abgerissen und ihre Funktionen in drei Großbauten zusammengeführt werden.

Das neue Hauptgebäude wurde als erstes realisiert, ein Schul- und ein Wohnungsbau sollen noch folgen. Einfach war der Weg zum Neubau jedoch nicht, denn vom ersten Entwurf bis zur Fertigstellung vergingen 13 Jahre. Das liegt einerseits an der Herangehensweise von Koen van Velsen, der dafür bekannt ist, dass er sich nicht mit Details aus dem Katalog zufrieden gibt, andererseits aber auch an Budgetproblemen. So sollte das Gebäude anfänglich eine Spiegelfassade erhalten, die es völlig im Buchenwald hätte verschwinden lassen. Sie erwies sich als zu teuer, sodass der Bau nun mit Trapezblechen aus braun anodisiertem Aluminium bekleidet ist, die zumindest im Winter ebenfalls einen gewissen Camouflage-Effekt erzeugen.

Umgekehrte Stufenpyramide

Angesichts seiner BGF von fast 14 000 m² hat das Gebäude eine verhältnismäßig kleine Grundfläche, aus der sich das Volumen als umgekehrte Stufenpyramide erhebt. Der Haupteingang befindet sich unter einer gewaltigen Auskragung auf der Nordseite. Von dort betritt man ein lichtes, doppelgeschossiges Foyer, dessen Glasfassade einen großartigen Ausblick auf den Wald bietet. Das Foyer legt sich um einen Kern, in dem mit Sporthalle, Schwimmbad und Theater die halböffentlichen Funktionen des Rehazentrums untergebracht sind. Diese werden nicht nur von Patienten, sondern auch von Anwohnern und Schulen aus der Umgebung genutzt.

Die weiteren Funktionsbereiche von Groot Klimmendaal sind nach einem denkbar einfachen Prinzip über die nach oben immer größer werdenden Geschosse verteilt: Büros und Technikräume befinden sich im zur Hälfte in den Hügel gesteckten UG, Behandlungs- und Sprechzimmer im 2. OG. Während die Sprechzimmer entlang der Fassaden angeordnet sind, sind die Übungsräume im Gebäudeinnern untergebracht. Im 3. OG scharen sich 60 Krankenzimmer für stationäre Patienten um vier Lichthöfe. Auf dem Dach des Gebäudes wartet noch eine Überraschung, denn dort befindet sich ein erst nachträglich ins Programm aufgenommenes, sogenanntes Ronald McDonald Haus mit einem separaten Zugang, der quer über das Dach führt. Die McDonald’s Kinderhilfe Stiftung baut und betreibt Ronald McDonald Häuser in der Nähe von Kliniken, damit die Familien kranker Kinder während der Behandlung dort wohnen können.

Spazierroute durchs Gebäude

Was Groot Klimmendaal auszeichnet, ist nicht so sehr die Anordnung der Funktionsbereiche, sondern eher die Gestaltung der Verkehrsflächen und Resträume. Vier Lichthöfe, die teils mit roten, grünen und gelben Lichtkuppeln überdeckt sind, schaffen Blickbeziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen und lassen Tageslicht bis ins Innerste des Gebäudes fallen. Stellenweise befinden sich in den Wänden der Räume, die an die Lichthöfe grenzen, zusätzliche Fenster, die Ein- und Ausblicke ermöglichen. Dadurch gibt es im gesamten Gebäude kaum einen Raum ohne Kontakt zur Außenwelt; der Bau wirkt, im Gegensatz zu seiner behäbigen äußeren Erscheinung, im Innern licht, luftig und transparent. Dank der großen Fensterfronten dringt der Wald auf allen Geschossen beinahe in das Gebäude ein. Am wörtlichsten geschieht das im Restaurant, das am Südende des Foyers liegt und dessen über dem Abgrund auskragende Sitzecken rundum verglast und mit dem Wald verzahnt sind. Wie im gesamten EG sind hinter der Glasfassade die Stahlträger der Fachwerkkonstruktion sichtbar, die die 30 m breite und 16 m tiefe Auskragung ermöglicht. Die sonstige Konstruktion des Gebäudes besteht aus Hohldielendecken in Kombination mit Betonstützen und Stahlträgern; zwei Betonkerne sorgen für Stabilität.

Eine schlitzartig schmale Holztreppe durchschneidet das Gebäude diagonal vom untersten bis ins oberste Geschoss und soll die Angestellten zum Treppensteigen zwischen den Abteilungen ermuntern. Auch sonst will der Bau Bewegung stimulieren: Sämtliche Korridore sind breiter als gewöhnlich und dienen, wie Abstandsmarkierungen auf dem Boden belegen, als Ort für Geh- und Radfahrübungen. Ermöglicht wird dies u. a. dadurch, dass es keine Sackgassen gibt, sondern die Flure als endlose Spazierroute durchs Gebäude führen.

Umso erstaunlicher scheint, dass das Interieur ganz ohne Rammschutz und »Krankenhaustapeten« auskommt. Stattdessen ist es mit weißem Fließestrich, weiß verputzten Wänden sowie einer Edelstahl-Systemdecke ausgestattet, in die alle notwendigen Installationen integriert sind. In Kombination mit den knalligen Farbakzenten der Lichtkuppeln entsteht eine freundliche, ganz und gar nicht krankenhaushafte Atmosphäre. Einziges etwas megalomanes Element scheint die gigantische Auskragung am Eingang zu sein. Sie hat jedoch durchaus eine Daseinsberechtigung, denn an dieser Stelle soll in Zukunft einer der beiden anderen Neubauten andocken – wobei Groot Klimmendaal für dessen Realisierung momentan das Geld fehlt. Aufgrund veränderter Förderstrukturen und der krisenbedingten Zurückhaltung der Banken liegt die zweite Phase des Masterplans bis auf Weiteres auf Eis. Bis dahin können sich die Rehapatienten schon einmal an einem Gebäude erfreuen, das man ohne Übertreibung als zeitgenössische Version legendärer Sanatoriumsbauten der klassischen Moderne wie W. M. Duikers Zonnestraal bezeichnen kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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