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TEC21 2012|7
Savoir vivre – 2000 Watt
TEC21 2012|7
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Nachhaltiges bauen – den Fokus erweitern

Energieeffizientes Bauen ist mittlerweile zum normalen Tagesgeschäft geworden – bezogen auf die Betriebsenergie und auf Neubauten. Die eingesparte Energie wird jedoch durch steigenden Konsum zumindest teilweise wieder aufgebraucht. Damit rückt unser Lebensstil in den Fokus, der ebenso wie viele weitere Aspekte des nachhaltigen Bauens – zum Beispiel graue Energie oder induzierte Mobilität – noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält.

10. Februar 2012 - Roland Stulz
Ein Neubau verbraucht heute – unter Einhaltung der Baugesetzgebung – fünfmal weniger Betriebsenergie als in den 1970er-Jahren. Noch einen Schritt weiter gehen Null- oder Plusenergiegebäude. Die gestiegene Energieeffizienz wird aber durch den stetig wachsenden Konsum teilweise neutralisiert: Die Wohnfläche pro Kopf hat sich in der Schweiz in den letzten vierzig Jahren deutlich erhöht, in der Stadt Zürich beispielsweise von 30 m² auf 50 m² (Abb. 1). Während der Heizenergieverbrauch bei Neubauten in dieser Zeit um den Faktor fünf zurückging, blieben der Energiebedarf für Warmwasser und der Stromverbrauch für Licht und Geräte gleich oder stiegen sogar an. Denn auch wenn die einzelnen Geräte wesentlich energieeffizienter geworden sind, wird der Effekt durch deren steigende Anzahl zunichte gemacht (Abb. 2). Zudem werden die Pendlerdistanzen dank hervorragendem Angebot des öffentlichen Verkehrs immer länger, die Autos grösser und schwerer. Für diese Entwicklung gibt es einen Begriff, der in der Nachhaltigkeitsdiskussion an Bedeutung gewinnen wird: der «Rebound-Effekt». Mehr Effizienz plus mehr Konsum gleich null könnte die Gleichung heissen. Deshalb wächst der Ressourcenverbrauch trotz allen technischen Entwicklungen ungebremst weiter. Braucht es also doch ein Hinterfragen unserer Lebensweise?

Lifestyle für Nachhaltigkeit

Bisher haben wir in der Nachhaltigkeitsdiskussion fast ausschliesslich technisch argumentiert und auf Freiwilligkeit gesetzt. Dieser Ansatz hat eine begrenzte Wirkung. Deshalb kommen wir nicht umhin, nun die Frage der Suffizienz – also die Frage nach dem rechten Mass – und damit unserer Lebensweise zu stellen. Unsere Gesellschaft ist dem Konsum verfallen. Letztlich zählt aber nur, was von alledem uns wirklich zufrieden macht. Brauchen wir so viel Wohnfläche, einen Geländewagen und die unbegrenzte Mobilität? Wenn ja, müssen wir anderswo sparen. Sinnvollerweise beginnen wir dort, wo mit vergleichsweise wenig Aufwand und mit den heute schon gegebenen technischen Möglichkeiten Verbesserungen möglich sind: z.B. im Gebäudebereich, der das grösste Sparpotenzial aufweist. Wir haben gewissermassen ein Kontingent an Ressourcen, das jedem einzelnen Bürger bzw. jeder Bürgerin zur Verfügung steht – wer aus bestimmten Gründen auf längere Flugreisen nicht verzichten will oder kann, muss sich überlegen, in welchen anderen Lebensbereichen sich dafür etwas optimieren lässt. Wir müssen lernen, persönliche Ressourcenbudgets zu erstellen – wenn möglich weiterhin auf freiwilliger Basis. Der Gebäudeenergieausweis GEAK und die persönliche Energiebilanz gemäss 2000-Watt-Gesellschaft sind ein nützlicher Ansatz hierzu (Abb. 5). Instrumente wie der ECO2-Rechner[1], mit dem sich diese Bilanz online ermitteln lässt, müssen aber noch benutzerfreundlicher und anhand von Lebensmodellen und Beispielen für die Handlungsmöglichkeiten kommuniziert werden. Die Fachstelle 2000-Watt-Gesellschaft wird 2012 in dieser Richtung tätig werden. Ohne entschlossene politische Vorgaben und intelligente Gesetzgebung werden wir aber nicht auskommen. Die seit Jahrzehnten geforderten Massnahmen wie die Besteuerung von Ressourcenverbrauch anstelle von Arbeitsleistung oder die Förderung von erneuerbaren Energieträgern, kennen wir zwar bis zum Überdruss, ihre Realisierung wird aber immer unausweichlicher.

Graue Energie und Mobilität gewinnen an Bedeutung

Die Energie für den Gebäudebetrieb wurde in den letzten Jahren bei Neubauten erfolgreich reduziert und zunehmend durch erneuerbare Energien substituiert. Daher hat bei Neubauten der Anteil der grauen Energie (zur Erstellung des Gebäudes) im Verhältnis zum Energieverbrauch für Betrieb und Raumkomfort zugenommen (Abb. 3). In der Planung kann der Energiebedarf des Gebäudes daher nur unter Einbezug der Gestaltung des Baukörpers und der verwendeten Baustoffe optimiert werden. Die entsprechenden Vorgaben sind bei Ecobau, der gemeinsamen Plattform öffentlicher Bauherrschaften[2], und im SIA-Effizienzpfad für einzelne Gebäude sowie im neuen 2000-Watt-Arealrating (siehe weiter unten) für ganze Neubauareale definiert, fehlen aber noch in der kantonalen Energiegesetzgebung. Ob bestehende Bauwerke mit Blick auf die graue Energie eher saniert oder durch einen Neubau ersetzt werden sollten, muss von Fall zu Fall sorgfältig abgeklärt werden. In der Regel sind die Energie- und CO2-Bilanzen vergleichbar. In diesen Fällen ist dann entscheidend, ob die Grundrisse bei Sanierungen noch zukunftsfähig sind und ob die Investitionskosten für bisherige und neue Mieter tragbar bleiben. Da die Gebäudesubstanz langsam aber stetig ressourceneffizienter wird, gewinnen auch die Lage der Gebäude und die dadurch induzierte Mobilität an Bedeutung (Abb. 4). Dank dem Effizienzpfad Energie des SIA, in dem die 2000-Watt-Gesellschaft auf Anforderungen für Gebäude heruntergebrochen wird, kann nun auch die durch ein Gebäude verursachte Mobilität in die Nachhaltigkeitsbetrachtung einbezogen werden.

Erneuerungsdynamik verdreifachen

Die grosse Herausforderung stellen die vor 1985 erstellten Gebäude dar, d.h. rund 80% der gesamten Gebäudesubstanz in der Schweiz. Ihr Energieverbrauch muss markant reduziert werden. Zurzeit werden allerdings jährlich nur ca. 1.5% des Gebäudebestands saniert und nur 0.7% energetisch verbessert. Der Sanierungsrhythmus müsste somit stark beschleunigt werden, und bei jeder Gebäudesanierung müsste ab sofort der Energieverbrauch um 30 bis 80% reduziert werden. Es ist leicht erkennbar, dass dies volks- und betriebswirtschaftlich eine riesige Herausforderung darstellt. Einerseits muss der Wohn- und Arbeitsraum für die breite Bevölkerung bezahlbar bleiben, und andererseits müssen die Investitionen einen angemessenen Profit erbringen. Zudem ist die Bauwirtschaft bereits heute voll ausgelastet und ständig auf der Suche nach fachlich kompetentem Nachwuchs. Eine Beschleunigung des Erneuerungsrhythmus bedingt daher auch den politischen Willen dazu und umfassende Aus- und Weiterbildungsprogramme für Bauinvestoren, Handwerker und Planer.

Ein nachhaltiges Bauwerk muss per Definition auch wirtschaftlich tragbar sein. Allerdings sind es die Kosten für den ganzen Lebenszyklus des Gebäudes sowie die durch das Gebäude induzierten Kosten, beispielsweise für Mobilität und Infrastruktur, die der Massstab für diese Wirtschaftlichkeit sind. Nur dadurch ist gewährleistet, dass nicht ein Teil der Kosten der Allgemeinheit oder späteren Generationen zur Begleichung überlassen wird.

Vom Gebäude zum Quartier

Das einzelne Gebäude kann nur einen beschränkten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Viele Aspekte der Nachhaltigkeit kommen erst auf der Ebene Quartier oder Areal zum Tragen: Mobilität, soziale und gesellschaftliche Massnahmen, Biodiversität etc. Zurzeit werden einige Neubauareale entwickelt, bei denen eine Reihe von Kriterien der Nachhaltigkeit umgesetzt werden sollen. Zur Bewertung der Nachhaltigkeit grösserer Areale oder Quartiere wurden eine Reihe neuer Instrumente entwickelt, so das «2000-Watt-Arealrating», basierend auf dem SIA-Effizienzpfad. Parallel dazu steht auch ein umfassendes Instrument für bestehende Quartiere zur freien Verfügung: «Nachhaltige Quartiere by Sméo». Darin sind alle drei Pfeiler der Nachhaltigkeit – Gesellschaft, Ökonomie, Umwelt – abgebildet und gemäss SIA 112/1 auf alle Planungsphasen anwendbar. (Dieses Instrument wird in TEC21 12/2012 näher vorgestellt.) Diese erweiterte Betrachtungsweise ermöglicht in vielen Fällen städtebaulich bessere Lösungen. Die Planung einer grossen Überbauung mit gemischter Nutzung gemäss 2000-Watt-Arealrating erlaubt grössere Gestaltungsfreiheit für Architekten und Fachplaner als mit Vorgaben für einzelne Gebäude, wie z.B. Minergie-P. Für den Energieverbrauch und den CO2-Ausstoss gelten dabei für das Areal die gleich strengen Grenzwerte, allerdings zusätzlich unter Berücksichtigung der Mobilität.

Nachhaltige Siedlungsformen

Neben vielen anderen Kriterien ist bei der Nachhaltigkeit von Städten, Agglomerationen und Gemeinden die Innenentwicklung ein wichtiger Schwerpunkt. Verdichtung ist einer der Grundpfeiler des nachhaltigen Bauens. Durch Verdichtung werden Infrastruktur, Ressourcen und Energie effizient genutzt, kürzere Wege geschaffen und die Zersiedlung der Landschaft eingedämmt. Bei hoher Dichte müssen allerdings unterschiedliche Funktionen zusammenkommen; je dichter, desto lebendiger muss eine Siedlung werden. Monofunktionale Verdichtung führt sonst zur städtebaulichen Verödung. Hier ist die Raum- und Ortsplanung gefordert.

Die Verantwortung für die Optimierung von Gebäuden, Arealen, Quartieren und Gemeinden als Gesamtsysteme liegt im gemeinsamen und koordinierten Wirken von Raumplanern, Architektinnen und Ingenieuren. Einige Projekte nachhaltigen Bauens (z.B. KraftWerk1 und 2, siehe Artikel S. 21) setzen auch auf die Partizipation der Gebäudenutzer. Dies ist ein vielversprechender Ansatz, um von vornherein mit den Nutzern auszuhandeln, wie weit Vorgaben für einen nachhaltigeren Lebensstil gehen können (z. B. Verzicht aufs Auto, kleinere Wohnflächen pro Person etc.).


Anmerkungen:
[01] www.ecospeed.ch /eco2private
[02] www.eco-bau.ch
[03] Andreas Hünermann: Die Grenzen des Wachstums innerhalb der städtischen Grenzen. Wo und wie könnte sich die Stadt Zürich weiterentwickeln? Abschlussarbeit im MAS Raumplanung, ETH Zürich 2009
[04] Bundesamt für Energie: Analyse des schweizerischen Energieverbrauchs 2000–2010 nach Verwendungszwecken. BFE 2011
[05] Faktor: Sanierungen. Faktor Verlag AG, Themenheft Nr. 22, 2009

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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