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tec21 2006|19
Kunst als Pflaster
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zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Baukunst oder Kunst am Bau?

Das schweizerische Urheberrecht zwingt zur Unterscheidung zwischen Baukunst und Kunst am Bau, weil der immaterialgüterrechtliche Integritätsschutz sehr unterschiedlich ausgestaltet ist. Aktuelle Fälle aus Zürich zeigen die Bedeutung dieser Differenz auf. Das Urheberrechtsgesetz definiert die beiden Begriffe aber nicht. Die Abgrenzung setzt eine komplexe Be-urteilung anhand ästhetischer, funktional-technischer und juristischer Elemente voraus.

5. Mai 2006 - Urs Hess-Odoni
Das Urheberrechtsgesetz (URG) und die internationale Berner Übereinkunft verwenden den Begriff «Werke der Baukunst», nicht aber denjenigen der «Kunst am Bau». Klar ist, dass Kunst am Bau nicht unter den Begriff «Werke der angewandten Kunst» fällt, weil sie weder gewerblich-industriell hergestellt wird noch für eine praktische Verwendung bestimmt ist .1 Kunst am Bau gehört daher rechtlich zur normalen Kategorie «Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, Bildhauerei und der Graphik».

Werke der Baukunst und andere urheberrechtlich geschützte Werke, also auch Werke der Kunst am Bau, werden urheberrechtlich in vielen Bereichen gleich behandelt. Identisch sind insbesondere die Entstehungsbedingungen des Urheberrechtsschutzes (das Vorliegen einer geistigen Schöpfung der Literatur und Kunst mit individuellem Charakter), das Schöpferprinzip (primär berechtigt ist die natürliche Person, welche das Werk geschaffen hat) und die Schutzdauer (siebzig Jahre über den Tod des Schöpfers hinaus; bei Computerprogrammen nur fünfzig Jahre).

Im Bereich des Integritätsschutzes, also in Bezug auf den Schutz des Werkes vor Änderungen und vor Zerstörung, gibt es jedoch – seit dem Inkrafttreten des neuen Urheberrechtsgesetzes am 1. Juli 1993 – entscheidende Unterschiede.

Während nach Art. 11 URG grundsätzlich allein der Urheber bestimmen darf, ob, wann und wie sein Werk geändert werden darf, dürfen ausgeführte Werke der Baukunst nach Art. 12 Abs. 3 URG vom Eigentümer auch ohne Einverständnis des Urhebers verändert werden. Damit hat der Gesetzgeber – mit einer Entscheidung gegen die Architekten und Ingenieure – den Abwägungsprozessen zwischen Eigentümer- und Urheberinteressen, wie sie unter dem alten Urheberrechtsgesetz recht häufig waren, ein Ende gesetzt.[2]
Auch der Schutz vor Zerstörung eines geschützten Werks wird bei Werken der Baukunst eingeschränkt. Grundsätzlich muss der Eigentümer nach Art. 15 URG dem Urheber oder seinen Erben die Möglichkeit einräumen, das Werk zum Materialwert zurückzunehmen. Bei Werken der Baukunst wird dieses Recht des Urhebers dagegen auf die Möglichkeit beschränkt, das Werk vor der Zerstörung noch zu fotografieren oder Plankopien herzustellen.

Werke der Baukunst

Zu den Werken der Baukunst zählen die Literatur und die Rechtsprechung Werke, durch die Räume von Menschen gestaltet oder Anlagen ins Gelände eingepasst werden. 3 Dabei müssen natürlich immer die Grundbedingungen des Urheberrechtsschutzes erfüllt sein, der nur bei eigenständigen geistigen Schöpfungen besteht. Unter diesen Voraussetzungen können sowohl Leistungen von Architekten und Innenarchitekten als auch Werke von Ingenieuren den urheberrechtlichen Schutz geniessen.
Da mehrere Personen, welche ein Werk gemeinsam schaffen, als Miturheber gelten und im Sinne von Art. 7 URG die Urheberrechte gemeinschaftlich besitzen, stehen die Rechte an einem Werk der Baukunst oft gleichzeitig einem Architekten und anderen Planern (Bauingenieur, Innenarchitekt, Umgebungsgestalter usw.) zu, weil sie das Projekt gemeinsam entwickelt haben. Bei der Abgrenzung zwischen Werken der Baukunst und der Kunst am Bau helfen diese Aussagen aber nicht weiter. Es braucht dafür zusätzliche Kriterien.

Kunst am Bau

Als Kunst am Bau werden Werke bezeichnet, die zur ästhetischen Gestaltung von Bauwerken dienen, also insbesondere Werke der Dekoration und Verschönerung von Bauwerken.4 Es sind eigenständige Kunstwerke, welche jedoch mit dem Bauwerk verbunden werden (z.B. Wandgemälde, künstlerische Fassadenelemente wie Friese und Reliefs, Wandteppiche, fixe Installationen usw.).

Das Eigenartige der Kunst am Bau ist dabei die mehr oder weniger feste Verbindung mit dem Bauwerk. Sie wird wegen dieser Verbindung im Sinne des Akzessionsprinzips zum Bestandteil des Grundeigentums und folgt dessen Schicksal. Insbesondere wechselt sie – im Unterschied zu beweglichen Kunstwerken – mit dem Verkauf der Liegenschaft automatisch auch den Eigentümer. Diese feste Verbindung mit dem Bauwerk grenzt die Kunst am Bau von anderen Formen der bildenden Kunst ab.

Die Abgrenzung der Kunst am Bau von den Werken der Baukunst kann nun nur funktional vorgenommen werden: Handelt es sich im funktionalen Sinn um Raumgestaltung oder um die Einpassung des Baus in die Landschaft, so sprechen wir von Baukunst; liegt dagegen ein ergänzendes Werk ohne direkten funktionalen Bezug zur Baute vor, so ist es Kunst am Bau. Als Werke der Baukunst gelten daher Elemente, welche unabhängig von ihrem schöpferischen Charakter für die technische Gestaltung und Funktion des Baus notwendig sind. Das Abgrenzungskriterium ist daher die funktionale Stellung des Kunstwerks.

Da die Qualifikation als Werk der Baukunst zu Einschränkungen des Urheberrechtsschutzes führt, ist im Zweifel – sofern diese funktional möglich ist – eher für ein Werk der Kunst am Bau zu entscheiden.

Position des Eigentümers

Sowohl Werke der Baukunst als auch Werke der Kunst am Bau stehen im Eigentum des Liegenschaftsbesitzers. Dessen Eigentümerstellung ist jedoch – je nach der Art des urheberrechtlich geschützten Werks – stärker oder schwächer.
Bei realisierten Werken der Baukunst hat der Eigentümer in Bezug auf Änderungen oder Zerstörung praktisch freie Hand, denn der Integritätsschutz, den die Architekten und Ingenieure beanspruchen können, erlischt mit der Werkausführung fast vollständig. Bei Werken der Baukunst überwiegt die Freiheit des Eigentümers (Art.641 ZGB) vor dem Urheberrecht. Umgekehrt tritt diese Eigentumsfreiheit bei Werken der Kunst am Bau sehr stark hinter die Position des Urhebers zurück, weil in diesem Fall der Integritätsschutz des Urhebers in vollem Umfang gilt.

Noch nicht ausgeführte Werke

Solange die Werke nicht ausgeführt sind, besteht dagegen kein Unterschied, weil vor der Ausführung sowohl Werke der Baukunst als auch solche der Kunst am Bau den vollen Integritätsschutz geniessen. Der Bauherr ist also unter Vorbehalt anderer vertraglicher Abmachungen nicht berechtigt, an einem noch nicht ausgeführten Werk der Baukunst Änderungen gegen den Willen des Planers durchzusetzen. Bis zur Werkausführung ist die Stellung des Urhebers noch stärker.

Keine klare Antwort gibt das schweizerische Urheberrecht dagegen für die Verhältnisse während der Ausführung des Bauwerks. Hier wird nach wie vor eine Interessenabwägung vorzunehmen sein, wenn der Bauherr bei einem teilweise ausgeführten Bauwerk eine Änderung verlangt, welche der Planer als Urheber ablehnt.
Anmerkungen:

[1] von Büren: Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. SIWR II/1, S. 105.
[2] vgl. BGE 117 II 466 i. S. Custer und Zangger/Sekundarschulgemeinde Rapperswil-Jona.
[3] von Büren: Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. SIWR II/1, S. 103; Troller: Immaterialgüterrecht, Bd. I, S. 385.
[4] Die engere subjektive Intention des Künstlers muss bei dieser rechtlichen Beurteilung im Hintergrund bleiben.




Zusatz:

Urheberrechtsgesetz

Art. 2 URG Werkbegriff
1 Werke sind, unabhängig von ihrem Wert oder Zweck, geistige Schöpfungen der Literatur und Kunst, die individuellen Charakter haben.

2 Dazu gehören insbesondere:
a. literarische, wissenschaftliche und andere Sprachwerke;
b. Werke der Musik und andere akustische Werke;
c. Werke der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der Grafik;
d. Werke mit wissenschaftlichem oder technischem Inhalt wie Zeichnungen, Pläne, Karten oder plastische Darstellungen;
e. Werke der Baukunst;
f. Werke der angewandten Kunst;
g. fotografische, filmische und andere visuelle oder audiovisuelle Werke;
h. choreografische Werke und Pantomimen.

3 Als Werke gelten auch Computerprogramme.

4 Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.

Art. 12 URG Erschöpfungsgrundsatz
3 Ausgeführte Werke der Baukunst dürfen vom Eigentümer oder von der Eigentümerin geändert werden; vorbehalten bleibt Artikel 11 Absatz 2.

Art. 15 URG Schutz vor Zerstörung
1 Müssen Eigentümer und Eigentümerinnen von Originalwerken, zu denen keine weiteren Werkexemplare bestehen, ein berechtigtes Interesse des Urhebers oder der Urheberin an der Werkerhaltung annehmen, so dürfen sie solche Werke nicht zerstören, ohne dem Urheber oder der Urheberin vorher die Rücknahme anzubieten. Sie dürfen dafür nicht mehr als den Materialwert verlangen.

2 Sie müssen dem Urheber oder der Urheberin die Nachbildung des Originalexemplars in angemessener Weise ermöglichen, wenn die Rücknahme nicht möglich ist.

3 Bei Werken der Baukunst hat der Urheber oder die Urheberin nur das Recht, das Werk zu fotografieren und auf eigene Kosten Kopien der Pläne herauszuverlangen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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