Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 03|2012
Freiräume
db deutsche bauzeitung 03|2012

Grün statt Gleis

Park am Gleisdreieck in Berlin

Ein »Park neuen Typs« sollte mit dem kürzlich eröffneten, ersten Teil des Berliner »Parks am Gleisdreieck« entstehen. Auch wenn seine Gestaltung als inszenierter Kontrast zwischen Weite und Dichte, historischen Spuren und zeitgenössischem Design nicht gänzlich neu ist, fügen sich diese Gegensätze hier doch außergewöhnlich gut zu einem abwechslungsreichen und dennoch harmonischen Landschaftsbild zusammen.

29. Februar 2012 - Carsten Sauerbrei
Wo früher Eisenbahnzüge zur Versorgung der Reichshauptstadt rollten, wird heute Fahrrad gefahren, spazieren gegangen und geskatet. Im September 2011 wurde in der Berliner Innenstadt der 18 ha große Ostteil des »Parks am Gleisdreieck« eröffnet. Der genauso große Westteil soll im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Die einst unzugängliche Gleisinsel wird damit öffentlich, dennoch prägen bis heute der Hochbahnhof Gleisdreieck und die ICE-Trasse mit Tunneleinfahrt das Bild des Geländes. Hier sollte nach den städtebaulichen Planungen des 19. Jahrhunderts ein zentraler Schmuckplatz des »Generalzugs«, der markanten Ost-West-Straßenverbindung entstehen. Stattdessen wurde das Gelände zunächst Teil des Berliner Eisenbahnnetzes. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Einstellung des Bahnverkehrs an dieser Stelle breitete sich über Jahrzehnte urbane Wildnis aus. In den 60er Jahren wurde dort die Westtangente als Teil der Berliner Stadtautobahn geplant, später, nach Bürgerprotesten, eine Grüntangente als Nord-Süd-Verbindung von Tiergarten und Stadtrand. Nach der Wiedervereinigung nutzte zunächst die Baulogistik der Bauvorhaben am Potsdamer und Leipziger Platz das Gelände. Und schließlich standen 24 Mio. Euro aus Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen aus diesen Bauprojekten für Grunderwerb, Planung und Bau eines neuen Parks zur Verfügung.

Grundlage für den 2005 durchgeführten, zweistufigen, landschaftsplanerischen Wettbewerb waren umfangreiche Bürgerbefragungen. Die Anwohner der umliegenden, stark verdichteten Altbauquartiere wünschten sich attraktive Freiräume mit vielfältigen Nutzungsangeboten. Gleichzeitig sollten die wertvollen Spuren der Eisenbahngeschichte und die geschützten Biotopflächen erhalten bleiben sowie darüber hinaus der Park mit neuen Nord-Süd- und Ost-West-Verbindungen an das umgebende Stadtgebiet angebunden werden. Außerdem sollte ein Bürgerpark mit Flächen für eine selbstständige Nutzung durch die Anwohner entstehen. Die z. T. sehr divergierenden Wünsche – Ruhe und Erholung, Sport und Aktivität – hatten eines der wichtigsten Wettbewerbsziele zur Folge – den Entwurf eines Parks mit einem klaren Gestaltungsrahmen, der Orientierung bietet und dennoch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten offen hält.

Dichter Rahmen und »grüne Pause«

Die Wettbewerbsgewinner vom Berliner Atelier LOIDL erreichen dieses Ziel, indem sie das Gelände klar in Dichte und Weite, intensiv genutzte und ruhige Bereiche gliedern. Baumbestandene Promenaden als Rahmen laden zum Flanieren und Verweilen ein und nehmen außerdem die verschiedenen »Aktionsflächen« auf – anwohnernah im Osten Kinderspielplätze, Naturerfahrungsraum und interkulturelle Gemeinschaftsgärten; abgeschieden im Westen das Sportgleis mit Skatepark, Ballfeldern und Radfahrfernweg. Das Parkinnere bilden ein Wäldchen, geheimnisvolle Wildnis aus Spontanvegetation, und die »Kreuzberger Wiese« als großzügige Lichtung, die »grüne Pause«. Kontrastreich wechseln sich auch die verschiedenen Vegetationsflächen ab – intensiv genutzter Rasen in den Randbereichen der Lichtung, extensive Salbeiwiese im Innern, Schotterflächen mit Trockenvegetation entlang der Bahntrasse.

Nach eigener Aussage räumt das Atelier LOIDL »dem Neuen mehr Wichtigkeit« ein »als der Eisenbahngeschichte oder dem Naturmythos«. Trotzdem sind es die erhaltenen Zeugnisse der Vergangenheit, Prellböcke, Gleiswaagen, Laderampen, Kopfsteinpflasterbeläge, Stellwerke, Spontanvegetation, die dem Park seinen eigenen, individuellen Charakter geben. Zur Bahngeschichte gehören auch die denkmalgeschützten Brücken am Südende des Parks, die Yorkbrücken, die zukünftig zum sich anschließenden Erweiterungsteil, dem »Flaschenhals«, führen sollen.

Dort kann man gut erkennen, dass der Park auf einem ca. 5 m hohen, einst aufgeschütteten Plateau liegt. Die hier verlaufende, das Plateau durchschneidende Yorkstraße ist am Parkeingang zu einem kleinen Platz aufgeweitet worden. Auch für den Eingang zum Flaschenhals ist diese wohltuende Weitung des engen Straßenraums geplant. Die Zukunft der Brücken und damit der niveaugleichen Verbindung der beiden Parkteile ist dagegen leider noch ungeklärt.

Sie gehören der Deutschen Bahn, die bisher kein Geld für eine Sanierung zur Verfügung stellen will.

Park der zwei Geschwindigkeiten

Erschlossen wird der Park mit einem System von geradlinig verlaufenden Wegen unterschiedlicher Materialien und Nutzungscharakteristik. Blass-rot gefärbte, großformatige Betonplatten umlaufen die weite »Rasenfreiheit«, höhengleich mit dem Rasen oder als Sitzkante ausgebildet. An besonderen Stellen weiten sie sich zu Terrassen aus geschliffenem, roten Gussasphalt.

Einen zweiten großen Rahmen, der die unterschiedlichen Parkteile zusammenbindet, bilden die bis zu 6 m breiten Ortbetonwege mit ihrer von der Schalung gezeichneten, hellen Oberfläche als Hauptwegeverbindungen in Ost-West- bzw. Nord-Süd-Richtung.

Ergänzt wird dieses Hauptwegesystem durch 3 m breite Asphaltwege für die direkte, schnelle Querung und sportliche Nutzung des Parkraums. Ein »Park der zwei Geschwindigkeiten« sollte so entstehen. Durch die verschiedenen Materialien und Oberflächen ist tatsächlich ein an sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten reiches Wegesystem entstanden, auf dem man sich als Besucher sinnvoll und klar geleitet fühlt. Die verschiedenen Fortbewegungsarten und -geschwindigkeiten finden in der Regel genug Platz. Nur an einigen wenigen Stellen brechen die Wege ab und zwingen zu Umwegen. Gelegenheit zum Ausruhen bieten die Sitzkanten entlang der Wiesen, einzeln stehende Betonbänke und die bis zu 80 m langen Bankskulpturen aus Accoya-Schichtholz. Robust und einfach, aber dennoch einladend wirken diese. Für nächtliche Beleuchtung sorgen die linear entlang der Hauptwege angeordneten, abknickenden Lichtmasten, die ebenfalls vom Atelier LOIDL gestaltet wurden. Die robuste und dennoch abwechslungsreiche Gestaltung ist die Stärke dieses Parks, die auch den hohen Besucherzahlen seit Eröffnung standhielt. Intensiv diskutiert wurde seither über Probleme mit Müll und Graffiti. Zurückzuführen sind diese jedoch mehr auf die hohen Nutzerzahlen und damit die Beliebtheit, denn auf Verwahrlosung.

Auch Nutzungskonflikte sind bisher weitgehend ausgeblieben. Ob das auch in der kommenden Saison, der ersten kompletten, so bleibt, ist abzuwarten – Hundeauslauf- oder Grillplätze z. B. sind nicht vorgesehen. Und spätestens 2013 wird es eng am schmalen Übergang zum Westteil, wenn sich alle Besucher – Spaziergänger, Skater und die Benutzer des Fernradwegs – diesen teilen müssen.

Ausgerechnet die Brücke in Verlängerung des »Generalzugs«, die die verschiedenen Stadtgebiete zusammenführen und beide Parkteile direkt verbinden sollte, ist den Sparzwängen zum Opfer gefallen. Dennoch ist schon heute aus der vormals einsamen, eine belebte und beliebte grüne Insel geworden, die urbane Wildnis und gebaute Natur, zeitgenössische Gestaltung und historische Spuren, Dichte und Weite gelungen und anregend miteinander verbindet.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: