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TEC21 2012|11
Hall und Aura
TEC21 2012|11
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schall und Rauch

«Sound, that noble accident of the air…»[1] – diese Umschreibung des Phänomens Klang, gibt einen Eindruck davon, wie «unbeschrieben» die wissenschaftliche Akustik noch im Barock war. Selbst die führenden Naturgelehrten wussten bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts wenig über die wissenschaftlichen Grundlagen der Entstehung und Ausbreitung von Schall, was ihm eine mysteriöse Aura verlieh. Auf dem Gebiet der Bauakustik – der Lärmbekämpfung – hat er diese inzwischen verloren. Die Raumakustik hingegen ist nach wie vor von einem Nebel umwoben. Dieser wird in diesem Beitrag gelüftet.

9. März 2012 - Martin Lachmann
Die Akustik ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das auf Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Fachgebieten aufbaut, unter anderen aus der Physik, der Psychologie, der Nachrichtentechnik und der Materialwissenschaft. Bevor also Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) und John Dalton (1766–1844) nicht ihre Gesetze zum Verhalten von Gasen formuliert hatten, war z. B. eine exakte Berechnung der Schallgeschwindigkeit nicht möglich. Selbst Isaac Newton (1642–1726) «fälschte» 1713 seine Formel zur Berechnung der Schallgeschwindigkeit, indem er eine Konstante einfügte, die das Resultat erstaunlicherweise exakt mit den Werten der einige Jahre zuvor durchgeführten Feldmessungen der Royal Society in Übereinstimmung brachte.

Die Wissenschafter und Baumeister der Antike und des Mittelalters verfügten noch nicht über genaue Kenntnisse von den Eigenschaften des Schalls. Es existierten keine klaren Vorstellungen, geschweige denn Theorien davon, wie Schall entsteht oder sich ausbreitet. Man konnte also nur auf empirische Erkenntnisse zurückgreifen. Noch lange Zeit herrschte z. B. die Meinung vor, dass sich hohe Töne schneller ausbreiten als tiefe. Die Einsicht, dass die Schallgeschwindigkeit für alle Frequenzen gleich ist, ist relativ jung.

In dasselbe Kapitel gehört das Klischee der ausgezeichneten Akustik in griechischen Theatern oder in mittelalterlichen Kirchen, war doch die gute Sprachverständlichkeit in den antiken Theatern ein erfreuliches Nebenprodukt der optimalen Bauform im Hinblick auf die Zuschauerkapazität und den visuellen Kontakt des Publikums zur Szene (konzentrische, stark ansteigende Ränge, um möglichst viele Personen bei optimalen Sichtbedingungen nahe an die Szene heranzubringen).

In vielen Kirchen ist die Akustik (ausser für spezifische musikalische Werke) sogar oft ausgesprochen schlecht. Entsprechend bemühen sich ganze Heerscharen von Elektroakustikern, die Sprachverständlichkeit in Kirchen mit technischen Mitteln einigermassen zu gewährleisten. In den umfangreichen Kirchenaufzeichnungen über alle Epochen ist kein Hinweis zu finden, dass man zu irgendeinem Zeitpunkt die Akustik in Kirchen zu einem bestimmten (theologischen) Zweck «gestaltet» hätte.2 Die Akustik ist in vielen historischen Bauwerken, so spektakulär und beeindruckend sie oft sein mag, in vielen Fällen ein «Zufallsprodukt» des Baustils.

Von der Berechenbarkeit des Nachhalls …

Ein Meilenstein in der wissenschaftlichen Akustik – insbesondere der Raumakustik – waren die Arbeiten von Wallace Clement Sabine (1868–1919) im ausgehenden 19. Jahrhundert. 1895 veröffentlichte er eine Formel zur Berechnung der Nachhallzeit, einer der nach wie vor wichtigsten Kenngrössen der Raumakustik. Es dauerte aber weitere 30 Jahre, bis die wissenschaftliche Raumakustik Eingang in das praktische Bauwesen fand. Vor allem bekannte nordische Architekten der Moderne, allen voran Alvar Aalto und Vilhelm Lauritzen, beschäftigten sich intensiv mit den neuen Erkenntnissen und arbeiteten sie mit grossem Aufwand und Leidenschaft in ihre Bauten ein. Der schwedische Architekt Sven Markelius, ein enger Freund Aaltos, erwähnte in seinem berühmten Vortrag 1928 im finnischen Abo die neue Wissenschaft der Raumakustik sogar als exemplarisches Beispiel für die in der Moderne so bedeutende Verbindung von Form und Funktion.3 Das von ihm entworfene und 1932 eingeweihte Konzerthaus in Helsingborg wird denn auch bis heute für seine hervorragende Akustik gepriesen.

Die Entwicklung der wissenschaftlichen Akustik im 20. Jahrhundert war aber auch immer wieder von Rückschlägen geprägt, welche die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der noch jungen Wissenschaft in der Bauwelt ebenso wie in der Gesellschaft schwächten. So wurden immer wieder Konzertsäle entworfen, die sich als akustisch unbefriedigend herausstellten. In einigen Fällen schien es fast, als seien elementare Grundlagen der Raumgestaltung und der Akustik vergessen worden. Solche Diskontinuitäten in der Wissensentwicklung respektive in der Anwendung der Akustik im gebauten Raum sind selbst in der jüngeren Geschichte zu beobachten.

Problematisch waren vor allem Konzertsaalbauten in Amerika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie das «Eastman Theatre» in New York (1923; Architekt: William G. Kaelber) oder die «Kleinhans Music Hall» in Buffalo (1938–1940; Architekt: Eliel Saarinen). Problem war unter anderem die Grösse der Säle; sie wurden für zu viele Zuhörer gebaut, was zu viel Absorption zur Folge hatte. Ein weiteres Problem war der fächerförmige Grundriss, der dazu führte, dass die Reflexionen von den Wänden alle an die Rückwand gelenkt und die zentral im Raum befindlichen Plätze mangelhaft mit Schallenergie versorgt wurden, weshalb sich kein «umhüllender» Klang für die Zuhörer einstellte. Positive Beispiele sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel (vgl. TEC21, Nr. 22/2008, Nr. 27-28/2010 und «… Ohren, die nicht hören …», S. 20).

… zur Darstellbarkeit von Zeit, Frequenz und Amplitude

Dies ist umso erstaunlicher, als die wissenschaftliche Akustik ab Mitte der 1920er-Jahre im Zusammenwirken mit der sich im gleichen Zeitraum entwickelnden Elektronik und Audiotechnik rasche Fortschritte machte. Die Tonaufnahmetechnik ermöglichte erstmals die Trennung eines Klanges von seiner Quelle – ein revolutionärer Fortschritt. Insbesondere die in den 1940er- und 1950er-Jahren entwickelte Magnetbandtechnik ermöglichte erstmals das exakte Speichern von Schallereignissen und deren spätere Auswertung – eine wichtige Grundlage für akustische Messungen und das Verständnis der Akustik generell. Ein neues Zeitalter in der Entwicklung der akustischen Messtechnik brach Ende der 1970er- Jahre an, als in der Elektronik und Audiotechnik die Digitaltechnik Einzug hielt. Damit wurde es erstmals möglich, Schallsignale «verlustfrei» – d. h. ohne Störgeräusche wie z. B. Bandrauschen etc. – aufzuzeichnen und zu speichern. Die nun digitalisierten Signale konnten in Rechenmodelle eingespeist werden. Damit liess sich zum ersten Mal die Dreidimensionalität der akustischen Signale – entlang der Achsen Zeit, Frequenz und Amplitude – umfassend visualisieren. Die anschauliche Darstellung von grossen Datenmengen ist zentral für das Verständnis komplizierter physikalischer Vorgänge.

Objektive Parameter versus subjektiven Klangeindruck

Die Entwicklung der akustischen Messtechnik, gerade im raumakustischen Bereich, ist längst nicht abgeschlossen. Man versucht, neue, «objektiv» messbare Parameter zu finden, die – zusammen mit den bereits bekannten Kenngrössen – den subjektiven Klangeindruck in Räumen möglichst gut abbilden sollen. Denn dies ist der Kern der Akustik: Sie besteht nur zur Hälfte aus objektiver Physik – der andere Teil ist der subjektive Höreindruck. Die Qualität eines akustischen Ereignisses, sei dies nun Raumklang oder Umgebungslärm, wird von jeder Person individuell aufgrund persönlicher Erfahrungen, Vorlieben etc. beurteilt und entzieht sich grundsätzlich einer objektiven Bewertung. Die Akustik rückt damit in die Nähe von gestaltenden Disziplinen wie der Architektur oder dem Produktdesign. In allen diesen Bereichen ergibt sich die Qualität eines Werks aus einer Mischung von funktional- objektiven und gestalterisch-subjektiven Aspekten. Das bedeutet, dass sich Akustiker bei ihrer Arbeit nicht allein auf physikalisches Wissen stützen können. Vielmehr müssen sie sich den noch nicht gebauten Raum hörend vorstellen können – wie es Architekten auf der visuellen Ebene tun.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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