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TEC21 2012|11
Hall und Aura
TEC21 2012|11
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

… Ohren, die nicht hören …

«As conscious beings, our perceptions are ours alone!»[1] Die Beurteilung von akustischen Situationen, sei es von Klang in der Raumakustik oder von Störung durch Lärm in der Bauakustik, ist immer subjektiv. Dies mag ein Grund dafür sein, dass man dem Thema in der Architekturdiskussion ausweicht – es sei denn, die Akustik steht im Zentrum der Nutzung, wie bei Konzertsälen, Ausstellungsarchitekturen oder klangkünstlerischen Projekten (Abb. 2, 3 und 11).

9. März 2012 - Martin Lachmann
Wenn sich die Akustik in jedem Planungs- und Bauprozess gleichberechtigt mit anderen Fachbereichen Gehör verschaffen könnte, wären Räume zu gewinnen, die mit den Augen und auch mit den Ohren erlebbar sind. Die Akustik ist heute eine etablierte technische Wissenschaft. Das bedeutet aber nicht, dass sie alle Phänomene verstanden hätte. Die wichtigsten Knackpunkte sind das Verhältnis zwischen objektiver Messung und subjektiver Wahrnehmung, die geometrische Massstabsfrage, die Komplexität des Schallfeldes und der Mangel an Materialkennwerten. Die Qualität von akustischen Planungen und Werken kann nur beschränkt gemessen – und damit überprüft – werden.

Die geometrische Massstabsfrage ist eine Folge der Wellenlänge: Während die Wellenlängen des Lichts im Verhältnis zu unserer Umgebung klein sind (auch beim langwelligsten Licht liegt die Wellenlänge unter einem Millionstel Meter), umfasst die Wellenlänge des hörbaren Schalls den Bereich von ca. 17 Meter bis 1.7 Zentimeter – liegt also in den Dimensionen unseres Umfelds (Abb. 7). Entsprechend wird der Schall von der gebauten Umgebung anders beeinflusst als das Licht. Hinter einer Säule steht man im Konzertsaal immer im Schatten – egal, ob es sich um weisses, rotes oder grünes Licht handelt. Tieffrequente Töne (Bässe) hingegen hört man auch hinter der Säule, denn sie beugen sich darum herum, hochfrequente hingegen dringen kaum mehr ans Ohr, weil sie abgeschattet werden (Abb. 8).

Je nach Tonhöhe wird der Schall an grossen Objekten reflektiert, an mittleren gebeugt oder gestreut und passiert kleine Objekte teilweise ungehindert (Abb. 9 und 10). Daraus lässt sich erahnen, wie komplex sich das dreidimensionale Schallfeld gestaltet (Abb. 13). Ginge es nur um eine Frequenz, wäre es einfach, den akustisch idealen Raum zu entwerfen. Neben dieser grossmassstäblichen Wechselwirkung zwischen Schall und Bauwerk besteht auch eine kleinmassstäbliche Wechselwirkung zwischen den Schallwellen und der Oberfläche von Baustoffen. Entscheidend ist das Verhältnis zwischen der Unebenheit der Oberfläche (poliert, geriffelt, genoppt) und der Wellenlänge des auftreffenden Schalls. Entspricht die Unebenheit etwa der Wellenlänge, wird der Schall gestreut, andernfalls wird er reflektiert.

Grenzen der Simulation

Das führt dazu, dass für akustische Berechnungen oft mehr als ein theoretisches Modell nötig ist, um der Ausbreitung des Schalls bei verschiedenen Frequenzen Rechnung zu tragen. Wegen der Komplexität des Schallfeldes wird in der Akustikplanung trotz fortgeschrittener Computersimulation immer noch relativ oft mit Massstabmodellen gearbeitet ( gemessen).

Hier besteht eine Parallele zur Architektur, wo trotz fotorealistischer Computervisualisierung der Modellbau nach wie vor differenziertere Eindrücke bieten kann und darum auch weiterhin angewendet wird. In der Akustik zeigt sich das Problem von Simulationsprogrammen deutlich. Gerade weil auch hochentwickelte Software immer nur einen Ausschnitt des Problems beleuchten kann, spielt die Erfahrung beim Einspeisen der Daten in die Software und beim Beurteilen und Interpretieren der Resultate eine zentrale Rolle. Ist diese Erfahrung bei den Anwendern der Software nicht gegeben, werden auch unrealistische Ergebnisse für bare Münze genommen. den Klang gest alten In der Raumakustik sind Form, Struktur und akustische Eigenschaften der Raumoberflächen in wesentlichem Mass verantwortlich für den resultierenden Klang im Raum. Die zeitgenössische Formensprache und ihre Materialisierung birgt zahlreiche raumakustische Problemfelder und erzeugt leider nur selten «automatisch» gute Raumakustik. Grund dafür ist die Verwendung von mehrheitlich «schallharten» (nicht absorbierenden) Materialien, grossen, unstrukturierten, orthogonalen Flächen und die starke Reduktion von klassischen textilen Elementen wie Teppichen, Polstermöbeln, Vorhängen usw. im Innenausbau.

Der im späten 19. Jahrhundert vorherrschende Architekturstil führte praktisch zufällig zur Entstehung einiger der weltbesten Konzertsäle. So ist beispielsweise die Tonhalle in Zürich entstanden, kurz bevor die wissenschaftliche Raumakustik überhaupt anfing zu existieren. Bis in die 1980er- Jahre «retteten» Architektur- und Einrichtungsstil die Akustik in vielen Wohnbauten. Von der Architektur wäre in Zusammenarbeit mit der Akustik ein bewusstes akustisches Entwerfen gefordert. Dabei ginge es in erster Linie um die akustische Gestaltung der einzelnen Räume in einem Bauwerk – ist doch die Akustik ein zentraler Faktor, ob ein Raum seiner gedachten Funktion gerecht wird. Das akustische Entwerfen sollte aber weiter gehen: Analog zu visuellen Abfolgen könnten und sollten akustische Abfolgen und Atmosphärenwechsel ein Gebäude strukturieren, es interessant und angenehm machen und auch so erhalten.

Da es keine allgemeingültige «gute» und «schlechte» Raumakustik gibt – Raumakustik ist immer dann gut, wenn sie dem Benutzungszweck und der Atmosphäre des Raums dienlich ist – lässt sich raumakustische Planung nicht in einfache Schwarz-Weiss-Schemata pressen.

Heute ist es durchaus möglich, Räume akustisch zuverlässig zu planen. Zuerst müssen die Akustiker aber die voraussichtliche Nutzung und die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzerinnen und Nutzer der zu planenden Räume kennenlernen. Anschliessend ist es ihre Aufgabe diese verbal/subjektiven Beschreibungen unter Einbezug der gestalterischen Ansprüche in Akustikmassnahmen zu übersetzen. Einschlägige Normen und Empfehlungen liefern zwar Richtwerte und Empfehlungen für die raumakustische Auslegung von bestimmten Raumtypen, ersetzen aber die individuelle Planung nicht. Es ist unerlässlich, dass sich die Akustiker aus ihrer Erfahrung vorstellen können, wie ein Raum klingen wird. Davon ausgehend «formen» sie den gewünschten Raumklang, abgestimmt auf die Verwendung eines Raumes, was sich anhand der Nachhallzeit anschaulich darstellen und überprüfen lässt (Abb. 5 und 6).

Neue Akustikmaterialien und ihre Grenzen

Die im Bauwesen verwendeten Materialien besitzen sehr unterschiedliche akustische Eigenschaften. Es ist darum eine der Aufgaben der Akustiker, geeignete Materialien so zu kombinieren, dass sich das gewünschte Klangbild im Raum einstellt. Ein Material mit idealen akustischen Eigenschaften für alle Anwendungen existiert nicht und ist auch – wie aus den physikalischen Gundlagen hervorgeht – nicht zu erwarten. Doch die Werkstofftechnologie entwickelt sich erfreulicherweise sehr dynamisch. So steht der Akustik heute eine grosse Palette von Materialien zur Verfügung, welche es ihr ermöglicht, auf viele Gestaltungswünsche der Architektur zu reagieren. Die Zeiten, in denen sich die Auswahl bei akustisch wirksamen Oberflächen auf gelochte Blechverkleidungen und Weichfaserplatten beschränkte, sind glücklicherweise vorbei.

Eine heute weitverbreitete neue Technologie für Akustikmaterialien ist die Mikroperforation. Dabei weist ein beliebiges hartes Plattenmaterial sehr viele feine Löcher mit einem Durchmesser im Sub-Millimeterbereich auf. Durch die Reibung der bewegten Luft in den Löchern wird Schallenergie in Wärme umgewandelt. Ein derart behandeltes Material hat schallabsorbierende Eigenschaften, ohne dass es zusätzlich mit herkömmlichen Absorbermaterialien hinterlegt werden muss.

Ausserdem sind die feinen Perforationen je nach Material meist unauffällig, sodass die Oberflächen optisch homogen wirken. Die akustische Notsanierung des ehemaligen Plenarsaals des deutschen Bundestags in Bonn mit mikroperforierten Glasbauteilen bedeutete 1993 den Durchbruch dieser in den 1980er-Jahren entwickelten Technologie. Aufgrund ihres physikalischen Prinzips absorbieren mikroperforierte Platten den Schall aber nur in einem relativ begrenzten Frequenzbereich. Sie müssen in der Regel mit anderen Materialien ergänzt werden, um die gewünschte Raumakustik zu erzeugen. Das bestätigt die Erfahrung, dass sich mit einem einzigen Material nicht alle akustischen Aufgaben zugleich lösen lassen.

Vorhänge und Filterplatten

Auch im Bereich der traditionellen Akustikmaterialien finden gegenwärtig interessante Entwicklungen statt. Bei Textilien wird beispielsweise intensiv daran gearbeitet, durch spezielle Webtechniken, die sich nur mit den modernsten Maschinen realisieren lassen, den Strömungswiderstand von Geweben zu optimieren. Denn ein poröses Material kann den Schall nur wirkungsvoll absorbieren, wenn sein Strömungswiderstand in einem definierten Idealbereich liegt. Ein aktuelles Beispiel für die innovative Nutzung dieses Prinzips sind optisch transparente Akustikvorhänge mit guter akustischer Absorption.[2]

Weitere neue Akustikmaterialien mit absorbierenden Eigenschaften sind metallische Produkte, die auf Umwegen aus anderen Bereichen der Industrie Eingang in den Bereich der Akustik gefunden haben. So werden beispielsweise in der Verfahrenstechnik metallische Filtergewebe verwendet, deren Maschen so fein sind, dass sich ein für die akustische Absorption günstiger Strömungswiderstand einstellt. Eine ähnliche Wirkung haben dünne Platten aus Sintermetall (zusammengebackene kleine Metallpartikel). Damit sind heute auch homogene metallische Flächen mit schallabsorbierender Wirkung realisierbar.

Schall zerstreuen, Schall messen, Schall gestalten

Neben der «Vernichtung» des Schalls mittels Schallabsorption (Abb. 12) ist dessen Lenkung oder Streuung (Diffusion) ein ebenso wichtiges akustisches Werkzeug. Aus diesem Bereich stammt eine der bedeutendsten akustischen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit: In den 1970er-Jahren legte der deutsche Physiker Manfred Schröder die zahlentheoretischen Grundlagen für den Bau von hochwirksamen schallstreuenden Strukturen, die seither als «Schröder-Diffusoren» in vielen Konzertsälen den Schall gleichmässiger verteilen und dadurch eine bessere Verständlichkeit ermöglichen (Abb. 4).

Leider fehlen in der Akustik auch heute noch vielfach verlässliche Materialdaten als Grundlage für akustische Berechnungen und Simulationen. Akustiklabors wie jenes der Empa in Dübendorf (Abb. 1), in denen Messungen an Materialien unter normgerechten Bedingungen durchgeführt werden können, sind darum für die Akustik sehr wichtig. Sie bieten oft die einzige Möglichkeit, über Messungen an konkreten Materialmustern verlässliche Daten für den akustischen Planungsprozess zu erhalten.

Trotz verschiedenen technischen, finanziellen und organisatorischen Hürden ist es heute für ein erfahrenes Team aus Architektinnen und Akustikern möglich, die Akustik in einem Gebäude – über den rein funktionalen Aspekt hinaus – zu gestalten. Während sich im Aussen- raum die Begriffe und Konzepte von «Soundscape», «Klangökologie» und «Klanggestaltung » langsam auf breiter Front durchsetzen, ist ein solches Verständnis für Innenräume leider noch nicht erkennbar – dabei könnten die subtilen akustischen Verläufe im Innenraum ebenfalls als «Soundscape» begriffen werden. Je früher die Diskussion über akustische Konzepte an einem Bauwerk ansetzt, desto grösser ist die Chance, die visuelle und die akustische Gestaltung zu einem harmonischen Ganzen verbinden zu können.


Anmerkungen:
[01] Lerman, P. D. Do You Hear What I Hear? Learning to Listen in a Mediated World. MIX Magazine, 2005, June 1
[02] Diese insbesondere für die Ausstattung von Büroräumen attraktiven Neuentwicklungen werden voraussichtlich in einem der folgenden TEC21-Hefte noch detailliert beschrieben

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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