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TEC21 2012|17
Durchmesserlinie 1
TEC21 2012|17
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Der Bau des Bahnhofs Löwenstrasse

Während des Baus des unterirdischen Bahnhofs Löwenstrasse kann wegen des dichten Zugverkehrs im Hauptbahnhof Zürich auf keines der bestehenden Gleise verzichtet werden. Mit temporären Gleisverkürzungen wird der für die Bauarbeiten benötigte Platz geschaffen. Die Errichtung des Durchgangsbahnhofs und der neuen Passage Gessnerallee erfolgt etappenweise.

20. April 2012 - Max Bösch
Das Herzstück der Durchmesserlinie ist der unterirdische Bahnhof Löwenstrasse, der unter den Zücher Hauptbahnhof zu liegen kommt. Er wird 16 m unter den Gleisen 4 bis 9 des Hauptbahnhofs gebaut – und zwar bei laufendem Bahnbetrieb.

Im Vergleich zum bestehenden unterirdischen S-Bahnhof Museumstrasse ist der neue viergleisige Bahnhof Löwenstrasse breiter angelegt (die Perrons sind 13.5 statt 10.5 m breit), und er verfügt über mehr und grosszügiger gestaltete Aufgänge. Er wird nicht nur für S-Bahnen, sondern auch für Fernverkehrszüge bis 420 m Länge zur Verfügung stehen. Aufgrund der geschätzten Entwicklung der täglichen Personenfrequenzen von 300 000 (2004) auf 550 000 (2025) wird eine zusätzliche Fussgängerpassage Gessnerallee mit Treppen und Rolltreppen auf die oben- und untenliegenden Perrons gebaut. Mit dem neuen Durchgangsbahnhof wird die ShopVille-Railcity Zürich mit ihren bisher 140 Läden um etwa 15 % Verkaufsfläche erweitert.

Bauinstallation und Baustellenlogistik

Vorausetzung für die effiziente und termingerechte Bauabwicklung einer innerstädtischen Grossbaustelle sind eine ausreichende Installationsfläche und eine leistungsfähige Logistik. Die Hauptinstallationsfläche Nord (ca. 16 000 m²) liegt auf SBB-eigenem Grund entlang der Zollstrasse. Hier wurde ein Anschluss mit zwei Gleisen von 129 und 257 m Länge erstellt. 300 000 m³ Sihlschotter wurden beim Bau des Bahnhofes Löwenstrasse ausgehoben und über verschiedene Förderbänder und Senkrechtförderer zur Bahnverladeanlage befördert. Der Abtransport erfolgte dann mit einem Aushubzug mit ca. 1000 t Ladekapazität nach Hüntwangen bei Eglisau zur Rekultivierung einer Kiesgrube. Pro Tag konnten vom Hauptbahnhof aus bis zu drei Aushubzüge geführt werden.

Herausragende Erscheinung auf dem Installationsplatz ist die Betonanlage mit einer Produktionsleistung von 80 m³ / h. Zement und 130 000 m³ Kies werden über die Gleisanlage geliefert. Der Beton wird in Rohren von 125 mm Durchmesser auf die bis zu 400 m entfernten Baustellen gepumpt.

Südlich des Hauptbahnhofs wurden weitere Installationsflächen auf städtischem Grund errichtet: Parallel zur Kasernenstrasse führt eine provisorische Rampe zur Sihltiefstrasse beziehungsweise dem Stadttunnel[1], womit ein LKW-tauglicher Zugang auf das Niveau der Decke des Bahnhofs Löwenstrasse möglich ist; daneben steht eine Betonanlage. Auf der Postbrücke wurde eine Fahrspur aufgehoben, und über der Sihl entstand eine Plattform als Abstellfläche und für Interventionen bei Hochwasser (z. B. Entfernen von Schwemmholz). Am rechten Flussufer wurde mit einer auskragenden Tragkonstruktion das Auflager für Bürocontainer geschaffen. Am südöstlichen Ende der Baustellen musste eine weitere Plattform errichtet werden, welche die Taxivorfahrt überspannt und einem Turmdrehkran als Umschlagfläche dient.

Deckelbauweise

Beim Bau des Bahnhofs Löwenstrasse standen die Planer vor einer besonderen Herausforderung: Der Zugverkehr im Zürcher Hauptbahnhof ist so dicht, dass während der Bauarbeiten auf kein Gleis vollständig verzichtet werden kann. Aus diesem Grund wurden die Arbeiten in der so genannten Deckelbauweise ausgeführt. Diese kommt zur Anwendung, wenn keine offene Baugrube erstellt werden kann. Zunächst verkürzte man jeweils zwei bis drei Gleise in der Perronhalle um 100 m (der verbliebene Teil von ca. 300 m konnte bahnbetrieblich normal genutzt werden). Nach dem Rückbau der Perronanlagen und einem Voraushub folgten der Bau von Zwischenabstützungen und von bis zu 30 m tiefen Schlitzwänden.

Letztere bilden die künftigen Aussenwände des unterirdischen Bahnhofes. Auf das Erdreich kam die oberste Betondecke zu liegen, unter der das Erdmaterial ausgebaggert werden konnte (Abb. 5). Dabei musste der Wasserspiegel innerhalb der umfassenden Schlitzwände bis unter die Baugrubensohle abgesenkt werden. Das entnommene Grundwasser wurde an drei Versickerungsstellen 1 bis 1.5 km von der Baustelle entfernt wieder dem Grundwasserstrom zugeführt.[2] Nach Abschluss einer Bauphase wechselte man zu den nächsten Gleisen. Während des unterirdischen Ausbaus – dieser erfolgte von oben nach unten – verkehrten bereits wieder Züge auf den darüber liegenden Gleisen.

Von 2002 bis 2004 wurden im Rahmen von Bahn 2000 die Perrons auf 420 m verlängert.[3] Zwischen dem Stellwerk und der Sihl erstellte man bei den Gleisen 3 bis 9 die Betondecke, Schlitzwände und Zwischenabstützungen als Vorinvestitionen für den Bahnhof Löwenstrasse. Dieses Vorgehen war erforderlich, weil ab 2004 mit der Angebotserweiterung nach der Inbetriebnahme der ersten Etappe Bahn 2000 im Hauptbahnhof Zürich keine Hallengleise mehr permanent gesperrt werden konnten.

Unterfahrung Südtrakt

Am Ende des doppelspurigen Weinbergtunnels musste ein Aufweitungsbauwerk errichtet werden, denn der Bahnhof Löwenstrasse verfügt über vier Gleise. Diese Stelle liegt unter dem denkmalgeschützten Südtrakt des Hauptbahnhofes. Der kontinuierlich breiter werdende Tunnelquerschnitt und der geringe Abstand zum historischen Gebäude erforderten ein spezielles Bauverfahren, die sogenannte «Bergmännische Deckelbauweise». Zwei unterirdische Längsstollen schufen den Raum, um vertikale Schlitzwände zu erstellen (Abb. 7 8). Zwischen den ausbetonierten Längsstollen wurde mit Hilfe von Querstollen eine Abfangdecke gebaut. Unter dem Schutz dieser Konstruktion konnten schliesslich der eigentliche Tunnelquerschnitt ausgehoben sowie Boden und Wände betoniert werden.

Unterquerung der Sihl

Während die Perrons im alten Hauptbahnhof über die Sihl führen, unterquert der neue Durchgangsbahnhof diese (Abb. 9). Bei dessen Bau musste deshalb nicht nur der Bahnbetrieb, sondern auch der Durchfluss sichergestellt sein. Die Sihl fliesst in fünf Durchlässen unter dem Hauptbahnhof hindurch. Ab 2008 wurden während drei Jahren jeweils zwei der fünf Durchlässe trocken gelegt, um ebenfalls in Deckelbauweise die Umhüllungen (die äusseren Schlitzwände und die Decke) des Bahnhofes zu erstellen. Parallel zur Postbrücke wurde eine Plattform gebaut, von der aus Maschinen und Material zur Baustelle befördert werden konnten. Die Platzverhältnisse in den Sihldurchlässen waren alles andere als komfortabel, weshalb nur kompakte Spezialgeräte zum Einsatz kamen. Zusätzlich musste die Hochwassersicherheit sichergestellt werden. Die Auflage im Bewilligungsverfahren lautete, dass der Bauvorgang so festzulegen sei, dass der Abfluss auch für extreme Hochwasser immer gewährleistet ist. Für den Hochwasserschutz wurden folgende Massnahmen definiert: Sohlenabsenkung der Sihl im Bereich der Unterquerung des Hauptbahnhofes um 60 cm, Schaffung eines Geschieberückhaltevolumens von 7000 m³ zwischen Post- und Kasernen- brücke, Vorabsenkung des Sihlsees sowie Noträumung und Flutung der Baustelle. Seit April 2011 fliesst die Sihl wieder durch alle fünf Durchlässe. Der Kanton Zürich hat inzwischen den Betrieb des für die Durchmesserlinie entwickelten Hochwasserwarnsystems mit der Vorabsenkung des Sihlsees übernommen (TEC21 17-18/2011 «Frühwarnung»).

Kommunikation

Die zentrale Lage dieser Baustelle bringt es mit sich, dass es nebst den im Projekt beteiligten Planern, Ämtern und Behörden auch viele betroffene Nachbarn gibt. Aus diesem Grund haben die SBB seit Baubeginn jeden Monat über 1000 Anwohnerschreiben mit Informationen zu den aktuellen Bauarbeiten verschickt. Die Anwohner werden auch regelmässig zu Informationsanlässen und Baustellenbesichtigungen eingeladen.


Anmerkungen:
[01] Der Stadttunnel wurde beim Bau des S-Bahnhofs Museumstrasse angelegt. Dieser sollte dereinst die A3 über das sogenannte Ypsilon mit den Nationalstrassen aus dem Limmattal und Zürich- Nord verbinden
[02] Sobald der Bahnhof Löwenstrasse fertig gebaut ist, werden die Pumpen abgestellt und der Wasserspiegel kann sich wieder auf seinem ursprünglichen Niveau einpendeln
[03] Die erste Etappe von Bahn 2000 wurde 2004 abgeschlossen und umfasste rund 130 Bauprojekte

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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