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TEC21 2012|24
Nanotechnologie
TEC21 2012|24
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

In der Welt der Zwerge

Mit der Entwicklung des Rastertunnelmikroskops vor 30 Jahren wurde es möglich, kleinste Partikel bis hin zu den «Bausteinen» der Materie, den Atomen und Molekülen, sichtbar zu machen und gezielt zu manipulieren – eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der Nanotechnologie. Diese macht sich die besonderen Eigenschaften kleinster Partikel zunutze, die völlig andere sein können als bei grösseren Partikeln des gleichen Materials. Das eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten für verschiedenste Anwendungsgebiete.

8. Juni 2012 - Claudia Carle
Die Vorsilbe «nano» wurde vom altgriechischen Wort für Zwerg (nanos) abgeleitet und bezeichnet den milliardsten Teil einer Masseinheit. Ein Nanometer (nm) sind also 10–9 m. Dies ist der Grössenbereich von Atomen und Molekülen. Drei Goldatome ergeben beispielsweise zusammen eine Länge von 1nm. Auch Viren haben Grössen von 10 bis mehreren 100nm. Ein menschliches Haar hingegen weist einen Durchmesser von etwa 75000nm auf. Nanopartikel entstehen sowohl durch natürliche Prozesse – beispielsweise bei Vulkanausbrüchen oder Waldbränden – als auch durch menschliche Aktivitäten wie das Schleifen von Oberflächen oder durch Verbrennungsprozesse, sei das in der Industrie, im Verkehr oder beim Rauchen einer Zigarette. Während Nanopartikel dort als Nebenprodukt anfallen, werden in der Nanotechnologie gezielt Nanopartikel hergestellt.

Meilensteine der Nanotechnologie

Als theoretischer Vordenker der Nanotechnologie gilt der US-amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman. In seinem berühmt gewordenen Vortrag «There’s plenty of room at the bottom», den er 1959 am California Institute of Technology hielt, entwarf er die Vision, auf der Nanoebene einzelne Atome und Moleküle zu kontrollieren und zu manipulieren: «In meinen Augen sprechen die Prinzipien der Physik nicht gegen die Möglichkeit, Dinge Atom für Atom zu manipulieren», so Feynman. Die technischen Mittel dazu standen jedoch erst über 20 Jahre später zur Verfügung: Mit dem 1981 vom Schweizer Heinrich Rohrer und dem Deutschen Gerd Binning am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon ZH entwickelten Rastertunnelmikroskop liessen sich Atome und Moleküle überhaupt erst sichtbar machen, denn optische Mikroskope reichen nur bis zu einer Auflösung von etwa 250nm. Für diese Erfindung erhielten Rohrer und Binning 1986 den Nobelpreis für Physik. Mithilfe eines solchen Rastertunnelmikroskops gelang es dem US-amerikanischen Forscher Don Eigler 1989 erstmals, die Positionierung von Atomen gezielt zu manipulieren: Er setzte aus 35 Xenonatomen das Logo von IBM zusammen (Abb. 3). Mit der Nanotechnologie können also gezielt nanoskalige Strukturen hergestellt oder verändert werden. Man unterscheidet hierbei zwei verschiedene Vorgehensweisen: beim Top-down-Verfahren werden grössere Objekte sukzessive verkleinert bis zur Erreichung von nanoskaligen Strukturen. Beim Bottom-up-Verfahren werden einzelne Atome oder Moleküle gezielt so angeordnet, dass die gewünschten Eigenschaften entstehen.

Neue Eigenschaften

Interessant sind Nanopartikel deshalb, weil Materialien als Nanopartikel ganz andere Eigenschaften aufweisen können als grössere Partikel des gleichen Materials (vgl. Kasten). So ist beispielsweise Kohlenstoff in Form von Grafit sehr weich, in Form von Kohlenstoff-Nanoröhrchen (Abb. 4) hingegen härter als Stahl und gleichzeitig sehr leicht. Auch elektrische, thermische und optische Eigenschaften können sich im Nanobereich verändern. So erscheinen grössere Partikel von Titandioxid weiss und werden breit eingesetzt als weisser Farbstoff. Nanopartikel von Titandioxid hingegen sind transparent im Bereich des sichtbaren Lichts, reflektieren aber UV-Strahlung. Diesen Effekt macht man sich in Sonnencremes zunutze. Ein ähnliches Phänomen kannten schon die mittelalterlichen Glasmacher: Durch das Einbrennen von feinsten Goldpartikeln produzierten sie das sogenannte Goldrubinglas, das intensiv rot ist und auch nach Jahrhunderten nichts an Leuchtkraft einbüsst (Abb. 2).

Die Nanotechnologie nutzt diese veränderten Eigenschaften und beschäftigt sich dabei mit Materialien, deren Teilchengrösse oder Oberflächenstruktur in mindestens einer Dimension eine Grösse zwischen 1 und 100nm aufweist (Abb. 1). Typisch für die Nanotechnologie ist auch ihr interdisziplinärer Charakter im Bereich von Chemie, Physik und Biologie. Schon heute sind in vielen Anwendungsgebieten Nanomaterialien im Einsatz. Die bekanntesten sind die bereits erwähnten Titandioxid-Nanopartikel als UV-Schutz in Sonnencremes und Kosmetika oder Nanosilber in Textilien zur Verhinderung von Schweissgeruch. Nanopartikel finden sich aber auch in Lebensmitteln, Tennisschlägern, Velorahmen und nicht zuletzt auch in zahlreichen Baumaterialien (vgl. «Nanoprodukte für den Bau», S. 18). Ideengeber für neue Entwicklungen sind teilweise auch natürliche Vorbilder. So dienen die Oberflächenstrukturen von Lotusblättern als Vorbild für wasser- und schmutzabweisende Beschichtungen. Die Strukturen an den Füssen der Geckos, die auch auf glatten Oberflächen klettern können, stehen Pate bei der Entwicklung neuer Kleber. Die Erwartungen, die in Nanomaterialien gesetzt werden, sind auch hinsichtlich ihrer Umweltfreundlichkeit gross. Allerdings gibt es bisher nur für wenige Nanomaterialien umfassende Ökobilanzen, mit denen sich die erhofften Einsparungen an Energie und Ressourcen belegen liessen.[1] Die wenigen Ökobilanzen, die es gibt, zeichnen ein zwiespältiges Bild. So gibt es durchaus Nanomaterialien, die umweltfreundlicher sind als ein vergleichbares konventionelles Material. Bei einigen Nanomaterialien benötigt aber zum Beispiel der Herstellungsprozess so viel Energie, Wasser und umweltproblematische Chemikalien, dass die Bilanz zu ihren Ungunsten ausfällt.


Anmerkung:
[01] S. Gressler, M. Nentwich: Nano und Umwelt – Teil I: Entlastungspotenziale und Nachhaltigkeitseffekte. Inst. für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2011

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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