Zeitschrift

TEC21 2012|26
Franz Hart in München
TEC21 2012|26
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Garage aufgestockt

Franz Hart erbaute 1964/65 am Salvatorplatz im historischen Stadtkern von München eine öffentliche Parkgarage. Berücksichtigt man, dass Neubauten in der Münchner Innenstadt meist einer traditionellen Gestaltung verpflichtet waren, ist Harts Umgang mit der historischen Substanz zukunftsweisend. Mit der Aufstockung der Garage 2006 durch den Münchner Architekten Peter Haimerl und der gleichzeitigen Instandsetzung durch das Architekturbüro Schmidt-Schicketanz und Partner ist das denkmalgeschützte Gebäude für die Zukunft gerüstet. Dabei beeindruckt vor allem die Arbeit Haimerls.

22. Juni 2012 - Jochen Paul
Die Aufstockung der Salvatorgarage, die gegenüber dem Bestand ebenso eigenständig auftritt, wie sie ihn respektiert, hat Aufsehen erregt und erhielt mehrere Auszeichnungen: Auf den Preis für Stadtbildpflege der Landeshauptstadt München (2010) folgten u. a. die Nominierung für den BDA-Preis Bayern und der Preis für Denkmalschutz und Neues Bauen 2010. Über Letzteren freute sich der Münchner Architekt Peter Haimerl besonders, «weil es sich dabei wohl um die erste realisierte computergenerierte Fassade in Europa handelte – und dann ein Preis für Denkmalschutz», so Peter Haimerl.

Der Standort des Parkhauses inmitten der Münchner Altstadt zählt damals wie heute zu den städtebaulich anspruchvollsten in München. Die Parzelle Salvatorplatz 3 grenzt nicht nur an Teile des Jungfernturms von 1430, sondern auch an einen der wenigen erhaltenen Reste der mittelalterlichen Stadtmauer und an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Darüber hinaus steht der Grossteil der näheren Umgebung unter Denkmalschutz: unter anderem das Literaturhaus (Friedrich Löwel, 1887), die spätmittelalterliche Salvatorkirche (Lukas Rottaler, 1493/94), die Bauten der – mittlerweile unter UniCredit firmierenden – HypoVereinsbank in der Prannerstrasse (François Cuvillés d. Ä., 1735–1740) und in der Kardinal-Faulhaber-Strasse (Enrico Zucalli, 1693/94) sowie das Erzbischöfliche Palais (François Cuvillés d. Ä., 1733–1737) (Abb. 1). Vom obersten Parkdeck blickt man auf die Türme und die Dachlandschaft der Frauenkirche.

Einbettung in ein diffiziles Umfeld

In diese sensible Nachbarschaft setzte Franz Hart seinen markanten Neubau, der zum Salvatorplatz mit einem einbündigen Bürotrakt abschliesst. Dabei respektierte Hart bei allem Bekenntnis zur Gegenwartsarchitektur den umgebenden Bestand: Die Pfeilergliederung der Fassade orientiert sich an der gegenüberliegenden Salvatorkirche, die Wahl des Fassadenmaterials an der unmittelbar angrenzenden Stadtmauer. Charakteristisch für das äussere Erscheinungsbild der Salvatorgarage ist neben den versetzt angeordneten Lüftungsschlitzen mit hochkant eingestellten Lochziegeln vor allem das Fugenbild des mit Dünnformatsteinen im Quartverband ausgeführten Mauerwerks. Dabei wird jeder zweite um einen halben Stein versetzt – ein ornamentales Detail, das laut Peter Haimerl auf den ersten Blick gar nicht so recht zu Hart passen will (vgl. Kasten S. 24), das aber eine enorme Präsenz entfaltet und in Hinblick auf den umgebenden Kontext seine Logik erhält. Als die Salvatorgarage nach 40 Betriebsjahren instand gesetzt werden musste – der Zahn der Zeit hatte vor allem in Form von Streusalzeintrag in die Gebäudestruktur an ihr genagt –, verband die Bauherrschaft die anstehenden Arbeiten am mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Parkhaus mit einer Aufstockung um fünf Halbgeschosse und 135 zusätzliche Autoparkplätze. Dabei war die Fassade im Bezug auf die historische Umgebung und das Bestandsgebäude von grosser Bedeutung. Die Instandsetzung des Bestands übernahm das Büro Schmidt-Schicketanz und Partner, von dem auch die Lichtinstallation an der Einfahrt und das Wegeleitsystem im Inneren des Parkhauses stammen. Das Gutachterverfahren für die über eine zweite Rampe erschlossene Aufstockung konnte Peter Haimerl für sich entscheiden.

Fassade der Aufstockung

Die Stahlkonstruktion wächst aus der vorgesetzten Backsteinfassade des Altbaus förmlich empor. Haimerl plante dafür eine brandschutzbeschichtete (F30) Stahlkonstruktion mit Stahlbetonverbunddecken, die auf den Pfeilern des bestehenden Tragwerks – eines Stahlbetonskeletts – aufsetzt. Dessen arabeskes Fugenspiel übersetzte Peter Haimerl mit Gero Wortmann (Programming), München, in eine vom Bestandsgebäude abgerückte, vorgehängte Fassade aus 15000 identischen, 30mm dicken, feuerverzinkten Rechteckprofilen in der Breite der Dünnformatziegel. Der Entwurf kontrastiert die Schwere von Franz Harts Backsteinfassade und orientiert sich gleichzeitig an den Proportionen und der massstäblichen Struktur des Bestands – weshalb ihn auch die für den Denkmalschutz zuständige Stadtgestaltungskommission von Anfang an mittrug. Konstruktiv vereint diese Lösung mehrere Vorteile: So ist die Stahlfassade stabil genug, um auf Leitplanken als Anprallschutz verzichten zu können; jede der 8.50 m hohen und 2.50 m breiten Fassadentafeln kommt mit nur zwei Befestigungspunkten pro Deck aus. Zudem erlaubten die vorgefertigten und untereinander unverbundenen Elemente auf der Baustelle eine rasche und kostengünstige Montage mit dem Autokran.

Die Fassade bildet eine transparente Hülle, die sich als umlaufendes Band um die gesamte Aufstockung legt. Ihr netzartiges Geflecht verdichtet sich auf Brüstungshöhe und zu den Befestigungspunkten an den Geschossdecken der neuen Parkdecks. Das auf diese Weise entstehende Muster – es erinnert an Mikadostäbchen – ist jedoch weder zufällig entstanden noch als rhythmisches Arrangement auf herkömmliche Weise «entworfen», sondern computergeneriert und streng regelbasiert: Die 1.50 m langen Stahlstäbe treffen stets im Winkel von 11.5° oder einem Vielfachen davon aufeinander. Für die Berechnung der Fassade im Computer nutzten Peter Haimerl und Gero Wortmann «Povray». Das Open-Source-Rendering-Programm, mit dem sie bereits seit 2001 arbeiten, fütterten sie für die Salvatorgarage mit Parametern von selbstorganisierenden Strukturen und Wachstumsprozessen aus der Natur. Die so generierten Informationen wurden für den Zuschnitt der Fassadentafeln als Datei direkt an den Stahlbauer gesendet, wo die 64 – aneinandergereiht fast 900 m langen – Elemente mit CNC-gesteuerten Plasmaschneidgeräten innerhalb von vier Wochen produziert wurden. Das Ergebnis, so die Jury für den BDA-Preis Bayern 2010 seinerzeit, «ist ein Garten für Autos über den Dächern von München: ein technischer, paradiesischer Ort in ornamentalem Funktionalismus üppig und gleichzeitig industriell gestaltet».

Weniger poetisch formuliert, realisiert die Salvatorgarage architektonische Qualität dort, wo wir uns mittlerweile daran gewöhnt haben, sie nicht zu erwarten: im Bereich der innerstädtischen Verkehrsarchitektur. Und damit führt Peter Haimerl das weiter, was Franz Hart seinerzeit bereits erkannt hatte. Die Aufstockung der Garage steht so beispielhaft für eine Instandsetzung, die eigenständig und undogmatisch an das Bestehende anknüpft, der historischen Substanz jedoch den nötigen Raum lässt.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: