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TEC21 2012|29-30
Kleinwasserkraft
TEC21 2012|29-30
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Ausbegrenztes Potenzial

Geht es nach dem Willen des Bundesrates, soll im Rahmen der Energiewende bis 2050 die Stromproduktion aus Wasserkraft um bis zu 10 % gesteigert werden. Der zusätzliche Strom soll je etwa zur Hälfte aus Gross- und Kleinwasserkraftwerken stammen. Dagegen regt sich Widerstand, denn bereits heute werden etwa 90 % der Gewässer für die Wasserkraft genutzt.

13. Juli 2012 - Lukas Denzler
Mit einer mittleren Jahresproduktion von rund 36 TWh ist die Wasserkraft der wichtigste Pfeiler der Schweizer Stromerzeugung. Dies entspricht 56 % der inländischen Stromproduktion. Nach dem Entscheid von Bundesrat und Parlament, mittelfristig aus der Atomenergie auszusteigen, erhält sie eine noch grössere Bedeutung. Ein weiterer Ausbau der Wasserkraft, insbesondere die Nutzung von noch unberührten Gewässern, stösst bei den Umweltverbänden jedoch auf Widerstand.

Ausbaupotenzial nach unten korrigiert

Im Juni 2011 ging der Bundesrat noch von einem Ausbau der Stromproduktion aus Laufund Speicherkraftwerken bis 2050 um insgesamt 4 TWh / Jahr aus (ohne Pumpspeicherkraftwerke).[1] Inzwischen wurde das angenommene Potenzial zusammen mit den Kantonen und Interessenvertretern überprüft und nach unten korrigiert.[2] Das Bundesamt für Energie (BFE) beziffert das zusätzliche Wasserkraftpotenzial bis 2050 unter heutigen Nutzungsbedingungen lediglich noch mit 1.53 TWh / Jahr. Unter optimierten Nutzungsbedingungen, die laut BFE insbesondere verbesserte wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen umfassen, könnte die Wasserkraftnutzung um 3.16 TWh / Jahr ausgebaut werden (vgl. Tabelle). Bei der Kleinwasserkraft wird der Ausbau auf 1.29 bis 1.6 TWh geschätzt.[3] Um das Potenzial der Kleinwasserkraft genauer als bisher zu ermitteln, führte das BFE eine Umfrage bei den Kantonen durch. Die zuständigen kantonalen Ämter hatten die Realisierungschancen der für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) angemeldeten Projekte zu beurteilen. Erst die KEV-Beiträge machten die Kleinwasserkraft wieder konkurrenzfähig. So werden Projekte geplant, die früher aus finanziellen Überlegungen kein Thema waren. Gemäss der Stiftung «Kostendeckende Einspeisevergütung» betrug der durchschnittliche Vergütungssatz bei der Kleinwasserkraft im Jahr 2010 16.5 Rp. / kWh[4]; die maximale Vergütung liegt bei 35 Rp. / kWh. Die Umweltverbände befürchten wegen der Förderung nun eine Flut von Projekten und stellen deshalb die KEV für Kleinwasserkraft grundsätzlich infrage.

Umfassende Planung ist unerlässlich

Die KEV ersetzt jedoch keine der für Kleinwasserkraftwerke erforderlichen kantonalen und kommunalen Bewilligungen. Für den Bau neuer Anlagen ist ein raumplanerischer Ansatz zentral. Bereits genutzte Gewässerabschnitte müssen Priorität haben, während noch naturnahe Wasserläufe zu schützen sind. In diese Richtung zielt denn auch die 2011 vom Bund herausgegebene Empfehlung zur Erarbeitung kantonaler Schutz- und Nutzungsstrategien im Bereich der Kleinwasserkraft.[5] Vorgeschlagen wird unter anderem, die Planung der Kleinwasserkraft in die kantonalen Richtpläne aufzunehmen. Als Vorbild gilt hier der Kanton Bern, der 2010 eine Wasserstrategie erlassen und damit nun ein Instrument zur Verfügung hat, um einerseits die Wasserkraft zu fördern, andererseits aber auch Landschaft und Natur zu schützen. Aus der systematischen Abwägung von Schutz- und Nutzungsinteressen ist als wichtigstes Ergebnis eine Gewässerkarte zur Wasserkraftnutzung hervorgegangen, die ein Massnahmenblatt des kantonalen Richtplanes ist (Tec21 5-6 / 2012). Eine umfassende Planung der Wasserkraft ist auch aus einem anderen Grund unabdingbar. Das 2011 in Kraft getretene revidierte Gewässerschutzgesetz sieht vor, die negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung auf die Gewässer zu reduzieren. Im Vordergrund stehen dabei geringere durch Schwall / Sunk verursachte Wasserspiegeländerungen sowie die Verbesserung des Geschiebehaushaltes und der Fischgängigkeit. Bei Letzterem fokussiert das Interesse zunehmend auf den Fischabstieg, wofür es noch keine befriedigenden Lösungen gibt. Ebenso wurde das Ziel formuliert, 4000 km Fliessgewässer innerhalb der nächsten 80 Jahre zu revitalisieren. Der Bund stellt den Kantonen von 2012 bis 2015 dafür erstmals 142 Mio. Fr. zur Verfügung. Die Kantone sind verpflichtet, Revitalisierungen von Gewässern strategisch zu planen, Schwerpunkte für ökologische Aufwertungen zu definieren und einen Zeitplan für die Umsetzung festzulegen. Der Erfolg dieser Bemühungen ist aber infrage gestellt, wenn keine Koordination mit dem angestrebten Ausbau der Wasserkraft erfolgt.

Chancen bei Kraftwerkserneuerungen nutzen

Mit der Erneuerung von Wasserkraftwerken lassen sich oft auch ökologische Verbesserungen erzielen. Ein Beispiel dafür ist das Kraftwerk Mühlau in Bazenheid im unteren Toggenburg (Abb. 1). Das alte Kraftwerk mit einem Oberwasserkanal und einer Restwasserstrecke wurde 2010 von der Regionalwerk Toggenburg AG durch ein neues Flusskraftwerk ersetzt, das dreimal so viel Strom wie das alte produziert (TEC21 15-16 / 2012). Das Wehr bildet zwar weiterhin ein Hindernis im Fluss; doch eine Fischtreppe ermöglicht den Fischen, flussaufwärts zu schwimmen. Der nicht mehr benötigte Oberwasserkanal wurde nicht einfach zugeschüttet, sondern in ein wertvolles Biotop umgewandelt, und bei Hochwasser wird bewusst Wasser zurückgestaut, um die oberhalb des Kraftwerks liegenden Auenflächen zu fluten. Solche ökologische Aufwertungen sind nur möglich, wenn Naturschutzfachleute von Anfang an beteiligt sind. Wie erfolgreich die ökologischen Ausgleichmassnahmen beim Kraftwerk Mühlau sind, wird in den kommenden Jahren mit einem Monitoring überprüft.

Kleinwasserkraft alleine genügt nicht

Die Stromproduktion aus Kleinwasserkraft liesse sich zweifellos noch etwas erhöhen. Auch neue Anlagen sind eine Option, wenn sie sich gut in die Landschaft integrieren und nicht in bisher unberührte Gewässer zu stehen kommen. Dank neuen Technologien besteht die Hoffnung, dass sich die Auswirkungen auf die Wasserlebewesen weiter reduzieren lassen. Gerade auch im Siedlungsgebiet wären Kleinwasserkraftwerke möglich. So hat beispielsweise bei einem Wettbewerb für eine Gebietsentwicklung in Uster ein Projekt gewonnen, weil es unter anderem am Aabach ein kleines Wasserkraftwerk vorschlug (TEC21 39/2011).

Hält man sich jedoch den weiteren Anstieg der Nachfrage nach Elektrizität und die 25 TWh Atomstrom, die es zu ersetzen gilt, vor Augen, so genügt der Beitrag der Kleinwasserkraft bei weitem nicht. Damit die Energiewende gelingt, sind wir auf sämtliche erneuerbaren Energiequellen angewiesen.


Anmerkungen:
[01] Bundesamt für Energie: Energieperspektiven 2050 – Abschätzung des Ausbaupotenzials der Wasserkraftnutzung unter neuen Rahmenbedingungen. Faktenblatt vom 20. Juni 2011
[02] Bundesamt für Energie: Wasserkraftpotenzial der Schweiz – Abschätzung des Ausbaupotenzials der Wasserkraftnutzung im Rahmen der Energiestrategie 2050, 2012
[03] Aus Sicht der Umweltverbände beschränkt sich das Potenzial der zusätzlichen Stromproduktion aus Kleinwasserkraft auf 0.7 bis 1 TWh / Jahr; der Schweizerische Wasserwirtschaftsverband beziffert es auf 1 bis 2 TWh / Jahr, die Experten der EPFL auf 1 bis 1.4 TWh /Jahr (Angaben aus Fn. 2)
[04] Stiftung Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV): Geschäftsbericht 2010 Die durchschnittlichen Vergütungssätze betrugen 2010 bei Windkraft 18.6, bei Biomasse 20.6 und bei Fotovoltaikanlagen 68.1 Rp. / kWh. Aufgrund der gesunkenen Kosten für Fotovoltaikmodule wurden per 1. März 2010 die Vergütungssätze für Fotovoltaik um 18 % gesenkt
[05] BAFU, BFE, ARE (Hrsg.): Empfehlung zur Erarbeitung kantonaler Schutz- und Nutzungsstrategien im Bereich Kleinwasserkraftwerke, 2011
[06] EnergieSchweiz – Programm Kleinwasserkraftwerke: Newsletter Nr. 11, 1 / 2010

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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