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TEC21 2012|29-30
Kleinwasserkraft
TEC21 2012|29-30
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Stadtlandschaft dank Wasserkraft

Wer in Burgdorf den Kanälen folgt, begibt sich auf eine historische Entdeckungsreise. Am weitverzweigten Kanalsystem befinden sich neun Kraftwerke, die zurzeit gut 3 % des Burgdorfer Strombedarfs decken. Die Genossenschaft der Kraftwerksbesitzer möchte diese weiter betreiben und hat einige Anlagen bereits modernisiert. Für Burgdorf stellen die Wasserläufe zudem eine einmalige Chance für die Gestaltung der städtischen Räume dar.

13. Juli 2012 - Lukas Denzler
Manchmal kann sich eine Idee nicht durchsetzen, weil sie zu früh kommt. 1989 sass Hans Ulrich Flückiger im Stadtparlament von Burgdorf. Um die Chancen von Strom aus Fotovoltaik auf dem Markt zu verbessern, schlug der Unternehmer eine kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) vor. In Burgdorf stiess er damit auf offene Ohren. Das System wurde als Burgdorfer Modell bekannt, setzte sich in der Schweiz vorerst aber nicht durch. Zur selben Zeit entstanden in Deutschland ähnliche Konzepte. Zwischen den Vordenkern aus Burgdorf und den deutschen Solarpionieren gab es in den 1990er-Jahren einen regen Austausch. Den eigentlichen Durchbruch bildete schliesslich das 2000 in Deutschland beschlossene Erneuerbare- Energien-Gesetz, das die Einspeisung und Vergütung von Strom aus erneuerbaren Quellen regelt.

In der Schweiz setzte sich das Modell der KEV auf Gesetzesebene erst 2009 durch. Gefördert wird seither Strom aus Solarzellen, aber auch aus Biomasse-, Wind-, Geothermie- und Kleinwasserkraftwerken. Und von Letzterem profitiert nun auch Flückiger. Nachdem sich der Unternehmer und Elektroingenieur vor zehn Jahren aus dem aktiven Berufsleben zurückgezogen hatte, übernahm er 2006 ein Kleinwasserkraftwerk am Burgdorfer Gewerbekanal. Das Werk war noch in Betrieb und gehörte der Stanipac AG (früher Stanniol- und Flaschenkapselfabrik), die heute PET-Folien und Verpackungen herstellt. Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte der mechanische Antrieb der Fabrikmaschinen noch über eine direkte Kraftübertragung (Transmission). Nach der Elektrifizierung lieferte ein Generator mit einer Leistung von 30 kW einen Teil des für die Maschinen benötigten Stroms, der Rest wurde aus dem öffentlichen Netz bezogen. 1929 wurde das Kraftwerk erneuert und die Leistung auf 85 kW gesteigert.

Fast doppelt so viel Strom dank Erneuerung

Weil nach 80 Jahren wieder eine Sanierung der Anlage bevorstand, beschloss die Stanipac AG, das Kraftwerk zu verkaufen. Flückiger liess ein Projekt ausarbeiten, das den Einbau einer neuen Turbine sowie die Erneuerung des Oberwasserkanals inklusive der Erhöhung der Dämme vorsah. Dadurch erhöhte sich das nutzbare Gefälle um 0.6 m auf 3.8 m.

Die elektrische Leistung beträgt neu 166 kW, und die Produktion konnte von 550 000 auf 1 000 000 kWh Strom pro Jahr gesteigert werden (Abb. 2+3). Dank der KEV rechnen sich die Investitionen. Was einst in Burgdorf für die Fotovoltaik eingeführt worden war, ermöglicht nun die Erneuerung der Kleinwasserkraftwerke.

Auf Burgdorfer Stadtgebiet befinden sich heute neun Kleinwasserkraftwerke mit Leistungen zwischen 30 und 170 kW. Das Kraftwerk beim Bahnhof, das seit mehr als 25 Jahren keinen Strom mehr liefert, möchte Flückiger wieder in Betrieb nehmen. Die Kraftwerke nutzen das Wasser im weit verästelten Kanalsystem von Burgdorf. Dieses ist 4.8 km lang und weist ein Gefälle von 24 m auf. Laut Flückiger werden derzeit 18 m Fallhöhe für die Elektrizitätsgewinnung genutzt. Zurzeit produzieren die Kraftwerke jährlich etwa 3.3 Mio kWh Strom. Dies entspricht gut 3 % des Burgdorfer Elektrizitätsbedarfs.Eine Konzession für alle Kraftwerke Die Kleinkraftwerke sind alle in privater Hand, und die Besitzer der Kraftwerke sind in einer Genossenschaft zusammengeschlossen, deren Präsident Hans Ulrich Flückiger ist. Der Kanton Bern hat 2005 nicht den einzelnen Besitzern, sondern der Genossenschaft eine einzige neue Konzession erteilt. Diese darf eine Wassermenge von maximal 5 m³/s aus der Emme in das Kanalnetz einleiten. Sie ist für die Steuerung der Schleusen und damit die Verteilung des Wassers in den Kanälen verantwortlich.

Der Bau des Kanalsystems in Burgdorf ist auf den Energiebedarf des Gewerbes und der frühen Fabriken zurückzuführen. Die ältesten schriftlichen Zeugnisse von mit Wasserkraft betriebenen Mühlen stammen aus dem 13. Jahrhundert. Später kamen Webereien und Maschinen zur Metallverarbeitung hinzu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Burgdorf etwa 35 Industriebetriebe, von denen die Hälfte eigene Wasserkraft nutzte.1 Zunächst erfolgte die Kraftübertragung über Riemen oder Wellen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Wasserräder durch Turbinen und Generatoren zur Stromerzeugung ersetzt.

Ein Stollen und ein Wasserkreuz

Das Wasser in den Kanälen stammte einerseits vom Oberburgbach, der durch verschiedene natürliche Bäche gespeist wird, und andererseits von der Emme. Wegen ihres Wildwassercharakters kam die Emme für die direkte Wasserkraftnutzung weniger infrage, weshalb man ihr Wasser in Kanäle leitete. Im 18. Jahrhundert wurde der Verlauf der Kanäle bezüglich ihres Gefälles optimiert. Damit möglichst wenig Höhe verloren ging, baute man 1723 sogar einen 65 m langen Stollen durch den Schlossfelsen (Abb. 5). Als natürliche Fortsetzung des Oberburgbaches diente die Kleine Emme primär als Hochwasserentlastung. Dadurch entstand ein Unikum: das Burgdorfer Wasserkreuz (Abb. 4). An dieser Stelle kreuzt sich der Kanal aus der Emme mit einem natürlichen Gewässer, dem Oberburgbach bzw. der Kleinen Emme (Abb. 1). Je nach Wasserführung des Oberburgbaches wird mehr oder weniger Wasser aus der Emme beigemischt. Oberstes Ziel war und ist es auch heute noch, eine konstante Wasserführung in den Kanälen zu gewährleisten, um die Kraftwerke optimal betreiben zu können. Verschiedene Hochwasserentlastungen sollen Überschwemmungen verhindern.

Unterhalb von Burgdorf unterquert der Kanal in einem 1898 angelegten Rohr, einem sogenannten Düker, die Emme. Auf der anderen Flussseite setzt sich das Kanalsystem nach Kirchberg fort, führt der Autobahn A1 entlang nach Gerlafingen und mündet im solothurnischen Luterbach in die Aare. Solche Kanalsysteme wie in Burgdorf gab es früher in vielen Städten. Viele wurden im 20. Jahrhundert aufgegeben. In Burgdorf ist das Kanalsystem aussergewöhnlich gut erhalten. Weil viele Kanäle in der ehemaligen Burgerallmend lagen, gehören diese noch heute der Burgergemeinde. Es waren in den letzten Jahrzehnten aber vor allem die Kraftwerksbetreiber, die das Kanalnetz unterhielten und ihre Anlagen weiter betrieben und zum Teil auch erneuerten.

Neue Wertschätzung für die Kanäle

In Burgdorf hat man den Wert der Gewässer auf Stadtgebiet erkannt. Ein Beleg dafür ist ein 2008 publiziertes Faltblatt, der drei Spaziergänge entlang der Gewässer beschreibt, darunter eine Technik-Tour zum Thema Wasserkraft.[2] Bereits 1978 liess die Stadt von einem Ingenieurbüro eine Studie über die Behandlung der Bachläufe und Kanäle erstellen.[3] Sie zeigte unter anderem deren Bedeutung für das Stadt- und Landschaftsbild sowie die Erholung auf. «Die Studie hat entscheidend zu einem neuen Bewusstsein beigetragen», sagt Fritz Keusen, der Leiter des Tiefbauamtes und von Stadtgrün in Burgdorf. Seither geniessen die Gewässer im Siedlungsgebiet wieder eine grössere Wertschätzung. Sie tragen insbesondere auch zur Lebensqualität bei (Titelbild des Heftes, Abb. 6+8).

Ein weiterer wichtiger Schritt war laut Keusen auch das neue Gesetz über den Gewässerunterhalt und Wasserbau des Kantons Bern von 1989. Fortan konnten keine Gewässer mehr überdeckt werden, und sämtliche Bauten in Gewässernähe waren durch den Kanton zu bewilligen. Mit dem Erlass gingen auch die Unterhaltspflichten für die Gewässer grundsätzlich von den Grundeigentümern auf die Gemeinden über. Beim Kanal in Burgdorf sei klar gewesen, dass dieser wie ein Fliessgewässer betrachtet werde, sagt Keusen. Lediglich für die überdeckten Abschnitte sind weiterhin die Grundeigentümer verantwortlich. Und für den Kanalunterhalt in unmittelbarer Nähe der Kraftwerke sind weiterhin deren Besitzer zuständig.

Wichtige Rolle des städtischen Elektrizitätswerkes

Einen Beitrag zur Erhaltung der Kleinwasserkraftwerke leistete auch das Elektrizitätswerk Burgdorf, das den von den Betrieben und Fabriken selber nicht benötigten Strom ins eigene Netz einspeiste. Laut der Studie von 1978 bezahlte es für diesen Strom gleich viel wie für den von den Bernischen Kraftwerken (BKW) bezogenen (7.2 – 7.3 Rp. / kWh). Einen solchen Preis zu bezahlen, war nicht üblich, denn bei den Burgdorfer Kraftwerken fiel der überschüssige Strom damals vor allem in der Nacht und an den Wochenenden an. Man betrachtete dies jedoch ausdrücklich als Förderung der noch existierenden Kleinwasserkraftwerke.[4] Damals besass das städtische Elektrizitätswerk selber noch ein Kraftwerk. Inzwischen ist es zu einem Energie- und Kommunikationsversorger der Region geworden und hat deshalb vor sechs Jahren das Kraftwerk an Fritz Uhlmann verkauft, der es seit seiner Pensionierung betreut.

Mit 35 kW Leistung ist es eines der kleinsten in Burgdorf (Titelbild S. 15). Automatische Steuerung des Kanalsystems Die Genossenschaft hat in letzter Zeit vermehrt in die Modernisierung des Kanalnetzes investiert. Derzeit werden jährlich etwa 3.3 Mio. kWh Strom produziert. Hans Ulrich Flückiger möchte die Stromerzeugung um 40 % steigern, dies entspräche dann rund 5 % des Burgdorfer Elektrizitätsbedarfs. Zwei wichtige Schritte konnten bereits realisiert werden. Die Kapazität des obersten Kanalabschnitts wurde erhöht, und seit drei Monaten ist eine neue automatische Steuerung für die Wasserregulierung in den Kanälen in Betrieb. Sonden messen die Pegelstände an verschiedenen Stellen im Kanalsystem. Erfasst werden auch die Wassermengen aus den natürlichen Kanalzuläufen. Aus den Messungen errechnet das Regelsystem die maximal mögliche Wasserentnahme aus der Emme, denn die Abflusskapazität des Kanalsystems beträgt lediglich etwas mehr als 5 m³/s.

Geht es nach Flückiger, soll als dritte Massnahme die Wassereinleitstelle an der Emme optimiert werden. Unter Einhaltung der festgelegten Restwassermengen von 2.2 m³/s würde es die Wasserführung der Emme erlauben, an durchschnittlich 250 Tagen im Jahr die konzessionierte Wassermenge von 5 m³/s auszuleiten. «Mit der jetzigen Entnahmestelle kann diese Menge aber lediglich an 50 bis 100 Tagen voll ausgeschöpft werden», sagt Flückiger. Damit mehr Wasser genutzt werden kann, wären technische Anpassungen an der Staustufe beim Einlaufwerk an der Emme notwendig. Dazu müssten nicht nur die Mitglieder der Kraftwerksgenossenschaft ihren Segen geben, sondern vor allem auch der Kanton Bern. Zudem stellen sich bei einer stärkeren Ausnutzung der Kapazität der Kanäle auch Sicherheitsfragen. Die Emme ist ein launisches Gewässer; das ist seit Jeremias Gotthelfs Erzählung «Die Wassernot im Emmental» allgemein bekannt. Ihr Wasserstand kann innerhalb kurzer Zeit um einen Meter ansteigen. Aus diesem Grund ist sicherzustellen, dass die Steuerung der Schleusen auch im Hochwasserfall zuverlässig funktioniert.

Chance für die Stadtentwicklung

Ein Netz von Kanälen bringt Leben in die Stadt und prägt ihr Gesicht. Hier schlummert ein riesiges Potenzial zu einer noch attraktiveren Gestaltung der städtischen Räume. Bei der Stadtplanung würden die Kanäle mit einbezogen, sagt Fritz Keusen. So etwa beim Quartier nördlich des Bahnhofs, das ein Entwicklungsschwerpunkt der Stadt ist. Auch das Wasserkreuz könnte mit einer gelungenen Aufwertung zu einem Wahrzeichen Burgdorfs werden. Erstaunlicherweise sind die Burgdorfer Kanäle in der Schweiz bisher nur wenig bekannt.


Anmerkungen:
[01] Otto Blaser: Kanalsystem in Burgdorf, 2000
[02] Baudirektion der Stadt Burgdorf: Fliessgewässer in Burgdorf – Drei Streifzüge, 2008. Das Faltblatt kann bei der Baudirektion Burgdorf bestellt werden: Tel. 034 429 42 11, baudirektion@burgdorf.ch
[03] Planungsbüro Ulrich Stucky: Behandlung der Bachläufe und Kanäle in der Richtplanung der Stadt Burgdorf. Studie im Auftrag des Stadtplanungsamtes der Stadt Burgdorf, 1978
[04] Der Produktionspreis für elektrische Energie in Kleinwasserkraftwerken wurde 1978 mit 8 Rp. / kWh angegeben. Darin sind allfällige Reparaturen oder Investitionen zur Erneuerung der Anlagen jedoch nicht eingerechnet. Im Bericht wird die Zukunft der Kleinwasserkraftwerke denn auch eher pessimistisch beurteilt

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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