Zeitschrift

TEC21 2012|35
Gepflegt Wohnen
TEC21 2012|35
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Pflegekonzepte in Zürich und Dietikon

Der Anteil der über 80-Jährigen in unserer Gesellschaft steigt und mit ihm die Zahl der Personen, die in unterschiedlichen Formen Unterstützung und Pflege zur Bewältigung ihres Alltags benötigen. Die beiden Städte Zürich und Dietikon haben in den letzten Jahren ihr Angebot an Pflegeeinrichtungen analysiert und bestehende Pflegeheime instand gesetzt bzw. Neubauten errichtet. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen unterscheiden – bei Besuchen des Pflegezentrums Bombach in Zürich Höngg und des Pflegeheims Ruggacker in Dietikon fällt auf, dass die Steigerung der Aufenthaltsqualität für Bewohner und Personal bei der Gestaltung der Häuser eine zentrale Rolle spielt.

24. August 2012 - Tina Cieslik, Andrea Wiegelmann
Weitläufige Eingangsbereiche, Blickbezüge in den Gebäuden und in die Umgebung, eine sorgfältige Detaillierung und Materialwahl zitieren in Zürich Höngg wie in Dietikon eher grosszügige Wohnanlagen denn Pflegeeinrichtungen. Es ist offensichtlich, dass sich der Anspruch an diese Häuser in den letzten Jahren gewandelt hat. Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten der Bewohnerinnen und Bewohner werden aktiv gefördert, die Selbstständigkeit jedes Einzelnen durch Therapien unterstützt. Die sogenannte Aktivierung, die Unterstützung und Förderung von Beweglichkeit und Aktivität, spielt eine zentrale Rolle. Auch das Leben auf den Abteilungen, mit Zimmernachbarn und Pflegern ist gestärkt. Statt Mehrbettzimmern bestimmen heute Ein- und Zweibettzimmer die Wohnetagen. Eigene Demenzabteilungen ergänzen das Programm. Beim Pflegezentrum Bombach in Zürich und beim Pflegeheim Ruggacker in Dietikon, beides Instandsetzungen, mussten bestehende Strukturen, entstanden aus Pflegekonzepten der 1960er-Jahre, an diesen Anforderungskatalog angepasst werden.

Während die Stadt Zürich für den Neubau wie die Instandsetzung ihrer Pflegeeinrichtungen einen Richtlinienkatalog[1], basierend aus den Erfahrungen mit den bestehenden Anlagen, erarbeitet hat, entwickelte Dietikon mithilfe externer Berater die erforderlichen Vorgaben für die Planung. Beide Städte reagieren damit auf die vorhandene Nachfrage, wenn auch die Voraussetzungen andere sind: Zürich möchte das Angebot an Pflegeeinrichtungen auf dem aktuellen Stand halten – der Anteil an über 80-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird nicht weiter steigen (vgl. Kasten S. 27) –, für Dietikon ist der Ausbau des Angebots auch Standortmarketing, da die Stadt in den nächsten Jahren von einer Zunahme der über 80-Jährigen ausgeht.

Grandezza in Bombach

Das Pflegezentrum Bombach, 1965 nach den Plänen der Architekten Josef Schütz und Hans von Meyenburg erbaut, liegt am Westrand von Zürich Höngg auf einer Geländeterrasse mit Aussicht über die Stadt. Über dem dreigeschossigen Sockel, auf zwei Untergeschosse folgt das freie Erdgeschoss, erhebt sich das siebenstöckige Bettenhaus, das mit einem zurückgesetzten Dachgeschoss abschliesst.

Den Besucher empfängt das instand gesetzte und im April 2012 wiedereröffnete Pflegezentrum mit einem grosszügigen offenen Erdgeschoss, das die parkartige Umgebung in das Gebäude hineinzieht. Das Nussbaumholz der Möbeleinbauten und die grossen Leuchten bestimmen den Raum. Die Offenheit, der Blick durch die geschosshohe Verglasung, die Kombination von warmen Holztönen und Steinböden entsprechen nicht im mindesten den Bildern, die beim Stichwort «Pflegeheim» im Kopf entstehen. Das verantwortliche Zürcher Büro Niedermann Sigg Schwendener nutzte die Möglichkeiten der Tragstruktur und schuf grosszügige, helle Räume.

Im Zuge der Instandsetzung wurde das Gebäude weitestgehend entkernt. Für die Anpassung der Grundrisse waren die Vorgaben des «Masterplans Bauten»[2] der Pflegezentren der Stadt Zürich ausschlaggebend. Darin enthalten sind Empfehlungen wie etwa die Zuordnung der Nasszellen zu den Zimmern oder die Anordnung von Aufenthaltsbereichen in jeder Abteilung. In Bombach sind eine Pflegeabteilung für Personen mit Sehbehinderung – erstmalig bei den Stadtzürcher Pflegezentren –, zwei Demenzabteilungen sowie eine Abteilung für geistig aktive (kognitiv intakte) Menschen integriert. Damit bietet das Pflegezentrum seinen Bewohnerinnen und Bewohnern eine auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmte Pflege und zudem ein umfassendes Therapieprogramm. Ein Tageszentrum, das «Stöckli», nimmt demenzkranke Bewohnerinnen und Bewohner tageweise auf. Voraussichtlich 2016 wird ein separates Haus für Demenzpatienten die Anlage ergänzen.

Für diesen Anforderungskatalog mussten die Nutzungen im Erd- und Untergeschoss neu organisiert werden. Die Eingangshalle ist als Zentrum der Anlage gestärkt und beherbergt nun neben dem Empfangs- und Aufenthaltsbereich auch die Cafeteria. Die Untergeschosse nehmen den erweiterten Therapiebereich auf, ebenso die Küche, den Personal- und den Andachtsbereich. In den sieben Obergeschossen sind durch die Neuorganisation der Grundrisse Aufenthalts- und Essbereiche entstanden. Durch integrierte Wohnküchen kann den Bewohnern nun ein Frühstücksbuffet angeboten werden. Die Möglichkeit, mit den Nachbarn auf der Etage zu frühstücken, wird, so der Leiter des Pflegezentrums, Erwin Zehnder, sehr gut angenommen. Das gemeinsame Essen auf den Geschossen bekommt einen beinahe familiären Charakter, unterstützt durch die Tatsache, dass das Pflegepersonal in der Regel immer auf denselben Abteilungen arbeitet:

Auch bei der Gestaltung der Zimmer stand der Anspruch im Vordergrund, eine persönliche, wohnliche Atmosphäre zu schaffen. Die ehemaligen Mehrbettzimmer sind in Ein- und Zweibettzimmer mit direkt zugeordneten Nassräumen umgewandelt. Die Ausstattung ist zurückhaltend genug, um den persönlichen Möbeln und Einrichtungsobjekten der Bewohnerinnen und Bewohner Raum zu geben. Sie haben deutlich mehr Privatsphäre als zuvor. Grosszügige Panoramafenster bieten auch aus dem Bett Aussicht ins Tal. Schmale Lüftungsflügel versorgen die Zimmer mit Frischluft und helfen, in Kombination mit der Komfortlüftung, den typischen Krankenhausgeruch zu vermeiden. Auf den Fluren zitieren die Kunststeineinfassungen der Zimmertüren die Eingangssituation in ein Privathaus und schaffen eine intime Atmosphäre, vergleichbar mit einer engen Altstadtgasse. Dieses Bild unterstützen die im Vorbereich der Treppen und Aufzüge installierten Bänke ebenso wie die Ausbaumaterialien (Eichenholz und heller Kunststein). Die notwendige Funktionalität der Wohnbereiche, die dennoch alle Ansprüche an eine moderne Pflegestation erfüllen, drängt sich durch die Gestaltung und die Wahl der Materialien nicht auf.

Differenziertes Angebot in Dietikon

In Dietikon ähneln die Anforderungen an die Instandsetzung des Pflegeheims Ruggacker der Aufgabenstellung in Zürich. Die Verabschiedung des Altersleitbilds der Stadt Dietikon von 1996 (vgl. Kasten S. 27) erforderte einen Ausbau der Wohnmöglichkeiten für betagte Einwohnerinnen und Einwohner. Ziel der Stadt ist es, jedem Bewohner entsprechend seiner Möglichkeiten Unterstützung für diese Lebensphase zu bieten. Im Zug der notwendig gewordenen Instandsetzung des Pflegeheims – von Markus Dieterle 1966 errichtet – wurde in einem angegliederten Ersatzneubau daher auch ein selbstständiges Wohnangebot für Senioren geschaffen mit der Möglichkeit, ergänzende Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Verantwortliche Architekten sind, wie in Bombach, Niedermann Sigg Schwendener. Die Umsetzung in Dietikon war dabei komplexer als in Bombach: Für die Bewohner des Altbaus (Ruggacker 1) stand während der Zeit der Umbaumassnahme keine alternative Unterkunft zur Verfügung.[3] Daher wurde zunächst der Neubau errichtet, der zukünftig die Seniorenresidenz aufnehmen wird (Ruggacker 2) und die Bewohner aus dem Pflegeheim dorthin umgesiedelt. Gleichzeitig konnten so im Untergeschoss des Neubaus Lagerflächen, Garderobenräume und weitere Betriebsräume geschaffen werden, um den Alltagsbetrieb des Pflege- heims auch während der Bauphasen zu sichern. Auch die Errichtung des Zwischenbaus, der Speise- und Mehrzwecksaal aufnimmt, wurde in der ersten Etappe ausgeführt.

In einem zweiten Schritt wird momentan das Bestandsgebäude instand gesetzt. Der Neubau ist seit 2011 bezogen, der instand gesetzte Altbau wird Ende August 2012 fertiggestellt sein. Dann ziehen die Bewohnerinnen des Pflegeheims zurück, und der Neubau kann, nach einer erneuten Umbauphase, für das Alterswohnen genutzt werden.

Aufgrund der unterschiedlichen Nutzung verfolgten die Architekten von Beginn an das Konzept, zwei getrennte Gebäude zu realisieren, die über gemeinsam genutzte Bereiche verbunden sind: den Speisesaal, angeschlossen an die Empfangsbereiche, und die Verwaltungsräume beider Häuser in den Erd- und Untergeschossen.

Hohe Qualität im Rahmen des Möglichen

Die neu errichtete Altersresidenz besteht aus dem Gartengeschoss, drei dazwischenliegenden Vollgeschossen und dem zurückspringenden Dachgeschoss. Alle Wohnungen (vgl. Kas- ten S. 32) verfügen über Balkone oder Terrassen, die hinter den durchlaufenden, die Geschosse markierenden Brüstungen liegen. Die gestaffelte Grundrissstruktur fächert die Zimmer gegen Süden zum üppig begrünten Park auf. Die versetzte Anordnung rhythmisiert auch die Korridore, sich weitende und verengende Sequenzen erzeugen intimere und öffentlichere Räume (Abb. 11,12). Vor den Zimmern bilden sie private Zugangsbereiche. Jeweils am Anfang und Ende des Korridors liegen die Gemeinschaftsräume. Sie ermöglichen mittels innenliegender Verglasungen eine natürliche Belichtung der Erschliessungszone.

Der Bestandsbau liegt an der belebten Bremgartnerstrasse, zu der sich auch der Haupteingang orientiert. Die Instandsetzung sollte die Umwandlung der ursprünglichen Pflegezimmer zu grosszügigeren und kleineren Einheiten (Ein- und Zweibettzimmer) ermöglichen. Doch die strenge Schottenstruktur des Tragwerks stand einer umfassenden Neuorganisation der Grundrisse entgegen. Sie wurde weitestgehend übernommen, ebenso die Lage der Steigzonen. Die Pflegebereiche sind in den drei identischen Obergeschossen des bestehenden Gebäudes neu organisiert und werden durch ein zusätzliches Attikageschoss, das die Demenzabteilung aufnimmt, ergänzt. Die innere Organisation mit mittig angeordneten Korridoren ist beibehalten und jede Wohneinheit neu mit eigener Nasszelle ausgestattet. Die ehemaligen Balkone wurden den Zimmern zugeschlagen, um ausreichende Raumgrössen zu erhalten. Eine Vorgabe der Bauherrschaft, basierend auf einer – im Rahmen der Altersstrategie erstellten – Machbarkeitsstudie für die Instandsetzung. Um dennoch grösstmöglichen Aussenbezug zu gewährleisten, nutzten die Architekten Eichenholzfenster mit Öffnungsflügeln, die mit ihren niedrigen Brüstungszonen Blumenfenster zitieren und die Zimmer grosszügiger wirken lassen. Zudem ermöglichen sie, ergänzend zur integrierten kontrollierten Lüftung, eine individuelle Belüftung der Räume. Im Erdgeschoss des Pflegeheims nimmt der Gebäudeversprung den Zugang mit Empfang und anschliessender Cafeteria auf. Die grösszügige Öffnung des Geschosses zu Cafeteria und Aussenbereich wurde möglich, da mit der Instandsetzung die Waschküche ausgelagert und die frei gewordenen Flächen mit Infrastruktur und Küche belegt werden konnten. Wie beim Pflegezentrum Bombach versuchten die Architekten auch in Dietikon durch eine gute Versorgung mit Tageslicht in allen Bereichen sowie durch eine sorgfältige Material- und Farbwahl die Privatsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner zu stärken und die Atmosphäre in den Geschossen wohnlich zu gestalten. Angesichts der Zwänge, die durch die vorgegebene Tragstruktur bestanden, ist das Ergebnis umso überzeugender.

Zwänge und Chancen

Die Städte Zürich und Dietikon agieren innerhalb völlig unterschiedlicher Rahmenbedingungen. Während Zürich mit seinen zehn Pflegezentren aus der Erfahrung der eigenen Heime lernen konnte, zog Dietikon eine externe Beratung hinzu. Trotz allen Unterschieden in Ausgangslage und Umsetzung gibt es auch Gemeinsamkeiten: Beide Städte setzen beim Wohn- und Pflegeangebot für das Alter auf eine umfangreiche Palette an Möglichkeiten, die den vielseitigen Lebensentwürfen unserer Gesellschaft Rechnung trägt. Der Umgang mit ihren Pflegeheimen zeigt exemplarisch, wie sich der Schwerpunkt vom «Pflegen» zum «Heim», sprich zum «Daheimsein», zum Wohnen verschiebt. Die gezeigten Beispiele lösen diesen Anspruch dank einer sorgfältigen und sinnlichen Gestaltung ein.


Anmerkungen:
[01] Masterplan Bauten der Städtischen Pflegezentren, Zürich; Informationen unter: www.stadt-zuerich.ch/gud/de/index/gesundheit/pflegezentren.html
[02] ebd.
[03] Während der Instandsetzung des Pflegezentrums Bombach konnten die Bewohner in das ehemalige Personalhaus des Stadtspitals Triemli umziehen, in dem für Umbauten dieser Art ein temporäres Pflegeheim eingerichtet wurde

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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