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db deutsche bauzeitung 10|2012
Dachlandschaften
db deutsche bauzeitung 10|2012

Höchste Ambitionen

Kaufhausumbau und -Aufstockung in Graz (A)

Das Kaufhaus Kastner & Öhler ist bekannt für Expansion auf höchstem Niveau – momentan auf Augenhöhe mit den historischen Ziegeldächern von Graz. Der neue Dachaufbau des Stammhauses wird zwar von den UNESCO-Hütern der Altstadt kritisiert, fügt sich aber dennoch ganz selbstverständlich in die Grazer Dachlandschaft.

10. September 2012 - Karin Tschavgova
Die Geschichte dieses Warenhauses, das seit 1883 in der Altstadt von Graz sein Stammhaus hat, zeigt, dass Innovation in diesem Unternehmen nicht nur für den Handel, sondern immer wieder auch für bauliche Erweiterungen angestrebt wurde. Nicht lange nach der Gründung der Grazer Filiale wurde der Kauf von weiteren Bürgerhäusern in der Sackstraße beschlossen, die dem Neubau eines Warenhauses (1912-14, Architekten Fellner und Helmer) weichen mussten, das zu den prunkvollsten und innovativsten dieser Zeit zählte.

Prosperierender Verkauf und Versand führten zu mehreren Aus- und Umbauten des Stammhauses, dem in den 60er Jahren die Glaskuppel der Halle und bald darauf die offenen Galerien zum Opfer fielen. Geschickte Expansionspolitik führte zum Ankauf von Häusern im Karree und auch auf der anderen Seite des Flusses, wann immer sich eine günstige Gelegenheit bot. 1990 war das Unternehmen im Besitz von Gebäuden aus vier Jahrhunderten – heterogene Bausubstanz, die ohne umfassende Planung nicht mehr in ein gut funktionierendes räumliches Kontinuum zu bringen war. Dringender Handlungsbedarf war gegeben. Die Grazer Architekten Szyszkowitz und Kowalski erhielten den Auftrag, ein Konzept der »Corporate Identity« zu entwickeln, das den Zusammenschluss der Häuser in den Gassen rund um das Stammhaus vorsah, ohne ihnen ihre Charakteristik zu nehmen – eine Aufgabe, die gekonnt bewältigt wurde. 2003, im Jahr, als Graz Europas Kulturhauptstadt war, fanden die Um- und Ausbauphasen mit einer konstruktiv aufwendigen Tiefgarage für 650 Autos ihren Abschluss, die fünf Geschosse tief, großteils unter historischem Bestand errichtet wurde.

Mehr als ein neues Dach

2005 war das Unternehmen auf 1500 Mitarbeiter angewachsen und zwei junge Vertreter der fünften Generation hatten die Geschäftsführung übernommen. Im Zuge eines weiteren geplanten Ausbaus der Verkaufsflächen wurden 2005 in einem geladenen, international ausgerichteten Wettbewerbsverfahren Ideen zur Neugestaltung der Dachzonen gefordert. Ein Konglomerat aus unansehnlichen Industriedächern, das den Blick auf die pittoreske Dachlandschaft der Grazer Altstadt, die seit 1999 Kulturerbestätte ist, empfindlich störte, sollte ersetzt werden. In einer ursprünglich nicht vorgesehenen Überarbeitungsstufe von drei Projekten konnten Nieto y Sobejano aus Madrid den Wettbewerb für sich entscheiden.

Ihr Projekt ist eine variantenreiche Sequenz scharfkantig geschnittener, unterschiedlich breiter, hoher und langer Aufbauten in Zeilenform, die in Form und Farbe eine Assoziation mit den historischen Steildächern mit Ziegeleindeckung hervorrufen soll. Bald nach der Wettbewerbsentscheidung, die in der Stadt breite Zustimmung fand, meldete ICOMOS, der internationale Rat für Denkmalpflege, Vorbehalte gegen die radikal moderne Dachlandschaft an und drohte Graz mit der Aberkennung des Status' als Weltkulturerbe, sollte das Projekt unverändert realisiert werden. Schließlich konnte über die Reduktion der Höhen eine Zustimmung erreicht werden, wohl auch deshalb, weil Konsens darüber bestand, dass der Standort des traditionsreichen Warenhauses (im Zuge des Ausbaus wurden 10 000 m² an zusätzlicher Verkaufsfläche geplant) in der Innenstadt erhalten bleiben muss.

Am 20.10.2010 wurden Dach und Kaufhaus, das bei laufendem Betrieb umgebaut wurde, feierlich eröffnet. Der Dachaufbau: Ein Ensemble von dicht aufeinander folgenden, schräg aufragenden Oberlichtbändern, die von Terrassen unterbrochen sind, die in Größe und Lage vom Wettbewerbsprojekt differieren. Zwei der Aufbauten mit den horizontal gekappten Gratabschlüssen ragen deutlich über die anderen hinaus – eine Akzentuierung der Dachlandschaft, die den Architekten aus stadträumlicher Sicht wichtig schien. Der Hochpunkt im Süden überdeckt die darunterliegende Halle im Stammhaus mit den stuckverkleideten Stützen und Galerien, in der die Rolltreppen nun alle Verkaufsebenen und das neue Café im DG erschließen. Jener im Norden verweist auf den Übergang zum zweiten, vormals unabhängigen historischen Gebäude, das nun, nach dem Umbau, mit ersterem zu einem Haus verschmolzen ist.

Das leichte Tragwerk

Als Tragwerk kam ein Stahlfachwerk zum Einsatz. Es wurde auf eine neu errichtete Geschossdecke aufgesetzt, da der vormalige Dachabschluss nicht tauglich war. Die Lasten werden teils über Wandscheiben, teils direkt über die neue Decke auf die bestehenden Stützen verteilt, die sich als sehr tragfähig erwiesen und nur z. T. ertüchtigt werden mussten. Der Dachaufbau ist konventionell: innen Gipskartonplatten, dann eine mineralische Dämmung, darüber ein Aluminiumblech mit Stehfalzen mit Trapezblech als Unterkonstruktion. Die Dachhaut spart im Bereich des Cafés große Bandfenster aus, die im Zusammenspiel mit dem strahlenden Weiß der Wand- und Deckenoberfläche und der Belichtung durch die Sheds für eine wunderbar helle, freundliche Atmosphäre des Raums sorgen. Die Shedverglasung ist überwiegend nach Norden ausgerichtet. Wo Licht von Süden einfällt, ist es durch feststehende Verschattungselemente gedämpft.

Cafélounge und Bar im DG stehen über den Luftraum der zentralen Halle in direkter räumlicher Verbindung mit den Verkaufsebenen und können deshalb nur im Zusammenhang mit den fünf Geschossen des Warenhauses klimatisiert werden.

Innere Stimmigkeit, Äussere Fehlinterpretation?

Glücklicherweise wirkt dieser Dachaufbau aus keinem Blickwinkel wie ein Dachausbau klassischer Prägung. Ihm fehlt die Gedrungenheit »stürzender« Wände, jeglicher Anflug von Rustikalität. Das Dachvolumen ist einladend hell. Seine Qualität liegt in der Bewegtheit der gefalteten Decke mit ihrer stark differenzierten Höhenentwicklung und in der Steilheit der Schrägen. Die weißen Wände, der Einsatz dezenter Grautöne und das satte Braun der Möblierung aus edlem Nussholz unterstützen die großzügige Raumwirkung.

Ein wesentliches Qualitätselement ist die Terrasse, die einen atemberaubenden Ausblick zum Schlossberg und auf die umliegenden Ziegeldächer bietet. Vom weit auskragenden Balkon lassen sich, tief unten, die belebte Straße vor dem Warenhaus, Hauptplatz und Rathaus überblicken. Kein Wunder, dass das Café selbst an regnerischen Tagen gestürmt wird.

Vermutlich wird kaum einem Besucher, der die Aussichtsterrasse betritt, auffallen, dass die Dachlandschaft des Kaufhauses noch nicht fertiggestellt ist. Vielleicht wird man feststellen, dass zur Freifläche im Norden des Cafés kein Ausgang führt, dass sie noch ihren Unterboden zeigt. Nur wenige Eingeweihte, die sich an die einst kursierenden Renderings erinnern, werden erkennen, dass im nördlichen Teil des Dachs noch drei Sheds fehlen und hier eine Lücke klafft. Dies lässt sich nur in der Übersicht vom nahen Schlossberg her entdecken. Vielleicht erinnert sich manch ein Stadtbewohner jedoch an das riesige Transparent außen am Dach des damals noch nicht lange eröffneten Cafés, auf dem zu lesen war, dass die derzeitige Dachfarbe Grau noch nicht die endgültige sei, sondern durch einen Bronzeton ersetzt werden wird. Die farbliche Anpassung und Eingliederung der neuen Dächer in die historische Dachlandschaft war ein wesentliches Kriterium für die Jury, das Projekt von Nieto y Sobejano zur Realisierung zu empfehlen, die ungewöhnliche Form der Information ist als Reaktion des Unternehmens auf die immer wieder auch in den Medien aufgeworfene Thematik des Ist-Zustands zu sehen. Auf Nachfrage bei den Architekten erfährt man, dass die Aufbringung der farbgebenden Paneele, die auf die jetzige Oberfläche aufgesetzt werden soll, erst nach der endgültigen Fertigstellung des Dachausbaus Sinn mache, weil sie andernfalls unterschiedlich verwittern würden. Nachdem der Eindruck einer geschlossenen Dachhaut entstehen soll, ist geplant, auch die Fensteröffnungen zu überziehen, allerdings perforiert.

Ob diese Information die gestrengen Hüter des Weltkulturerbes besänftigen würde, darf bezweifelt werden. Im ICOMOS Band der Reihe »Heritage at Risk«, dem Weltreport 2006/2007 über Denkmäler und historische Stätten in Gefahr, der nach der Einigung auf die Reduktion der Dachhöhen erschien, wird von einem Disaster, einer total inadäquaten und missverstandenen Interpretation einer mittelalterlichen Dachlandschaft ohne Verbindung zur Gebäudetypologie gesprochen. Letzteres mag zutreffen, aber eines ist gewiss: Die Wiederherstellung des historischen Dachs als einzige Möglichkeit, die offensichtlich für ICOMOS vorstellbar gewesen wäre, hätte sicher nicht diese räumliche Qualität des Dachausbaus gebracht, die den Besuch des Kaufhauses heute auszeichnet. Sie wäre mittelmäßig und unzeitgemäß gewesen. Und letztlich ebenso täuschend wie der mit der erhaltenen historischen Fassade getarnte Neubau des nördlichen Hauses, das völlig entkernt wurde, um den Ansprüchen an ein heute erwartetes Einkaufserlebnis zu entsprechen. Viele der Grazer, die vom Schlossberg aus die Dachlandschaft der Altstadt ins Visier nehmen, und auch Besucher, die die Geschichte dieses Dachaufbaus nicht im Detail kennen, glauben, das fertige Dach vor sich zu haben. Der Vorwurf von mangelnder Integration in die Dachlandschaft ist kaum zu hören. Vielleicht können sich die gestrengen Kulturbewahrer damit trösten, dass vom Straßenraum aus nichts vom neuen Dachaufbau zu sehen ist – nur der Balkon mit dem gläsernen Geländer ragt schwindelerregend auf Firsthöhe über die erhaltene Dachhälfte mit Ziegeldeckung hinaus.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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