Zeitschrift

TEC21 2012|39
Sansibar-Stadt
TEC21 2012|39
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Malindi, Hafen zwischen Kolonialzeit und Moderne

Die Inseln Sansibars blicken auf eine jahrhundertealte Tradition des Seehandels zurück. Der Gewürz- und Sklavenhandel entlang der Monsunrouten des Indischen Ozeans brachte die auch heute noch halbautonom verwalteten Inseln vor der Küste Tansanias bereits im 8. Jahrhundert n. Chr. in Berührung mit den Kulturen Indiens und der arabischen Welt. Die daraus erwachsene und sich entlang der ostafrikanischen Küste ausbreitende Swahili-Kultur hat eine eigenständige, von omanischen und indischen Einflüssen geprägte Architektur hervorgebracht, die heute nirgends so lebendig und intakt erhalten ist wie in der Stone Town.

21. September 2012 - Annika Seifert
Der Conservation Plan von 1994

Bereits 1994 wurde ein übergeordneter Plan zum Erhalt und Schutz der historischen Stadtsubstanz erarbeitet. Der durch den Aga Khan Trust for Culture initiierte und schliesslich durch die lokalen Behörden umgesetzte Conservation Plan hat bis heute Gültigkeit für Planungs­fragen im Gebiet der Stone Town. Basierend auf einer detaillierten Analyse der Altstadt, identifiziert er herausragende Einzelbauwerke und Plätze, klassifiziert sämtliche Gebäude und öffentlichen Räume gemäss ihrem historischen Wert und sieht insgesamt vier verschiedene Action Areas für konkrete Eingriffe zur Aufwertung des Stadtgefüges vor. Einer dieser Schwerpunkte ist die Port Entrance Action Area, für die Vorschläge zur Klärung der Schnittstelle zwischen Hafen und Altstadt gemacht wurden: Zentrale Massnahmen, die in den Folge­jahren umgesetzt werden konnten, waren die Verbesserung der sich zuspitzenden Verkehrs- und Parkplatzsituation sowie die Verlegung des Fähranlegers vom Industriehafen an einen neu geschaffenen Anleger zwischen Containerkais und Altstadt. Doch das Augenmerk des Conservation Plan galt nicht der eigentlichen Hafenanlage, sondern der Gestaltung und Definition ihrer Berührungspunkte mit der historischen Stadt und ­ihren Besuchern. Obschon ihre Lage und Form im Norden der Stadt auf das frühe 20. Jahrhundert zurückgehen und sie damit ein ebenso alter Bestandteil Stone Towns ist wie viele der heute geschützten Bauten, scheint der Hafen im konventionellen Verständnis des lokalen Denkmalschutzes ein Fremdkörper im Gefüge der alten Stone Town zu sein, mit dem sich kein entschiedener Umgang finden lässt. Die heutige Hafenanlage, die auf künstlich gewonnenem Land die industriellen Containerwerften, den historischen Dhau-­Hafen und die Fähranleger für den regen Personenverkehr zwischen der Insel und dem tansanischen Festland beherbergt, wurde bereits in den 1920er-Jahren – also in der britischen ­Protektoratszeit und von britischen Planern – konzipiert. Die alten, dicht an dicht gebauten Lagerhallen, die heute noch das Erscheinungsbild des Hafenareals dominieren, sind im Conservation Plan entsprechend als «european-influenced» vermerkt; ungeachtet ihrer typologischen und funktio­nalen Qualität fallen sie dennoch, anders als die deutschen und englischen Verwaltungsbauten dieser Epoche, nicht in die Kategorie schützenswerter Bauten. Einzig der Dhau-Kai, an dem noch heute die traditionellen Holzsegelschiffe an- und ablegen, wurde als «significant streetscape» eingestuft und ist neben den «monuments» und den «significant buildings» in den Katalog der Denkmalpflege aufgenommen worden. Das urbane und touristische Potenzial des Hafens als wesentlichen Bestandteils der jahrhundertealten Geschichte des Archipels wird weitestgehend vernachlässigt; seit 2011 ist das gesamte Areal aufgrund der wachsenden Drogenproblematik der Insel für Unbefugte nicht mehr ohne ­Autorisierung zugänglich.

Modernisierung versus Denkmalschutz

Als industrieller Containerhafen spielt der Hafen eine zentrale Rolle für die Wirtschaft des Archipels. 90 % aller Import- und Exportgüter werden hier umgeschlagen; als in günstiger Position der Küste vorgelagerte Anlaufstelle hat die Hauptinsel Sansibars ausserdem überregionale Bedeutung für das tansanische Festland und dessen innerkontinentale Nachbarn. Doch dem Vergleich mit effizienteren und moderneren Häfen wie in Daressalam, Mombasa oder Tanga kann die Anlage kaum noch standhalten. Ihre Lage im Gebiet der geschützten Stone Town beschränkt die Möglichkeit infrastruktureller Eingriffe und Erweiterungen auf ein Minimum.

Noch 1991 befand eine durch den European Development Fund finanzierte Studie, durch eine gezielte Sanierung der Anlage könne der Hafen an seinem aktuellen Standort auch in der Zukunft den Anforderungen des Waren- und Personenverkehrs gerecht werden.

Zwei entsprechende Projekte, in den 1990er-Jahren und seit 2004, haben seither die Anlage eines Tiefwasserbeckens, die Verbesserung des Containerlagerplatzes und die Stabilisierung und Erweiterung der existierenden Kaimauern eingeleitet. Doch eine nachhaltige und langfristige Lösung scheint innerhalb der denkmalpflegerisch gesetzten räumlichen Grenzen am heutigen Standort nicht möglich zu sein.

«Das Problem Stone Towns ist mangelndes Bewusstsein», sagt Mwalim Ali Mwalim, Principal Secretary des Planungsministeriums und einer der Pioniere des lokalen Denkmalschutzes. Zahlreiche Akteure sähen das begehrte Unesco-Label und die damit einhergehenden Auflagen als Hemmschwelle auf dem Weg zu ökonomischer Wettbewerbsfähigkeit. «Sie begreifen nicht, dass der Weg zu wirtschaftlicher Prosperität die Einmaligkeit der Altstadt und den Tourismus nicht ausser Acht lassen kann.» Aber es ist nicht zuletzt der Status Stone Towns als Unesco-Weltkulturerbe, der dem Tourismus und der Wirtschaft des Archipels ­einen Boom verschafft hat, der sich nun in der Überlastung der bisherigen Hafenanlage niederschlägt.

Neue Perspektiven?

Im Juli 2012 veröffentlichte die Zanzibar Port Authority den Plan eines neuen Containerhafens in Marahubi im Norden der Stadt, der die effiziente Abwicklung des Cargoverkehrs ausserhalb der historischen Stadtgrenzen zum Ziel hat. Dieser Vorschlag ist ebenso logisch wie bekannt: Bereits der sogenannte chinesische Town Plan von 1982 (Abb. 10, S. 30), von Planern aus dem sozialistischen «Bruderstaat» entworfen, schlug eine derartige Erweiterung vor; auch der neue Transport Master Plan von 2007 griff die Frage wieder auf. Im Wettbewerb mit dem ostafrikanischen Festland scheint diese Option inzwischen nahezu unausweichlich.

Mit der Verlegung des Container-Hubs eröffnen sich der alten Anlage interessante Perspek­tiven, sowohl für eine Entspannung der Verkehrsproblematik der Innenstadt als auch für das touristische Potenzial des Areals. Ob aber die alten Lagerhallen einen Platz in einem solchen Szenario fänden, ist unklar. Wenngleich Tansania als Entwicklungsland mit äusserst geringem Wohlstand von einer ausnehmend kreativen Kultur des Recyclings geprägt ist, ist weder die postindustrielle Umnutzung solcher Strukturen noch das sensible zeitgenössische Bauen im historischen Kontext bislang Teil des Fachdiskurses. Issa Makarani etwa, ­Direktor der Stone Town Conservation and Development Authority, hält den Abriss der alten Hallen zugunsten von Neubauten in «angemessenem Stone-Town-Stil» für denkbar; doch er gesteht ein, dass – eine sinnvolle Umnutzungsstrategie vorausgesetzt – ökonomische und ökologische Gründe durchaus für den Erhalt der Lagerhallen sprechen könnten.

Die neuen Entwicklungen um den Hafen könnten als Anstoss zur überregionalen Diskussion dieses in Ostafrika noch neuen Themas dienen. Vielleicht deutet sich hier die Chance für einen Lösungsweg an, der den beiden grossen Anliegen Sansibars Rechnung trägt: der Wahrung seiner kulturellen Identität, die als entscheidender Faktor den internationalen Tourismus anzieht, sowie dem Ziel, im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb als jahrhunderte­altes Seehandelszentrum zu bestehen.


[Annika Seifert, dipl. Arch. ETH; in Forschung und Lehre in Tansania tätig.1]


Anmerkung:
[01] Im Rahmen des BSA-Forschungsstipendiums erschien die Arbeit «Hitzearchitektur. Lernen von der afrikanischen Moderne» zusammen mit Gunter Klix (vgl. S. 12)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

Tools: