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TEC21 2012|44
Leuchtkörper
TEC21 2012|44
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

AN/AUS modern

Seit seiner Erfindung wurde das künstliche Licht vielfältig gestaltet und ­genutzt. Doch die Architekten und Gestalter der Moderne opferten atmosphärische Zwischentöne der reduzierten Gestaltung. So brachte das Neue Wohnen zwar neue Leuchten in den Wohnraum, aber eine kritische Auseinandersetzung mit der elektrischen Beleuchtung sucht man verge-bens. Das Licht der Moderne leuchtete vielmehr im öffentlichen Stadtraum.

26. Oktober 2012 - Bernd Dicke
Bereits in der Antike war der verschwenderische Umgang mit Licht ein Zeichen von Wohlstand und die Wahl der Leuchte ein Ausdruck von Geschmack und Distinktion. Spätestens mit der auf die Gasbeleuchtung folgende Elektrifizierung der Haushalte entwickelten sich ­jedoch ­private Beleuchtungskulturen, die sich von den kultischen Inszenierungen ­früherer Zeiten abgrenzten. Das indirekte Licht, das Flächen erstrahlen und glühen, quasi von innen her leuchten liess, war trotz spektakulärer Inszenierungen im öffentlichen Raum, besonders wenn es um die suggestive Wirkung beleuchteter Architekturen ging, kein Vorbild für den ­Wohnraum. Die dafür erforderliche Technik stand bereit, aber besonders die Architekten der Moderne bestanden in der Wohnung auf der Sichtbarkeit der Lichtquelle, während sie die Nachtwirkung ihrer Architekturen lichtgrafisch hevorzuheben versuchten. Die Übergangsphase vom Sonnenlicht des Tages zur neuen Helligkeit der Nacht wurde auf die Drehung ­eines Knebels reduziert, der nicht zufällig dem Gashahn ähnelte. So wurde das atmosphä­rische Potenzial wechselnder Lichtstärken einer mehr und mehr binären, auf Polaritäten ­reduzierten Empfindung angepasst: an/aus, hell/dunkel, ja/nein. Schattenreiche und ­Zwielicht überleben in der Moderne bestenfalls in literarischen und cineastischen Refugien, in der Wohnung aber schied man, nunmehr unabhängig vom Lauf der Gestirne, durch eine Handbewegung die Nacht vom Tag, ohne sich eines Verlustes bewusst zu werden.

Elektrische Sachlichkeit statt mutiger Experimente

Das Zeigen der nackten Glühlampe war zwar ein euphorisches Bekenntnis des Neuen ­Wohnens zur Maschine, doch das Offenlegen technischer Strukturen erschöpfte sich in der puristischen Provokation und blieb in der Anwendung oft unzulänglich. So karg und bescheiden oder kunstvoll und teuer die Leuchte auch gewesen sein mochte, sie blieb ein sichtbares Objekt und Teil der Einrichtung. Die Architekten des Neuen Bauens, dessen ­Ursprünge unter anderem in die Lebensreformbewegung zurückreichen, widmeten der natürlichen Belichtung der Wohnung besondere Aufmerksamkeit. Paradoxerweise kam die elektrische Beleuchtung als zeitgemässe Erweiterung der Möglichkeiten bei dieser Revo­lution zu kurz. Auch wenn Le Corbusier in der Villa Roche in Paris eine nackte Glühlampe an einem horizontalen Rohrausleger in den Raum auskragen liess, war die Lichtwirkung einer herkömmlichen Deckenleuchte vergleichbar, die ungewöhnliche Erscheinung beschränkte sich hauptsächlich auf die Tageswirkung. Der grosse, um mutige Experimente nicht ver­legene Innovator machte keine Hehl aus seinen Problemen mit dem elektrischen Licht: «Wir stammeln noch die allerersten Anfänge einer ganz neuen Erfindung.» Seine Unentschie­denheit zwischen Konvention und Innovation ist kennzeichnend für die meisten Architekten der jungen Moderne. Zu tief war das Misstrauen gegen pathetische Konzepte aus Kult, ­Kirche und Kino. Sachlich war anders – oft heller, aber selten besser.

Zurückhaltung am Rande der Kargheit

Ein «Lob des Schattens» gar, wie es Jun’ichiro Tanizaki in seinem langen Essay für die ­Architektur Japans zu kultivieren suchte, findet man in der westlichen Architektur kaum. In der Wohnung und bei der Arbeit blieb Licht eine technische Angelegenheit und wurde keine ­atmosphärische oder gar künstlerische. Eine Ausnahme bildeten die Mitte der 1920er-Jahre in Mode kommenden Deckenfluter, die, obwohl formal reduziert, die Form antiker Amphoren oder Kohlenbecken zitierten. Sie warfen einen hellen Lichtschein unter die Decke und sorgten so mit starkem Licht von unten für eine weiche, relativ gleichmässige Beleuchtung.

Um dies zu erreichen, waren in den hohen Räumen der Gründer­zeitbauten allerdings enorme Wattzahlen erforderlich. Sie blieben eine anachronistische, ­luxuriöse Referenz an feudale ­Inszenierungen, wie sie eher für die zeitlich parallele Art-déco-Strömung bezeichnend erscheinen. Der häufig verwendete «Luminator» war ein patentierter, hochglanzpolierter, trichterförmiger Aluminiumeinsatz, der das Licht einer kopfverspiegelten Glühlampe reflektierte (Abb. 01). Der Maharadscha von Indore kaufte Luminatoren für seinen Palast, Marcel Breuer setzte sie ein, und Ludwig Mies van der Rohe verwendete einen im ­eigenen Atelier. Letzten ­Endes aber waren auch die Deckenfluter Apparate zur ­möglichst schattenfreien Ausleuchtung und entsprachen dem Hang zum technisch-klinisch Klaren, das seinerseits für rationale Zweckmässigkeit stand. Zusammen mit dem Ornament sollte auch das ­dynamische Spiel von Licht und Schatten verschwinden, das Feuer und Flamme über Jahrtausende in die Wohnstätten gebracht hatten.

Es erstaunt, dass die sonst um subtile Sensationen bemühte Avantgarde diesen Bereich weitgehend unbearbeitet liess. Selbst in Mies van der Rohes mit Haustechnik üppig aus­gestatteter Villa Tugendhat, der Apotheose des luxuriösen Purismus, blieb das Kunst­licht­konzept hinter den Möglichkeiten zurück. Noble Zurückhaltung am Rande der Kargheit auch hier. Mies, der die Frage des Neuen Wohnens stets als baukünstlerisches ­Problem ­begriff und nicht vorrangig als technisch-ökonomisches, verwendete meist handelsübliche Deckenleuchten von Louis Poulsen, wie sie ansonsten in Schulräumen und Ladenlokalen anzutreffen waren.

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich Soffittenröhren, eigentlich Glühlampen, die von Le ­Corbusier und Gropius als Ausweis einer bedingungslos avantgardistischen Haltung ohne jeden Blendschutz frei vor der Wand oder unter der Decke angebracht wurden. Vom Hersteller waren sie als verdeckte Leuchtmittel in Vitrinen, Schränken und im Ladenbau ­vorgesehen. Die Avantgarde liebte die Röhre um ihrer visuellen Reize willen, die höher eingeschätzt wurden als die technischen Möglichkeiten.

Breuer setzte gern scheinwerferartige Spiegelleuchten im Wohnraum ein, die für den nicht einsehbaren Teil einer Schaufensteranlage gedacht waren, um die Auslagen zu beleuchten (Abb. 02). Auch hier blieb es bei einer demonstrativen Zurschaustellung technischer Apparate, deren Licht jedoch bestenfalls zweckdienlich war. Obwohl der Reflektor der Schaufensterstrahler gegen die Decke gerichtet wurde, vermied man die theatralische Wirkung selbstleuchtend wirkender Flächen, indem die Leuchte stets als technische Ursache präsent blieb, als Beleg für Objektivität und Aufrichtigkeit. Ihre maschinenartige Erscheinung selbst war Ausweis fortschrittlicher Haltung und kam der verbreiteten Abneigung gegen lampen­loses Licht auf paradoxe Weise entgegen.

Das eigentliche Licht der Moderne erstrahlte anderswo: auf der Strasse, in den Bars, Kinos, Varietés und Tanzdielen (Abb. 03). Die Lichter der Grossstadt waren die ästhetische Brücke zwischen Expressionismus und Sachlichkeit, aber sie folgten keinem Manifest und nicht einmal einem Konzept. Die keinem Plan gehorchende nächtliche Sensation der elektrischen Symphonie vereinte Verfechter und Kritiker der Moderne in ihrer scheinbar mühelosen Selbstverständlichkeit. Sie war jedoch eher ein Gemeinschaftskunstwerk der städtischen Massen, zu dem alle mit dem Drehen eines Schalters beitrugen.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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