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db deutsche bauzeitung 11|2012
Energetisch sanieren …
db deutsche bauzeitung 11|2012

Grossmassstäbliche Wohnwertsteigerung

Grosswohnsiedlung Märkisches Viertel in Berlin

Energieeinsparung, Kosteneffizienz und Gestaltungsqualität müssen keine Gegensätze sein. Das zeigt beispielhaft die behutsame Erneuerung des Märkischen Viertels mit seinen rund 17 000, im Norden Berlins gelegenen Wohnungen. Jahrelang als Ghetto verpönt, entwickelt sich die Siedlung, die zu 90 % aus Hochhäusern besteht, nun mit jedem neuen Sanierungsabschnitt weiter in ein optisch ansprechenderes Quartier. Dass die energetische Sanierung dabei nur mit WDVS geschehen kann, verwundert angesichts der Dimensionen kaum.

19. November 2012 - Carsten Sauerbrei
Das Image des Märkischen Viertels war lange denkbar schlecht. Errichtet als eine von drei West-Berliner Großwohnsiedlungen zwischen 1963 und 1974 nach dem städtebaulichen Konzept von Werner Düttmann, Hans C. Müller und Georg Heinrichs, offenbarte sich schon kurz nach Fertigstellung der rund 17 000 Wohnungen ein Mangel an sozialer Infrastruktur, der bis Ende der 70er Jahre behoben wurde. Mitte der 80er Jahre begannen erste Umgestaltungen und Sanierungen von Einzelgebäuden. 2006 entschied sich schließlich die kommunale Gesobau als Haupteigentümerin, die Grundsanierung ihrer 15 000 Wohnungen und deren energetische Modernisierung miteinander zu verknüpfen, um den großen baukonstruktiven und technischen Mängeln, den steigenden Instandhaltungs- und Betriebskosten und dem daraus resultierenden Wegzug von Mietern wirksam entgegenzutreten. Allerdings sei »kein Leuchtturmprojekt unter Umsetzung aller denkbaren technischen Maßnahmen vorgesehen, sondern ein wirtschaftlicher Umbau verbunden mit einem hohen Gestaltungsanspruch«, erläutert Jochen Kellermann, Projektleiter der Gesobau.

Warmmietenneutral

Innerhalb von acht Jahren, bis 2015, wird die Gesobau in die Erneuerung von 13 000 Wohnungen insgesamt 480 Mio. Euro investieren, die sie bis auf Tilgungszuschüsse aus KfW-Förderprogrammen selbst finanziert. Die energetische Modernisierung sieht als wichtigste Maßnahmen die Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS der Wärmeleitgruppe 035 in einer Dicke von 80 bis 140 mm, den Einbau doppelt verglaster Isolierglas-Kunststofffenster und die Umstellung der Heizungsanlagen auf ein energieeffizientes Zweirohrsystem vor. Der Endenergieverbrauch soll damit von durchschnittlich 174 kWh/m²a auf 70 bis 80 kWh/m²a sinken, die Höchstwerte der Energieeinsparverordnung 2007 um mindestens 30 % unterschritten werden. Alternativen zur viel diskutierten Dämmung der Gebäudeoberflächen mit WDVS, die rund 50 % der gewünschten Energieeinsparung erbringen soll, wurden geprüft, aber entweder als zu teuer verworfen, so z. B. Plattenbekleidungen, oder von Anfang an wegen bauphysikalischer Nachteile ausgeschlossen, wie etwa eine Innendämmung. Als Dämmmaterial werden nun Mineralwolle und expandiertes Polystyrol verwendet. Ersteres kommt überall dort zum Einsatz, wo es gilt, einer möglichen, höheren Brandgefahr durch Polystyrol entgegenzuwirken – also zum einen für alle Hochhäuser, die im Märkischen Viertel 90 % des Gebäudebestands ausmachen, und zum anderen als Brandriegel über jedem zweiten Geschoss bei allen übrigen Gebäuden. Da die Außenwände aus den unterschiedlichen Materialien und Konstruktionen bestanden, musste für das WDVS teilweise sogar eine Zulassung im Einzelfall eingeholt werden.

Mit dem Einbau von funkablesbaren Heizkostenverteilern wird erstmals eine individuelle Abrechnung und Kontrolle des Verbrauchs möglich, die den Mietern das Energiesparen erleichtern wird. Denn nur so sei laut Kellermann das Ziel einer insgesamt warmmietenneutralen Sanierung zu erreichen. Durch die angestrebte Halbierung der warmen Betriebskosten soll die Gesamtmiete im Durchschnitt um nicht mehr als 4 % steigen, wodurch auch für sozial schwächere Bewohner die Mietbelastung moderat bleibt. Mit einer umfassenderen Sanierung leer stehender Wohnungen sollen zudem zahlungskräftigere Neumieter angesprochen werden. Darüber hinaus werden mit der Modernisierung strukturelle Gebäudemängel beseitigt, so die Eingangsbereiche für eine bessere Orientierung neu gestaltet und rund 1 000 Wohnungen für ältere Mieter »barrierearm« umgebaut. Nach der Sanierung der Hälfte der Wohnungen bestätigen die ersten Ergebnisse den Erfolg des Gesamtkonzepts: Die Einsparziele werden laut Bauherr erreicht und sogar übertroffen und Zeit- und Kostenplan eingehalten, der Leerstand sinkt. Und auch den Anspruch einer qualitätsvollen Neugestaltung können die bisher fertiggestellten Bauten weitgehend einlösen.

Übergreifendes Farbkonzept

Eigene Akzente konnten die für jede Gebäudegruppe, die sogenannte Wohnhausgruppe (WHG) einzeln beauftragten Architekten v. a. durch eine neue Farbgestaltung und den Umbau der Eingangsbereiche setzen. Für ein stimmiges Gesamtbild entwickelten die Gesobau und der Farbdesigner Markus Schlegel von der Hochschule für Gestaltung in Hildesheim einen gebäudeübergreifenden Masterplan, der auf Grundlage der ursprünglichen, kontrastreichen Farbgestaltung des Künstlers Utz Kampmann eine Auswahl an möglichen, neuen Farbtönen für jedes Bauteil definiert. Die Basis bilden dabei Weißtöne, die durch Akzentfarben ergänzt werden.

Diesen Gestaltungsspielraum nutzten Dahm Architekten + Ingenieure bei der für das Pilotprojekt ausgewählten, einst von Oswald Mathias Ungers entworfenen Wohnhausgruppe 908, um an der Fassade neue belebende, lindgrüne Akzente zu setzen. Geprägt werden die Baukörper damals wie heute durch die weißen Wohn-/Treppenhaustürme und die jeweils dazwischen liegenden, früher dunkelblau, heute grau abgesetzten Balkonzonen. Eine bessere Orientierung ermöglichen die großflächig verglasten, neuen Eingangspavillons, die mit ihrer Bekleidung durch Schichtstoffplatten überdies einen sehr angenehmen Material- und Farbkontrast zu Fassade und Fenstern bewirken.

Weniger gelungen erscheint dagegen die Neugestaltung der von Herbert Stranz entworfenen Wohnhausgruppe 905 durch SPP Property-Projekt-Consult. Der einst kräftige Kontrast zwischen weißen Wandflächen und dunkelblauen Fensterbändern blieb zwar weitgehend erhalten, wurde jedoch durch die Verwendung von Hellblau für einen Gebäudeteil verunklart. Mit Ausnahme der heute angenehm hellblau abgesetzten Balkone und der leider allzu plakativ roten, neuen Hauseingänge nutzten die Planer zu wenig neue Farben, um Akzente zu setzen und die Baukörper so zu beleben.

Betont farbig gegliedert zeigen sich dagegen die von Hans C. Müller und Georg Heinrichs errichteten und durch Stefan Ludes Architekten und SPP Property-Projekt-Consult sanierten Wohnhausgruppen 911, 912 und 922. Der ursprünglich starke Farbkontrast zwischen den weißen Wohnscheiben und den Erschließungs- bzw. Wohntürmen in Blau-, Gelb- und Rottönen wurde durch die Neugestaltung in gedeckteren Farbtönen wohltuend abgemildert. Unnötige Unruhe in das ohnehin stark bewegte Fassadenbild der vertikalen Bauteile bringen jedoch die zwischen den blauen Fensterbändern liegenden, heute im Gegensatz zu früher nicht mehr blau, sondern grau abgesetzten Fassadenflächen. Die neuen Hauseingänge, transparente bzw. farbig hinterlegte Glaswände in Stahlrahmen, präsentieren sich dagegen sehr gelungen.

Nochmal getoppt

Bei dem von René Gagès und Volker Theißen errichteten und ebenfalls von Dahm Architekten + Ingenieure sanierten Wohnhausgruppe 907, dem sogenannten langen Jammer, gelingt die Verknüpfung von Farbgestaltung, Energieeinsparung und pragmatischen Umgang mit dem Bestand beispielhaft. Aufgrund des kompakten Baukörpers und eines höheren Modernisierungsstandards, der durch den Erhalt der 80er-Jahre-Eingangspavillons des Gebäudes möglich wurde, konnte hier der Endenergieverbrauch sogar um 75 % auf 48 kWh/m²a gesenkt werden. Dabei wurde im Vergleich zu anderen Wohnhausgruppen stärker gedämmt, wurden dreifach verglaste Fenster eingesetzt und wird die Wärme aus der Abluft von Bädern und Küchen zurückgewonnen.

Außerdem wurde in die vorhandenen Eingangspavillons eine zusätzliche Tür eingebaut, um echte Windfänge herzustellen und damit eine klare thermische Trennung zu erreichen. Mit der Neugestaltung erhielten die Treppenhaustürme ihre zwischenzeitlich verschwundenen Farbbänder zurück, jedoch nicht mehr in konstrastreichem Blau und Rot, sondern ebenso attraktiv in Grau-, Gelb- und Rottönen, die erstmals, gemeinsam mit weiteren roten Farbakzenten auch die Rückseite des Gebäudes beleben.

In der Sanierung befinden sich zurzeit zwei weitere Wohnhausgruppen, die den überwiegend positiven Gesamteindruck noch verstärken. Kosteneffizienz, große Energieeinsparungen und hohe Gestaltungsqualität miteinander zu verbinden, gelingt im Märkischen Viertel ganz überwiegend. Voraussetzungen dafür sind jedoch ein ohnehin vorhandener, hoher Sanierungsbedarf, klar strukturierte Baukörper und Oberflächen, die den Einsatz von WDVS ohne großen Verlust an Gestaltungsqualität ermöglichen, und Bauherren sowie Planer, die energetische Sanierung als reizvolle Gestaltungsaufgabe begreifen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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