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TEC21 2012|49-50
Villa Streiff
TEC21 2012|49-50
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Bauteilkatalog der Villa Streiff

Vom Schiff zum Luftschiff

30. November 2012 - Roger Strub
Vom Schiff zum Luftschiff – für die Generation von Harry Streiff, dem Bauherrn der 1929 von Otto Zollinger erbauten Villa Streiff in Goldbach-Küsnacht, war der aus Stahl, dem Material des industriellen Zeitalters, gebaute Ozeandampfer der Inbegriff des Fortschrittsglaubens. Man verband ihn mit «Reinheit, Technizität, Klarheit, Offenheit, Sachlichkeit, Modernität und Weltoffenheit».[1]

Der deutsche Architekt Hans Scharoun (1893–1972) schrieb 1923: «Man ersehnt, etwas von der Kühnheit moderner Schiffskonstruktionen auf die Gestaltung des neuen Hauses übertragen zu sehen.»[2] Seine 1932–1933 erbaute Villa Schminke im sächsischen Löbau bedient sich der Elemente und der Formensprache der Schifffahrt wie Kommandobrücke, Reling und Bullauge. Auch Le Corbusiers (1887–1965) Villa Savoye in Poissy (1928–1931) ist von der maritimen Architektur inspiriert. Hier führt eine von einer Reling begleitete Rampe auf das «Oberdeck» der Dachterrasse, wo die geschwungenen Wände und Kamine wie Schornsteine eines Dampfers emporragen.

Die Zukunft des Reisens gehörte nach dem Ersten Weltkrieg aber der Luftfahrt, bis 1937 vor allem den oft nach dem deutschen Pionier Ferdinand Graf von Zeppelin (1838–1917) benannten Luftschiffen. Sie boten einer begüterten, technikbegeisterten Elite den Komfort und die Reichweite eines Dampfers mit der Geschwindigkeit eines Flugzeugs und knüpften in Ausstattung und Symbolik an die Tradition der stählernen Ozeanriesen an.

Aluminium statt Stahl

Der erst seit dem späten 19. Jahrhundert in der Technik bekannte Werkstoff Aluminium ermöglichte die neue Dimension des Reisens in der Luft. Mit diesem leichten und beständigen Metall war der Bau von Flugzeugen und Luftschiffen, aber auch von leichten Fahrzeugen überhaupt möglich geworden. Es galt deshalb als Leitwerkstoff eines neuen, futuristischen Industriezeitalters, der den Stahl der Schiffe und Eisenbahnen ablöste – möglicherweise ein Grund für Zollingers für diese Zeit bemerkenswerte Verwendung von rohem Aluminium als Verkleidung und gestaltendes Element bei der Villa Streiff (vgl. «Schiffsästhetik in Form, Farbe und Material» und «Bergen und verbergen»).

Glanzanstriche

Wände und Decke der Esszimmerrotunde (Titelbild) waren ursprünglich «zitronengelb in Ripolin geschliffen»1. Die Verglasung des stützenlosen Bandfensters lässt sich bis heute weit öffnen. Der Garten wurde so in den Innenraum gespiegelt. Die Kombination von fassadenauflösender Fensteröffnung und Glanzanstrich im Innenraum fand sich, den historischen Fotos nach zu schliessen, auch im Restaurant des Strandbads in Vevey-Corseaux.

Korrespondierende Muster in Boden und Decke

Die Verwendung von korrespondierenden Mustern an Decke und Boden, die gleichsam imaginäre Membranen aufspannen, ist ebenfalls eine Gestaltungsidee, die Otto Zollinger an den gleichzeitig entstandenen und gestalterisch verwandten Bauten in Küsnacht und Vevey-Corseaux einsetzte.

Fenster der Esszimmerrotunde

Die Esszimmerrotunde (Titelbild und Abb. 1) hat Metallfenster, die mit gewölbtem Glas ausgerüstet sind. Jeweils drei Segmente lassen sich in Messing-schienen hinter ein viertes Element auf jeder Seite schieben, sodass das Fensterband praktisch vollständig geöffnet werden kann. Weil der Beton der ursprünglich frei vorkragenden Decke über die Jahrzehnte gekrochen war, liessen sich die Fenster kaum mehr bewegen. Um sie vor Druckbelastungen zu schützen, wurden im Zug der Gesamtrestaurierung zwei schlanke Stützen eingebaut.

Elektrische Sitzbankheizung

Die in rotem Terrazzo ausgeführte runde Sitzbank in der Esszimmerrotunde war bereits zur Bauzeit mit einer elektrischen Heizung ausgerüstet. Dies war damals so speziell, dass die «elektrische Bodenheizanlage» explizit im Grundbucheintrag von 1929 erwähnt wurde.

Tisch in der Esszimmerrotunde

Auf historischen Fotos ist in der Esszimmerrotunde ein runder Tisch zu sehen (Abb. 1). Dieser Esstisch hat die Villa Streiff nach dem ersten Besitzerwechsel verlassen, sein Verbleib ist bekannt. Es handelt sich um einen «Liegnitzer Ringtisch» – einen runden Tisch mit speziellem Ausziehmechanismus, den Josef Seiler aus Liegnitz 1920 zum Patent anmeldete und der heute als Sammlerstück gilt. Der Tisch wird dabei mit Platten fächerartig so erweitert, dass sie in Form eines Rings an einer festen runden Tischplatte liegen. Nach dem Ausziehen hat der runde Tisch also wieder die Form eines Kreises. Die Platten befinden sich im geschlossenen Zustand des Ringtischs hinter dem Rand unter der Tischplatte. Um den Ringtisch auszuziehen, wird der Rand heruntergedreht. Die Erweiterung wird dann fächerartig herausgezogen und hochgedreht.

Dachkonstruktion

In der frontalen Ansicht erscheint der schwarz verputzte Hauptbaukörper aufgrund der Hanglage des Gebäudes und der Dachrandblende in Aluminium als Flachdachbau. Der Gebäudeteil wird jedoch von -einem in Stahl konstruierten Walmdach überspannt. Die Kupfereindeckung zeigt höchstes handwerkliches Können (vgl. Bild 2 in «Schiffsästhetik in Form, Farbe und Material»).

Verdunklungsläden im Herrenzimmer

Im Herrenzimmer gibt es an der Südostecke eine pfostenlose Eckbefensterung, die im Innern von fest eingebauten Bücherregalen gerahmt ist. Darin integriert sind zwei Verdunklungsschiebeläden, die mit Bemalungen von Freda Zollinger-Streiff, Ehefrau des Architekten und Tochter des Bauherrn, dekoriert waren. Sie zeigten die Neffen und Nichten der Künstlerin (Abb. 3 und 4). Die Bemalungen sind unter einer einfarbigen Überfassung noch vorhanden. Sie wurden bei der Restaurierung nicht freigelegt.

Türgriffe

Die im ganzen Haus vorhandenen überlangen Türklinken sind am hinteren Ende zurückgebogen und -in einer Schiene geführt (Abb. 8). Vermutlich stammen diese Klinken aus dem Schiffsbau – die metallbeplankten Innentüren der Villa Streiff sind als Ganzes als Referenz an die Schiffsarchitektur zu verstehen.

Marbrit

Im Badezimmer der Dame und im Office-Bereich der Küche verwendete Otto Zollinger durchgefärbtes Glas (Marbrit) als Wandbelag und für Tablare (Abb. 6 und 7). Das Material war in dieser Zeit unter anderem für modisch-hochwertige Innenausbauten von Bars und Restaurant beliebt – eine Gestaltungsaufgabe, die Otto Zollinger gut kannte und mit der er sich ein grosses Renommee verschafft hatte.


Anmerkungen:
[01] Kähler, Gert, Architektur als Symbolverfall. Das Dampfermotiv in der Baukunst, Braunschweig 1981, S. 110.
[02] Pfankuch, Peter (Hg.), Hans Scharoun. Bauten, -Entwürfe, Texte, in: Schriftenreihe der Akademie der Künste, Bd. 10, Berlin 1974, S. 82.
[03] Baer, Casimir Hermann, Magie eines Hauses, in: «Das ideale Heim» (1932), H. 2, S. 54–64

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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