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TEC21 2012|51-52
Glockengeläut
TEC21 2012|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Glockentöne aufeinander abstimmen

Die physikalischen Zusammenhänge zwischen dem Glockengeläut und den entsprechenden Auswirkungen auf den Glockenturm oder die Nebengebäude sind nicht immer offensichtlich. Bereits ein kurzer Blick auf die Konstruktion von Glockenstühlen, insbesondere auf die statischen und dynamischen Problemstellungen, die es bei manchen Glockentürmen zu beheben gilt, zeigt, wie komplex das Zusammenspiel von schwingenden Glocken, tragendem Glockenstuhl und ausgewogenem Klang ist.

14. Dezember 2012 - René Spielmann
Kirchtürme sind einerseits Kulturobjekte und Orientierungspunkte in unseren Städten und Dörfern, andererseits auch Musikinstrumente. Ihr eigentlicher Zweck ist es, die Glocken zu beherbergen. Mit ihrer Höhe schaffen sie Distanz zwischen dem Geläut und der Zuhörerschaft und vergrössern den Raumwinkel. Sie bilden den notwendigen Resonanzraum, insbesondere dann, wenn sie einen geschlossenen Raum fassen. Technisch gesehen sollen Glockentürme ein sicheres und langlebiges Fundament der Glockenanlage sein. Als stabile Tragkonstruktionen sollen sie eine komplexe Maschinerie auf sichere und zuverlässige Art und Weise über Jahrhunderte unterbringen.

Die Glocken hängen am Joch und das Joch am Glockenstuhl

Glocken werden auf unterschiedliche Arten zum Läuten gebracht. In der Regel schwingen sie /– 90° und werden von einem Klöppel angeschlagen. Viele Glocken haben zusätzlich einen Schlaghammer, der zur Turmuhr gehört und von aussen die Stunden schlägt. Die Glocken hängen über Beschläge oder Bolzen verbunden an Balken. Diese Joche (Abb. 01) bestanden bis Mitte des 19. Jahrhunderts aus Eichen-, seltener auch aus Lärchenholz.

Ab 1880 bis ca. 1930 setzte man Gusseisenjoche ein, ab den 1930er-Jahren bis heute sind die Joche als Stahlprofilkonstruktionen ausgeführt. Grundsätzlich verwenden Konstrukteure heute sowohl Holz- als auch Stahlkonstruktionen. Die Joche liegen auf traditionell aufwendig konstruierten Traggestellen – sogenannten Glockenstühlen –, die die Kräfte weiterleiten. Die Lastabtragung soll dabei möglichst direkt in den Baugrund erfolgen, ohne unliebsame Schwingungen an das Gebäude weiterzuleiten. Die Glockenstühle wurden vom Mittelalter bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ausschliesslich aus Holz gebaut. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts werden sie auch aus Stahlprofilträgern gefertigt, besonders für grosse Geläute. Ab den 1950er-Jahren entwickelte sich der «moderne» Kirchturm im Campanile-Stil: Die meist offenen Glockentürme integrieren die Glockenauflager inklusive Schwingungsisolationen im Betonsockel und verzichten auf einen Glockenstuhl.

Dynamische und statische Belastung des Glockenturms

Die Glocken geben mit ihren periodischen Bewegungen Kräfte auf die Glockenstühle ab, die nicht selten auf den Glockenturm übertragen werden und dort Schwingungen und Vibrationen verursachen. Zu diesen dynamischen Belastungen des Turms kommt die statische Belastung durch das Gewicht der Glocke. Dabei stellt jedes Geläut einen speziellen Belastungsfall dar: Jeder Glockenstuhl hat seine besondere Konstruktion und jede Glocke ihr individuelles Profil aus Durchmesser, Gewicht und Form. Damit ändern sich ihr Massenträgheitsmoment und somit auch die daraus resultierenden Lagerkräfte.

Glockengeläut verursacht Klänge – aber auch Nebengeräusche

Der Glockenklang selbst entsteht durch den Anschlag des Klöppels auf den harten Glockenkörper. Glocke und Klöppel wirken dabei physikalisch als Doppelpendel. Der Klöppel übernimmt also die Schwingung der Glocken und gibt seinerseits wieder Schwingungsenergie in die Glockenbewegung. Beim Aufprall des Klöppels auf die Glocke beginnt diese mit ihrer Eigenfrequenz zu vibrieren, was den hörbaren Klang erzeugt. Ist die Glocke an einem hölzernen Joch befestigt, erlaubt das deformationsempfindliche Holz jegliche Bewegung bzw. Vibration mit nur wenig Dämpfung, weshalb die Glocke mit allen Oberschwingungen in vollem Klang tönt. Ein Stahl- oder Eisenjoch ist hingegen viel rigider, und die Glocke klingt zu hell und blechern – als wäre sie in einen Schraubstock gespannt. Die Dämpfung ist zu gross, und die Obertöne klingen rasch ab. Will man eine Glocke an einem Stahl- oder Eisenjoch zu vollem Klang bringen, der reich Obertönen ist, benötigt man an der Glockenstuhlbasis und an der Glockenaufhängungen Schwingungsisolationen aus Kautschuk. Erst dadurch kann die Glocke in allen Freiheitsgraden vibrieren.

Die Schwingungen, die den Glockenklang ergeben, sind nicht nur direkt hörbar, sie pflanzen sich auch über den Glockenstuhl fort und können beispielsweise am Fuss des Turms oder an benachbarten Gebäuden ungewünschte Nebengeräusche verursachen. Grundsätzlich stellen solche Nebengeräusche keine Gefahr für den Glockenturm dar, sie sind vielmehr ein bauphysikalisches Problem, das mit entsprechenden konstruktiven Details behoben werden kann. Wenn aber die Schwingungen in die Turmkonstruktion eingeleitet werden und die Frequenzen einer oder mehrerer Glocken zu nahe an der Gebäudeeigenfrequenz liegen, können im Einzelfall Resonanzprobleme auftreten (vgl. «Glocken schaukeln den Turm auf», S. 27). Sie können einen Turm in seiner Tragfähigkeit, Festigkeit und Widerstandsfähigkeit gefährden: Wenn die Schwingfrequenz der Glocken mit der Eigenfrequenz des Turms übereinstimmt, schaukelt sich der Turm auf. Diese zu grossen Bewegungen überstrapazieren die Turmkonstruktion.

Turmschwingungen reduzieren und Resonanz verhindern

Die Fragen, welche Schwingungen der Glocken zulässig und ab welcher Schwingstärke des Glockenturms Massnahmen erforderlich sind, stellen sich praktisch bei jeder Instandsetzung eines Glockenstuhls oder -turms. Für moderne Glockentürme aus Stahl oder Stahlbeton lassen sie sich einigermassen zuverlässig beantworten. Materialeigenschaften und Ermüdungsfestigkeit bestimmen die zulässigen Schwingungsamplituden. Bei Kirchen mit Natursteintürmen, bei denen die Materialfestigkeit kaum bekannt ist und überdies örtlich variiert, lässt sich hingegen keine gesicherte Aussage über die zulässigen Schwingungen herleiten. Eine gewisse Hilfestellung bietet hier die Norm DIN 4178 mit ihren Orientierungswerten der Schwinggeschwindigkeit bei Glockentürmen (vgl. Tabelle 03, S. 33). Gemäss DIN 4178 sind bei Einhaltung dieser Werte (gemessen im obersten Turmgeschoss) nach bisherigen Erfahrungen keine weiteren dynamischen Untersuchungen rechnerischer oder messtechnischer Art erforderlich. Dennoch gibt es kein allgemeingültiges Rezept für die Instandsetzung von schwingungsanfälligen Kirchtürmen, jeder Kirchturm ist ein Spezialfall (vgl. Tabelle rechts).

Elastische Lagerungen Dämpfen unliebsame Schwingungen

Häufig wird der Glockenstuhl als schwingungsmindernde Massnahme elastisch gelagert. Neben dem positiven Effekt, dass Schwingungsisolationen – vor allem in einem Glockenstuhl aus Stahl – die Klangqualität eines Glockengeläuts verbessern, reduzieren sie Erschütterungen, die der Klöppel auf Glocke und Konstruktion weiterleitet, und schützen somit zum Beispiel das Mauerwerk, auf dem der Glockenstuhl ruht. Elastische Lagerungen verringern auch wirksam die Körperschallübertragung des Klöppelanschlags auf die schwingende Glocke oder des Uhrhammeranschlags auf die ruhende Glocke und stellen die Hauptaufgabe der Glocken in den Vordergrund: das wohlklingende Läuten. Das Resonanzproblem ist damit aber grundsätzlich noch nicht gelöst.

Türme versteifen löst das Resonanzproblem

Übermässige Turmschwingungen bzw. Resonanz lassen sich durch Massnahmen an Bauwerk oder Glockenanlage korrigieren, doch leidet dabei oft und in einem erheblichen Mass die Qualität des Glockenklangs: Der Glockenklang kann träger werden und wirkt nicht mehr fröhlich, oder die Glocken sind nicht mehr ausgewogen aufeinander abgestimmt. Eine solche klangliche Veränderung ist nur in seltenen Fällen erwünscht. Eine Versteifung des Turms ist die einzige Massnahme, die den Glockenklang nicht beeinflusst. Allerdings sind hier aus architektonischen Gründen oft enge Grenzen gesetzt. In der Regel sind erhebliche Anpassungen in der Tragstruktur erforderlich, um die gewünschte Veränderung in der Eigenfrequenz des Turms zu erreichen. Diese Massnahmen sind deshalb meist unverhältnismässig.

Kleinere Schlagzahl reduziert Turmschwingung

Häufig verändert man die Schlagzahl (vgl. Kasten «Läutmaschine», S. 24) respektive die Frequenz der Glocken, um die Turmschwingungen zu reduzieren und ein Resonanzproblem zu entschärfen. Es handelt sich bei der Veränderung stets um eine Verringerung der Schlagzahl – beschleunigen lassen sich Glockenpendelbewegungen nicht, weil die Glockenform gegeben ist. Wegen des Zusammenspiels aller Glocken sind den Anpassungen auch hier relativ enge Grenzen gesetzt. Da jedoch Glockentürme generell eine geringe Dämpfung aufweisen, bewirken bereits geringe Veränderungen in der Schlagzahl erstaunlich grosse Veränderungen in den Schwingungsamplituden.

Um die Schlagzahl zielorientiert anpassen zu können, müssen die Frequenzen aller Glocken und die Eigenfrequenz des Turms bekannt sein. Es ist wichtig zu wissen, in welcher Anordnung die Frequenzen zueinander stehen. Liegt beispielsweise die Resonanzfrequenz bei der kleinsten Glocke – d. h., deckt sich die 3. Harmonische der kleinsten Glocke mit der Eigenfrequenz des Turms (vgl. «Glocken schaukeln den Turm auf», S. 27) –, muss nur bei ihr die Schlagzahl verkleinert werden. Um einen nach Norm vorgeschriebenen Frequenzabstand zu erhalten, wird es meist ausreichen, die Schlagzahl um 8 bis 10 % zu reduzieren. Die Eigenfrequenz des Turms kann aber auch zwischen den Glockenfrequenzen liegen. Glockenfrequenzen, die dann ausreichend über der Eigenfrequenz des Turms liegen, belässt man. Glocken, deren Frequenzen mit der des Turms zusammenfallen, müssen wiederum verlangsamt werden – nicht ohne Einfluss auf die Glocken, deren Frequenzen unterhalb der Turmeigenfrequenz liegen. Sie müssen in der Regel ebenfalls verlangsamt werden, denn sollen einzelne Glocken nicht plötzlich parallel schwingen, muss der Frequenzbereich unterhalb der Turmeigenfrequenz gesamthaft «aufrücken». Daraus folgt ein «Graben» mitten im Geläut – statt eines ausgewogenen Geläuts klingen die in der Schlagzahl veränderten Glocken nun viel langsamer und träger, während die belassenen noch gleich läuten. Die Klangfarbe des Geläuts verändert sich hörbar. Weist der Glockenturm schliesslich zwei Turmeigenfrequenzen auf, die in den Schwingfrequenzen der Glocken liegen, ist es noch weit anspruchsvoller, die geforderten Zielgrössen der Pendelfrequenzen genau anzufahren und gleichzeitig die klangliche Qualität zu bewahren.

All diese Frequenzverschiebungen bedingen eine Veränderung des Jochs. Da eine Glocke ein Pendel mit einer bestimmten Pendelfrequenz ist, ist es nicht – wie irrtümlicherweise oft angenommen – die Aufgabe des Glockenantriebs, die Frequenz der Glocke zu bestimmen. Es ist das Pendel selbst mit seiner Geometrie, das die Frequenz ergibt. Will man also die Frequenz verkleinern bzw. die Pendeldauer verlängern, muss man die Gewichtsproportionen der Glocke verändern. Dies geschieht, indem man dem Joch ein Gegengewicht aufbaut. Weil Glocken- zu Klöppelschwingungen aber nur in einem bestimmten Verhältnis funktionieren, muss das Klöppelsystem umgebaut werden. Erneut eine Auswirkung, die aufzeigt, wie komplex das Zusammenspiel aller Einzelteile des Glockenturm ist – jede Massnahme muss mit ihren Konsequenzen genau durchdacht werden, um nicht ein unerwartetes Nachspiel zu verursachen.


Literatur:
Glocken in Geschichte und Gegenwart, Bd. I und II, Hrsg. Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen. Karlsruhe 1986 und 1997.
Schwingungsprobleme in Glockentürmen, Diplomarbeit Lars Keim, FH Aargau, Departement Technik, 2002.
Schwingungsmessungen am Glockenturm der reformierten Kirche Zürich Altstetten, Ziegler Consultants. Zürich 2004 bis 2005.
Schwingungsmessung am Glockenturm deKirche Zürich Enge nach den Sanierungsarbeiten, Empa Dübendorf, Bericht Nr. 424 578, 2002.
Literaturdokumentation, Kirchtürme und Glockentürme, Fraunhofer Informationszentrum Raum und Bau. Stuttgart 2001.
SN 640 312 a Schweizer Norm über Erschütterungen.
Deutsche Norm – DIN 4178: Glockentürme. Berlin 2005.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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