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TEC21 2013|01-02
Marktreife Moderne
TEC21 2013|01-02
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Häuslicher Playboy

Das Männermagazin Playboy setzte sich in der Nachkriegszeit kräftig für die Popularisierung der modernen Architektur ein. Wegen seiner ­erotischen ­Inhalte als Referenz unerwünscht, fehlt es jedoch meist in den Bibliografien zum Thema. Das ist schade, denn für die Architektur- und Designgeschichte ist das Studium des Playboy sehr aufschlussreich. Es zeigt, wie die Moderne – ursprünglich als Instrument der menschlichen Emanzipation gedacht – in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend als blosses Konsum­produkt vermarktet wurde. Das kürzlich erschienene Buch «Pornotopia» geht diesem Phänomen auf die Spur.

28. Dezember 2012 - Christophe Catsaros
Das 2012 auf Deutsch veröffentlichte Buch «Pornotopia»[1] der Philosophin Beatriz Preciado (vgl. S. 9) durchbricht die scharfe Grenze zwischen populärer und wissenschaftlicher ­Literatur. Die Untersuchung über die anthropologische und architektonische Bedeutung der Zeitschrift Playboy zeigt, dass die Vision ihres Herausgebers Hugh Hefner viel weiter reichte, als es die freizügigen Titelbilder vermuten lassen. Tatsächlich hat Playboy wie keine andere Massenzeitschrift die moderne Architektur propagiert. Grosse Namen und hoch­wertige Einrichtungsgegenstände tauchten darin auf; vor allem aber setzte sich das Magazin entschieden für das Leben in der Stadt ein. Die 1953 gegründete, in Chicago herausgegebene Zeitschrift entwickelte zwischen 1953 und 1963 einen kämpferischen Diskurs für eine neue männliche Identität – die des unverheirateten jungen Grossstädters. Sehr schnell trat Playboy auch als Inneneinrichtungsmagazin für Männer auf und versuchte, sich einen Platz zwischen Frauen- und Wohnzeitschriften zu sichern. Mit seiner geschickten Mischung an Themen – Sex, Literatur und Wohndesign – hatte Playboy von Anfang an aussergewöhnlichen Erfolg. Die kleine Revolution, die Hugh Hefner für sich beansprucht, war die Rückeroberung des häuslichen Raums für den Mann. Die Begriffe Revolution und Rückeroberung mögen aus heutiger Sicht übertrieben erscheinen, im Kontext der konservativen Grundhaltung in den USA der 1950er-Jahre betrachtet sind sie jedoch durchaus angemessen.[2]

Stadtflucht und konservative Geschlechterrollen nach 194

5Während des Kalten Kriegs, einer von Spionen und heimlichen Helden besessenen Zeit, ­gehörte das amerikanische Heim vor allem der Familie. Es befand sich – dank der noch jungen Automobilkultur gut erreichbar – draussen vor der Stadt. In dieser sehr schematischen Vorstellung, die das traute Zuhause vom Rest der Welt trennt, war der Mann gezwungen, sich ausserhalb zu betätigen; darum verfügte er über das einzige Fahrzeug der Familie. Der häusliche Bereich war die Domäne der Frau. Dieses Modell der Kernfamilie hat nicht nur die Wertvorstellungen mehrerer Generationen von Amerikanerinnen und Amerikanern geprägt, sondern auch die urbane Entwicklung nach 1945. Die Städte dehnten sich in endlosen ­Suburbs aus, das Leben verlagerte sich aus dem Zentrum in die Peripherie. Die geostrate­gischen Ängste vor einem totalen Krieg, der die Städte zerstören würde, trieben die Familien aus den Städten hinaus. Jene Zivilisation, die in ihrer jüngsten Geschichte weltweit die ­meisten Bombardierungen veranlasst hat, konnte sich für die Sicherung ihrer Zukunft nur für ein anti-urbanes Modell entscheiden; denn je weiter die Stadt sich ausbreitete, desto weniger verwundbar war sie. Die atomare Bedrohung, die Rassenkonflikte, die Drogen und die ­Kriminalität mochten im Stadtzentrum bleiben: Der Durchschnittsamerikaner wohnte nicht mehr dort. Dieses sogenannte «White-Flight-Phänomen» war mitverantwortlich für den ­Niedergang der Innenstädte in den 1960er- und 1970er-Jahren. Beatriz Preciado betont, dass diese Trennung der Lebensbereiche Wohnen und Arbeiten auch ein effizientes Mittel war, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu verdrängen, um wieder Platz für die nach 1945 demobilisierten Soldaten zu schaffen. Den aus dem Stadtzentrum verdrängten Frauen sei nichts anderes übrig geblieben, als sich um das Heim zu kümmern. Auf die emanzipierte, produktive Frau der 1940er-Jahre, die problemlos die in den Krieg ­gezogenen Männer ersetzen konnte, folgte in den 1950er-Jahren die abhängige, von der Aussenwelt abgeschnittene Ehefrau und Mutter.

Rückeroberung von Stadt und Wohnung

Auf dieses vorherrschende Modell des Einfamilienhauses in der Vorstadt antwortete der Playboy mit einem Plädoyer für das urbane Leben: «Der Mann verlangt nachdrücklich eine Wohnung für sich […], einen Raum nur für sich […], das ideale Penthouse für einen urbanen Junggesellen», heisst es in einem Leitartikel vom September 1956. Das Penthouse, von dem die Playboy-Leser träumten, verspricht die Wiederaneignung eines häuslichen Raums, der vom Einfluss der Frau befreit und wieder ins Stadtzentrum verlegt wurde. Die Stadt erhält dabei ihre begehrenswerte, spannende Dimension zurück. Der neue Mann – emanzipiert, unverheiratet oder geschieden – kann sich seinen Lieblingsbeschäftigungen hingeben: der Inneneinrichtung, elektronischem Spielzeug und leicht bekleideten Mädchen. Der neue Junggeselle behauptet sein Recht auf seinen eigenen Geschmack. Hugh Hefner verkörpert mit Vergnügen das von ihm propagierte Männermodell: Er lebt im Pyjama, ­um­­geben von etwa dreissig sogenannten «Bunnys», in einem geschlossenen Universum, wo alles gefilmt wird. Das Playboy Mansion, Lebens- und Arbeitsort zugleich, ist das erste mediale Kloster unserer Zeit.

Die Bemühungen des Playboy um Auflösung der altväterlichen Allianz zwischen häuslichem Raum und Weiblichkeit hatten eine gewisse Entsprechung in den analogen Bemühungen der Feministinnen. Manche von ihnen betrachteten das Magazin sogar als Vorkämpfer der sexuellen Befreiung, gleichrangig neben der feministischen Bewegung und der Friedensbewegung der 1960er-Jahre. Beatriz Preciado ist in diesem Punkt zurückhaltender: Tatsächlich ist der kommerzielle Charakter dieser ersten medialen und sexuellen Utopie kaum zu übersehen. Sein unbestrittener Beitrag zur Entstehung des libidinösen und pharmazeutischen Konsumismus schliesst Playboy definitiv aus der Reihe der Protagonisten der sexuellen Befreiung aus.

Käufliche Schönheit für käufliche Schönheiten

Inwiefern erhellt nun die erotische und architektonische Heldengeschichte des Playboy die Frage nach dem Sinn der Modernität? Auf den Seiten des Magazins kann man verfolgen, wie die Utopie der Modernität zur Ware wird. Es zeichnet sich ab, wie die funktionelle, ­idealistische Vorkriegsbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum luxuriösen, gestylten Modernismus verkommt. In den Netzen der Konsumkultur und der Massenmedien gefangen verliert die Moderne nach und nach ihre ethischen Imperative; sie wird zur blossen Stilübung, die sich den wechselnden Tendenzen und der Spekulation anpasst. Auf den ­Seiten des Playboy verkörpert ein Stuhl von Eero Saarinen auf einmal nicht mehr die Klarheit und Schnörkellosigkeit einer vollkommen angemessenen Geste, sondern wird, wozu ihn die Konsumgesellschaft verdammt: ein begehrtes und potenziell aneigenbares Objekt der Sinnlichkeit (Abb. 02). Die Architekturseiten des Playboy sind nur eines von vielen Symptomen der langsamen ­Verwandlung des modernen Stils. In den 1950er-Jahren tauchen zwei einander widersprechende Tendenzen auf: einerseits eine radikale, politisierte architektonische Gegenkultur, andererseits ein manierierter Modernismus, der jede Verbindung zu gesellschaftlichen ­Anliegen verloren hat. Zu einer Sache des Lifestyles – und nicht mehr des Lebens im vollen Sinn des Worts – gewandelt, wird die moderne Architektur zu etwas, was sie nach dem ­Willen ihrer Protagonisten nie hätte werden dürfen: zum Dekor. Diese Veränderung manifestiert sich in den rund um die Uhr gefilmten modernen Interieurs Hugh Hefners. Es ist kein Zufall, dass einer der eklektischsten Architekten unserer Zeit wiederholt im Playboy auftaucht: Frank O. Gehry entwarf schon vor fünfzig Jahren die Prinzipien des «bachelor pad», der Junggesellenwohnung als idealem Ökosystem für den neuen Mann.

Industrialisierung des erotischen Schauspiels

Das architektonische Interesse am Playboy beschränkt sich aber nicht auf das Zur-Ware-Werden eines Ideals. Neben dem genialen Einfall Hugh Hefners, das Verbotene mit dem ­Akzeptablen zu mischen, beruht sein Projekt auf der Schaffung eines erbaulichen Mythos: eines unerreichbaren, aber in der Vorstellung aller präsenten Orts. Das Playboy Mansion als Raum strikt hierarchisch gegliederter Freizeitbeschäftigungen ist die Verkörperung einer Utopie. Nach dem Vorbild dieses mythischen Raums entstehen eine ganze Reihe von Hotels und Clubs. Diese neue Art von Bordellen verhält sich zu den Orten der Ausschweifung im 19. Jahrhundert wie Hugh Hefners Magazin zu der verbotenen Pornografie jener Zeit: Beide haben zum Ziel, das einst als verboten und verurteilenswert Geltende akzeptabel und kommerziell nutzbar zu machen. So tritt die virtuelle – filmische, fotografische und bald ­darauf auch digitale – Softprostitution an die Stelle der herkömmlichen, handgreiflicheren Form in Nachtklubs und Freudenhäusern. Playboy ist das Symptom für die Industrialisierung des erotischen Schauspiels, die mit der Erfindung des Kinos begann und ihren bisherigen Höhepunkt mit der allgemeinen Verbreitung des Internets erreicht hat. «Der Bewohner des Playboy-Penthouse ist eine erotisierte, kommerzielle Version von McLuhans ‹hyperconnected man›», schreibt Beatriz Preciado. Das tausendmal abgelichtete runde Bett von Hugh Hefner, von allen elektronischen Geräten ­seiner Zeit umgeben, ist die vollkommene Verkörperung dieses kybernetischen Traums (Abb. 03). Wenn dies das Erbe von Playboy ist, wird klar, dass seine Rolle bei der Entstehung des Modernismus weit über erotische Aspekte oder die Frage des Stils hinausgeht. War der Mann, der im Pyjama arbeitete und niemals sein Schloss verliess, nicht das erste Opfer einer Krankheit, die uns alle mittlerweile unerbittlich erfasst hat – des Glaubens, die ganze Welt sei auf dem Bildschirm zugänglich? Die erotisch-mediale Utopie des Playboy erzählt nicht so sehr vom Verfall der Moderne, ­sondern viel eher vom Zerfall der Wirklichkeit. Bei Walt Disney und Hugh Hefner, in den Vergnügungsparks des einen und in den Clubs des anderen, zeichnen sich neue Arten der ­Unterwerfung ab, die auf der Kontrolle über das Begehren basieren. Denn Wünsche, die der Herrschaft des Bilds unterworfen sind, können nie erfüllt werden – und sind deshalb un­begrenzt kommerziell ausbeutbar.


Anmerkungen:
[01] Beatriz Preciado, Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im «Playboy». Wagenbach, Berlin 2012.
[02] Vgl. Thomas Fechner-Smarsly, Ein Traumhaus für den Mann, in: NZZ vom 23. Mai 2012, S. 51.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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