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TEC21 2013|05-06
Revision Norm Sia 118
TEC21 2013|05-06
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

2000 Jahre Werkvertrag

Die aktuelle Revision der SI A 118 gibt Anlass zu einem Rückblick auf eine grosse Tradition. Der Werkvertrag im Schweizer Recht hat eine lange Geschichte, seine Ursprünge reichen zurück bis in die Römerzeit. Und noch heute sind alte Grundsätze aktuell.

25. Januar 2013 - Beat Flach
Die heutigen Regeln zum Werkvertrag im Schweizer Obligationenrecht (OR) gehen zum überwiegenden Teil auf einen Vorläufer von 1883 zurück.[1] Unter Mitwirkung von Konrad Willhelm Hellwag, von 1875 bis 1879 leitender Ingenieur beim Gotthardbahnbau, wurde 1879 in der Redaktionskommission der Abschnitt über den Werkvertrag für das erste OR des Bundes verfasst. Die Vorbilder für die Regelung stammten aus dem Zürcherischen Privaten Gesetzbuch (§ 1572), dem Dresdner Entwurf für ein Obligationenrecht für Deutschland (§ 634) sowie aus einem Entwurf des Schweizer Rechtsprofessors Walther Munzinger und den Vorschlägen der Kommission.[2]

Die Vorstellung, dass zwischen Kaufvertrag (Leistung durch Abtretung des Eigentums) und Auftrag oder Dienstvertrag (Leistung von Arbeit oder allgemeine Dienstleistung) noch ein weiterer, von diesen abzugrenzender Vertragstypus besteht, entstammt jedoch bereits dem römischen Privatrecht. Die «locatio conductio operis» zielte nicht auf die Leistung der Arbeit, sondern auf den durch Arbeit herbeigeführten Erfolg.[3]

Leider ist das römische Recht nicht als Gesetzeswerk überliefert. Es wurden aber einzelne Richtersprüche und Lehrsätze über die Jahrhunderte weitergegeben und von anderen Juristen interpretiert und besprochen. 533 n. Chr. liess Kaiser Justinian aus diesen Texten ein Gesamtwerk erstellen. Diese Digesten (von Lateinischen «digesta» für «Geordnetes») enthielten erstmals ausgewählte und nach Rechtsgebiet geordneten Rechtskodizes. In Digeste 19,2,62 ist erhalten geblieben, wie Marcus Antistius Labeo, ein römischer Jurist, bereits zu Zeiten von Kaiser Augustus (30 v. Chr. bis 14 n. Chr.), den Werkvertrag umschrieb: «Wenn ein Einsturz den Wassergraben vernichtet, dessen Herstellung du übernommen und den du ausgehoben hattest, noch bevor die Übergabe erfolgte, trägst du die Gefahr. Dies ist freilich nicht der Fall, wenn der Schaden auf einen Mangel des Bodens zurückgeht; dann nämlich wird der Besteller die Gefahr tragen […].»

Diese Beschreibung des Konzepts einer Haftung für eine übernommene Werkleistung hat sich bis heute gehalten. Eine der zentralen Fragen des Werkvertragsrechts ist und war, wer das Risiko beim Untergang des Werks vor der Übergabe trägt, die sogenannte Lohngefahr. Die in der nachklassischen Zeit verschwundenen Regelungen wurden von Justinian wieder eingeführt und fanden schliesslich Eingang in das moderne Privatrecht des 19. Jahrhunderts.[4,5] Im Ansatz findet man Labeos Text heute noch im Artikel 376 OR wieder.[6]

Geltungsbereich der Werkvertragsregeln des OR

Die sehr knapp gehaltenen Artikel 363 bis 379 OR regeln den Werkvertrag als Schuldvertrag zum Teil abweichend vom allgemeinen Teil des Obligationenrechts. Typisches Merkmal des Werkvertrags ist die Leistung in Form eines herzustellenden und abzuliefernden Werks, wobei auch die Veränderung und die Erhaltung eines Werks unter den Begriff Werkvertrag fallen können.[7,8] Die Abgrenzung zwischen Werkvertragsrecht und Auftragsrecht fällt mitunter nicht leicht – gerade im Baurecht, wo der Architektenvertrag häufig Auftragsmerkmale (Bauleitung, Bauherrenvertretung usw.) aufweist und deutliche Werkvertragsmerkmale (Erstellung eines Bauwerks für den Bauherrn, Planerstellung[9] usw.) beinhaltet. Die Umschreibung der Rechte und Pflichten der Beteiligten im Werkvertrag in Art. 363 OR ist von überragender Bedeutung für den Fall, dass das Vertragsverhältnis unklar ist. Denn die weiteren Bestimmungen des Werkvertragsrechts sind zum überwiegenden Teil als dispositives Gesetzesrecht zu betrachten, das von den Vertragsparteien im Rahmen von Artikel 19 und 20 OR geändert oder angepasst in den jeweiligen Vertrag übernommen werden kann.

Privatau tonomie im Werkvertragsrecht

Von den Möglichkeiten, die die Privatautonomie im Werkvertragsrecht bietet, wurde und wird in der Bauwirtschaft reger Gebrauch gemacht. Gerade weil sich das Werkvertragsrecht des OR nicht im Speziellen den einzelnen Werkvertragstypen zuwendet, sondern alle Werkverträge demselben Recht unterstellt, haben sich in den verschiedenen Wirtschaftszweigen eigenständige Ergänzungen durchgesetzt. Trotzdem lehnen sich zahlreiche individuelle Bauwerkvertragsbestimmungen – zumindest in den Grundzügen – dem Werkvertragsrecht des OR an.[10] Auch die in der Schweiz wichtigste privatrechtliche Ergänzung zum Bauwerkvertragsrecht, die SIA-Norm 118, leitet sich in der materiellen Regelung der Rechte und Pflichten der Parteien von der gesetzlichen Dogmatik ab.

Werkvertragsbestimmungen und Internationale Einflüsse

In Anbetracht des Alters der Werkvertragsregeln, an denen seit ihrem Inkrafttreten 1912 keine Änderungen mehr erfolgt waren, führte das Bundesamt für Justiz in den Jahren 1979/80 eine Umfrage bei den Betroffenen durch. Die Frage war unter anderem, ob das Werkvertragsrecht eingehender zu regeln sei und ob etwa der Bauwerkvertrag gesondert behandelt werden sollte. Die Umfrage ergab damals eine deutliche Ablehnung der Totalrevision.[11] Die Furcht, bei einer Totalrevision des Werkvertragsrechts das Rechtsinstitut des Bauhandwerkerpfandrechts (Artikel 837 ff. ZGB) zu verlieren, mag bei der Ablehnung eine Rolle gespielt haben.[12] Wo sich somit die gesetzlichen Regeln seit 1912 einerseits kaum geändert haben, entwickelte sich andererseits eine weit verbreitete Kultur der privaten Vertragsbestimmungen, die als Normtexte oder allgemeine Geschäftsbedingungen verwendet werden (vgl. «Die Geschichte der Norm SIA 118», S. 27).

Die zunehmende Globalisierung macht auch vor der Baubranche nicht Halt. Im internationalen Umfeld sind hier die Vertragsmuster der FIDIC (Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils) zu erwähnen. Diese beruhen auf angelsächsischem Recht und unterscheiden sich daher in ihrem Aufbau und Umfang wesentlich von unser Werkvertragsordnung.

Insbesondere für grosse Bauvorhaben mit grenzüberschreitenden Beziehungen legen die FIDIC-Vertragsmuster ausführliche Regelungen über das anwendbare Recht und über die Streitschlichtung fest und werden in internationalen Bauwesen mehr und mehr zum Standard (vgl. «‹Eine sanfte Revolution›», hier: S. 22). Durch internationale Übereinkommen wie WTO (GATT), EFTA und die bilateralen Abkommen mit der EU von 1999 hat sich die Schweiz verpflichtet, die Vereinheitlichung des Normenwesens auf nationaler Ebene den internationalen Standards anzupassen. Als Koordinationsorgan fungiert die Schweizerische Normen-Vereinigung (SNV). Obwohl es bei der Internationalisierung des Normenwesens vorrangig um die Angleichung von technischen Normen geht, hat die Anbindung des Schweizer Normenwesens an die Richtlinien des Europäischen Komitees für Normung ( Comité Européen de Normalisation, CEN) auch Folgen für die Vertragsgestaltung. So fordern die Prinzipien des CEN eine Trennung der technischen und vertraglichen Bedingungen in gesonderten Dokumenten. Der innerhalb der Schweizer Normenorganisation für den Fachbereich Bauwesen zuständige SIA lancierte aus diesem Grund die Projekte Swisscodes und Swissconditions, aus denen schlussendlich die Allgemeinen Bedingungen Bau des SIA (ABB) hervorgingen. Diese als SIA 118/XXX bezeichneten Normen ergänzen die SIA- Norm 118 bei ausgewählten Werkvertragssparten, für die die SIA-Norm 118 zu wenig detaillierte Bestimmungen enthält. Zusammen mit den technischen Normen des SIA und den Normenpositionskatalogen (NPK) des CRB ist so ein klar strukturiertes Dokumenten- und Informationsgerüst entstanden, um die immer komplexeren Aufgaben bei der Realisierung eines Bauwerks in der Schweiz einheitlich vertraglich zu regeln.


Anmerkungen:
[01] Peter Gauch: Der Werkvertrag, 5. Auflage, Zürich 2011, N 1.
[02] Albert Schneider: Das schweizerische Obligationenrecht, Zürich 1896, S. 545.
[03] Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, 9. Auflage, Wien 2001.
[04] Max Kaser, Rolf Knütel: Römisches Privatrecht, 19. Auflage, München 2008.
[05] Marcel Senn: Rechtsgeschichte – ein kulturhistorischer Grundriss. 3. Auflage, Zürich 2003, S. 310 ff.
[06] Bruno Huwiler: Textbuch zum Römischen Privatrecht, 2. Auflage, Lachen/St. Gallen 2000, N 747
[07] BGE 130 III 458 unterstellt auch den Unterhalt (Service) von Feuerlöschern dem Werkvertragsrecht, sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt (i. c. fehlendes Element der Dauer) sind.
[08] Urs Bertschinger, Peter Breitschmid, Jolanta Kostkiewicz-Kren, Ivo Schwander: OR – Handkommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht. Zürich 2002, S. 468.
[09] Erst seit dem – nicht in der amtlichen Sammlung aufgenommenen – Bundesgerichtsentscheid 4C.347/2003 vom 1. April 2004 scheint klar, dass der Planervertrag unter das Werkvertragsrecht zu subsumieren ist.
[10] In den rund 50 verschiedenen Fassungen von allgemeinen Vertragsbedingungen von Architekten, Generalunternehmungen, Bauherrschaften usw., die dem Verfasser von den Unternehmungen zur Verfügung gestellt wurden, fanden sich keine gravierenden Abweichungen von der Dogmatik des Werkvertragsrechts.
[11] Peter Gauch: Der Werkvertrag, 5. Auflage, Zürich 2011, N 2.
[12] Rainer Schumacher: Bauhandwerkerpfandrecht: Renovation oder Reformation oder …? In: Baurecht 1/2005. S. 4.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

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