Zeitschrift

anthos 2013/1
Frankreich
anthos 2013/1
zur Zeitschrift: anthos
Herausgeber:in: BSLA

Jardin Serge Gainsbourg

Seit 20 Jahren entwirft die Agentur Territoires Landschaften, die den Hintergrund für eine ­Versöhnung zwischen Mensch und Stadt bilden. Sie bieten Orte für das Leben in der Gemeinschaft oder Inseln der Ruhe im urbanen Chaos.

1. März 2013 - Philippe Convercey
Die Porte des Lilas ist eine von 33 Ausfahrten der Pariser Ringautobahn, dem Gürtel rund um Paris innerhalb der alten Stadtmauern, der die französische Hauptstadt mit ihren Vorstädten verbindet. Im Rahmen eines Vertrags zwischen der Stadt und ihrer Region übertrug Paris im Jahr 2000 der SEMAVIP (Société d‘économie mixte de la Ville de Paris) die Planung und Durchführung eines Bauprojekts zur Über­deckung der Ringautobahn auf der Höhe der Ausfahrt Porte de Lilas. Für die Bewohner der angrenzenden Stadtviertel sollte damit eine verbesserte Wohnqualität geschaffen werden.

2004 legte ein Team aus Stadt- und Landschaftsplanern die Ziele sowie das Programm des Projekts fest: In der zu schaffenden Anlage sollte ein Zirkus gastieren können, der Vorplatz einer Kultureinrichtung und ein Park sollten Platz finden. Die Ausschreibung richtete sich an interdisziplinäre Teams; der Zuschlag ging 2005 an das Büro Territoires. Der 2011 eröffnete Park wird von den Bewohnern des angrenzenden Stadtviertels genutzt und dient als Verbindung zwischen dem historischen Pariser Stadtkern und den Vororten Lilas, Pré Saint Gervais und Bagnolet.

Bauen über der Ringautobahn

Die Pariser Ringautobahn, Périph‘ genannt, hat ihre ganz eigene Geschichte. Sie verdankt ihre Existenz dem Militär und den Ingenieuren. Auf den Überresten der 1844 von Thiers errichteten Stadtbefestigung in den 1960er-Jahren erbaut, umschliesst die Ringautobahn seitdem die französische Hauptstadt und dient der Entlastung der schon damals durch den Autoverkehr überfüllten Innenstadt.

Um die wichtige Rolle der Schnellstrasse in der historischen Entwicklung von Paris zu berücksichtigen, erforderte das Bauen über der Stadtautobahn ein massvolles Vorgehen.

Diesem Umstand wurde auf verschiedenen Ebenen Rechnung getragen: Die Anlage sollte in ihrer Mitte einen offenen Teil enthalten, in dem sowohl die einzelnen Funktionen sowie auch die Bepflanzung Platz finden. Diese unverbaute Fläche ist wichtig für den Pariser Stadtraum. Die Abgeordneten aus Paris und den Vororten hatten für das Projekt einen Freiraum mit viel Luft zum Atmen zwischen Himmel und Erde vor Augen.

Der Entwurf einer Aussichtsplattform, einer Art Balkon mit Sicht auf die Ringautobahn, macht aus den rund 300 000 täglich darunter hindurch fahrenden Fahrzeugen ein Schauspiel. Die Skepsis der Abgeordneten wich bald den erstaunten Blicken der Bauarbeiter und später der Faszination der Spaziergänger angesichts dieses permanenten Stroms von Fahrzeugen. Die Aussicht auf die Ebene von Saint Denis verbindet den Jardin Serge Gainsbourg nicht nur mit der Stadtautobahn, sondern auch mit dem Pariser Grossraum.

Die Natur in der Stadt

Die Beteiligung von Landschaftsarchitekten an Stadtplanungsprojekten ist mittlerweile selbstverständlich geworden.

Unsere Arbeit trägt seit Langem dazu bei, das Verhältnis zwischen der Siedlung und ihrer Umgebung, zwischen Stadt und Natur, wiederherzustellen. Heute wird eher über die Art und Weise debattiert, wie man das Lebendige wieder in die Stadt bringen kann.

An der Porte de Lilas haben wir mit unserer Arbeit gezeigt, wie sich die Natur in die Stadt zurückholen lässt.

Die Ringautobahn eignet sich gut, um die Artenvielfalt zu fördern: Neben ihrer Funktion als Schnell­strasse ist sie auch ein Korridor, durch den der Wind Wildsaatgut transportiert. Wir haben daher auch die angewehten Wildpflanzen im Park gepflanzt. Diese autonomen und sehr widerstandfähigen Arten haben eine hohe Ausbreitungskapazität (ohne Risiko einer biologischen Invasion) und damit die notwendige Eigenschaften für die Ansiedlung in einem Park mit schwierigen Wachstumsbedingungen – trocken, heiss, windig.
Die Instandhaltung des Parks reduziert sich auf die Pflege der Pflanzen und der intensiv genutzten Teile wie Wege und Spielflächen.

Das Ziel des Projekts ist es, sich die Natur natürlich entfalten zu lassen, um hier ihre eigene Landschaft herauszubilden.
Wir haben ökologische Prozesse in Gang gesetzt, um die üblichen Probleme – Pflanzenkrankheiten, Invasion exotischer Pflanzenarten, Schädlinge – zu vermeiden. Der Boden wurde nicht chemisch behandelt, und wir verwenden nur biologische, zertifizierte Pflanzenschutzmittel. Die Vereine und Einzelpersonen, welche die Gemeinschaftsgärten nutzen, haben die «Charte Main Verte» der Stadt Paris unterzeichnet. Hierin verpflichten sie sich, die neuen Grünflächen nach ökologischen Grundsätzen zu bewirtschaften.

Die Anwohner

Für die ersten Entwürfe des Projekts war es entscheidend, das Leben und die täglichen Wege der Anwohner zu verstehen. Die barrierefreie Nutzung des Parks wurde als wichtiges Ziel verstanden, nicht als Einschränkung. Die «Ficelle», ein langer, schlangenlinienförmiger Weg durch den Garten, ist zum wichtigsten Massstab für das Gefälle der Wege geworden.

Die zwischen Pré Saint Gervais und Paris über der Ebene von Saint Denis thronenden alten Felsen finden heute ihre Entsprechung in diesem mäandernden Weg und seinen Stützmauern. Die Verbindung zwischen Paris und seinen Vororten hat heute wieder eine gewisse Selbstverständlichkeit gewonnen und ist nicht mehr nur der Logik der Autofahrer verpflichtet.

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Für den Beitrag verantwortlich: anthos

Ansprechpartner:in für diese Seite: Daniel Haidd.haid[at]fischerprint.ch

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