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TEC21 2013|10
Zollfreie Strasse Basel
TEC21 2013|10
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Keine Strasse ist beliebt»

Zwischen den deutschen Grenzstädten Lörrach und Weil am Rhein gab es keine direkte Verbindung, doch schon seit 160 Jahren existiert die Idee zu einer solchen Strasse. 2006 wurde mit dem Bau der «Zollfreien Strasse» über Schweizer Gebiet begonnen. Nun steht das rund 750 m lange Teilstück der deutschen Bundesstrasse 317 vor der Eröffnung. Das Gespräch mit Bernd Murgul vom Regierungspräsidium Freiburg als Vertreter der Bauherrschaft und Dr. Rodolfo Lardi, dem Stellvertretenden Leiter des Tiefbauamts Basel-Stadt, thematisiert die Besonderheiten dieser grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.

1. März 2013 - Daniela Dietsche
Die Städte Lörrach und Weil am Rhein liegen im Dreiländereck Deutschland–Frankreich–Schweiz und leiden erheblich unter dem Durchgangsverkehr. Zwischen den beiden Städten existiert heute nur eine grossräumige Verbindung über die deutsche A98 und A5. Viele motorisierte Verkehrsteilnehmer weichen deshalb auf die untergeordneten Strassenverbindungen durch das Dorf Tüllingen und über Schweizer Gebiet durch die Gemeinde Riehen aus, was vor allem während der Spitzenstunden am Morgen und Abend auch die Zollstellen stark belastet und zu Staus führt. Durch die neue Verbindungsstrasse sollen die Ortszentren von Lörrach, Weil am Rhein, Tüllingen und Riehen vom Pendlerverkehr entlastet und aufgewertet werden. Der gesamte motorisierte Durchgangsverkehr kann die Strasse benutzen. Grenzabfertigungen sind nicht notwendig, beförderte Ware muss nicht verzollt werden. Ein Zutritt zur Strasse auf Schweizer Seite ist nicht möglich.

TEC21: Die Zollfreie Strasse ist ein grenzüberschreitender Infrastrukturbau, wie es viele gibt. Was ist das Besondere daran?
Rodolfo Lardi (R.L.): Bei anderen grenzüberschreitenden Projekten bauen die Schweiz und zum Beispiel Deutschland nach ihren Vorschriften jeweils bis zur Grenze. Da müssen wir nur aufpassen, dass wir uns in Höhe und Lage treffen – man denke nur an den Höhenunterschied zwischen den Widerlagern beim Bau der Hochrheinbrücke bei Laufenburg. Bei der Zollfreien Strasse hatte der Kanton Basel-Stadt die Aufgabe, das Land zu enteignen und der Bundesrepublik zur Verfügung zu stellen. Deutschland baut also auf Schweizer Hoheitsgebiet.

TEC21: Wie ist das möglich?
R.L.: 1852 wurde zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Grossherzogtum Baden ein Staatsvertrag zur Weiterführung der badischen Eisenbahn über schweizerisches Gebiet geschlossen. Basel wollte erreichen, dass die Eisenbahn in die Stadt fährt. Bernd Murgul (B.M.): Im Gegenzug erhielt die grossherzogliche badische Regierung mit Artikel 34 dieses Vertrags das Recht, die Stadt Lörrach und das Wiesental mit Weil mit einer Strasse über schweizerisches Gebiet zu verbinden.

TEC21: Und dann ist sehr lang nichts geschehen. Warum wurde die Idee ausgerechnet 1977 wieder aufgegriffen?
R.L.: Das ist in Verbindung mit dem Nationalstrassenbau zu sehen. Beim Zusammenschluss der schweizerischen A2 mit der deutschen A5 diskutierten die Beteiligten über den Standort des Zollgebäudes. Es kam schliesslich vollständig auf deutschem Gebiet zu stehen. Als Ausgleich sollte nun aber die Zollfreie Strasse gebaut werden. Am 25. April 1977 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweizerische Eidgenossenschaft einen aktualisierten Vertrag abgeschlossen.
B.M.: Auf deutscher Seite begannen die Planungen und auf der schweizerischen die Enteignungen. Zwischen 1989 und 1999 wurde der Anschluss auf der Weiler Seite gebaut. Die Finanzierung verzögerte das Vorhaben. Es gab am Hochrhein eben Vorhaben mit höherer Priorität.

TEC21: Die Enteignungen führten ebenfalls zu Projektverzögerungen. Entschied man sich für einen Tunnel, um den Grundstückseigentümern entgegenzukommen?
B.M.: Der Bau eines Tunnels stand schon 1977 fest. Da das Terrain darüber genutzt werden kann, wird die Schweiz so wenig wie möglich belastet.
R.L.: Land vollständig zu enteignen ist immer teurer, als ein Durchleitungsrecht zu erwirken. Wir wollten natürlich auch einen alten Fehler nicht wiederholen: Die Schweiz hat Mitte des 19. Jahrhunderts der Badischen Bahn das Land für einen Rangierbahnhof zur Verfügung gestellt. Damals hat man nicht daran gedacht, dass die Bahn in 150 Jahren das Areal für den Betrieb des Güterbahnhofs nicht mehr brauchen würde. Um 2005 hat die Bahn nach einer Zwischennutzung das in Basel-Stadt liegende Areal Erlenmatt, das sie von der Schweiz bekommen hat, an private Projektentwickler verkauft. Die Zollfreie Strasse wird nach ihrer Fertigstellung Eigentum des Kantons Basel-Stadt, allerdings ohne die Ausstattung. Die bleibt Eigentum der Bundesrepublik. Damit verhindern wir, dass Deutschland das Land verkaufen kann, sollte die Strasse nicht mehr benötigt werden.

TEC21: Anfang 2004 war die Zollfreie Strasse durch Proteste der Bevölkerung in den Schlagzeilen.
R.L.: Im Januar sollten Bäume für den Bau der Wiesenbrücke gefällt werden, der war für Sommer 2004 geplant. Doch die Bevölkerung hat protestiert, das Gelände besetzt und sich an die Bäume gekettet. Einerseits wegen der bevorstehenden Rodung, andererseits, weil die Idee der Strasse aus ihrer Sicht überholt war. Die Strasse war nicht beliebt, keine Strasse ist beliebt. Bei einem Infrastrukturprojekt gibt es viele Einsprachen, und die Planung war zu dieser Zeit 30 Jahre alt. Bei Staatsverträgen passiert immer das Gleiche: Bis alle Hürden überwunden sind, sind die Verträge nicht mehr à jour.

TEC21: Wie konnte man sich einigen?
R.L.: Die gemischte deutsch-schweizerische Kommission[1], eingesetzt vom Schweizer Bundesrat und der deutschen Bundesregierung, analysierte die Standpunkte beider Parteien. Die Schweiz wollte die Strasse in der geplanten Form nicht. Für sie stellte sich die Frage, ob sie den verkehrspolitischen Bedürfnissen noch entspreche. Deutschland hielt an der Erfüllung des Staatsvertrags fest und war überzeugt, dass die Lösung städtebaulich und verkehrstechnisch die beste Variante sei, um Weil am Rhein, Lörrach und Riehen zu entlasten. Die Kommission empfahl im April 2004, auf Neuverhandlungen zu verzichten und die Strasse zu bauen.
B.M.: Die Linienführung mit den Grenzpunkten wurde im Staatsvertrag von 1977 festgelegt, sodass schon kleinste Anpassungen eine Änderung des Staatsvertrags bedeutet hätten. Auch aktuelle Verkehrsgutachten bestätigen, dass sich der Verkehr durch Riehen und am Tüllinger Berg stark vermindern wird. Aber die Einstellung zum Umweltschutz hat sich zwischen 1977 und 2004 gravierend geändert, und es ist unbestritten, dass das Projekt in eine sensible Landschaft eingreift. Also hat man zusätzlich die Umsetzung ökologischer Ausgleichsmassnahmen, zum Beispiel entlang der Wiese, vereinbart.
R.L.: Die Ingenieure erstellten einen detaillierten Gestaltungs- und Bepflanzungsplan, um eine möglichst gute Einbindung der Zollfreien Strasse in das Umfeld zu erreichen. Die Bundesrepublik stellt eine Million Franken zur Verfügung, um im Nachgang zusätzliche Massnahmen für den Umweltschutz umzusetzen. Nachdem das Projekt in der Schweiz den vollen Rechtsweg gegangen war, wurden im Januar 2006 die Bäume gefällt und Mitte 2006 mit dem Bau der Wiesebrücke begonnen.

TEC21: Nach schweizerischen oder deutschen Vorschriften?
B.M.: Kernbedingung des Projekts ist, dass Deutschland in der Schweiz baut, das heisst, das deutsche Bauvertragsrecht gilt. Die Arbeiten wurden EU- und schweizweit ausgeschrieben. Gebaut wurde nach den deutschen Bauvorschriften, es sei denn, es galten in der Schweiz schärfere Bedingungen – dies ist insbesondere im Umweltbereich der Fall –, dann wurden diese als Basis genommen. Im Vertrag geregelt ist auch, dass deutsche Materialien ohne Zollmodalitäten in der Schweiz für die Zollfreie verbaut werden können.

TEC21: Können Sie etwas zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sagen?
R.L.: Die Schweiz und Deutschland sind föderale Staaten, beide mit gewachsenen Strukturen. Auf der Ebene Regierungspräsidium Freiburg und Tiefbauamt Basel-Stadt arbeiteten wir gut zusammen. Zum Beispiel sollte der Tunnelausbruch nicht durch Riehen transportiert werden, deshalb haben die Deutschen zuerst die Brücke gebaut und das Material über die bestehende Strasse rückwärts gezogen.
B.M.: Wir kennen uns und arbeiten auch in anderen Projekten zusammen. Aber für eine Bewilligung muss das Dossier entweder nach Stuttgart und Bonn oder nach Bern geschickt werden. Das gilt auch, wenn es um scheinbar kleine Massnahmen geht wie das Pflanzen von einigen zusätzlichen Bäumen. Diese Distanz dient zwar auch der Kontrolle, aber der Dienstweg ist schon sehr lang.

TEC21: Wie ist der Zugang generell geregelt?
B.M.: Die Strasse wird – auch heute noch – eingezäunt, und es gilt ein Betretungsverbot. Nur im Notfall darf davon abgewichen werden. Bei Unfall, Brand oder anderen aussergewöhnlichen Vorfällen gibt es eine Möglichkeit, von Schweizer Terrain auf die Zollfreie zu kommen. Die deutsche Polizei hat die Polizeihoheit. Die Schweizer Polizei hat das Recht, jederzeit einzugreifen, wenn Verfehlungen zu befürchten sind, die sich auf die Schweiz auswirken könnten. Bei einem Brand oder Unfall entscheidet die Leitstelle in Lörrach, wer aufgeboten wird. Der Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum hat in dieser Hinsicht vieles vereinfacht.

TEC21: Der Eröffnungstermin wurde immer wieder verschoben. Wann wird das erste Auto die Städteverbindung nutzen können?
R.L.: Der Kanton Basel-Stadt geht davon aus, dass das Schweizer Teilstück im Frühjahr 2013 fertig ist und die Strasse eröffnet wird. Falls das nicht so ist, bittet die Schweiz die deutsche Seite um schriftliche Mitteilung.

TEC21: Was könnte den Eröffnungstermin noch gefährden?
R.L.: Über die Forderung der Stadt Lörrach nach einem Kreisverkehr an der Anschlussstelle hat man lang diskutiert. Ich kann nicht nachvollziehen, dass die Forderung erst kurz vor Projektabschluss auf den Tisch kam, obwohl die Ausgestaltung der Strasse schon lang bewilligt ist. Die Stadt Lörrach wusste, dass das Regierungspräsidium Freiburg als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland von der Schweiz mit dem Eröffnungstermin unter Druck gesetzt wird.

B.M.: Wir bemühen uns natürlich, den Termin zu halten. Seit Mitte Januar steht fest, dass ein Kreisverkehr gebaut wird, dafür muss aber die Baugenehmigung geändert werden, was mit einem nicht absehbaren Zeitaufwand verbunden ist. Die Baupiste für den Tunnel ist aber noch vorhanden, und die Strasse kann allenfalls provisorisch angeschlossen werden. Wir wollen Spannungen vermeiden, denn bisher ist alles in guter Atmosphäre gelaufen.

TEC21: Können die Planung und der Bau der Zollfreien Strasse als exemplarisch für grenzüberschreitende Arbeit gelten?
B.M.: Momentan bauen die SBB auf deutschem Grund bei Jestetten die Bahnstrecke Zürich–Schaffhausen zweigleisig aus. Das Grundsystem ist das gleiche, und die Zusammenarbeit zwischen den Ingenieuren funktioniert auch hier gut.
R.L.: Das grenzüberschreitende Bauen wird immer stärker kommen, vor allem in der Agglomeration Basel. Zurzeit bauen wir das Tram 8 nach Weil, Tram 3 wird nach Frankreich führen. Wir planen die Umnutzung des Hafengebiets mit Brückenschlägen nach Deutschland und Frankreich. Klar gibt es Reibereien, wir wollen das nicht leugnen. Bei der S-Bahn stehen wir zum Beispiel vor dem Problem der unterschiedlichen Betriebsspannungen und der unterschiedlichen Stromversorgung. Wie jedes Bauprojekt ist jedes grenzüberscheitende Projekt ein interessanter Sonderfall; man braucht viel Erfahrung und lernt aus Fehlern.


Anmerkung:
[01] Artikel 18 des Vertrags zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Strasse zwischen Lörrach und Weil am Rhein auf schweizerischem Gebiet vom 25. April 1977 lautet: «Die Vertragsstaaten errichten eine gemischte deutsch-schweizerische Kommission mit den Aufgaben, Fragen zu erörten, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Vertrags und der technischen Vereinbarung ergeben; den beiden Regierungen Empfehlungen, auch über etwaige Abänderung dieses Vertrags und der technischen Vereinbarung, zu unterbreiten und zur Beseitigung von Schwierigkeiten den zuständigen Behörden geeignete Massnahmen zu empfehlen. Die Kommission besteht aus fünf deutschen und fünf schweizerischen Mitgliedern, die sich von Sachverständigen begleiten lassen können. Die Regierung jedes Vertragsstaats bestellt ein Mitglied ihrer Delegation zu deren Vorsitzenden. Jeder Delegationsvorsitzende kann die Kommission durch Ersuchen an den Vorsitzenden der anderen Delegation zu einer Sitzung einberufen, die auf seinen Wunsch spätestens innerhalb eines Monats nach Zugang dieses Ersuchens stattfinden muss.»

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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