Zeitschrift

TEC21 2013|10
Zollfreie Strasse Basel
TEC21 2013|10
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Über fremdes Terrain

Eine rund 800 Meter lange Strasse mit Brücke und Tunnel im Grundwasserschutzgebiet zu erstellen ist eine technisch machbare, fast schon alltägliche Ingenieuraufgabe. Beim Bau der grenzüberschreitenden Verbindungsstrasse zwischen Lörrach und Weil am Rhein galt es aber vor allem, die verschiedenen schweizerischen und deutschen Vorschriften und Gesetze im Auge zu behalten, die vielen Projektbeteiligten und Amtsstellen zu koordinieren und einzubinden und auf politisch motivierte Vorstösse gegen das Bauvorhaben zu reagieren.

1. März 2013 - Hermann Käser
Grundlage der Planung ist das genehmigte Projekt vom 23. April 1991 mit der Linienführung, die im Staatsvertrag zwischen der Schweizer Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland 1977 festgelegt wurde (vgl. Interview S. 16). Die Strasse führt über eine Länge von rund 738 m über schweizerisches Gebiet. Der Trassenverlauf wird durch die Anschlusspunkte an die Bundesstrasse 317 in Lörrach und Weil am Rhein lagemässig sowie durch die Anschlussbedingungen der angrenzenden Strassen, den Hochwasserstand der Wiese und die Unterquerung der Weilstrasse höhenmässig bestimmt.

Um 10 % höherer Projektierungsaufwand

Die Projektierung erfolgte grundsätzlich nach deutschen Gepflogenheiten. Die Bauherrschaft beauftragte das Basler Ingenieurbüro Gruner mit der Erarbeitung des Vorprojekts. In den folgenden Projektphasen1 ging es für die Planer auch darum sicherzustellen, dass die schweizerischen Belange berücksichtigt werden. Für die Ausführung gingen die Projekte zum deutschen Unternehmer über, der, wie in Deutschland üblich, die Detailprojekte erarbeitete. Davon ausgenommen waren nur die Sicherung der Widerlager der bestehenden Weilstrassenbrücke und der Baugrubenabschluss des Rutschhangs Schlipf. Alle Projektteile mussten vom Kanton BaselStadt und von den deutschen Behörden, das heisst dem Regierungspräsidium Freiburg, dem Landesverkehrsministerium in Stuttgart und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Bonn, bewilligt werden. Dies führte zum Beispiel zur sogenannten Allmendzirkulation im Kanton BaselStadt, bei der alle interessierten Ämter das Projekt zur Prüfung und gegebenenfalls zur Genehmigung erhalten. Bei der Ausführung wurden die Projekte von deutschen Prüfingenieuren genehmigt. Sämtliche Ausführungspläne gingen zudem noch zum Kanton BaselStadt zur Genehmigung.

Das Sicherheits, Betriebs, und Einsatzkonzept für den Tunnel zu erarbeiten erwies sich als besonders schwierig, da sich die deutschen Richtlinien für die Ausgestaltung und den Betrieb von Strassentunneln der Forschungsgesellschaft für Strassen und Verkehrswesen (RABT) und die schweizerische Störfallverordnung mit den Sicherheitsvorschriften für die Betriebs und Sicherheitsanlagen zum Teil wesentlich unterscheiden. Da die Schweizer Vorschriften höhere Anforderungen stellen, wurden sie zusätzlich zu den RABT massgebend. Ausserdem mussten die Planenden die Grenzsicherung und Zutrittsüberwachung berücksichtigen. Stör und Notfallmeldungen erfolgen grundsätzlich über die integrierte Leitstelle Lörrach. Die deutschen Feuerwehren haben Zutritt zur Diensteinfahrt über Schweizer Gebiet. Die Berufsfeuerwehr Basel kommt nur bei Überlastung der deutschen Feuerwehr zum Einsatz. Der Projektierungsaufwand für das grenzüberschreitende Projekt war um rund 10 % höher als bei einem rein schweizerischen Projekt. Die Mehrkosten wurden nicht durch deutsche Normen und Ausschreibungsrichtlinien generiert, sondern durch die umfangreiche Koordinationstätigkeit zwischen deutschen und Schweizer Vorschriften und Behörden sowie das Abwenden oder Bereinigen von politisch motivierten Vorstössen gegen das Bauvorhaben.

Ingenieurbauwerke im Gewässerschutzgebiet

Die Strasse liegt in der Grundwasserschutzzone S22, deshalb sind während der Bau und Unterhaltsarbeiten wie auch im Betrieb spezielle Massnahmen zur Reinhaltung der Gewässer, besonders des Grundwassers, nötig. Es gelten die Gewässerschutzvorschriften der Schweiz und des Kantons BaselStadt. Die Weilstrasse ist generell mit einem Verbot für Fahrzeuge mit wassergefährdenden Ladungen belegt. Die neue Strasse dagegen wird so gestaltet sein, dass Transporte von wassergefährdenden Flüssigkeiten möglich sind.

Alle Bauwerke waren deshalb so auszubilden, dass keine wassergefährdenden Flüssigkeiten ins Grundwasser austreten konnten und sie im Endzustand keine Grundwasserbarriere bilden. Daher sind alle Bauten als dichte Wanne ausgebildet und mit Anprall und Abirrschutz für Fahrzeuge versehen. Gegen die Barrierewirkung wurden auf der mittleren Grundwasserkote, beidseitig des Tunnels und der Tröge, Längssickerleitungen gelegt, die über Querleitungen (Düker) mit dazugehörigen Spülschächten die beiden Grundwasserleiter verbinden. Die deutschen Behörden haben diese Auflagen auch für Bauteile auf ihrem Hoheitsgebiet eingehalten, obwohl jenseits der Grenze keine Schutzzonen sind. Während des Baus betrieben die ausführenden Unternehmungen zustromseitig Entnahme und abstromseitig Rückgabebrunnen ausserhalb der Baugrubenumschliessung. Die Installationsflächen wurden befestigt. Das Baustellenabwasser musste gefasst, mit Ölabscheider, Absetzbecken und Neutralisation gereinigt und über die Kanalisation abgeleitet werden. In die Wiese durfte nur sauberes Wasser aus den Filterbrunnen abgegeben werden. Die Unternehmungen waren angehalten, nur für Gewässer unbedenkliche Betonsorten zu verwenden. Baustellentanks von 1000 l Inhalt mussten bewilligt und ausserhalb der Schutzzone befüllt werden. Das Amt für Umwelt des Kantons BaselStadt genehmigte vor Baubeginn sämtliche Plätze, Arbeiten und Geräte, auch auf den Baustellen im deutschen Gebiet.

Nach Schweizer und deutschen Vorschriften Bauen

Alle Ingenieurbauwerke sind in Stahlbeton ausgeführt. Die Bemessung erfolgte jeweils nach deutschen Normen; die Betonqualität ebenfalls, wobei diese der Norm EN/SN 2061 entspricht. Bei den Randbedingungen der Ausführung und Umgebung, wie zum Beispiel dem Grundwasserschutz, kamen die jeweils schärferen Auslegungen der schweizerischen beziehungsweise deutschen Normen und Gesetze zur Anwendung.

Als erstes Baulos wurde 2004 die 139 m lange Wiesebrücke vergeben, deren Bau jedoch nach Demonstrationen und Einsprachen erst unter Polizeischutz 2006 begonnen wurde. Sie besteht aus einem dreifeldrigen Hohlkasten aus Spannbeton mit aussenliegender Vorspannung. Speziell an der Vorspannung ist, dass in den Querträgern und Widerlagern bereits Aussparungen vorgesehen sind, um bei allfällig höheren Verkehrslasten mit zusätzlichen äusseren Spanngliedern einfach die Traglasten erhöhen zu können. Solche Tragsicherheitsreserven für mögliche künftige Anpassungen kennen wir in der Schweiz nicht. Fundiert ist die Brücke auf 21 m langen Bohrpfählen mit 1.2 m Aussendurchmesser. Die Fundation musste mit verrohrten Pfählen hergestellt werden, damit keine Zementanteile ins Grundwasser gelangten. Bevor die Unternehmungen mit dem zweiten Baulos für Strassen, Tunnel und Tröge begannen, waren Vorbereitungsarbeiten nötig. Da der Baugrubenabschluss des Tunnels direkt hinter dem Widerlager der bestehenden Weilstrassenbrücke und die Tunnelsohle tiefer als das Widerlagerfundament liegen, wurde dieses vorgängig freigelegt und gesichert. Aus Gewässerschutzgründen konnte die Lockergesteinsschicht zwischen Fundamentsohle und anstehendem Cyrenenmergel nicht einfach ausinjiziert werden. Die Ingenieure sahen deshalb hinter dem Widerlager eine Spundwand und unter der Brücke einen doppelten senkrechten Rohrschirm als Dichtwand vor. Im Anschluss konnte der 388 m lange Tunnel in offener Bauweise erstellt werden. Die 10 m langen Elemente des rechteckigen Betonrahmen bauwerks sind über wasserdichte Dilatationsfugen und Querkraftdorne verbunden. Die Überdeckung des Tunnels ist mit 50 bis 70 cm sehr knapp, der Strassenkoffer liegt direkt auf der Decke.

Das alte Schwimmbad der Gemeinde Riehen fiel der Zollfreien Strasse zum Opfer. Das geplante neue Naturbad wird gegenüber dem alten Standort in westliche Richtung verschoben und liegt teilweise auf dem neuen Tunnel (vgl. «Planschen auf der Tunneldecke, S. 8). Als Folge musste die Interaktion von Schwimmbad und Tunnelkonstruktion bezüglich Brand im Tunnel und Wassereinbruch aus den Badebecken untersucht werden.

Zollformalitäten und Abgaben

Die Baustellen waren während der Bauzeit eingezäunt und an der Grenze mit abschliessbaren Toren gesichert, die ausserhalb der Arbeitszeiten abgeschlossen waren, um unbefugte Grenzübertritte zu verhindern. Nach Staatsvertrag konnten sämtliche Baumaterialien, Maschinen, Geräte, Pflanzen usw. zollfrei eingeführt werden, wenn sie ausschliesslich für dieses Projekt gebraucht wurden. Für Waren wie Beton, die in der Zollfreistrasse verbleiben oder verbaut werden, gilt das nur, wenn sie frei über die Baustellenzugänge an der Grenze eingeführt werden, das heisst nicht über eine offizielle Zollstelle. Das innerhalb der Schweizergrenze verbaute Volumen unterlag der Schweizer Mehrwertsteuer. Die schweizerischen und deutschen Zollbehörden bewilligten jeweils vor den Arbeiten die Ein und Ausfuhren.

Ausgeschrieben wurde nach öffentlichem Beschaffungsrecht der EU, die grossen Lose also europaweit. Sämtliche Arbeiten wurden von deutschen Firmen ausgeführt, mit Hauptzugängen direkt über die Grenze und nicht über das Schweizer Strassennetz, trotzdem galt für alle Fahrzeuge über 3.5 t die Schwerverkehrsabgabe der Schweiz. Alle Firmen und die auf der Baustelle Beschäftigten benötigten eine Grenzerlaubnis, um unbeschränkt über die Grenze zu wechseln.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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