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db deutsche bauzeitung 03|2013
Im Bade
db deutsche bauzeitung 03|2013

Zeitgemässer Bäderwechsel

Hamam im Volkshaus in Zürich (CH)

Ein Bad im Wandel: Nach 100 Jahren als Wannen- und Duschbad für die einfachen Leute des Quartiers, eröffnete 2012 die zum Hamam umgebaute Bäderabteilung des Volkshauses in Zürich. Die neue Gestaltung vereint Unverwechselbarkeit mit einer dem Ort angemessenen Robustheit.

28. Februar 2013 - Tina Cieslik
1906 fand in Zürich eine Volksabstimmung statt: Zur Debatte stand neben dem Bau des Kunsthauses am reichen Zürichberg auch die Realisierung eines Volkshauses im Arbeiterviertel Aussersihl. Die Vorlage wurde angenommen, die Einweihung des Volkshauses erfolgte am 18. Dezember 1910. Der Bau von Johann Rudolf Streiff und Gottfried Schindler im Schweizer-Heimatschutz-Stil bündelte eine Reihe von Funktionen: ein alkoholfreies Restaurant, Bibliotheken, Büros, Veranstaltungssäle und eine öffentliche Bäderabteilung.

Bei den Bewohnern des Quartiers war das Volkshaus v. a. wegen des Bads im UG beliebt, da zu dieser Zeit kaum eine Wohnung des Viertels mit fließend Wasser ausgestattet war. Mit dem Bau konnte das wöchentliche Bad nun in einer der 29 Badewannen oder der 20 Duschen vorgenommen werden – strikt nach Geschlechtern getrennt und zu moderaten Preisen. Mit durchschnittlich 450 Besuchern pro Tag lief der Betrieb anfänglich so gut, dass sich damit die übrigen Aktivitäten des Volkshauses quersubventionieren ließen.

Mit der Ausstattung der Wohnungen mit Nasszellen begann der Niedergang der Bäderabteilung. In den 60er Jahren betrugen die Besucherzahlen nur noch ein Drittel der Anfangszeit, sodass 1968 der Teilumbau zur finnischen Sauna erfolgte.

Mit dem 2001 vom Züricher Stadtrat bewilligten Programm zur Aufwertung Aussersihls veränderte sich die Bevölkerungsstruktur: Statt Gastarbeitern und Rotlichtmilieu zogen Studenten und junge Familien in das Viertel. 2008 wurde das Restaurant im denkmalgeschützten Volkshaus umgebaut und auch für die Bäderabteilung fand sich eine Lösung: Der Züricher Architekt Tobias Rihs, Betreiber des Seebads Enge am Zürichsee, mietete sich 2010 im UG ein und ließ es zu einem türkischen Dampfbad umbauen – einem der ersten der Stadt.

Spielerisch und erdenschwer

Den rund 3,5 Mio. CHF (ca. 2,8 Mio. Euro) teuren Umbau realisierte das Züricher Büro Felder Architektur. Es schuf die zeitgemäße Interpretation eines klassisch türkischen Dampfbads. Dieser Badetyp – als Weiterentwicklung des im Byzantinischen Reich verbreiteten griechisch-römischen Bads – ist für die Ganzkörperreinigung gedacht, bedient sich jedoch keiner Badebecken, sondern Dampfkammern und fließenden Wassers – bedingt durch den in der Region herrschenden Wassermangel.

Über die bestehende Erschließung innerhalb des Volkshauses führt der Weg in das 450 m² große Bad zur Eingangszone mit Kasse. In der angrenzenden Garderobe entledigen sich die Besucher ihrer Kleidung und wickeln sich in ein Leinentuch, das Pestemal, das nur für die eigentliche Reinigung kurz abgenommen wird. Der weiterführende Raum erschließt zwei Behandlungsräume für Beauty-Anwendungen, den Ruhebereich und den Nassbereich. In ihm empfängt die Besucher zunächst ein Trinkbrunnen, dann öffnet sich der zentrale Raum mit einem amorphen 7,5 x 3 m großen kniehohen beheizten Podest in der Mitte. Um diesen »Nabelstein« sind das Dampfbad (zur Öffnung der Poren) sowie Nischen mit Waschstellen (für Peelings) und Liegen (für Massagen) angeordnet.

Ein Spiel zwischen Intimität und Öffentlichkeit inszenieren die an Maschrabiyya (dekorative arabische Holzgitter) erinnernden Beton-Gitterwerke, die die Reinigungsnischen vom Hauptraum abschirmen. Wie Schleier aus Beton zeigen und verstecken die Elemente gleichzeitig, was sich in ihrem Schutz abspielt. Die Massivität des Materials – geschliffen wie bei Brunnen und Nabelstein oder roh wie bei den Elementen der Gitter – passt in die unterirdischen Räume, ihre Robustheit erinnert an den Massenbetrieb der ehemaligen Bäderabteilung. Gleichzeitig lässt sie eine edle Form des Alterns zu: Die Oberflächen zeigen Spuren, keine Mängel.

Die Setzung der bis zu 2,25 m langen Gitterelemente erinnert an einen Blockbau: Die wogenden Wellenberge und -täler bestehen aus 250 Einzelteilen aus über 90 verschiedenen Typen. Verbunden sind die einzelnen Schichten mit Montagekleber. Holzregale, auf denen kleine Gegenstände abgelegt werden können, sind zwischen den Betonelementen durchgeschoben und von hinten verkeilt. Für Licht im Hauptraum sorgen überraschend formschöne Leuchten aus dem Untertagebau, die einen zusammen mit Schläuchen und Hebeln von Duschen und Armaturen im Bauch eines Schiffs wähnen lassen.

Die sorgfältige Gestaltung der Installationen und Becken offenbart die Freude der Architekten am Umgang mit dem Thema Wasser: Alle Wasserleitungen sind offen verlegt, die Armaturen stammen teils aus dem Gartenbau. Mischbatterien gibt es keine, stattdessen wird die Herstellung der passenden Wassertemperatur zur manuellen Fertigkeit. Waschbecken aus Keramik bedienen den Spieltrieb: So fließt das über einen Kippstöpsel abgelassene Wasser durch ein Rohr in der beheizten Sitzbank und, statt spurlos zu verschwinden, ergießt es sich zu Füßen des Besuchers.

Eine finnische Sauna mit Tauchbecken ergänzt die Nutzungen des Nassbereichs – eine Reverenz an die Vergangenheit und ein Zugeständnis an die Rentabilität. Nach einer Pause auf dem Nabelstein wechseln die Besucher in den Ruhebereich, um den Kreislauf mittels Getränken und kleinen Mahlzeiten wieder in Schwung zu bringen. Während im Nassbereich mineralische Materialien vorherrschen, zeichnen sich Behandlungsräume und Ruhezonen durch wertige Holzeinbauten aus. Die wie Perlmutt schimmernde Sisaltapete im Bereich der Ruheliegen reflektiert das Licht; dimmbare Leseleuchten laden zum stundenlangen Verweilen ein.

Die im gesamten Bad platzierte Kunst, darunter eine Wandmalerei von Eric Schumacher und eine Plattenarbeit von Noël Fischer, sorgt dafür, dass neben dem Leib auch Auge und Geist belebt werden.

Feuchtigkeit innen und aussen

Um den neuen Grundriss unterzubringen, bedurfte es keinerlei Eingriffe am bestehenden Tragwerk. Der Einbau der Gebäudetechnik hingegen war aufwendig: Das marode Entwässerungssystem wurde ersetzt und das Hamam mit einer neuen Lüftung ausgestattet. Heizungs-, Elektro- und Sanitärinstallationen konnten dagegen an die bestehenden Leitungen des Volkshauses angedockt werden. Eine 12 cm Innendämmung aus Schaumglas verhindert, dass Feuchtigkeit aus dem Erdreich ins Gebäude dringt – Messungen ergaben, dass nicht etwa die Feuchtigkeit im Innern zum Problem für die bis zu 1 m dicken Mauern aus Stampfbeton werden könnte, sondern eindringendes Grundwasser. Zudem wird die Luftfeuchtigkeit von 45 % kontinuierlich überwacht, um die originale Rippendecke mit ihrer minimalen Betonüberdeckung nicht zu gefährden.

100 Jahre nach Eröffnung des Volkshauses sind auch in Zürich Aussersihl die Arbeiter den Szenegängern gewichen – statt 20 Minuten Duschen ist heute stundenlanges Schwitzen gefragt. Die Architekten reagierten mit einer Gestaltung, die zum Ort und seiner Geschichte passt und dem Bad ein unverwechselbares Gesicht gibt: Die Raumaufteilung orientiert sich an der eines traditionellen Hamams, die Materialien sind robust und in ihrer Ausführung gleichzeitig edel, die Details oft überraschend. Ob dem Hamam eine ähnliche Entwicklung bevorsteht wie der Bäderabteilung? 15 Monate nach seiner Eröffnung läuft der Betrieb gut. Und auch, wenn das Bad heute von deutlich weniger Menschen frequentiert wird als die Bäderabteilung von 1910, dürfte die Anpassung des Eintrittspreises doch für vergleichbaren Umsatz sorgen.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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