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db deutsche bauzeitung 04|2013
Trauer braucht Raum
db deutsche bauzeitung 04|2013

Architektonischer Zuwanderer

Islamischer Friedhofspavillon in Amsterdam (NL)

Auf dem »Nieuwe Oosterbegraafplaats« in Amsterdam befindet sich nicht nur das größte muslimische Gräberfeld der Niederlande, sondern auch der erste muslimische Friedhofspavillon. Durch die Materialwahl und die moderne Formensprache stellt der objekthafte kleine Bau eine gelungene Synthese der Kulturen dar.

8. April 2013 - Anneke Bokern
Der Nieuwe Oosterbegraafplaats, im Südosten von Amsterdam, ist mit 33 ha der größte Friedhof der Stadt. Spaziert man über die Anlage von 1894, fallen einem die vielen ausländischen Namen auf den Grabsteinen auf – angesichts einer Ausländerquote von 51 % in der Grachtenstadt, kein Wunder. Seit September 2012 gibt es in der äußersten Südwestecke des Friedhofs nun auch ein muslimisches Gräberfeld, das mit seinem Platz für 1 400 Gräber das größte in Amsterdam ist. Da es jedoch in muslimischen Kulturen weder Grabsteine noch Grabschmuck gibt, könnte man es auf den ersten Blick beinahe für eine einfache Wiese halten. Nur ein travertinbekleideter Pavillon mit einem unverkennbar muslimischen Fassadenornament, der am Rande des Gräberfelds steht, lässt ahnen, was es mit der Wiese auf sich haben könnte.

Muslimischen Traditionen zufolge werden Verstorbene nur in Leinentücher gewickelt, auf der rechten Seite liegend, mit dem Gesicht gen Mekka gewandt bestattet. Während solche sarglosen Erdbestattungen in Deutschland nur mit Sondergenehmigung möglich sind, sind sie in den Niederlanden prinzipiell erlaubt. Dennoch ist das kleine Gebäude der erste muslimische Trauerpavillon der Niederlande. Zwar gibt es inzwischen bereits auf etwa 40 Friedhöfen muslimische Gräberfelder, aber bislang mussten sie alle ohne Gebäude auskommen. Die rituellen Waschungen, die bei einer muslimischen Beerdigung unerlässlich sind, mussten die Hinterbliebenen zu Hause oder an kleinen Waschbecken unter freiem Himmel vornehmen. Um diesem und anderen Ritualen einen würdigen Rahmen zu geben, beauftragte die Friedhofsverwaltung zusammen mit einer muslimischen Stiftung das junge Amsterdamer Architekturbüro PUUUR, geleitet vom türkischstämmigen Niederländer Furkan Köse, mit dem Entwurf eines Trauerpavillons.

Kein islamischer Archetypus

In der islamischen Welt gibt es auf jedem Friedhof zwar ein Gebäude, in dem Leichenwaschungen, rituelle Waschungen und Gebete vorgenommen werden können, aber auch dort haben solche Bauten keine spezifische Bautradition und sind keine architektonischen Archetypen. Das ermöglichte Köse – der zuvor eine Moschee im Osten der Niederlande gebaut und dabei selber erfahren hatte, welche Kontroversen kleinste Veränderungen an symbolbeladenen, traditionellen Bautypen auslösen können – gestalterische Freiheit beim Entwurf des Trauerpavillons. Dieser präsentiert sich als autonomes Objekt, das direkt neben dem Gräberfeld über einem Kiesboden zu schweben scheint. Einem Sandwich ähnlich, sind die Travertinfassaden zwischen zwei hellen Betonbändern wie eingeklemmt. Durch das Verdrehen des Gebäudekerns gegenüber der äußeren Kontur entstehen schräg zulaufende Veranden und zwei kleine Patios; der Übergang zwischen Innen und Außen ist fließend, wie es in der islamischen Architektur Tradition hat.

Im baulichen Kontext fällt weniger die moderne Formensprache des Pavillons als vielmehr seine ortsuntypische cremefarbene edle Farbigkeit auf. So ist der Beton nicht gestrichen, sondern hat einen leicht glänzenden weißen Marmorzuschlag, die Glastüren des Gebäudes haben champagnerfarben eloxierte Aluminiumrahmen, und was auf den ersten Blick wie dünne Travertinplatten aussieht, sind in Wirklichkeit 10 cm dicke, aus der Türkei importierte Travertinblöcke mit ornamentalen Scheinfugen. Das große Ornament neben dem Eingang ist ein Relief des niederländischen Künstlers Rem Posthuma, den die Architekten von Anfang an in den Entwurfsprozess mit einbezogen haben. Es besteht aus unglasierten Keramikelementen und zeigt ein muslimisch anmutendes grafisches Muster, das endlos fortsetzbar ist und damit das ewige Leben der Seele symbolisieren soll.

Leichenwäsche und stehendes Gebet

Im Innern des Pavillons befinden sich ein Gebetsraum mit Umgang, der durch eine Schiebetür von einem Raum mit Leichenwaschtisch getrennt ist, sowie ein Servicebereich mit kleiner Teeküche und Toiletten. Dazu gehört auch der Waschraum, auf den man beim Betreten des Pavillons zunächst stößt und in dem die Trauernden die rituelle Fußwaschung vornehmen können. Anschließend findet im Gebetsraum das stille Al-djanaazah-Gebet statt. Der Leichnam wird meist schon am Tag vor der Bestattung in Gegenwart eines Imam und einiger enger Verwandter vor Ort gewaschen, in weiße Leinentücher gewickelt und aufgebahrt.

Auf den ersten Blick wirkt der Raum nicht besonders groß; aber da das Gebet im Stehen abgehalten wird, passen dem Architekten zufolge ca. 100 Personen hinein. Zudem kann man die Glastüren öffnen, den Leichnam vor dem Pavillon am Gräberfeld aufbahren und so zusätzlich Platz gewinnen. Wichtig ist v. a., dass die Betenden sich in Richtung Mekka wenden – und zwar nicht nur ungefähr, sondern auf Grad und Minute genau. Daraus ergab sich die charakteristische Verdrehung im Gebäudegrundriss: Während Boden- und Deckenplatte sich an der orthogonalen Rasterstruktur des Friedhofsgeländes orientieren, ist der Gebäudekern auf Mekka ausgerichtet.

Neutrales Innenleben

Im Innern wirkt der Bau dank seines weißen Fließestrichbodens und weißer Wände, zahlreicher Glastüren sowie der Rasterdecke aus hinterleuchtetem Milchglas mit vier zentralen Oberlichtern sehr hell und neutral, schafft aber gleichzeitig eine intime Atmosphäre. Die Neutralität des Interieurs kommt nicht von ungefähr, denn in den Niederlanden leben Menschen aus vielen verschiedenen islamischen Ländern – Türken, Marokkaner, surinamische Hindustanis, Indonesier und Molukkern –, die alle ihre eigenen Varianten des Islam pflegen, eigene Beerdigungsbräuche und eine eigene Baukultur haben. So wollten die marokkanischen Vertreter der Auftrag gebenden Stiftung z. B. einen Teppichboden im Gebetsraum haben, während die Türken strikt dagegen waren. Da es der Architekt ohnehin nicht allen hätte recht machen können, war der Weg frei für eine minimalistische Architektur, die nur abstrahierte oder allgemeingültige Elemente der islamischen Bautraditionen aufnimmt. Damit passt der Trauerpavillon einerseits in den zeitgenössischen niederländischen Architektur-Kontext, gibt sich durch seine Materialisierung und Ornamentik aber andererseits dennoch als Zuwanderer zu erkennen. Sogar in dem Olivenbäumchen, das in einem der Patios steht, manifestiert sich eine Synthese christlicher und islamischer Symbolik.

Als türkischstämmigem Niederländer der zweiten Generation war Köse aber auch daran gelegen, dass Frauen und Männer, niederländische und ausländische Gäste sich in dem Pavillon gleichermaßen willkommen fühlen und dort nicht ausschließlich streng orthodoxe muslimische Trauerfeiern abgehalten werden können. Sein Gebäude sieht er ganz unbescheiden als »Meilenstein auf dem Weg zur Integration« – und hat damit sicherlich Recht. Denn während v. a. türkische und marokkanische Einwanderer nach dem Tod bislang meist in ihr Geburtsland rücküberführt wurden, steigt seit einiger Zeit die Nachfrage auch dieser Gruppen nach Bestattungsmöglichkeiten in den Niederlanden deutlich an. Auf dem Gräberfeld neben dem Pavillon sind jedenfalls bereits zahlreiche Plätze belegt, obwohl es erst vor wenigen Monaten eröffnet wurde.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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