Zeitschrift

TEC21 2013|15-16
Wenn Roboter bauen
TEC21 2013|15-16
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Digitale Fabrikation für Hochhäuser

Mit Robotern ganze Bauwerke zu entwerfen und zu bauen ist bisher nur in verkleinertem Massstab möglich. Dennoch denken die beiden Schweizer Architekten Fabio Gramazio und Matthias Kohler an ihrem ETH-Lehrstuhl für Architektur und Digitale Fabrikation über zukünftige Entwurfsmethoden und ­Konstruktionsweisen für Hochhäuser nach. Als Übungsfeld dienen ­konkrete Bauaufgaben in Singapur.

5. April 2013 - Lilian Pfaff
Seit über einem Jahr betreiben die ETH-Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler als Beitrag zum Future Cities Laboratory FCL in Singapur (vgl. Kasten) auf einer Fläche von 200 m² drei Roboteranlagen. Ihr Ziel ist, roboterunterstützte Prozesse in der Architektur zu ­untersuchen und konkrete Szenarien für grossmassstäbliche Anwendungen beim Entwurf und bei der Konstruktion von Hochhäusern zu entwickeln. Im Labor an der ETH Zürich ­wiederum liegt das Schwergewicht auf räumlichen Aggregationen und materialspezifischen Bauprozessen sowie auf deren Anwendung im baulichen Massstab. Die Anlage besteht aus Roboterarmen mit knapp einem Meter Reichweite, wie sie in der Verarbeitungsindustrie verwendet werden. Diese sind an vertikale Linearachsen montiert und ermöglichen so den Bau von bis zu 3 m hohen Architekturmodellen im Massstab 1:50. Das Team setzt sich aus sechs Forschenden und den beiden Professoren zusammen, die jeweils für Langzeitaufenthalte von mehreren Monaten nach Singapur reisen. Sie bilden in zweisemestrigen ­Design Research Studios auch Masterstudierende der Architektur aus, die sowohl von der ETH Zürich als auch von der National University of Singapore NUS kommen. Die Aufgabe besteht darin, im Modell Hochhäuser für reelle Situationen zu entwickeln. Durch den für den Einsatz des Roboters in der Architektur ungewohnten Massstab sollen neue Entwurfs­strategien gewonnen werden, auch wenn die Realisierung bisher nur im Modell möglich ist.

Die Übertragbarkeit der Strategien in die Realität und die Skalierbarkeit stehen daher im Zentrum des Forschungsinteresses. (Eine der Schwierigkeiten ist die Diskrepanz zwischen der hohen Präzi­sion eines Industrieroboters und den am Bau geltenden Toleranzen.) Bisher sind die meisten Versuche, Roboter im Bauwesen einzusetzen, im Bereich klein­mass­stäblicher Anwendungen – etwa das Herstellen einzelner Bauteile oder einzelner konstruktiver Elemente wie Wände oder Stützen – geblieben oder in der Realisierung gescheitert. ­Frühere Ansätze – in den 1990er-Jahren zum Beispiel die Mechanisierung des Mauerwerkbaus und die Automatisierung des Hochhausbaus – sahen eine vollständige Automatisierung und Standardisierung der unterschiedlichen Bauprozesse mit hochspezialisierten Maschinen vor. Für die Ausführung solcher rein repetitiver Prozesse sind Industrieroboter jedoch ungeeignet und zu teuer – gar überqualifiziert, so die Meinung der Architekten –, und ihr ­Potenzial zu baulicher Varia­tion und typologischer Differenzierung wird in den meisten Fällen noch immer verschenkt. Es gilt, die diversen Anforderungen eines Bauwerks, ­Nutzers oder Bauplatzes zu berücksichtigen und in den baulichen Fabrikationsprozess einzubringen. Dazu muss man bestehende Verfahrensweisen überwinden und über leistungsfähige, für das Bauen massgeschneiderte digitale Entwurfs- und Fabrikationsprozesse nachdenken.

Neues Werkzeug, neue Entwurfsmethode

Das Interesse von Gramazio und Kohler an den Robotern liegt vor allem darin, eine neue, konstruktive Interpretation des digitalen Zeitalters in der Architektur zu entwickeln. Schon immer haben neue Materialien und Konstruktionsprozesse zu Veränderungen in der Entwurfsmethode, in der Ausführung und im Ausdruck der Architektur geführt. Wenn nun beispielsweise Bauten ohne zusätzliche Einmessung, Gerüste oder gar Kräne erstellt werden können, wird das räumliche, zeitliche und konstruktive Konsequenzen haben.

Neue Entwurfs- und Fabrikationsmethoden mit Robotern am Beispiel Hochhausbau zu untersuchen macht insofern Sinn, als in asiatischen Metropolen zurzeit sehr viele Hochhäuser gebaut werden. In weiten Teilen Südostasiens haben sich Hochhäuser im sozialen Wohnungsbau als meistverbreitete Bautypologie durchgesetzt. In Singapur etwa leben mehr als 80 % der Bevölkerung in den über eine Million Wohnungen, die die Wohnbaubehörde Housing Development Board (HDB) seit ihrer Gründung im Jahr 1961 ­errichtet hat – hauptsächlich in Hochhäusern. Diese sind jedoch sowohl architektonisch als auch in der Bauausführung aus jenen ökonomischen Bedingungen heraus gedacht, die sich aus herkömmlichen Bautechniken ergeben. In der Forschung am Future Cities Laboratory dagegen dienen neue, durch Roboter entwickelte Konzepte und differenzierte bauliche Prozesse als Ausgangslage. Man könnte noch weiter gehen und den Entwurf eines Hoch­hauses rein von dessen Aufbaulogik her denken, sodass die eigentliche Tektonik zum zentralen Entwurfswerkzeug wird. Diese Auffassung ist seit jeher ein massgeblicher Bestandteil der Architektur, doch die Umsetzung mit dem vielseitigen Werkzeug Roboter ermöglicht eine bisher ungeahnte bauliche und konstruktive Differenzierung.

Digitale Methoden für Entwurf und Fabrikation

So wollen die Architekten neue Typologien mit starker Nutzungsdurchmischung und diver­sifizierten räumlichen Qualitäten entwickeln, um Lösungen für individuell unterschiedliche Bedürfnisse anbieten zu können. Dabei setzen sie konsequent auf neue Entwurfstechnologien und konzipieren die Projekte von Beginn an bis zur ihrer Umsetzung mit digitalen Methoden. Die Arbeit am Computer erfolgt mit der weitverbreiteten CAD-Software McNeel Rhinoceros zur dreidimensionalen Modellierung von Objekten und darin eingebetteten, eigens ent­wickelten Programmkomponenten, um die Entwurfsdaten nahtlos zur Ansteuerung der ­Roboter verwenden zu können. Durch die digitale Verknüpfung von Entwurf und Fabrikation, von Programmierung und Konstruktion, können die Projekte in unterschiedlichen Sequenzen entwickelt werden. Dies ist möglich, weil der Planungsprozess am Computer nicht ­unbedingt von vornherein bis zum Ende definiert ist, sondern laufend entworfen und um­gesetzt werden kann. Im Studio erfolgt die Umsetzung daher stets in Modellen, die von ­Robotern fabriziert werden. Dies führt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit konstruktiven Systemen und unterschiedlichen Materialformen, die unter rein digitalen Bedingungen am Computerbildschirm nicht möglich wäre. Modelle werden im Massstab 1:50 gebaut und stellen etwa 30- bis maximal 50-geschossige Bauten dar. Die Ergebnisse sind an der gebauten Realität und dem Massstab 1:1 orientiert, damit sich das zukünftige Bauen ­möglichst praxisnah an ihnen erforschen lässt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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