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TEC21 2013|17
Wohlklang und Technik
TEC21 2013|17
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Schall und Elektronen

Seit einem Jahrhundert erfolgt die elektroakustische Schallwiedergabe nach demselben bewährten Prinzip. Die Gesetze der Akustik setzten der Beschallung realer Räume bisher aber enge Grenzen. Durch die Verknüpfung konventioneller Lautsprecher mit digitaler Ansteuerung ist die Elektroakustik heute in der Lage, Schall nach Wunsch auszurichten und zu konzentrieren oder Reflexionen zu erzeugen. Die Wellenfeldsynthese macht virtuelle Schallquellen ausserhalb eines Raums hörbar und lokalisierbar, was vollkommen neue Möglichkeiten für die akustische Raumgestaltung eröffnet.

19. April 2013 - Martin Lachmann
Die Elektroakustik befasst sich mit der Aufnahme und Wiedergabe von Schall mithilfe von elektrischen Systemen. Sichtbare Komponenten dieser Technik sind Mikrofone und Lautsprecher. Sie sind die Schnittstellen zwischen der Welt der Akustik (vgl. TEC21 11/2012 «Hall und Aura»), in der sich der Schall meist in der Luft fortpflanzt, und der Welt der Elektrotechnik und der Elektronik, in der sich Elektronen in Leitern und Halbleitern bewegen.

Im Kontext der Architektur interessiert vor allem die Wiedergabeseite der Elektroakustik, die Lautsprecher- beziehungsweise Beschallungstechnik. Lautsprecherinstallationen begegnen uns in allen Lebensbereichen – vom Kleinlautsprecher im Mobiltelefon über die Durchsageanlage im Bahnhof bis zur Beschallungsanlage an einem Konzert oder in einer Klangkunstinstallation im Museum (Abb. 01).

Gleiches Prinzip wie vor hundert Jahren

Der grösste Teil der heute in der Beschallungstechnik verwendeten, mannigfaltig ausgebildeten Lautsprecher basiert immer noch auf dem «Urprinzip» des elektrodynamischen Lautsprechers, wie es vor über 100 Jahren zum Patent angemeldet wurde[1] (vgl. Kasten Seite 28). Zwar wurde die konstruktive Ausführung kontinuierlich verfeinert und kommen in grossem Umfang Hightech-Materialien zum Einsatz, was zu einer enormen Steigerung der Wiedergabequalität geführt hat – die grundsätzlichen Bauelemente, ihre Funktion und Wirkungsweise sind aber praktisch unverändert geblieben. Die Signalkette von Geräten zwischen Mikrofon und Lautsprecher ist heute weitgehend digitalisiert und unterscheidet sich grundsätzlich von der noch vor kurzer Zeit gebräuchlichen Analogtechnik. Mikrofone und Lautsprecher selbst basieren hingegen immer noch auf denselben Prinzipien wie zur Zeit ihrer ersten praktischen Anwendungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (vgl. Kasten S. 22 und Abb. 03, S. 21). Die Herstellung von qualitativ hochwertigen Lautsprechern und Mikrofonen ist nach wie vor sehr aufwendig, gute Produkte sind entsprechend teuer.

Die technischen Grundlagen der modernen Beschallungstechnik wurden, getrieben auch von den Anforderungen des weltweiten Wettrüstens, während des Ersten Weltkriegs gelegt. Bereits 1919 sprach der amerikanische Präsident Woodrow Wilson in einem Stadion in San Diego mithilfe einer elektroakustischen Beschallungsanlage zu über 50 000 Personen. In den 1920er- und 1930er-Jahren war dann Deutschland in der physikalischen Forschung und Entwicklung weltweit führend, und wieder löste die militärische Aufrüstung einen ungeahnten Aufschwung der noch jungen Elektroakustik aus. Von enormen Grossbeschallungsanlagen für Parteiaufmärsche (Abb. 02) bis hin zum «Volksempfänger»-Radio in allen deutschen Haushalten setzte das NS-Regime (und in Italien die Faschisten) die Elektroakustik zur Verbreitung von Propaganda ein.

Die weitere Entwicklung der Qualität von Lautsprechersystemen ist bis heute asymptotisch verlaufen; nach einer rasanten Steigerung in der ersten Zeit stieg die Wiedergabequalität nur noch langsam an. Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren existierten Lautsprechersysteme mit einer Klangqualität, die mit derjenigen von heutigen Systemen vergleichbar ist.

Digital angesteuerte Zeilenlautsprecher

Die bestehenden Technologien in der Beschallungstechnik werden beständig weiterentwickelt, grundsätzlich neue Entwicklungen gibt es aber kaum. Manchmal erleben seit langer Zeit bekannte Prinzipien wie etwa die gegenwärtig verbreiteten Zeilenlautsprecher ein Revival. Ihr Prinzip ist schon aus den Anfangsjahren der Elektroakustik bekannt: Mehrere identische Lautsprecher werden in linearer Anordnung übereinander montiert, um so die Schallverteilung durch Interferenz gezielt zu beeinflussen. In der Regel wird dabei eine breite horizontale und eine schmale vertikale Schallabstrahlung angestrebt. Während vieler Jahre wurden nach diesem Prinzip aufgebaute Lautsprechersysteme fast nur für Sprachbeschallungen, etwa in Kirchen oder Hörsälen, eingesetzt.

Die Kombination der traditionellen Lautsprechertechnik mit digitaler Ansteuerung hat in den letzten Jahren ein grosses Comeback der Zeilenlautsprechersysteme ausgelöst. Die digitale Ansteuerung ermöglicht beispielsweise die Kontrolle des Abstrahlverhaltens des Lautsprechers durch definierte Interferenzen (Beamforming). Statt mechanisch kann ein derartiger Lautsprecher dadurch auch elektronisch im Raum ausgerichtet werden (Abb. 04). Die perfekte Sprachverständlichkeit der Durchsagen in den akustisch problematischen Hallen im Gare du Nord in Paris oder im kürzlich umgebauten Bahnhof King’s Cross in London demonstrieren, wie effektiv moderne Zeilenstrahler den Schall genau in die gewünschte Richtung schicken können. Eine andere Form von Zeilenlautsprechern sind die heute bei Livekonzerten oft anzutreffenden Line Arrays («Lautsprecherbananen»). Die Grundidee ist auch hier eine gezielte Optimierung der Schallabstrahlung in horizontaler und vertikaler Richtung und damit einhergehend eine Erhöhung der Reichweite des Lautsprechersystems.

Nicht nur Akustiker (vgl. TEC21, Nr. 11/2012, Kasten S. 22), auch qualifizierte Elektroakustikplaner sind selten. Deshalb werden Anlagen aus Unerfahrenheit oft zu komplex ausgelegt, was für Kunden und Anwender problematisch ist. Zu komplexe Anlagen sind oft schwer zu bedienen und zu warten, sie neigen wegen der vielen Komponenten zu erhöhter Fehleranfälligkeit, und die unvermeidlichen individuellen Schwächen der einzelnen Komponenten summieren sich überproportional und verringern so die Gesamtqualität des Systems.

Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass oft einfache (nicht unbedingt preisgünstige) elektroakustische Systeme die beste Klangqualität produzieren.

Wellenfeldsynthese und Raumklang

Aktuelle Entwicklungen und Trends in der Elektroakustik zeichnen sich im Bereich der Systemintegration und bei der digitalen Steuerung von einzelnen Komponenten und ganzen Systemen ab. Die Kombination konventioneller Lautsprechersysteme mit einer digitalen Ansteuerung eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Neben dem erwähnten Beamforming, der Steuerung der Abstrahlcharakteristik von Lautsprechersystemen, ist der Raumklang ein wichtiger Trend in der elektroakustischen Forschung. Dabei wird ein virtuelles und im Idealfall dreidimensionales Schallfeld für die Zuhörer erzeugt. Eine technisch relativ einfache Umsetzung dieser Idee ist seit vielen Jahren aus dem (Heim-)Kinobereich bekannt, wo verschiedene «Surround Sound»-Systeme gebräuchlich sind. Diese versuchen mit verteilt aufgestellten Lautsprechern, die von einzelnen Tonspuren versorgt werden, den Zuhörern eine künstliche Raumatmosphäre – zumindest in der horizontalen Ebene – zu vermitteln. Die Resultate können unter günstigen Umständen durchaus ansprechend sein. Eine Schwäche dieser Technologie liegt darin, dass der virtuelle Raumeindruck und die räumliche Ortung der virtuellen Schallquellen immer von der Position der Zuhörer abhängig sind. In einem Kino erleben die Zuhörer den korrekten, vom Tonmeister gewünschten Raumklang nur, wenn sie auf der Mittelachse des Raums und in 2∕3 der Saaltiefe sitzen.

Die Wellenfeldsynthese als eine Art «akustische Holografie» konstruiert das Schallfeld so, wie es sich um eine reale Schallquelle herum ausbilden würde. Basierend auf der Erkenntnis des niederländischen Mathematikers und Physikers Christiaan Huygens (1629–1695), dass sich jede Wellenfront aus Elementarwellen konstruieren lässt, hat Prof. J. A. Berkout an der TU Delft Ende der 1980er-Jahre die Wellenfeldsynthese und ein dazugehöriges elektroakustisches Wiedergabesystem entwickelt (Abb. 05). Bei dieser Technologie ist die räumliche Ortung virtueller Schallquellen nicht mehr positionsabhängig. Man kann somit um eine virtuelle Schallquelle im Raum herumgehen, ohne dass sich deren gehörte Position verändert. Der Nachteil der Wellenfeldsynthese ist die grosse Anzahl der benötigten Lautsprecher. Die «akustische Holografie» erfordert ein kontinuierliches Array von nah beieinander liegenden Lautsprechern. Forscher und Ingenieure entwickeln gegenwärtig Alternativen zur Wellenfeldsynthese. Dabei soll mithilfe komplexer digitaler Signalbearbeitungsalgorithmen und mit relativ wenigen Lautsprechern ein möglichst von der Hörposition unabhängiges räumliches Schallfeld erzeugt werden.[2] Neben den kommerziellen Anwendungen ist die Erzeugung von Raumklang mit elektroakustischen Mitteln ein zentrales Thema in der elektroakustischen Musik und in der Klangkunst. Schon vor Xenakis (vgl. TEC21 20/2012 «Reflexion und Stimmung») haben sich einzelne Komponisten dieses Themas angenommen – das Interesse daran ist auch heute ungebrochen.[3] Oft ergeben sich daraus interessante Synergien zwischen Kunst und Industrie.

An der Schnittstelle zwischen kommerziellen und künstlerischen Anwendungen der Elektroakustik liegt das Feld der multimedialen Präsentationen, beispielsweise im Museumsbereich. Hier kommt der Elektroakustik oft die Aufgabe zu, die räumlich-visuellen Eindrücke mit räumlich-akustischen Eindrücken zu ergänzen und/oder zu verstärken – auch in diesem Bereich ist der «Raumklang» ein zentrales Thema.

Mit Antischall gegen Lärm

In Zukunft wird sich die Elektroakustik, etwas ironischerweise, eher mit der Vernichtung von Schall als mit dessen Erzeugung befassen. Unter «Antischall» wird meist die Auslöschung von störendem Schall durch gezielt eingesetzten «negativ gepolten» Schall zusammengefasst. Störender Schall kann unhörbar gemacht werden, indem am Standort des Zuhörers mit einem Lautsprecher ein Schallsignal erzeugt wird, das die gleichen physikalischen Eigenschaften (Lautstärke, Frequenzspektrum) hat wie dasjenige, das ausgelöscht werden soll, aber die umgekehrte Polarität aufweist – d. h. um 180° phasenverschoben ist (destruktive Interferenz). Das Erzeugen eines derartigen «spiegelbildlichen» Schallsignals ist anspruchsvoll. In der Praxis gelingt es relativ gut, wenn sich die zuhörende Person mit dem den Antischall erzeugenden elektroakustischen System in einer definierten und unveränderlichen akustischen/räumlichen Umgebung befindet. Diese Situation besteht etwa bei einem Kopfhörer. Bei den seit einigen Jahren auf dem Markt erhältlichen «Noise Cancelling Headphones» befinden sich aussen am Hörer Mikrofone, die den störenden Schall aufnehmen. Dieser wird durch eine Elektronik im Hörer «umgepolt» und über die Kopfhörermembranen abgestrahlt. So löschen sich am Ohr des Zuhörers der direkt einfallende Störschall und der durch den Kopfhörer erzeugte «Antischall» praktisch vollständig aus.

Das theoretische Prinzip des Antischalls funktioniert im Fall von «Noise Cancelling»-Kopfhörern, weil sich die räumlichen Bezüge zwischen dem Ohr des Zuhörers und der den Antischall erzeugenden Schallquelle nicht ändern und weil die Abtastung des Störschalls praktisch am gleichen Ort erfolgt wie dessen Auslöschung. Mit fest installierten Mikrofonen und Lautsprechern störenden Lärm in einem Raum zu eliminieren, in dem sich mehrere Personen an verschiedenen, wechselnden Positionen befinden, ist hingegen ein fast unlösbares Problem. Das Antischallfeld kann prinzipiell nur für einen bestimmten Punkt im Raum erzeugt werden – im besten Fall würde eine einzige Person an einem fixierten Platz von der Lärmreduktion profitieren. Für Räume, in denen sich Personen relativ unbeweglich aufhalten, wie beispielsweise Fahrerkabinen von Baumaschinen, sind Antischall-Systeme denkbar und teilweise auch kommerziell erhältlich.

Grenzen der Elektroakustik

Eine grundlegende Grenze der Elektroakustik wird von den existierenden Beschallungsanlagen in realen Umgebungen mit real existierender Akustik gesetzt. Das vom Lautsprecher abgestrahlte Schallsignal gelangt nicht direkt ans Ohr des Zuhörers, sondern wird zuerst durch die Akustik der Umgebung (Reflexionen, Nachhall etc.) verändert. Grundsätzlich bedeutet dies immer eine Verschlechterung der ursprünglichen Signalqualität. Bei ungünstigen akustischen Verhältnissen kommt die vom Lautsprecher abgestrahlte Information nicht mehr verständlich beim Zuhörer an. Auch eine schlechte (Raum-)Akustik kann mit den heutigen elektroakustischen Systemen nicht korrigiert werden. Einen Raum von zu langem Nachhall zu befreien ist, ähnlich wie beim oben erwähnten Antischall, in der Praxis eine fast unlösbare Aufgabe.

Als Alternativen zum klassischen elektrodynamischen Lautsprecher existieren gegenwärtig verschiedene technische Konzepte für digitale Lautsprecher, die digitale Audiosignale direkt in hörbare (analoge) Schallsignale umsetzen. Die praktische Realisierung und der serienmässige Einsatz solcher Systeme stehen aber noch vor grossen Herausforderungen.


Anmerkungen:
[01] Am 27. 4. 1898 meldet der britische Physiker Sir Oliver Lodge ein Patent über einen elektrodynamischen Lautsprecher an, der als Urtyp aller nachfolgenden dynamischen Lautsprecher angesehen werden kann.
[02] Sowohl im Bereich der Wellenfeldsynthese wie auch der erwähnten alternativen Technologien zur räumlichen Wiedergabe nimmt die Schweiz in der Forschung und Entwicklung international eine Spitzenposition ein. Technologiefirmen wie Sonic Emotion oder Illusonic sind führende Unternehmen in diesem Bereich. Ausserdem forscht unter anderen auch die ZHdK in Zürich intensiv im Bereich Raumklang.
[03] Die raumakustischen Projekte des Basler Komponisten Beat Gysin werden in TEC21 33-34/2013 vorgestellt.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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