Zeitschrift

db deutsche bauzeitung 05|2013
Vorsprung Holz
db deutsche bauzeitung 05|2013

Keine falsche Nostalgie

Ferienhaus in Reckingen (CH)

Von außen ist die Umnutzung einer alten Doppelstallscheune in das Ferienhaus »Casa C« im Schweizer Gebiet Goms im Wallis kaum wahrnehmbar. Innen hingegen hat ein junges Züricher Architekturbüro durch den Einbau eines neuen Holzhauses wahre Raumwunder geschaffen. Die dazu notwendigen Bauteile wurden behutsam durch die fragile Außenhülle eingebracht und bilden nun stimmungsvolle Kontraste.

2. Mai 2013 - Hubertus Adam
Das Goms zählt auch heute noch zu den entlegenen Regionen der Schweiz; als Hochtal im Osten des Oberwallis erstreckt es sich vom Furkamassiv bis hin zur Geländestufe von Grengiols bei Brig und wird von der Rhone durchflossen, die hier entspringt. Wird das Walliser Rhonetal von Industrie und Durchgangsverkehr geprägt, so hat das Goms seinen dörflich-abgelegenen Charakter bewahrt: Hier kommt man nicht zufällig vorbei, hierher muss man wollen, und im Winter unterbrechen immer wieder Lawinenabgänge die Verkehrsverbindungen. Dennoch ist der Tourismus für die lokale Wirtschaft inzwischen die wichtigste Einnahmequelle. Davon profitieren nicht nur die Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe, sondern auch die Bauwirtschaft – Siedlungen mit Ferienhäusern umgeben die historischen Dorfkerne, auch wenn sich die Zersiedlung in der Region noch vergleichsweise moderat darstellt.

Dies gilt auch für das 1 300 m über dem Meer liegende Reckingen, das drei Siedlungsbereiche besitzt: das Unterdorf, das weiter am Hang gelegene Oberdorf sowie den jenseits des Flusses gelegenen Dorfteil Überrotten. Beherrscht wird Reckingen von der Pfarrkirche Geburt Mariä, die als wichtigstes Barockgebäude im Oberwallis gilt. Der weiß verputzte Massivbau, der für das doch eher kleine Dorf überdimensioniert wirkt, setzt farblich und materiell einen Gegenakzent zu den das Ortsbild prägenden historischen Holzbauten, die bedingt durch Klima und Sonneneinwirkung nahezu schwarz sind.

Vier Holzhaustypen haben sich im Goms ausgebildet: das Wohnhaus, die Stallscheune, der Speicher und der zur Aufbewahrung der geschnittenen Getreidegarben dienende Stadel. Die hoch aufragenden, aufgeständerten Stadel, die ein Eindringen von Mäusen verhindern sollten, sind eine Besonderheit der Region und erinnern an ähnliche Bauten in Spanien oder Portugal. Ihre Erhaltung stellt eine Herausforderung dar, da sie als Getreidelager überflüssig geworden sind. Das Gleiche gilt für die Stallscheunen, die – urprünglich für Kühe genutzt – heute aus Tierschutzgründen allenfalls noch Ziegen beherbergen können, zumeist aber durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft ohnehin obsolet geworden sind. Die Umwandlung in Ferienhäuser stellt ein übliches Vorgehen dar. Realisiert werden derlei mal mehr, mal weniger überzeugende Umbauten üblicherweise von den ortsansässigen Holzbaufirmen, meist jedoch ohne Architekten.

Erstlingswerk

Im Falle der »Casa C«, zwischen Bahnhof und Kirche im Unterdorf gelegen, wählten die Bauherren einen anderen Weg und beauftragten die in Zürich ansässigen Architekten Marianne Julia Baumgartner und Luca Camponovo, die mit diesem Projekt ihr eigenes Büro camponovo baumgartner architekten gründen konnten. Bei dem bestehenden, z. T. maroden Gebäude, das aus der Zeit um 1890 stammt und dem Ortsbildschutz unterliegt, handelte es sich um ein relativ großes Volumen, das ursprünglich von zwei Eigentümern genutzt wurde und daher durch eine Mittelwand in zwei Hälften getrennt war. Der Aufbau folgte der für das Goms typischen Struktur: Im Sockel die niedrigen Ställe, darüber die hohen, von einem Satteldach überfangenen und innen nicht weiter untergliederten Heukammern. Diverse mit Klappen versehene Öffnungen erlaubten das Einbringen des Heus, über Treppen erreichbare Türen an der Vorderseite dienten der Entnahme. Wie im Goms üblich, fanden bei dem sogenannten Strickbau (Blockbau) nicht Rundhölzer, sondern Kanthölzer Verwendung, die auch im Bereich der Scheune kompakt und nicht – wie etwa im Engadin – auf Lücke gesetzt wurden.

camponovo baumgartner entschieden sich aus gutem Grund, nicht den materiellen Bruch zu inszenieren, sondern den Strickbau mit dem Material Holz fortzuschreiben und möglichst behutsam, aber ohne falsche Nostalgie, der neuen Nutzung anzupassen. Zunächst galt es, die vorhandene Struktur zu ertüchtigen. Unter Verwendung einiger bestehender Elemente musste das Pfettendach fast vollständig neu aufgebaut werden, es erhielt anschließend eine Deckung aus Lärchenschindeln. Überdies war die Struktur des Blockbaus zu stabilisieren. Aus Gründen des Erdbebenschutzes wurden die Fundamente mit Beton verstärkt, die gestrickten Wände im Bereich der Ställe durch Stahlbänder fixiert, die Auflager des Bodens zwischen Stall und Heuboden vergrößert und stählerne U-Profile, die nur im Sockelgeschoss sichtbar sind, in das Tragwerk integriert.

Von dem Raum für die Haustechnik abgesehen – für die Heizung sorgt eine Wärmepumpe samt zwei Erdsonden – wurde die Stallebene nicht zuletzt aus Kostengründen im Rohbau belassen und kann später nach Bedarf ausgebaut werden.

Behutsame Fortführung

Die Wohnräume befinden sich im Bereich der früheren Heuböden. Hier wurde eine zweite Ebene eingezogen und die bestehende Mittelwand an zwei Stellen durchbrochen, um eine kontinuierliche Raumabwicklung zu ermöglichen. Decken und Wände des mit Zelluloseflocken gedämmten Einbaus bestehen ausschließlich aus Birkensperrholz, wobei die Architekten Regale und Schränke an verschiedenen Orten als Einbauten integrierten; Heizkörper sind hinter mit Lochrastern versehenen Platten versteckt. Lärchenholz wurde für den Boden und die Fenster verwendet.

Eine der wichtigsten Entwurfsideen war die hinsichtlich ihrer räumlichen Wirkung überzeugende Entscheidung, den beheizten Bereich des Einbaus nicht überall an die Außenwand des Bestandsgebäudes zu führen. In beiden Haushälften springt die Wand des Einbaus an einer Stelle zurück, sodass sich im Eingangsbereich, aber auch auf der Rückseite unbeheizte, loggienartige Zwischenzonen ergeben. Diese lassen Dimension und Materialität des Bestands anschaulich werden, vergrößern aber auch optisch die zu den Zwischenzonen sich öffnenden Wohnräume.

Der spannungsreiche Wechsel zwischen Räumen unterschiedlicher Proportionen macht den besonderen Reiz des Hauses aus. Der Eingangskorridor, an den sich Gästezimmer und -bad anlagern, führt in den beide Geschosse übergreifenden Bibliotheks- und Kaminraum. Eine Stufe hinauf gelangt man über den Durchbruch in der Mittelwand in den anderen Hausteil, wo sich ein winkelförmiger Wohn- und Essraum mit vorgelagerter Loggia und die Küche anschließen. Von hier führt eine Treppe in das OG mit einem großen Flur und zwei Schlafräumen. Sie werden z. T. über Fenster zu den Innenzonen (Bibliotheksraum, Loggia) belichtet.

Die Zwischenzonen und doppelgeschossigen Räume verringern zwar die Nutzfläche des Hauses, schaffen aber eine faszinierende räumliche Qualität – durch den Wechsel von hohen und niedrigen, offenen und eher geschlossenen, kleinen und großen Raumzonen. Nicht zuletzt wird in ihnen der Kontrast zwischen dem alten Holzbestand und dem neuen Einbau erlebbar, ein Kontrast, den man auch als konsequente Fortführung des Holzbaus mit zeitgenössischen Mitteln verstehen kann.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

Tools: