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TEC21 2013|19
Grün in der Dichte
TEC21 2013|19
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

«Das Thema Grünräume ist sehr gut verankert»

Bei der Verdichtung des bebauten Raums geraten die Grünräume zwangsläufig unter Druck. Im Gespräch mit TEC21 erläutern Paul Bauer und Karl Stammnitz von Grün Stadt Zürich, welche Möglichkeiten es gibt, trotzdem neue Grünräume zu schaffen oder die Qualität der bestehenden für Erholung und Ökologie zu erhöhen.

3. Mai 2013 - Claudia Carle
TEC21: Wie stark sind die Grünräume in der Stadt angesichts der Verdichtungstendenz ­unter Druck?
Paul Bauer (P. B.): Grünräume geniessen eine hohe Akzeptanz in Bevölkerung und Politik. Das zeigen beispielsweise parlamentarische Vorstösse oder direkte Interventionen von ­Anwohnern und Grundeigentümern. Ein typisches Beispiel ist die vom Gemeinderat überwiesene Motion für fünf neue Parks im Entwicklungsgebiet Zürich West. Auch wenn wir ­diese Motion nur teilweise erfüllen können, sind das wichtige Motoren für das Weiterarbeiten an diesem Thema. Auch im Gemeinderat gibt es jeweils intensive Diskussionen, wenn es zum Beispiel im Rahmen von Gestaltungsplänen um den Grünraumanteil geht.
Karl Stammnitz (K. S.): Das Thema Grünräume ist auch auf der strategischen Ebene gut verankert. Beispielsweise bekennt sich der Stadtrat in der Strategie 2025 ganz klar zur ­Bedeutung der Grünräume für die Lebensqualität in der Stadt. Auch in der Räumlichen Entwicklungsstrategie (RES)[1], die in intensiver Zusammenarbeit mit den anderen planenden Ämtern der Stadt entstanden ist, geht es sehr stark um das Thema Grün und Verdichtung.
P. B.: In der RES wurde festgelegt, wie sich die einzelnen Stadtgebiete entwickeln sollen: Welche will man weitgehend im Bestand erhalten, welche verdichten, wo sind die wichtigen grossen Grün- und Erholungsräume, wo die wichtigen Vernetzungsachsen, und welches sind die Freiraumstrukturen, die das Stadtbild prägen? Man hat geschaut, wo Mankos ­liegen und wo Chancen bestehen.

TEC21: Auf welcher Grundlage wird festgelegt, welche Grünräume bestehen bleiben müssen bzw. auf welche man verzichten könnte?
P. B.: Wir haben einen qualitativen und einen quantitativen Ansatz. Auf der quantitativen Seite haben wir die wichtigsten Herausforderungen und Handlungsfelder der Zukunft aus unserer Optik in den beiden Broschüren «Freiraumversorgung der Stadt Zürich»[2] und «Grünbuch der Stadt Zürich»[3] festgelegt. Darin postulieren wir aufgrund von Erkenntnissen anderer Länder und Städte quantitative Zielwerte von 8 m² Grünraum pro Einwohner und 5 m² pro Arbeitsplatz, die in einer Gehdistanz von etwa 15 Minuten zur Verfügung stehen sollen. Berücksichtigt wurden auch Hindernisse wie stark befahrene Strassen, die die ­Zugänglichkeit erschweren. Davon ausgehend haben wir ermittelt, wie gut die einzelnen Stadtgebiete heute mit Grünräumen versorgt sind (Abb. 04). In stärker unterversorgten ­Gebieten wird man einen besonderen Fokus auf die Grünraumversorgung legen, auch wenn man nicht überall den Sollwert erreichen wird. Das andere ist die Frage der Qualität: Entspricht die Nutzung den Bedürfnissen im unmittelbaren Wohn- und Arbeitsumfeld? Ein Beispiel dafür sind Kleingärten im innerstädtischen Bereich, die zwar gut genutzt sind, aber nur von wenigen Bewohnern. Darum will Grün Stadt Zürich zumindest einen Teil davon zugänglicher machen.

TEC21: Was gibt es denn für Möglichkeiten, in den mit Grün unterversorgten Stadtgebieten trotz Verdichtungsdruck neue Grünräume zu schaffen?
K. S.: Beispielsweise den Abbau von Barrieren wie bei der Überdeckung der Autobahn im Entlisberg, die das Quartier wieder mit den angrenzenden Landschaftsräumen ­vernetzt hat. Auch die Einhausung Schwamendingen ist ein Paradebeispiel, wie man mit Lärmschutzmassnahmen einerseits stark voneinander separierte Gebiete wieder verbindet und andererseits neue Freiräume auf dem Deckel gewinnt. Eine andere Möglichkeit ist die Schaffung von öffentlichen Grünräumen auf Flächen, die vorher dem Verkehr gedient haben, etwa die Pflanzung von Bäumen entlang von Strassen und auf Plätzen wie im Rahmen der flankierenden Massnahmen für die Westumfahrung (vgl. TEC21 40/2008).
P. B.: Weitere Möglichkeiten gibt es in ehemaligen Industriegebieten, die in einem starken Transformationsprozess sind und wo wir zusammen mit den planenden Ämtern überlegen, wie das Gebiet künftig aussehen soll, beispielsweise in Zürich West, Neu-Oerlikon oder der Manegg. Dort diskutieren wir im Rahmen von Gebietsplanungen über die Nutzungsschwerpunkte, die städtebauliche Struktur, die Verkehrs- und die Freiraumversorgung. In solchen Gebieten gibt es in der Regel auch eine Sondernutzungsplanung, die den Grundeigentümern eine höhere Ausnützung zugesteht und im Gegenzug mehr Qualität einfordert. Dabei kann man auch über Grünräume verhandeln. Bezüglich der Umsetzung gibt es verschiedene denkbare Formen: sei es, dass eine private Fläche an die öffentliche Hand übergeht, wo dann eine Parkanlage oder ein Platz entsteht, wie zum Beispiel der Turbinenplatz in Zürich West oder die neuen Parks in Neu-Oerlikon, sei es, dass man mit Vereinbarungen arbeitet. Das heisst, Private stellen eine Fläche bereit, die auch öffentlich nutzbar ist, und die Stadt leistet dafür einen Beitrag für Pflege und Unterhalt. Das aktuellste Beispiel dafür ist der Patumbah-Park.
K. S.: Wir machen auch Angebote zur Zwischennutzung von Flächen, die nur auf Zeit zur Verfügung stehen, wenn ein entsprechender Wunsch aus der Bevölkerung kommt (Abb. 01–03). Gerade bei neuen Nutzungstendenzen wie dem urbanen Gärtnern kann man dabei testen, ob sie sich etablieren oder wieder verschwinden.

TEC21: Bei einem Teil der neu geschaffenen öffentlichen Parks hat man den Eindruck, dass sie kaum genutzt werden. Woran liegt das?
P. B.: In neu entwickelten Gebieten wie in Neu-Oerlikon stehen im Verhältnis zur Bevölkerungsdichte grosszügige Grünflächen zur Verfügung. Logisch, dass die Frequenz entsprechend niedriger ist. Freiräume in dicht bebauten und mit Freiraum unterversorgten Gebieten sind im Vergleich dazu stärker frequentiert (Abb. 06–07). Die Bäckeranlage ist so ein Standort.
K. S.: Ich glaube, man muss den neuen Anlagen Zeit geben zu reifen. Eine über die Jahrzehnte gewachsene Anlage strahlt einfach etwas ganz anderes aus als eine neu angelegte.

TEC21: Vielleicht würden zusätzliche Angebote, zum Beispiel ein Café, die Akzeptanz erhöhen. Gibt es Bestrebungen, die Bedürfnisse der Anwohner diesbezüglich abzuholen?
P. B.: In Neu-Oerlikon mussten wir die Parks planen, als wir noch gar nicht wussten, was ausser den Parkanlagen dort hinkommen wird. Im Oerliker Park ist das Gestaltungskonzept daher bewusst so gewählt, dass es Flächen gibt, die man gut verändern kann – die sogenannte Interventionszone. Einige Jahre nach dem Anlegen des Parks wurden die Bedürfnisse des Quartiers formuliert und in einem Mitwirkungsverfahren die gewünschte Infrastruktur weiterentwickelt mit der Schaffung von zusätzlichen Spielmöglichkeiten, Sitzangeboten und Grillstellen. Das wird sehr geschätzt.

TEC21: Wir haben jetzt vor allem über die Möglichkeiten zur Schaffung von Grünräumen im Zuge grösserer Bauvorhaben gesprochen. Welchen Spielraum haben Sie bei kleinen Einzelbauvorhaben?
K. S.: Der ist deutlich geringer. Im Gegensatz zu den grossen Arealen, wo das Planungs- und Baugesetz eine besonders gute Gesamtwirkung fordert, treffen wir uns bei den kleinen Einzelbauvorhaben bei der befriedigenden Gesamtwirkung. Da liegt also die Latte deutlich tiefer, was Gestaltung und Erscheinungsbild angeht. In den klein strukturierten Gebieten ist der Grünraum daher stärker unter Druck.

TEC21: Und welche Einflussmöglichkeiten haben Sie dort konkret?
P. B.: Wir können beispielsweise Auflagen für eine Dachbegrünung oder zum Versiegelungsgrad machen.
K. S.: Teilweise können wir ökologische Anliegen auch «im Beiboot» von gestalterischen «mitsegeln» lassen. Wenn im betreffenden Gebiet zum Beispiel Sukzessionsflächen ein ­typisches Erscheinungsbild sind, können wir diese einfordern.

TEC21: In welcher Form fliesst neben der Erholungsfunktion die Bedeutung der Grünräume für die Biodiversität in die Planung ein?
P. B.: Eine Grundlage sind Inventare wie das der kommunalen Naturschutzobjekte oder das Gartendenkmalinventar. Zum anderen gibt es strategische Instrumente mit Informationen zur Biodiversität in der Stadt, die auf Flächenuntersuchungen basieren. Sie zeigen, wo die wichtigen Hotspots der Biodiversität oder die wichtigen Vernetzungsachsen von Lebensräumen liegen (Abb. 05).
K. S.: Paradebeispiel einer solchen Vernetzungsachse ist der ganze Bahnkorridor. Dort hat man mit den SBB die Regelung getroffen, dass Eingriffe wieder ausgeglichen werden. Auch hinter dem Alleenkonzept steckt die Idee, mit linearen Pflanzungen Vernetzungen zu schaffen. Das betrifft sowohl die Kronenebene als auch den Boden, wo wir versuchen, möglichst durchgängige Baumscheiben zu etablieren.

TEC21: Kann dort, wo keine neuen Grünflächen geschaffen werden können, auch die Aufwertung der bestehenden Flächen deren Wert erhöhen?
P. B.: Eine bestehende Fläche aufzuwerten kann durchaus eine gute Reaktion sein. Man kann zum Beispiel in einer schon bestehenden öffentlichen Parkanlage intensivere Nutzungsangebote schaffen. Eine andere Möglichkeit sind Nutzungsumlagerungen wie im oben ­erwähnten Beispiel der Kleingartenareale oder die Kombination von Nutzungen. Die Sportanlage Heerenschürli (vgl. inneres Titelbild) haben wir so umgestaltet, dass sie für eine ­breitere Öffentlichkeit attraktiv und nutzbar ist und somit auch als Erholungsraum für das Quartier dient. Neben Fussball- und Baseballfeldern gibt es dort jetzt auch eine Skater­anlage sowie ein Restaurant.

TEC21: Meine Frage nach dem Nutzen von Aufwertungen kam von der Wahrnehmung her, dass viele Aussenräume grösserer Überbauungen häufig relativ monoton sind. Oft dominieren Rasenflächen neben ein paar Kirschlorbeersträuchern. Kann man durch die Schaffung vielfältigerer Strukturen auf so einer Fläche einen allfälligen Flächenverlust im Rahmen der baulichen Verdichtung wettmachen?

K. S.: Im Unterhalt von Wohnliegenschaften liegt ein riesiges Potenzial, für das den Bewirtschaftern aber manchmal der Blick fehlt, zumal sie oft keine ausgebildeten Gärtner sind (vgl. TEC21 11/2013). Wir versuchen im Moment bei den stadteigenen Wohnsiedlungen, die wir sukzessive in die Pflege übernehmen, zum Beispiel Grünflächen in weniger intensiv ­genutzten Bereichen zu extensivieren. Auf privatem Grund können wir vielfältige Strukturen zwar zum Teil auch in der Baugesuchsbearbeitung einfordern. Die öffentliche Hand hat aber wenig Einfluss darauf, wie diese Flächen dann langfristig gepflegt werden. Bei den Genossen­schaften spürt Grün Stadt Zürich eine grosse Bereitschaft, die Umgebungs­flächen sowohl für die Nutzung wie auch für die Ökologie aufzuwerten. Die Genossenschaft Gewobag in ­Albisrieden hat beispielsweise zusammen mit Landschaftsarchitekten ein langfristiges ­Entwicklungskonzept für die Bewirtschaftung ihrer Flächen erarbeitet, zu dem wir ebenfalls Anregungen liefern konnten.
P. B.: Einen grösseren Handlungsspielraum als bei bestehenden Wohnsiedlungen gibt es bei Ersatzneubauten. Dort entstehen oft wesentlich vielfältigere, durchmischte Aussen­räume, da man heute andere Vorstellungen von der Umgebungsgestaltung hat als noch vor 30 Jahren.
K. S.: Ich glaube, das ist auch eine Reaktion auf die grösser werdenden Bauvolumen, ­denen man Freiräume mit einer höheren Dichte an Strukturen entgegensetzen muss, damit die Proportionen trotzdem stimmen und gut nutzbare Aussenflächen entstehen.

TEC21: Beim Neubau der Genossenschaft «Mehr als Wohnen» wird ja ein Teil des Aussenraums als Nutzgarten gestaltet (vgl. «Sommerblumen und Stadtmenschen», S. 10). Wie ­bewerten Sie das?
K. S.: Wichtig ist aus unserer Sicht, den gesamten Nutzungsanforderungen der Bewohner zu entsprechen und einen guten Ausgleich zwischen Nutzungs-, Gestaltungs- und ökologischen Ansprüchen zu finden. Neben einem Nutzgarten braucht es also weiterhin ­Spielplätze und Platz zum Fussballspielen oder um sich abends zu treffen. Das ist beim Projekt «Mehr als Wohnen» gut gelungen. Schön ist dort auch der Übergang zum öffentlichen Andreaspark. Die vertragliche Regelung mit den Anstössern sieht vor, dass der an den Park angrenzende Teil zwar weiterhin den privaten Grundeigentümern gehört, aber durch die ­öffentliche Hand gepflegt wird und damit auch der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Auf diese Weise verschmelzen die privaten und öffentlichen Freiräume.
P. B.: Neue Nutzungsformen und gemeinschaftliches Gärtnern propagiert Grün Stadt­ ­Zürich im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Kleingartenareals im Dunkelhölzli als Ersatz für jene Flächen, die beim Bau des neuen Eisstadions verloren gehen. Dies entspricht offensichtlich einem wachsenden Bedürfnis der Bevölkerung.


Anmerkungen:
[01] Stadt Zürich: Räumliche Entwicklungsstrategie des Stadtrats für die Stadt Zürich. Zürich 2010.
[02] Grün Stadt Zürich: Freiraumversorgung der Stadt Zürich. Zürich 2005.
[03] Grün Stadt Zürich: Das Grünbuch der Stadt Zürich. Zürich 2006.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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